Was die Gruppe der Christen eint

Die Gruppe eint Menschen mit ähnlichen Erfahrungen. Welche Erfahrungen bringen die Kinder Gottes in der Kirche zusammen? Die Predigt von Bischof Stefan Oster am Hochfest Allerheiligen 2014.

Schwestern und Brüder,
in unserer Gesellschaft gibt es seit langem ein nützliches Instrument für Menschen, die besondere Erfahrungen, meistens Leiderfahrungen gemacht haben. Ich spreche von so genannten Selbsthilfegruppen. Menschen tun sich in solchen Gruppen zusammen, um sich auszutauschen über das, was sie erlebt haben oder erleben.

Sie tun das in der Regel deshalb, weil sie sich bei Ihresgleichen besser verstanden fühlen, als bei solchen, die ähnliche Erfahrungen nicht kennen. Vielmehr fühlen sie sich in einer Umgebung von anderen Menschen, die die Tiefe und Schwere manch spezieller Erfahrungen nicht nachvollziehen können, sogar unverstanden und unerkannt. Und ist es nicht auch eine Erfahrung von jedem von uns, dass sich Gleiches gern zu Gleichem gesellt?

Die Gruppe als Unterstützung

Wir Menschen suchen andere Menschen mit ähnlichen Interessen, oder Menschen, die ähnlich ticken wie wir, oder Menschen, die aus einem ähnlichen biographischen Hintergrund kommen usw. Es ist offenbar ein menschliches Grundgesetz: Man fühlt sich von solchen verstanden und deshalb auch tiefer erkannt, die in bestimmten Bereichen unsere eigene Erfahrungswelt berühren und teilen können.

Ich möchte, dass wir diesen Hintergrund im Auge behalten, wenn wir einen wichtigen Satz aus der heutigen 2. Lesung aus dem 1. Johannesbrief jetzt noch einmal hören: Da heißt es: „Die Welt erkennt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat“. Sie wissen vermutlich, dass in der Hl. Schrift das Wort „erkennen“ meistens mehr bedeutet als nur „Wissen erwerben“. Erkennen hat hier vor allem mit Beziehung zu tun, mit dem Vertrautwerden miteinander, mit dem wirklichen Einander-Verstehen. Denken Sie wieder an die Selbsthilfegruppe.

Wir sind Kinder Gottes

Aber was ist es nun, das laut Johannes die Welt an uns Christen nicht erkennt? Der Satz davor erklärt es. Hier schreibt Johannes: „Seht wie groß die Liebe Gottes ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es.“ Wir sind Kinder Gottes. Umgangssprachlich sagen wir oft: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Wir wollen damit zum Ausdruck bringen, dass Kinder ihre Herkunft oft nicht verleugnen können.

Man sieht es Kindern manchmal einfach an, aus welchem Elternhaus sie kommen, woher sie ihre Begabungen haben, warum sie sich so oder so verhalten. Sie tragen ihre Herkunft irgendwie erkennbar mit sich herum. So etwas Ähnliches denkt Johannes nun auch von den Christen: Christen haben Gott und seine Liebe erkannt. Aber eben „erkannt“ als eine Art von tiefer Beziehungserfahrung. Christen ist im Umgang mit dem Gott, an den sie glauben, etwas widerfahren, was ihr Leben tief beeinflusst, durchdringt und verändert. Sie fühlen sich fortan zu Gott gehörig, sie lieben ihn, er ist in ihrem Leben und Denken geheimnisvoll gegenwärtig. Er prägt ihre ganze Existenz. Sie sind seine Kinder.

Kirche ist die Gruppe der Gotteskinder

Und sie erkennen deshalb auch untereinander, sie verstehen Ihresgleichen; sie sind Menschen mit ähnlicher Erfahrung. Sie bilden deshalb auch eine Gruppe, in der sie einander ihre Erfahrungen mit Gott austauschen und feiern; in der sie mehr noch immer neu ihren Glauben stärken dürfen, dass Gott wirklich da ist. Das heißt: Kirche ist auch eine Art Selbsthilfegruppe, eine heilsame Erzähl- und Erinnerungsgemeinschaft!

Kirche ist aber doch zugleich viel mehr. Denn es ist nicht zuerst eine gemeinsam geteilte Leiderfahrung, die diese Gruppe ins Leben gerufen hat, sondern der lebendige Gott selbst ist es, der für uns gestorben und auferstanden ist. Er ist die Mitte dieser Gruppe. Aus der lebendigen Beziehung mit ihm leben die Christen miteinander und erkennen einander als seine Kinder.

Missverstehen und Nichtverstehen

Von hier liest sich dieser Satz der Lesung: „Die Welt erkennt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat“, gleich viel verständlicher. Es gibt besonders in einer Welt, die von Gott nichts wissen will, eine Art grundsätzliches Missverstehen und Nichtverstehen Gottes und seiner Kinder. Dieses Missverstehen, das bezeugt die Schrift an vielen anderen Stellen, kann sich bis zum Hass, bis zur Verfolgung und zum Mord steigern.

