Was heißt daheim sein? Don-Bosco-Fest Benediktbeuern

Was heißt daheim sein? Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Don-Bosco-Fest 2016 in Benediktbeuern.

Liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
wie schön ist es doch, daheim zu sein! Oder wie bei mir heute: an einen wunderbaren Ort wie diesen zu kommen, wo ich daheim sein durfte; wo Menschen waren und sind, die miteinander diese Erfahrung entstehen lassen: Hier bin ich daheim.

Die meisten von Ihnen denken jetzt vielleicht an die Werbung im Bayerischen Fernsehen: Menschen verschiedenster Herkunft, verschiedensten Alters, verschiedenster Lebensart erzählen von sich und schließen mit dem Satz: „und da bin i dahoam“. Was macht Daheim-Sein aus?

Was heißt daheim sein? Und was macht Daheim-Sein aus?

Wir können für hier sagen: Es ist die großartige Landschaft, das Moos, die Benediktenwand, das Kloster, der Biergarten unsere Kultur und Lebensart und vieles, vieles Schöne mehr. Aber, und das wissen Sie alle, am Ende sind es doch immer und zuerst die Menschen, mit denen wir verbunden leben und die dann alles andere um uns herum auch so gut und schön erscheinen lassen.

Die Lebenszusammenhänge mit Menschen, die gemeinsamen Erfahrungen mit den Menschen hier, die führen dazu, dass uns hier eine Umgebung und Lebenskultur zuwächst, die dann auch die unsere wird, in der wir daheim sind. Das kann man nicht einfach machen, das entsteht aus der gemeinsamen Verbindung von Menschen, die grundsätzlich gut zueinander sind und die gerne hier sind.

Daheim sein entsteht aus einer gemeinsamen Verbindung

Aber, liebe Schwestern und Brüder, so schön das für uns alle ist, so brüchig ist diese Erfahrung doch zugleich auch. Die meisten von Ihnen mussten zum Beispiel schon erleben, wie ein geliebter Mensch von ihnen gegangen ist, zum Beispiel wenn er plötzlich verstorben ist oder wenn er einfach weggegangen ist, treulos. Und wenn so etwas passiert, wird plötzlich etwas von unserer Wohlbefinden, daheim zu sein, innerlich erschüttert.

Plötzlich wird etwas herausgebrochen, aus diesem Wunsch, irgendwo eingewurzelt zu sein, irgendwo Halt zu haben – an einem Ort und in einem intensiven Netz von Beziehungen mit anderen. Für uns Menschen, die wir sterblich sind, die wir oft schwach sind, die wir auch Sünder sind, für uns ist es oft eben nicht so leicht, ein freie, tiefe Heimaterfahrung machen zu dürfen – wenn die Menschen fehlen oder weggehen oder sich als untreu erweisen oder wenn ich anderweitig verletzt werde.

Die Erfahrung von Heimatlosigkeit

Ich bin sogar tief überzeugt, meine Lieben, dass es heute eine der schwerwiegendsten Erfahrungen für viele, viele Menschen ist, eben heimatlos zu sein, beziehungslos zu sein, allein zu sein. Gerade die vielen Menschen auf der Flucht führen uns ja heute dramatisch vor Augen, was es heißt, keine Heimat mehr zu haben und auf der Suche nach einer neuen zu sein. Aber nicht nur die Flüchtlinge zeigen uns das.

Denn dort, wo dann auch bei uns manche Angst anwächst vor dem, was kommt, unberechenbar und fremd, dort wachsen Ängste vermutlich auch deshalb, weil viele von uns selbst nicht wirklich innerlich gesichert daheim sind. Und dann meint man womöglich, Angst haben zu müssen vor den vielen, die kommen, die mir dann mein letztes Stückchen Heimat auch noch wegnehmen? Wir sehen also an solchen Überlegungen sehr grundsätzlich ein Zweifaches: Unsere Sehnsucht nach Heimat ist sehr tief, bei jedem. Aber zugleich ist ihr Bestand nicht einfach sicher, er kann schnell brüchig werden, Heimatlosigkeit ist ein Problem unserer Zeit.

