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Der Garten Gottes ist deine Seele

Der Garten, der Weinstock, seine Pflanzen, das Säen, Wachsen sind ein häufiges Bild in der Bibel. Warum? Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum 100. Weihetag der Herz-Jesu-Kirche in Hunding 2014.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
ist Ihnen das schon einmal aufgefallen: Wenn es in der Bibel um das Verhältnis Gott-Mensch geht, dann werden sehr häufig Bilder vom Säen, vom Pflanzen, vom Wachsen, vom Garten verwendet. Das geht schon ganz am Anfang der Bibel und am Anfang der Schöpfung los: der Garten Eden ist identisch mit dem, was wir Paradies nennen. Ein wundervoller Garten als Bild für den Ort der Begegnung von Mensch und Gott.

Dieser Ort ruft in uns den Eindruck von Harmonie hervor, von Schönheit, von Fruchtbarkeit und Fülle, von Pflege und Kultur. Es ist ein Ort, an dem sichtbar wird, dass der Mensch hier im Auftrag Gottes wirken darf, sich sorgen und kümmern darf. Gott selbst ist der Chef des Gartens, aber er macht den Menschen zum Gärtner, zum Mitgärtner, zum Beauftragten für den Garten und seine Pracht.

Das Bild vom Garten bekam Risse

Aber Sie wissen alle, dass das schöne Bild Risse bekommen hat, dass der Mensch aus diesem Garten irgendwie herausgefallen ist. Dass er jetzt nicht einfach mehr wie von selbst von den Früchten des Gartens genießen darf. Sondern nach dem, was die Bibel Sündenfall nennt, muss der Mensch den Ackerboden bearbeiten im Schweiße seines Angesichts, es gibt jetzt auch Dornen und Disteln, Steine und Unfruchtbarkeit des Bodens.

Das Gott-Mensch-Verhältnis ist nicht mehr heil, es ist gebrochen. Und wenn wir ehrlich sind und uns einmal in der Welt umsehen, was alles passiert mit dem schönen Garten der Erde, die uns Gott anvertraut hat, dann hat die Bibel recht: Wir haben den Paradiesesgarten verlassen. Die Schöpfung ist für uns nicht mehr einfach nur Schönheit und Fruchtbarkeit, sie ist auch bedrohlich, die Natur reagiert manchmal entsetzlich und unvorhersehbar.

Verhältnisse und ihre Folgen

Und wir Menschen neigen auch dazu, sie auszubeuten und zu zerstören. Es ist aus meiner Sicht immer so: Wo das Verhältnis Gott-Mensch insgesamt aus den Fugen gerät, da gerät auch das Verhältnis Natur-Mensch, aber auch das Verhältnis Mensch-Mitmensch insgesamt aus den Fugen. Und umgekehrt: Wo der Mensch wieder in existenzieller Weise in ein rechtes  Gottesverhältnis hineinfindet, dort klärt sich auch sein Verhältnis zur Schöpfung und zu den Mitmenschen und wird neu und gut.

Die Texte der heutigen ersten Lesung, des Antwortpsalmes und des Evangeliums handeln allesamt vom Bild des Weinstocks und vom Weinberg. Gott legt Israel als seinen persönlichen Weinberg wie einen fruchtbaren Garten gleichsam von neuem an, inmitten einer Welt, die von Ihm, Gott, nichts wissen will. Und er überträgt den Israeliten nun die Aufgabe, diesen Weinberg zu hegen und zu pflegen und zur Fruchtbarkeit zu führen.

So gedeiht der Weinberg

Er gibt ihnen dafür das Geschenk der lebendigen Beziehung zu Ihm, dem eigentlichen Herrn des Volkes. Und sofern Israel in Gottes Gegenwart nach seinen Weisungen lebt, ist es selbst als Volk ein fruchtbarer Weinstock, blüht und gedeiht der Weinberg. Wenn es sich aber abwendet von dieser Gegenwart, von Gottes Weisungen von der Beziehungspflege mit Gott, dann hat dieses Verhalten die Verwüstung des Weinberges zur Folge.

Im Evangelium, das wir gehört haben, erzählt Jesus dieses Gleichnis vom Weinberg noch einmal, verbunden mit einer dramatischen Geschichte: die Winzer selbst verhindern, dass der Gutsherr des Weinbergs seinen Anteil an den Früchten bekommt. Sie machen ihn gewissermaßen unfruchtbar für den Gutsherrn.

Der Höhepunkt dieser Erzählung

Und sobald einer im Auftrag des Herrn kommt und Früchte einfordert, verjagen sie ihn, prügeln ihn, steinigen ihn und den Sohn des Gutsherrn selbst bringen sie schließlich um. Die Hohenpriester und die Pharisäer merken, dass Jesus diese Geschichte auf sie bezieht, deshalb wollen sie Jesus verhaften lassen, aber sie fürchten sich vor den Leuten, die ihn für einen Propheten halten, heißt es im Text.

