Antwort eines „privilegierten, weißen, mittelalten Mannes“ im Bischofsamt

Zu meiner Stellungnahme zu der Organisation „She decides“ und der Rolle von Maria Flachsbarth darin (s.u.) hat sich der Bundesjugendleiter der Katholischen jungen Gemeinde (KJG), Marc Eickelkamp, auf Facebook kritisch geäußert. Der Post hat durch Likes auch von einigen weiteren prominenten Vertreterinnen und Vertretern unserer verbandlichen Jugendarbeit Zustimmung gefunden, darunter die beiden hauptamtlichen Bundesvorsitzenden des BDKJ, Lisi Maier und Gregor Podschun. Weil Herr Eickelkamp meines Erachtens sehr grundsätzliche Dinge anspricht, habe ich nun auch versucht, ein paar grundsätzliche Gedanken zu äußern und kritisch zurückzufragen.

Hier der Post von Marc Eickelkamp:

„Lieber Bischof Stefan Oster,
ohne auf die Frage des Lebensschutzes eingehen zu wollen, finde ich ihre öffentlichen Äußerungen hier sehr schwierig:

  1. Beraten wir gerade gemeinsam im Kontext des Synodalen Weges das Thema „Frauen in der Kirche“ und damit auf der einen Seite die Wertschätzung gegenüber Frauen als Teil von Kirche und auf der anderen Seite die Frage nach Frauen in Ämtern unserer Kirche. In diesem Spannungsfeld kritisieren sie nun als privilegierter, weißer, mittelalter Mann öffentlich eine Frau in einem öffentlichen Amt und politischen Mandat für ihr Engagement für die Rechte von Frauen! Ich hatte gehofft, dass in den bisherigen Beratungen deutlich geworden ist, dass der Diskurs über Frauenrechte nicht von Männern geführt werden darf!
  2. Wie kann die Botschaft „Frauen entscheiden selbst!“ gerade vor dem Hintergrund des Macht(missbrauchs) in der katholischen Kirche etwas sein, dass sie nicht unterstützen können bzw. sogar öffentlich dagegen äußern?
  3. Bekennen sie sich hier (erneut) öffentlich zu der Bewegung des Marsches für das Leben, bei dem in der Vergangenheit immer wieder rechte und rechtsextreme Gruppen mitgelaufen sind und diesen für sich instrumentalisiert haben. Ich wundere mich, dass sie dies so tun, obwohl sie sich in den vergangenen Tagen hier bei Facebook und im Netz gegen menschenfeindliche Äußerungen, Rechte Tendenzen und Populismus ausgesprochen haben. Das finde ich sehr schade, da es unreflektiert ist und ihre vorherigen Positionen gegen Hetze deutlich entkräftet.“

 Und hier meine Überlegungen zu diesen Anfragen:

Lieber Herr Eickelkamp, lieber Unterstützerinnen und Unterstützer des Posts von Herrn Eickelkamp,

danke für Ihre Anfrage. Weil Sie sehr grundsätzliche Dinge ansprechen, erlaube ich mir im Folgenden, auch ein wenig grundsätzlicher zu werden:

Mehrere Dinge irritieren mich an Ihrem Post. Am gewichtigsten: Sie schließen das eigentliche Thema aus, und scheinen dann ihrerseits dennoch Maßstäbe für den Diskurs vorgeben zu wollen: Wer oder was darf über was mitsprechen?! Und Ihr Maßstab für die Diskursregeln scheint die aus der amerikanischen Debatte um den Rassismus eingespielte Vokabel vom „privilegierten, weißen, alten Mann“ zu sein, der seine Rechte an bestimmten Diskursen teilzunehmen, verwirkt hat – mit dem Argument, dass er Träger einer von ihm selbst mitgeprägten patriarchalischen und rassistischen Kultur sei. So einer habe also nicht mitzureden (obgleich Sie mir freundlicherweise ein nur „mittelalt“ zugestehen), vor allem nicht, wenn es um weniger Privilegierte oder Minderheiten gehe – in unserem Fall also um Rechte von Frauen.