Heimat schenken

Liebe Schwestern, liebe Brüder, wenn Heimatlosigkeit so eine Sorge von uns ist, wie gelingt es dann, Heimat zu geben, Heimat wachsen zu lassen? Dazu möchte ich mit Ihnen auf unseren Ordensvater Don Bosco schauen. Er war ein Meister darin, besonders jungen Menschen die Erfahrung von Heimat zu eröffnen. Er war ein Meister in der Willkommens-Kultur für junge Menschen. Das Haus, in das Jugendliche kommen, soll einladend sein, es soll schön sein.

Junge Menschen sollen gern kommen, sich willkommen fühlen. Sie sollen Freude haben dürfen, sie sollen etwas von ihrer Welt vorfinden aber zugleich auch ihre eigene Welt bauen können, sie sollen begleitet und behütet sein, von einem, der es gut mit ihnen meint. Don Bosco wollte, dass sie alle da sind! Bei ihm sind. Und er hat ihnen alle Möglichkeiten eröffnet, die er hatte und er hat so vieles mit ihnen einfach geteilt.

Daheim sein bei Don Bosco

Aber , liebe Schwestern und Brüder, Don Boscos eigene Heimat lag tiefer. Das Haus, der Spielhof, die Schule, die Erfahrung von Familiarität – alles das konnte Don Bosco aus eigener Überzeugung nur deshalb schenken, weil er innerlich in eine Heimat hinein gefunden hattte, die zuerst ein Mal ein tiefes Geheimnis ist. Ich liebe dieses deutsche Wort Geheimnis, es enthält ja in sich schon die Buchstaben, das kleine Wörtchen „heim“.

Geheimnis mein ich also nicht im Sinn von unlösbares Rätsel, sondern eher im Sinn von: da ist eine Wirklichkeit, die uns umgibt, die wir nicht fassen, nicht beherrschen, nicht selbst in den Griff kriegen können, aber sie ist da. Und sie schenkt sich uns und umhüllt uns. Und einmal geschmeckt spüren wir: sie kann tiefer und verlässlicher und erfüllender sein, als jede Heimat, die sich nur auf diese Welt beschränkt und sonst auf nichts.

Heimat Kirche

Und Don Bosco stand nun dennoch mitten in eben dieser Welt, mitten in diesem Heute, mit beiden Beinen auf der Erde und bei den Menschen. Aber zugleich war er mit dem Herzen woanders zu Hause, tiefer oder höher. Dort, wo Freiheit ist, wo Liebe regiert und sich verschenkt. Dort, wo Jesus der König der Herzen ist. Liebe Schwestern und Brüder, diese Heimat Don Boscos heißt von unten her gesehen: Kirche.

Und damit meine ich nicht zuerst Struktur, nicht zuerst Papst, Bischof, Pfarrer, nicht zuerst ein Haus aus Stein. Sondern Kirche ist zuerst der Ort in der Welt, in dem Gott wohnt. Kirche ist zuerst Person, Kirche sind viele Personen miteinander, in deren Herzen Gott wohnt. Und im ursprünglichsten Sinn des Wortes ist Kirche deshalb zuerst Maria, die Mutter des Herrn, die Mutter der Kirche. Warum? Sie war und ist mehr als jedes andere Geschöpf in dieser Welt: Wohnort Gottes. Hier hat Gott sich niedergelassen, hier, durch sie selbst ist Jesus, ist Gott zur Welt gekommen. Urbild von Kirche.

Daheim sein in Freude

Es ist schon interessant, meine Lieben, wenn wir über Heimat nachdenken und auf Don Bosco schauen. Er hat immer gesagt: Jeder meiner Buben, die zu mir ins Haus kommen, ist sofort eingehüllt in den Mantel der Mutter Gottes, der Helferin der Christen. Hier ist er daheim. Hier ist und bleibt Freude, hier kann er mit dem Paulus im Philipper Brief rufen: Freut euch, denn der Herr ist nahe.

Maria ist da, die Kirche ist da und in ihr ist Gott selbst da, ist Jesus da, ist unser Heiland nahe. Er ist und bleibt der Grund der Freude, der tiefste Sinn unserer eigentlichen Heimat. Hier sind wir jetzt schon zuhause. Selbst dann, und auch das hat Don Bosco immer gewusst, selbst dann, wenn um uns die Welt durcheinandergerät, selbst dann, wenn Not und Tod und Elend und Vertreibung und Flucht herrschen. Bei Christus, bei Maria, sind wir daheim.

