Foto: Dionys Asenkerschbaumer

Antlitz der Barmherzigkeit: Ansprache zur Ausstellung

„Antlitz der Barmherzigkeit“ heißt eine Ausstellung, die ich am 1. Mai 2016 in Altötting im Wallfahrtsmuseum mit eröffnen durfte.

Unter der Kuratie von Künstlerseelsorger Dr. Bernhard Kirchgessner und Kunstreferent Alois Brunner stellten 25 Künstler Werke aus, die das Antlitz Jesu zeigen. Die Bilder unten zeigen eine Auswahl der Werke, die Fotos der Kunstwerke stammen von Dionys Asenkerschbaumer. Hier die kurze Ansprache zur Eröffnung:

Liebe Besucherinnen und Besucher dieser Ausstellung,
Rainer Maria Rilke hat 1908 ein Gedicht geschrieben, in dem er den bewegenden Eindruck in Worte fasst, den eine Statue des römischen Gottes Apollo auf ihn gemacht hatte. Vermutlich war es eine Statue im Louvre – mit der Besonderheit, dass der Statue offenbar der Kopf verloren gegangen war, weshalb das Gedicht die Überschrift trägt: Archaischer Torso Apolls. Ich möchte es kurz vortragen und Sie bitten, sich dabei den Dichter Rilke vorzustellen, wie er vor dieser Figur steht.

Du musst dein Leben ändern

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,

sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.

Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
unter der Schultern durchsichtigem Sturz
und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;

und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.

Verehrte Damen und Herren, Rilke ist so bewegt von diesem Stein-Kunstwerk, dass nicht nur er es betrachtet, sondern dass er sich gesehen fühlt. „Da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern“. Rilke geht mit dem Kunstwerk nicht um, wie jemand, der es nur für sich genießen will.

Ausstellung zum Thema „Antlitz der Barmherzigkeit“

Rilke lässt sich vielmehr in ein inneres Gespräch, in einen Dialog ein, in dem er selbst gesehen, herausgefordert, angeschaut wird. Ich würde mich arg täuschen, meine Damen und Herren, wenn es nicht die Sehnsucht der allermeisten Künstler wäre, dass ihre Kunst die Menschen in eine solche Begegnung, in einen solchen Dialog führen würde.

Wir haben hier nun eine Ausstellung unter der Kuratie unseres Künstlerseelsorgers Domvikar Dr. Kirchgessner und unseres Kunstreferenten Alois Brunner, in der es auch um das Anschauen geht, natürlich. Aber es geht in der Tiefe mehr noch um das Angeschaut-werden. Im Deutschen haben wir das wunderbare, alte, poetische Wort für Gesicht: das Antlitz. Dieses kommt aus dem Mittelhochdeutschen und meint buchstäblich das, was mir entgegen blickt.

Begegnung am Ursprung des Christentums

Die Ausstellung heißt Antlitz der Barmherzigkeit. 25 Künstler präsentieren ihre Werke, die meisten davon werden erstmals öffentlich ausgestellt. Es geht um Jesus, von dem unser Papst Franziskus in diesem Heiligen Jahr nicht müde wird zu sagen: Jesus, unser Herr, er ist das Antlitz der Barmherzigkeit. In ihm schaut uns Gott an, mit unfassbar barmherziger Liebe.

Diese Erfahrung ist übrigens am Ursprung des Christentums. Eine Begegnung mit jemandem, der Liebe ist, barmherzige Liebe. Der aber zugleich Wahrheit ist, unfassbare Wahrhaftigkeit. Der Freiheit ist – und der Menschen in die Begegnung mit ihm ruft. Doch der Menschen ruft, sich ihm zuzuwenden, ihm zu vertrauen, ja, ihn anzuschauen. Und zwar so, dass wir von ihm angeblickt werden.

Unsere Personenmitte, das Herz

Aber es ist heute alles andere als leicht, erstens selbst immer wieder neu in diese Begegnung zu finden. So, dass sie nicht einfach nur in Gedanken stattfindet, sondern in dem inneren Ort, den die Schrift Herz nennt, in unserer Personmitte. Dort, wo unser Gewissen, unsere Überzeugungen leben. Dort, wo wir spüren: Ich bin gemeint, ich ganz persönlich.

Wenn wir ehrlich sind: Es gelingt nicht allzu oft, da hinein zu finden. Es gelingt nicht oft, den inneren Raum so zu öffnen, dass nicht nur ich anschaue, sondern auch angeschaut werde. Und es ist auch nicht leicht, andere in diese Erfahrung hineinzuführen, sie dafür zu sensibilisieren und Räume zu eröffnen, in denen das geschehen kann.

Erfahrung mit dem Antlitz der Barmherzigkeit

Wir haben zum Beispiel den Gottesdienst, wo wir hingehen und zugeben müssen, wir sind oft nur Zuschauer und Beobachter am Rande. Es fällt uns schwer, hinein genommen zu werden. Auch haben wir die Heilige Schrift und lesen sie häufig nur als Buch mit Informationen, die wir im Kopf behalten oder nicht. Da fällt es uns schwer, hindurch zu dringen, uns hineinnehmen zu lassen in ein Gespräch, in ein Gebet mit dem, der sich in der heiligen Schrift ausspricht und uns anspricht.

Und, verehrte Damen und Herren, wir haben auch die Kunst, die uns immer neu einlädt zur wirklichen Betrachtung, nicht nur zum oberflächlichen Sehen. Die Künstler haben in ihren Werken eine Erfahrung zum Ausdruck gebracht, eine Erfahrung mit dem, der das Antlitz von Gottes Barmherzigkeit ist, mit Jesus.

Betrachten Sie das Antlitz der Barmherzigkeit

Ich möchte sie einladen, bleiben Sie stehen, betrachten Sie, und bitten Sie den Herrn, dass er auch Sie anschauen darf, durch das Werk der Künstler. Lassen Sie sich hineinführen in die Begegnung, in die erneute Zuwendung zu Ihm. Und vielleicht, hoffentlich, schenkt Ihnen derjenige, der Sie dann anschaut, auch die Erfahrung, die Sie anrührt, die Sie neu erahnen lässt, wer und wie Gott wirklich zu uns ist.

Vielleicht hilft er Ihnen hinein in ein tieferes Verstehen dieses Antlitzes der Barmherzigkeit. Und im tiefsten Fall widerfährt Ihnen womöglich das, was Rilke erlebt hat: „Da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern.“ In der Sprache der Christen heißen solche Erfahrungen: Umkehr, Bekehrung, Wandlung, Erneuerung, Neugeburt und anderes mehr.

Jedenfalls wünsche ich Ihnen allen und allen Besuchern von Herzen berührende Begegnungen mit dem Antlitz der Barmherzigkeit und vor allem Gottes Segen. Danke.