Bild: Pressestelle Bistum Passau

Die Wohnung Gottes und die Hilfe der Christen

Die Wohnung Gottes und die Hilfe der Christen – Maria führt uns zu Christus. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Hochfest Maria Himmelfahrt 2016 in Altötting.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
stellen Sie sich vor, Sie werden zu einem Fest bei einem hohen Gast eingeladen, in ein Königshaus beispielsweise oder zu einem politischen Führer oder in eine ganz besonders feine Gesellschaft. Wenn uns so etwas passiert, wenn wir so eine Einladung erhalten, dann neigen wir uns zu fragen: Pass‘ ich da hin? Kann ich da bestehen? Wie muss ich mich benehmen, wie muss ich mich anziehen?

Wir spüren eine Diskrepanz, einen Unterschied zwischen unserem gewohnten Umgang mit Menschen unserer Umgebung und dieser Einladung. Wir fühlen uns geehrt und wollen uns der Einladung würdig erweisen und sorgen uns im Vorfeld darum, was wir beitragen können, damit unser Erscheinen passt, damit es nicht aus dem Rahmen fällt. Und vielleicht, je größer der Abstand zwischen uns und dem Einladenden ist, desto größer werden die Sorgen, ob wir das dort alles richtig machen.

Die Wohnung Gottes und die Hilfe der Christen

Liebe Schwestern, liebe Brüder, so etwas ähnliches gibt es auch in vielen Religionen und religiösen Ritualen: Gläubige Menschen haben oft ein tiefes Bewusstsein dafür, dass sie dem Gott oder den Göttern nicht einfach so unter die Augen treten können.

Sie müssen sich irgendwie dafür vorbereiten, indem sie sich reinigen, indem sie sich entsühnen, indem sie etwas als Geschenk mitbringen, was ihnen selbst kostbar ist. Ein rituelles Opfer zum Beispiel. Der Abstand zwischen dem Gott und dem Gläubigen ist so groß, dass der gläubige Mensch sich ernsthaft sorgt, ob er bestehen kann.

Die Heiligkeit Gottes

Und auch in unserer jüdisch-christlichen Tradition gibt es das, und hier ist es vielleicht sogar besonders ausgeprägt: Denken Sie an die Überzeugung des Menschen im Alten Bund: Niemand kann Gott wirklich schauen, ohne zu sterben. Niemand kann sich ihm nähern ohne Reinigung, ohne eigene Heiligung, ohne Opfer.

Nicht, weil Gott das braucht, sondern weil Gott so unfassbar groß, so majestätisch, so heilig ist, dass der Mensch etwas beitragen möchte, dass er bestehen kann und nicht vergehen muss. Denken Sie an die Berufungserfahrung des Propheten Jesaia.

Jesajas Berufungserfahrung

Der Prophet sieht sich geheimnisvoll in Gottes Gegenwart versetzt und ruft voller Erschütterung aus: „Weh mir, ich bin verloren. Denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen und lebe mitten in einem Volk mit unreinen Lippen und meine Augen haben den König, den Herrn der Heere, gesehen.“ (Jes 6,5)

Aber da kommt ein Engel mit einer glühenden Kohle vom Altar und berührt damit seine Lippen zum Zeichen der Entsühnung. Und an dieser Stelle wird schon etwas deutlich: Im Grunde muss Gott selbst das Entscheidende tun, um den Abstand zu überbrücken, im Grunde muss Gott selbst den Menschen so in seine Nähe holen, dass der Mensch seinerseits auch kommen und bestehen kann.

Auf der Suche nach innerer Verbindung

Als Christen glauben wir nun: In Jesus hat Gott das unfassbar Große getan und den Menschen in seine Nähe geholt, indem er unfassbar klein geworden ist. Und indem er gewissermaßen mit uns wachsen und reifen will, indem er mit uns dem Vater entgegen gehen will.