Wie die Jugend zurückholen?

Meine lieben Schwestern und Brüder, ich bin überzeugt, dass es heute Zeit ist, dass wir uns das von neuem bewusst machen, dass wir von neuem diese Tiefe suchen und sie uns miteinander erschließen, dass wir selbst Menschen werden, die sich von neuem von Jesus das Herz öffnen lassen, von seiner Barmherzigkeit. Und die dann von ihm sprechen und aus ihm handeln können, weil sie ihn kennen und lieben gelernt haben.

Wissen Sie, wenn ich durch das Bistum Passau fahre und die Pfarreien besuche: Da ist schon noch viel Leben und Glauben und Engagement da. Aber oft und oft höre ich auch die Klage oder Frage, warum denn so vieles wegbricht, und dann besonders auch, warum denn die Jugend nicht mehr in die Kirche geht. Und was ich machen könne, damit die Jugend wieder in die Kirche geht.

Es geht nicht um Zahlen

Und wenn ich mit solchen Fragen konfrontiert werde, dann sage ich meistens: Wissen Sie, ich will gar nicht, dass die jungen Leute deshalb in die Kirche gehen, einfach damit sie auch da sind, oder einfach damit der Pfarrer oder der Bischof eine volle Kirche haben.

Und ich will es auch nicht, damit bei uns in der Pfarrei auch in Zukunft der Betrieb genau so weiterlaufen kann, wie bisher, damit sich gar nichts zu ändern braucht. Wissen Sie, wo ich mithelfen will, wonach ich mich sehne? Ich will, dass junge Menschen zuerst einmal eine Erfahrung machen, mit Menschen der Kirche.

Daheim sein ist eine Erfahrung

Wer einen von diesen Kleinen um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf, sagt Jesus im heutigen Evangelium. Was heißt das, aus der Sicht unserer Frage nach der Heimat? Für mich persönlich und als Bischof heißt es: Ich habe Sehnsucht danach, dass Jugendliche, die uns Christen treffen, eine Erfahrung machen dürfen.

Eine Erfahrung, die man aus ihrer Sicht so formulieren könnte: „Ich bin da Menschen begegnet, die leben aus einer anderen Quelle, die kennen und lieben jemanden, der ihnen irgendwie Heimat schenkt. Diese Heimat, diese Quelle, dieses Licht will ich auch kennen lernen, da will ich auch aufgenommen werden, da will ich hinein finden.“

Sie sind Kinder Gottes

Ich wünsche mir also für mich und unsere Gemeinden, dass Jugendliche zunächst einfach nur um ihrer selbst willen aufgenommen werden. Einfach, weil andere sie gern haben, weil sie Kinder Gottes sind. Und ich wünsche mir, dass sie dann die Erfahrung machen dürfen: Diese Christen, die sind irgendwie anders als der Rest der Welt, die leben anders und aus etwas anderem: froh und tief!

Und wenn die Jugendlichen dann in die Kirche kommen, weil sie entdecken lernen, hier ist der Ort, hier ist tatsächlich die Quelle, aus der Christen leben und sich nähren lassen, dann stimmt es. Aber Kirche nur als Rekrutierungsverein hilft uns keineswegs weiter. Und auch nicht Kirche als ein Verein, der aus Sicht der Jugendlichen nur mehr ein Ritual als Gottesdienst ablaufen lässt, das sie in der Regel als nichtssagend und langweilig erleben, und das ihnen aber auch kaum noch einer erklären kann.

Jeder Christ ist eine Mission

Meine Lieben, die Krise der Kirche offenbart vermutlich, dass manche unserer Motive, Jugendliche gewinnen zu wollen auch nicht immer nur lauter sind. Wenn wir aber Jesus fragen würden, was denn ein lauteres Herz wäre, dann bin ich sicher, dass er uns sagen würde: Es soll voll davon sein, dass wir wirklich Jüngerinnen und Jünger sind, die Ihn, den Herrn kennen und die helfen wollen, dass andere ihn auch kennen und lieben lernen wollen.