Im Johannes-Evangelium schließlich gibt es noch eine Art Höhepunkt dieser Erzählung vom Weinstock. Jesus sagt hier nämlich nicht mehr nur wie heute bei Matthäus: Ich bin der Sohn des Gutsbesitzers und hol mir meinen Anteil. Er geht jetzt noch weiter und sagt: „Ich bin der Weinstock selbst. Und ihr seid die Reben.“

„Ihr müsst in mir selbst leben“

Er sagt damit sinngemäß: „Ihr müsst nicht nur in meiner Kirche leben, in meinem neu angelegten Garten, ihr müsst mehr noch in mir selbst leben, mit mir innigst verbunden leben, sonst bringt ihr keine Frucht. Ich bin nicht mehr nur der Gärtner des Weinbergs, ich habe mich viel mehr so tief in Eure Existenz eingelassen, dass ich mich selbst in den Garten eingepflanzt habe als die Hauptpflanze mit der größten Kraft, mit den tiefsten Wurzeln. Ihr müsst an mir und mit mir und durch mich wachsen, sonst bleibt ihr nicht im Garten und sonst wachst Ihr nicht!“

100 Jahre „Garten“ Hunding

Liebe Christinnen und Christen des Weinberges Hunding: 100 Jahre gibt es diesen Weinberg des Herrn nun, die Expositur Hunding mit ihrer Herz-Jesu Kirche. Vermutlich, wenn Jesus hier Mensch geworden wäre, hätte er weniger vom Wein und mehr von Äpfeln gesprochen und von Obstgärten.

Aber das Anliegen wäre das selbe gewesen. Und wir fragen uns nun: Wie viel ist hier gewachsen, wie viele Menschen haben in dieser Zeit hier Wurzel gefasst im Weinberg des Herrn, wie viele haben in diesen Jahrzehnten hier Zuflucht gesucht, wie viele haben gelitten, waren verzweifelt oder deprimiert und sind gekommen? Wie viele waren voller Freude und Jubel und kamen um zu danken?

Schwere und frohe Zeiten

Es gab schwere Zeiten, in denen die Menschen hier durch die Kirchentüre gegangen sind, um das Schwere wenigstens ein wenig hinter sich zu lassen, um sich einzufinden in der Gegenwart des Herrn, um sich selbst festzumachen am Weinstock Christus oder sich einzubergen in seinem liebenden Herzen, die diese Kirche geweiht ist. Wie viele Trauernde waren hier, um Begräbnisse zu feiern oder den Verlust von Menschen?

Und wie viele Freudenzeiten haben Sie hier erlebt in Ihrer Kirche mit ihren Taufen, Erstkommunionen, Firmungen, Hochzeiten und bei vielen festlichen Angelegenheiten, die es zu feiern gab? Hier in dieser Herz-Jesu-Kirche sind Lebensgeschichten mitgeschrieben worden, hier haben Menschen ihren Glauben entdeckt und vertieft. Und es haben sicher auch nicht wenige den Glauben verloren, indem sie irgendwann nicht mehr gekommen und dann ganz weggeblieben sind.

Die Kirche ist ein Zentrum

Viele von Ihnen, Schwestern und Brüder, haben die Ahnung, dass die Kirche ein Zentrum ist, das noch eine Mitte schenkt, nicht einfach nur als sichtbarer Mittelpunkt, sondern als Ort, der Heimaterfahrung wachsen lässt, der versammelt, gerade in Zeiten, in denen es eben in vielen Gemeinden auch schon keine Wirtshäuser mehr gibt oder kaum noch Geschäfte oder ein abnehmendes Vereinsleben.

Kirche schenkt Mitte und schenkt Heimat und ich bin allen sehr, sehr dankbar, die dazu beigetragen haben, dass das auch in Hunding und in den umliegenden Dörfern so ist. Aber Kirche schenkt Heimat eben auch in einem anderen Sinn als ein Wirtshaus das je könnte. Das Geheimnis von Kirche als Weinberg reicht nämlich tiefer und wächst höher: die Wurzeln sind am Weinstock selbst und seine höchsten Zweige reichen in den Himmel.

Kirche eröffnet nach unten und nach oben

Kirche eröffnet also nach unten und nach oben. Und überall dort, wo Kirche das nicht mehr deutlich machen kann, wo Kirche nur als eine Institution unter vielen wahrgenommen wird, als ein Mitspieler auf dem Markt sozialer Angebote oder Sinnangebote, da dünnt es aus, da verliert der Weinberg an Fruchtbarkeit, da kommen dann vielleicht Wildschweine und graben um, wie wir im Psalm nach der Lesung gehört haben, da kommen Plünderer des Weges und rauben den Weinberg aus.