Wenn wir heilige Messe feiern, dann dürfen wir uns vergegenwärtigen, dass er die innere Verbindung mit uns sucht, dass er in unser Herz kommt – und wir mit ihm dem Vater entgegen gehen. Und wenn der Vater uns ins Herz sieht, sieht er dort auch die Gegenwart seines Sohnes, das Herz seines Sohnes. Er schaut in uns seinen Sohn an – und sehnt sich danach, dass wir wieder seine Kinder werden.

Wohnung Gottes: Christus will unser Herz verändern

Aber, liebe Schwestern und Brüder – und das ist ein Punkt, der leicht in Vergessenheit gerät. Der Herr kommt so zu uns, dass er uns wirklich verwandeln will. Er will unser Herz in Besitz nehmen und nach und nach Seinem Herzen ähnlich machen. Schauen Sie, wenn das Herz eines Menschen ganz in Besitz genommen ist, zum Beispiel von einer Leidenschaft für seinen Sport, dann formt sich der ganze Mensch nach und nach nach dieser Leidenschaft.

Bei unseren Olympiateilnehmern kann man ganz oft schon an der äußeren Erscheinung erraten, welchen Sport sie ausüben. Ein Gewichtheber sieht jedenfalls anders aus als ein Kunstturner oder ein Langstreckenläufer. Und natürlich ist ein Olympiasportler nicht nur körperlich, sondern auch seelisch und geistig ganz von seinem Sport eingenommen. Er beschäftigt sich ja immerfort damit. Man spürt: Das ist ein Sportler, eine Sportlerin.

Tempel statt „Kellerloch“

Liebe Schwestern und Brüder, der Mensch wird dem ähnlich, was er liebt, und er kommt dorthin, wohin er wirklich strebt, wohin er mit dem Herzen schaut.  Und nun überlegen Sie einmal, was Jesus uns als erstes Gebot mitgibt: Wir sollen den Herrn unseren Gott lieben mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzer Kraft – und den Nächsten wie uns selbst.

Mit beiden Geboten sind wir in der Regel überfordert. Deshalb kommt Jesus in unser Herz, macht sich klein, ein Baby an Weihnachten, die Gestalt eines Brotes in der Messe, seine Geschenke mit den Sakramenten. Aber er tut alles dies, damit wir mit ihm wachsen, damit wir ihn immer mehr im Herzen haben und unser Herz nach und nach verwandeln lassen von ihm.

Jesus will aus unserem Herz eine Wohnung Gottes machen

Er will mit uns zum Vater gehen, er will, dass wir die Gegenwart des Vaters aushalten; nein, mehr noch, er will, dass wir uns zutiefst an ihr freuen. Und er will, dass unser Herz sich dafür weitet, lebendig wird und tief, er will, dass es bewohnt wird von ihm und seinem Geist. Er will, dass wir lernen die Heiligkeit Gottes auszuhalten.

Sehen Sie, im unerlösten Zustand neigt unser Herz dazu, ein verräuchertes, dunkles Kellerloch zu sein mit allerhand Ungeziefer darin. Aber Jesus will daraus einen Tempel machen, einen Wohnort Gottes, einen inneren Ort, in dem völlig klar ist, wer in ihm regiert. Im Hebräerbrief lesen wir einmal den strengen Satz: Heb. 12:14 „Strebt voll Eifer nach Frieden mit allen und nach der Heiligung, ohne die keiner den Herrn sehen wird.“

Das Herz der Mutter: Lebendiger Tempel, lebendiger Lobpreis, Wohnung Gottes

Das allererste Herz, das er so neu geschaffen hat, das er so geheiligt hat, dass er so erfüllt hat, war das Herz seiner Mutter. Sie ist in Person ein lebendiger Tempel, die lebendige Bundeslade, die Wohnung, die Gott sich bereitet hat. Wir haben im Evangelium ihren Lobpreis gehört, der ihr ganzes Leben ausmacht: Meine Seele, mein Herz, preist die Größe des Herrn.

