Foto: Pressestelle Bistum Passau

Die Welt allein macht nicht glücklich!

Die Welt allein macht nicht glücklich! Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Jubiläum der Ordensleute in der Maria-Hilf-Woche 2016 im Passsauer Stephansdom.

Liebe Ordensjubilare unseres Bistums,
der Prophet Amos ist ein zorniger, ein unerbittlicher Kritiker seines Volkes. Er sieht laut der heutigen Lesung einen unlösbaren Zusammenhang zwischen der Glaubwürdigkeit des religiösen Kults und der sozialen Gerechtigkeit innerhalb des Volkes. Insbesondere klagt er die Reichen an, die die Armen ausbeuten, betrügen und unterdrücken.

Das Geschäft geht vor dem Kult, vor dem Sabbat, alles ist wichtiger als Gott. Diese Atmosphäre von Ungerechtigkeit und sozialer Not führt dazu, dass Gott durch den Propheten sagen wird: Ich verwandle eure Feste in Trauer, eure Lieder in Totenklage. Ich werde Hunger ausbrechen lassen, Hunger nach meinem Wort – aber ihr werdet keines hören, sagt Gott, ihr werdet es nicht finden.

Die Welt allein macht nicht glücklich: Das Soziale, die Gemeinschaft und der Glaube

Liebe Schwestern und Brüder, hier wird ein interessantes Phänomen geschildert. Hier wird der Glaube und der Unglaube jeweils zuerst als gemeinschaftliches Phänomen dargestellt. Wir in unserer Gesellschaft denken ja in der Regel sehr individualisiert: „Ich habe meinen Glauben und ob der andere auch einen Glauben hat, interessiert mich nicht allzu sehr. Schließlich leben wir in einer freien Gesellschaft und jeder soll glauben, was er möchte.

Der Glaube ist bei uns in der öffentlichen Wahrnehmung sehr stark ins Private gedrängt worden. Wie und ob einer glaubt, ist seine Sache, Hauptsache, er belästigt andere damit nicht. Und wenn da einer ist, der eine tiefe Seele ist, ein Mensch mit viel innerer Erfahrung, dann freue ich mich vielleicht  für ihn oder ich beneide ihn, aber das muss noch nicht heißen, dass das etwas mit mir und meinem Glauben zu tun hat.“

Glaube ist etwas Geteiltes

Das ist die eine Seite, liebe Schwestern und Brüder, aber andererseits wissen wir alle, die wir als Gläubige hier sind, wie gut es tut, Menschen zu begegnen, die denselben Glauben teilen. Wie gut tut es, diesen Glauben gemeinsam zu teilen, zu feiern und gemeinsam zu Gott zu beten und zu singen. Im Hochgebet beten wir, dass wir ein Leib und ein Geist werden mögen.

Die Kirche lebt also aus dieser Erfahrung, dass der Glaube etwas Geteiltes ist, wir sind alle zusammen Leib Christi. Aber genau das beißt sich nun irgendwie mit dieser Individualisierung und Privatisierung des Glaubens in der Gesellschaft.

Die Moral und das Klima des Glaubens

Aber der Text des Amos sagt nun mehr als nur die Erfahrung: Glaube wird in Gemeinschaft gelebt. Amos sagt gewissermaßen: Es gibt so etwas wie ein gemeinsam geteiltes moralisches Bewusstsein oder Verhalten, das für das Hören des Wortes Gottes förderlich ist oder eben hinderlich.

Im Alten Testament wird dieser Aspekt des Gemeinschaftlichen so sehr betont, dass der moralische Verfall dazu führt, dass die Menschen insgesamt kein Wort mehr von Gott hören, keinen oder kaum noch Propheten haben. Dass die Menschen so an der Oberfläche und an vordergründigen egoistischen Interessen festhalten, dass sie sich nicht nur als Einzelne, sondern auch als Gemeinschaft schwer tun, vom Wort Gottes wirklich berührt zu werden. Nicht, weil Gott so grausam wäre, sondern weil sie ihr Herz so in sich eingekrümmt haben, dass sie nichts mehr spüren, nichts mehr innerlich hören.

Die Welt allein: Gruppenegoismus

Liebe Schwestern und Brüder, Egoismus ist zwar einerseits ein Ich-Phänomen. Ich denke nur an mich! Aber es gibt auch so etwas wie Gruppenegoismus: Konstellationen des gegenseitigen Nutzens, bei maximaler Herzensverkrümmung und unter Ausblendung aller anderen Interessen, die diesem gegenseitigen Nutzen im Weg stehen. Und wenn sich eine solche Gemeinschaft bildet, dann kann Gott auch in einer Gemeinschaft nicht ankommen, nicht wahrgenommen werden.

Ein allgemeiner moralischer Verfall zum Beispiel macht es für Gott schwer, sich Gehör zu verschaffen. Warum? Weil er Liebe ist und Wahrheit. Und weil seine Liebe umsonst ist, freigebig ohne je als Kosten-Nutzen-Rechnung daher zu kommen. Im ersten Buch Samuel lesen wir zum Beispiel: „In jenen Tagen waren Worte des Herrn selten; Visionen waren nicht häufig.“ Es ist ein Klima des Unglaubens, in dem es keine gemeinsame Offenheit für Gottes Gegenwart gibt.

Worte des Herrn sind selten, Visionen nicht häufig

Liebe Schwestern, liebe Brüder, wir kennen das auch für unsre Zeit und unsere Gesellschaft und womöglich nicht selten auch für unsere Kirche: Worte des Herrn sind selten, Visionen nicht häufig. Wir tun uns zum Beispiel schwer, vom Herzen her so ins Wort Gottes zu finden, dass es uns von innen her aufgeht, dass es uns Nahrung wird und Herausforderung.