Bei Johannes heißt es an anderer Stelle in seinem Evangelium etwa: „Wenn ihr von der Welt stammen würdet, würde die Welt euch als ihr Eigentum lieben. Aber weil ihr nicht von der Welt stammt, sondern weil ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt.“ Hier spricht Jesus von einer Welt, die ohne Gott auskommen, die für sich und bei sich bleiben will, die sich auf Gott nicht einlassen will, die ihn deshalb nicht erkennen will und kann. Und umgekehrt spricht er von uns Christen, die wir nach seinem Wort eben nicht von der Welt stammen. Wir stammen tiefer und ursprünglicher von Gott, er ist unser Stamm, von dem der Apfel dann eben nicht weit fällt.

Was sind Christen?

Natürlich kommt hier ein hoher Anspruch zum Ausdruck, der uns zu denken gibt: Christen sind nach dieser Darstellung eben Menschen, die aus einer tiefen, vertrauensvollen Beziehung zu Gott leben, eine Beziehung, die ihr ganzes Leben mit all seinen Facetten prägt und durchstimmt. So sehr, dass sie dafür auch in Kauf nehmen, von anderen unerkannt zu bleiben oder sogar gehasst zu werden. Und auf diese Aspekte macht uns heute sowohl das Evangelium wie auch die erste Lesung aufmerksam.

In der Offenbarung des Johannes haben wir über die Liturgie des Himmels gehört, von den Tausenden, die da Gott die Ehre geben und ihn anbeten. Und auf die Frage, wer denn die Vielen seien, sagt einer der Ältesten: „das sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen“. Das Evangelium wiederum klärt uns auf, was in dieser Welt Bedrängnis ist. Jesus preist diejenigen selig, die arm sind vor Gott, die von ihm alles erwarten. Er preist die selig, die hoffen, die mit den Trauernden trauern, die sich nach Frieden und Gerechtigkeit sehnen, die um seines Namens willen verfolgt werden, die, die ein reines Herz haben.

Selbstbeschreibung für Jesus

Ganz offensichtlich lässt sich dieser berühmte Teil der Bergpredigt auch als Selbstbeschreibung für Jesus lesen. Er ist der Herzensreine, der Trauernde, der Mit-leidende, der Friedensstifter, der Verfolgte. Er ist es in Person. Und offenbar bedeutet es für alle diejenigen, die von seiner Art sind, ebenfalls, dass sie in dieser Weise wie er durch Bedrängnis gehen. Und zwar auch deshalb, weil es in unserer Welt Kräfte, Mächte, Einflüsse, Strömungen gibt, die verhindern wollen, dass Menschen so sind wie Christus.

Sich-durchsetzen, Gewinnen, Erfolg-haben, von allen gelobt sein, unabhängig sein – vor allem von Gott – , das sind alles Dinge, die sich in einer Welt von heute sehr viel leichter verkaufen lassen, als arm sein vor Gott, barmherzig sein, ein reines Herz haben und bereit sein, um der Gerechtigkeit willen verachtet und verfolgt werden. Aber Jesus war so und er ist immer noch so.

Von der Art Christi

Und die Seinen, die aus seiner Gegenwart leben, die nicht weit vom Stamm gefallen sind und fallen, das sind die, die einander erkennen, die die mitten in der Welt auch durch die Bedrängnis gehen, aber die zugleich aus einer Quelle leben, die nicht von der Welt ist. Das sind die, die für diese Wahrheit bereit sind, vieles in Kauf zu nehmen. Und sie sind überzeugt, dass darin ihr Heil liegt, ihr Ganz-werden vor Gott, ihre Seligkeit. Es gibt unzählige von ihnen, wie wir in der Lesung gehört haben. Und alle die, die dies in Treue bis zu ihrem Lebensende durchgehalten haben, die Christus treu geblieben sind, alle die feiern wir heute. Alle die, die von seiner Art sind, von der Art Christi.

Und das Schöne ist, wir alle, die wir hier sind, die wir den Herrn suchen, die wir den Glauben leben und teilen wollen, wir gehören auch dazu. Wir sind Mitglieder der Gemeinschaft der Heiligen. Und je mehr wir es auch von innen her werden, desto mehr werden wir einander auch immer besser erkennen. Und zwar oft gerade in der Bedrängnis.

Mit der Gruppe wachsen in Glaube, Hoffnung, Liebe

Und wir haben einander auch deshalb, damit wir uns im gegenseitigen Erkennen unseren Glauben stärken, damit wir Menschen werden, die wirklich in Glaube, Hoffnung und Liebe wachsen. Ja, damit wir einander und der Welt bezeugen, dass es zwar Bedrängnis gibt, aber dass wir zusammen mit unseren Heiligen, einen Weg kennen, der uns zu der Überzeugung führt, dass keine Bedrängnis, kein Not und auch kein Tod das letzte Wort haben.

Unsere Selbsthilfegruppe entpuppt sich als Gruppe, die Gottes Hilfe feiert! Der Name Jesus bedeutet übersetzt: Gott rettet. Unser Weg ist der Herr selbst, er ist unser Heil und führt uns in die Heiligkeit. Er führt uns in die Gemeinschaft mit allen Heiligen, die wir heute voll Freude feiern. Amen.