Ihr ganzes Leben ist Offenheit für Gott und Leben aus Dank. Und das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel bedeutet: Sie ist ganz bei Gott, ganz in seiner Gemeinschaft, in seiner Nähe – und sie ist es auch für uns. Maria hat nie für sich gelebt – immer für Gott und für sein Werk der Erlösung der Welt und der Menschenherzen. Und deshalb ist sie als die Ersterlöste bleibend dabei und hilft dem Erlöser weiter mit, auch unsere Herzen zu erneuern und zu heiligen.

Maria, Hilfe der Christen

Viele von Ihnen wissen vielleicht, dass ich die Mutter des Herrn als „Hilfe der Christen“ verehre, wie mein Ordensvater Don Bosco. Und ich möchte Ihnen allen helfen zu verstehen, wie die Hilfe Mariens aussieht. Sie alle kommen hierher. Als Gläubige sind wir der Überzeugung, dass dieser Ort, dass Altötting von Maria besonders gesegnet ist.

Sie antwortet auf unsere Verehrung dadurch, dass sie den Menschen ihre besondere Nähe schenkt. Sie ist da, als Wohnung Gottes in der Welt. Und sie ist diese Wohnung ja für uns alle. Ihr Herz ist dem Herzen des Erlösers angeglichen, das heißt, es hat eine unglaubliche Weite für die ganze Welt. Und wissen Sie, wir sagen ja ganz oft: Das ist ein Mensch mit einem engen oder einer mit einem weiten Herzen. Und je weiter, desto beziehungsfähiger, desto mehr Menschen haben Platz in diesem Herzen.

Der Kapellplatz als Marias Wohnzimmer

Stellen Sie sich also vor, wenn Sie hierher auf den Kapellplatz kommen, dass Sie ganz real eintreten in einen Raum, der Marias Wohnzimmer ist oder ihr Garten, von ihr durchwaltet, von ihr mitgeformt. So wie Sie in die Wohnung eines Menschen kommen und ein wenig spüren können was das für ein Mensch ist. Strahlt die Wohnung Kälte oder Wärme aus? Ist sie einladend? Worum geht es dem Bewohner, wenn wir die Bilder betrachten, die Möbel sehen, die Bücher im Regal anschauen… Und so fort.

Die Atmosphäre ist erfüllt von der Gegenwart des Bewohners. Und hier, liebe Schwestern und Brüder, hier in Altötting, wohnt die Mutter Gottes als Gastgeberin für uns alle, für Ihre Kinder. Und ihr einziges Anliegen, ihr einziger Wunsch, ihre einzige Freude ist es: Uns alle, tiefer mit ihrem Sohn in Verbindung zu bringen. Sie ist die Kirche, sie ist Wohnung Gottes unter den Menschen. Sie öffnet uns die Tür zu Jesus. Und je näher und ernsthafter wir also in ihre Nähe kommen, je näher wir ins Herz der Kirche kommen, desto näher sind wir bei Jesus.

Das Wort und die Kommunion aufnehmen: Die Mutter hilft mit

Stellen Sie sich das auch so vor: Sie sind hier und heute  bei der großen Eucharistia, bei der Feier der Danksagung, zu der uns Gott einlädt. Wir gehen also in die Kirche, zu ihr, jeder von uns als ihr Kind und als Gemeinschaft. Und wir sprechen zu Beginn ein Schuldbekenntnis oder einen Bußakt: Wir bereiten uns vor. Die Kirche, Maria führt uns hin.

Wir wollen nicht schmutzig zum Fest gehen, auch nicht innerlich schmutzig. Wir bekennen. Und dann hören wir das Wort Gottes, wir sitzen innerlich in ihrer Nähe, bei ihr, die das Wort Gottes so tief empfangen hat, dass es in ihr Fleisch und Blut wurde.