100 Jahre Herz Jesu Kirche Hunding, liebe Schwestern und Brüder, ist also auch ein Anlass, uns selbst zu fragen, haben wir wirklich tiefe Wurzeln und hohe Zweige? Ist unser Gotteshaus, aber mehr noch, sind wir als Glieder der Kirche so verwurzelt, dass uns niemand umgraben und ausplündern kann? Ist unser Weinberg einer, der auch andere nährt, der ihnen schenken kann, was sie suchen, wonach sich Menschen sehnen?

Wie tief reichen unsere Wurzeln?

Haben wir genug Tiefe und Substanz, dass wir den Kräften widerstehen können, die die Kirche einebnen wollen zu einer bloß weltlichen Organisation? Sind wir in unserer Kirche an dem wirklich festgemacht, der sich selbst als Weinstock bezeichnet hat? Pflegen wir diese Beziehung durch ein inniges Gebet? Durch das Lesen und Hören seines Wortes, durch den Empfang der Sakramente?

Ein wichtiger Indikator über die Qualität des geistlichen Lebens einer Gemeinde ist zum Beispiel das Beichtsakrament, also die geschenkte Möglichkeit, sich wieder neu am Weinstock selbst festmachen zu können, wenn man sich aus eigener Schuld entfernt hat. Ist dieses Sakrament bei uns lebendig? Wie lebendig ist die Eucharistie, die ihre tiefsten Symbole im Brot und eben auch im Wein hat, die verwandelt werden in Leib und Blut unseres Herrn? Sehnen wir uns nach ihr, weil wir zum Weinstock gehören wollen? Oder ist es vielleicht nur Anlass für einen Sonntagsgang, der aber nach Möglichkeit nicht länger als 45 Minuten dauern darf?

Den Garten pflegen…

Wir sehen an solchen Fragen, liebe Brüder und Schwestern, dass wir selbst dazu beitragen können, dass unser Leben als Gemeinschaft im Weinberg des Herrn Tiefe und Stabilität gewinnt, dass es nach unten kräftig in die Tiefe wächst und nach oben den Himmel berührt. Wir selbst können so ein wundervolles Fest wie heute zum Anlass nehmen, neu die Sehnsucht wach werden zu lassen nach der Tiefe und dem Sinn, den man nur hier, nur bei IHM finden kann.

Dazu kommt, liebe Schwestern und Brüder, dass die Hl. Schrift natürlich nicht nur die Kirche, nicht nur die Gemeinde als Weinberg oder als Garten bezeichnet, sondern immer auch die eigene Seele. Auch unsere eigene Seele ist ein Garten, in dem Gott uns begegnen will. Unsere Seele ist sogar sein bevorzugter Wohnort. Und ja, es ist möglich, dass das, was da in mir wächst, entweder wildert und wuchert wie Unkraut. Dann wird wenig zu spüren sein von einem inneren Erfüllt-sein mit Gott. Und ja, es ist auch möglich, dass unsere Seele, unser Herz wirklich zu einem inneren Raum wird, der dem Herzen gleicht, dem diese Kirche geweiht ist.

Aufenthaltsort Gottes sein

Jesus will das sogar, er will, dass unser Herz seinem ähnlich wird, eine Art innerer Paradiesesgarten, ein kultivierter, gepflegter, harmonischer, wundervoller Ort, in dem er sich bevorzugt aufhält. Wir sind berufen, meine Lieben, dieser Aufenthaltsort Gottes, dieser Garten zu sein. Jesus selbst hat uns durch seine Lebenshingabe die neue Möglichkeit dazu eröffnet. Und das Interessante ist, dass die Menschen, die um dieses Geheimnis wissen, die kennen sich!

Bei Menschen, die wirklich aus dieser Erfahrung des Glaubens leben, Schwestern und Brüder, da entsteht ganz schnell Gemeinschaft, Mitte, da verstehen die Menschen einander in dem gegenseitigen Bezug auf diese innere Mitte. Hier spüren sie dann: Hier ist Kirche, hier ist Gott gegenwärtig, hier sind nämlich zwei oder drei in seinem Namen beinander und daher ist er mitten unter ihnen.

Er hat sein Herz gegeben

Liebe Hundinger mit den angeschlossenen Ortschaften: Von Herzen gratuliere ich Ihnen zum runden Kichenjubiläum. Von Herzen danke ich allen, die zum Gelingen dieses Festes beigetragen haben und allen, die mitgeholfen haben, dass in den letzten 100 Jahren immer wieder dieses Geheimnis des Weinbergs Gottes auch hier in Hunding spürbar war.

Und ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, dass es immer neu spürbar wird und immer wieder, weil hier Menschen wohnen, die die Sehnsucht haben, dass Ihre Seele ein Weinberg Gottes wird, Menschen, die sich wirklich an dem festmachen, der von sich gesagt hat, dass er der Weinstock ist und der auch für diese Gemeinde hier in Hunding sein Herz gegeben hat, das Herz Jesu. Amen.