Sodass es uns stellt und uns richtet und wieder aufrichtet. Wenn wir es überhaupt lesen, lesen wir es häufig wie bloße Informationen, auch in der Kirche. Und wir lesen es nicht wie die Eröffnung einer wirklichen Begegnung mit dem Herrn. Wir haben es vielfach verlernt – und es gibt wenige, die es uns zeigen könnten.

Ordensleute als Kontrastgesellschaft zur Welt allein

Liebe Ordensleute, als Frauen und Männer des Gott geweihten Lebens sind wir die Berufenen, die mitten in einer Zeit und Gesellschaft, die dabei ist, sich von Gott abzuwenden, als Gemeinschaften so etwas wie Kontrastgesellschaft, Kontrastgemeinschaft zu bilden. Wir sind berufen, als Gemeinschaften so zu leben, dass Gott in uns und unter uns wirken kann.

Wir sind berufen, auf seine erlösende Liebe eine Antwort zu geben, die sich von ihm formen lässt, um lieben zu können in der Kraft seiner Liebe, um ihn erkennen zu können in der Kraft seines Wortes, um vertrauen zu können in der Gegenwart seines Geistes. Liebe Schwestern und Brüder im geweihten Leben: Wenn es das eine gibt, eine Art innerlich geschlossene Gesellschaft, in der Gott draußen bleiben soll, dann gibt es auch das andere: eine offene Gemeinschaft, die ihre Mitte in seiner Gegenwart hat.

Gott ist niemals verfügbar

Aber Sie wissen alle, dass dieses Geheimnis niemals einfach nur fertig ist, Gott ist niemals einfach verfügbar wie Besitz, oder habbar wie ein Gegenstand in unserem Herzen. Er sehnt sich danach, dass wir ihn in Freiheit anbeten, verherrlichen. Er sehnt sich danach, dass wir ihn suchen und kennen lernen wollen, er sehnt sich danach, dass wir auf ihn warten, ohne vorher festzulegen, wie er sich zu zeigen hat.

Gott will, dass wir ihn als Gott ehren, erkennen und zwar in der unfassbaren Einheit von absoluter Herrlichkeit und Majestät und absoluter Niedrigkeit und Selbstverschenkung. So ist er da. Und er sagt uns: Reine Herzen werden das erkennen, werden ihn erkennen. Werden ihm immer mehr Wohnung in sich geben – für sich und für andere.

Das Klima der Welt allein

Liebe Schwestern, liebe Brüder, auch wir Ordensleute sind in unserer westlichen, glaubensloser werdenden Gesellschaft gleichsam infiziert von einem Klima der Gesellschaft, in dem die Menschen dazu neigen, die Güter dieser Welt und nur dieser Welt zum Wichtigsten zu machen, das Geld, die Macht, die Anerkennung, das Vergnügen.

Dabei schreit unser Herz immer nach mehr, immer nach Gott. Nur: Wenn niemand glaubhaft vorlebt, dass es ihn wirklich gibt und dass er ein Herz erfüllen kann – ohne alle Güter dieser Welt, dann neigt das Menschenherz sich ungläubig an alles Mögliche zu hängen und es zu Gott zu machen, besser zum Götzen, vor allem das eigene Ego.

Alles, was nur Welt ist, macht nicht glücklich

Liebe Ordensjubilare: Sie alle haben inzwischen ein langes, intensives Ordensleben hinter sich. Ich danke von ganzem Herzen für diese Treue. Ich bin so dankbar für die Kostbarkeit unserer Lebensform in unserem Bistum. Ihr seid die lebendigen Mahnzeichen dafür, dass Gott alleine genügt, dass Gott alleine ein Leben in der Tiefe erfüllen kann. Freilich genügt er nicht einfach nur für mich im Sinn von: „Ich und mein lieber Gott – und die anderen sind mir egal.“

Er genügt so, dass alleine er erfüllt und so, dass wir aus dieser Erfüllung, aus diesem Reichtum uns selbst an andere verschenken können. Wenn, ja wenn wir es auch leben, wenn wir diesem Vertrauen auch folgen. Und wenn wir der Versuchung widerstehen, uns hineinziehen lassen, in dieselben Bedürfnisse, von denen die Welt meint, erst sie würden ein Leben ganz und glücklich machen. Nichts von dem, darauf gebe ich Ihnen Brief und Siegel, nichts von dem, was nur Welt ist uns sonst nichts, macht ein Leben je wirklich glücklich. Und alles, was wirklich von Gott kommt, ist dagegen geeignet es reich und tief und erfüllt und vor allem ewig zu machen.

Richten Sie sich nicht nach der Welt allein

Ich bitte Sie deshalb: Bleiben Sie auch weiterhin treu, warten Sie geduldig immer neu auf den Herrn, der der wahrhaftige Reichtum unserer Seele ist, ihr einzig möglicher echter Bräutigam, wenn man sich unsere Seele als Braut vorstellen mag.

Und arbeiten Sie auch dann einem gemeinschaftlichen Klima, in dem Er die Mitte sein darf, in dem sein Lob und das Warten und Hören auf ihn das Herz Ihres Ordenslebens bleibt und die Quelle aller wirklichen Barmherzigkeit für die Menschen. Danke Ihnen allen für Ihr Zeugnis! Und herzliche Gratulation zu Ihrem Jubiläum. Möge uns und Ihnen der Herr noch viele Jahre des gemeinsamen Weges geben. Amen.