Das Wort in der Wohnung Gottes aufnehmen

Haben Sie das schon einmal erlebt, wenn eine Mutter mit ihrem Kind etwas liest oder betrachtet. Wie die Mutter die Atmosphäre entstehen lässt, in der das Kind ins Schauen oder ins Hören kommt? Das Kind lernt mit der Mutter das Hören und Sehen und es lernt vor allem mit der Mutter die Bedeutung der Dinge und der Wörter. Ich bin tief überzeugt: Maria ist hier und hilft uns Kindern hinein in das Hören des Wortes. Auf dass unser Herz offen sei für die Tiefenbedeutung der Schrift, auf dass das Wort in uns wirksam werden kann.

Und wir kennen ja alle das andere auch: Dass wir die Lesung hören und kaum sagt der Lektor „Wort des lebendigen Gottes“, wissen wir schon gar nicht mehr, was er eigentlich gesagt hat. Links rein und rechts raus. Aber wenn wir uns ihrer Nähe vergewissern, dann ist sie gewissermaßen der innere Boden, auf dem wir stehen und mit ihr, mit der Kirche das Wort hören; der innere Raum, der vom Heiligen Geist erfüllt ist – und wir hören in diesem Raum das Wort.

Ganz bei Gott und ganz bei uns

Und später ist Eucharistie, ist Hineinnahme in den Leib Christi. Liebe Schwestern und Brüder: Ganz buchstäblich hat Jesus seinen menschlichen Leib von ihr bekommen. Er ist in ihr herangewachsen. Und geistlich gesprochen ist Maria und ihre Himmelfahrt der Garant dafür, dass Jesus immer eine Kirche haben wird, als Leib Christi, die von ihm erfüllt ist und bewohnt ist.

Maria ist die Kirche und für uns ist sie deshalb die Tür zu Jesus hin, die Helferin zu Jesus hin. Und wenn wir das Bild vom Lesen zwischen Mutter und Kind vorher verwendet haben, dann können wir es jetzt noch vertiefen. Sie gehen also zur Kommunion und empfangen Jesus. Und Sie empfangen in diesem kleinen Stück Hostie etwas unfassbar Großes, Ihn selbst, den Herrn der Welt und unseren Erlöser. Und Sie sind herausgefordert, Amen dazu zu sagen. Ihre Zustimmung aus ganzem Herzen dazu zu geben.

Maria war die erste Wohnung Gottes auf der Welt

Liebe Schwestern und Brüder, ich bin so froh, dass ich mir innerlich vergegenwärtigen kann: Ich gehe zur Kommunion mit der Mutter und im Herzen der Mutter und an ihrer Hand. Sie sagt ihr großes Ja, ihr großes Amen zum Herrn und seiner Hingabe. Sie hat es ja damals gesprochen, ein für alle Mal vor der Empfängnis Jesus und sie hat es schweigend, leidend wiederholt unter dem Kreuz. Ihr ganzes Leben ist Ja und Amen zu Christus. Und ich kann mich in dieses Amen hineinstellen, und mein gebrochenes, stammelndes Herz spricht mit ihr zusammen Amen.

Und ich weiß und glaube, dass sie es für mich ganz macht. Dass mein Amen in der Kirche ein echtes Amen wird und hoffentlich durch ihre Hilfe immer mehr wird. Ihr Herz ist dem Herzen Jesu ähnlich. Sie wohnt in Gott und Gott wohnt in ihr. Und sie hilft uns beim Ähnlich-werden. Maria Himmelfahrt heißt: Sie ist ganz bei Gott und deshalb kann sie ganz bei uns sein – und ihrem Sohn die Hilfe sein, die uns mit ihm immer mehr verbindet. Das ist ihr Dienst, ihre Hilfe, ihre Mitwirkung am Heilswerk ihres Sohnes für uns. Und dafür sind wir Ihm und ihr an diesem schönen Festtag von ganzem Herzen dankbar. Amen.