Unser Papst Franziskus sagt das immer und immer wieder: Jeder Christ ist eine Mission. Jeder Christ ist berufen, nicht einfach nur eine Botschaft in Form von Wörtern zu den Menschen zu bringen, oder nur eine soziale Dienstleistung, sondern mehr. Er will dass wir unser Herz so füreinander und für die Menschen öffnen, dass junge Menschen erfahren: Hier ist Heimat – und zwar nicht nur weltlich, sondern zugleich überweltlich: „Hier wohnt Jesus und der will auch mein Herz erfüllen.“

Heim kommen heißt Gott begegnen

Ich frage mich oft, liebe Schwestern, liebe Brüder, ob unsere Kirche in Deutschland – und ich sehe mich da durchaus als Teil davon – ob wir uns nicht gegenseitig und auch unseren jungen Leuten die Erfahrung vorenthalten haben, dass sie wirklich Gott begegnen, Gottes unfassbar barmherziger, alles verzeihender Liebe; einer Liebe, die nichts sehnlicher will, als dass der Mensch immer neu zu ihr umkehrt und sich von ihm, unserem Herrn lieben lässt.

Mal ehrlich, wie tief ist unser Vertrauen wirklich, dass Jesus uns mit eben dieser Liebe in eben dieser Feier hier und heute wirklich entgegen kommt? Dass er sich wirklich uns schenkt, seinen Leib, sein Blut, seine Gegenwart ganz für uns, und zwar nicht nur symbolisch, sondern real? Die Kirche ist die Gemeinschaft derer, die eben diesen Glauben teilen! Aber wenn er schwach ist – und ich schließ mich da nicht aus – oder wenn er weg ist, wie sollen unsere jungen Menschen hier erfahren lernen, was Glaube ist, was Gottvertrauen, was Kirche als Leib Christi ist?

Helft den Menschen, Jünger zu werden

Es ist der Gott, liebe Schwestern und Brüder, der sich um seine Schafe selber kümmern will, wie es in der ersten Lesung hieß. Dieser Gott, der Hirte aller Hirten, hat seine Hirtensorge durch Christus uns übertragen, uns allen, die wir seinen Namen tragen, die wir uns Christen nennen.

Geht hinaus in alle Welt und helft allen Menschen, meine Jünger zu werden, sagt er zu uns. Nicht zuerst damit unsere schönen Kirchen voll werden, sondern damit Menschen zum tiefsten Sinn ihres Lebens finden, damit sie Erlösung finden und ihre eigentliche Heimat.

Daheim sein bei Christus

Liebe Schwestern und Brüder, Don Bosco war beseelt von diesem Wunsch, die jungen Menschen zu Christus zu bringen – und das ging einher mit seinem Wunsch, dass sie es auch schon in diesem Leben gut haben sollten, dass sie anständig was lernen konnten, dass sie sinnvoll und froh Freizeit und Gemeinschaft erleben durften, aber zuerst und vor allem, dass sie in alledem dem Herrn begegnen konnten.

Ich bin zutiefst froh und dankbar, dass ich selber etwas von dieser Wirklichkeit auch hier im Kloster Benediktbeuern, bei meinen Mitbrüdern, bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen erleben und lernen durfte. Ich bin froh und dankbar, dass ich mit vielen jungen Menschen zusammen hineinwachsen durfte in die Erfahrung, hier mitten unter uns, in dieser Gegend, an diesem Ort, der sich so schön als Heimat anbietet, mitten hier drin eröffnet sich nach innen und nach oben die Erfahrung von Heimat, die nie mehr aufhört.

Ein gesegneter Ort

Ich bitte unseren Herrn von Herzen, dass er diese Erfahrung für meine Mitbrüder und viele Menschen hier, vor allem junge Menschen immer wieder neu eröffnet. Benediktbeuern ist ein gesegneter Ort, ist terra benedicta.

Wo wenn nicht hier, und wo wenn nicht vor allem auch hier im Kloster mit seinen Menschen könnten wir einen Durchblick bekommen – mit den Augen des Herzens, einen Durchblick der uns ahnen und spüren lässt, was der Psalmist singt: „Ps 84:2-3 Wie liebenswert ist deine Wohnung, Herr der Heerscharen! Meine Seele verzehrt sich in Sehnsucht nach dem Tempel des Herrn. Mein Herz und mein Leib jauchzen ihm zu, ihm, dem lebendigen Gott.“ Amen.