Identitätsdenken ist letztlich nicht demokratisch

Darf ich fragen, warum Sie diesen Diskurs und seine Maßstäbe für den Diskurs in der Kirche übernehmen? Hier wird eine Politik des Identitätsdenkens selbstverständlich eingebracht oder vorausgesetzt, die aus meiner Sicht letztlich antidemokratisch ist – weil sie eine einzige Gruppe vom Diskurs ausschließen will. Und die sich insgeheim den Rassismus-Vorwurf selbst zuzieht, weil sich nun die, die sich als die Inhaber der Diskurshoheit fühlen, gegen eine bestimmte Altersgruppe mit bestimmter Hautfarbe richtet. Wenn ich in der Diktion sprechen wollte, die die Jugendverbände in den letzten Jahren übernommen haben, könnte man auch hier von „gruppenbezogener Feindlichkeit gegen privilegierte, weiße, alte Männer“ sprechen.

Ganz ehrlich: Ich habe den BDKJ und mit ihm die KJG immer auch dafür geschätzt, dass die Verbände Einübungsorte von Demokratie sind. Aber wenn das die neuen demokratischen Spielregeln sind, unterhöhlt sich Demokratie selbst – zugunsten von Gruppen, die sich als Benachteiligte sehen und fortan sagen dürfen, wer mitreden darf und wer nicht. Vermutlich kennen Sie die Debatte um die „cancel culture“ in Amerika, die inzwischen auch bei uns längst eröffnet ist – und ich hoffe, unsere Jugendverbände bleiben in dieser Richtung wach.

Die inhaltliche Debatte wird selektiv vorbestimmt

Was mich zweitens irritiert: Dass Sie offenbar nicht nur die formalen Diskurskriterien bestimmen wollen, sondern auch die inhaltlichen: Sie lassen in Ihrer Klage gegen mich den Lebensschutz ausdrücklich außen vor – um sich dann allein auf das Thema „Frauenrechte“ zu konzentrieren – und dann in der Folge selektiv die Möglichkeit zur Diskursteilnahme zuzuteilen. Ich weiß ja nicht, ob Sie meinen Text ganz gelesen haben oder nur eine Zusammenfassung von KNA: Gerne würde ich dann nämlich inhaltliche Gegenargumente hören zu der Frage, ob ein solcher Diskurs inhaltlich (!) von mir berechtigt geführt wird oder nicht.

Der demokratische und auch der innerkirchliche Diskurs lebt von Überzeugungen und ich halte die Frage nach dem Lebensschutz von Anfang bis Ende – und damit die Frage, was denn eine Person sei und welche Würde sie hat und was mit ihr geschehen darf – für eine unglaublich wichtige, für eine der ganz zentralen Fragen für die Zukunft unserer Gesellschaft. Und Sie schließen in Ihrem Einwand gegen mich diesen Punkt gerade aus?

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gegen Ungeborene?

Drittens kritisiere ich nicht – anders als Sie es darstellen – das grundsätzliche Eintreten von Frau Flachsbarth für die Rechte von Frauen, diese habe ich im Text vielmehr auch ausdrücklich bestätigt. Ich kritisiere die Ausdehnung dieser Rechte auf das Lebensrecht von ungeborenen Kindern in einem Ausmaß, das ich für unerträglich halte, insbesondere auch in Richtung von Kulturen dunkelhäutiger Menschen – und das von einer  nicht wenig privilegierten, weißen Frau, die etwas älter ist als ich.

Was z.B. manche afrikanische Stimmen zu „She decides“ sagen? „The Dictatorship of the wealthy donor“ – Die Diktatur des reichen Gebers! Siehe hier: https://www.youtube.com/watch?v=lsOwsIxJcLo&feature=youtu.be . Oder um es auch wieder in der Diktion des obigen Diskurses zu formulieren: „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ erleben in unserer Gesellschaft und anderswo mit weitem Abstand ungeborene Kinder, zumal ungeborene Kinder mit Behinderung. Dass wir als Kirche insgesamt Frauen beistehen wollen, die wegen ungewollter Schwangerschaft in Gewissensnöten, Beziehungsnöten, materiellen und anderen Nöten sind – habe ich im Blick auf die Fragen nach Abtreibung anderswo mehrfach betont.

Und Sie wissen wie ich, dass in dieser Hinsicht in unserer Kirche nicht wenig Gutes passiert. Überaus irritierend finde ich aber, dass Sie als Vertreter eines Jugendverbandes (unter den zustimmenden Likes von weiteren prominenten Vertreterinnen und Vertretern unserer Jugendverbände) mit keinem Wort auf diese Problematik des ungeschützten jungen Lebens eingehen wollen. Diese Problematik alleine (!) ist aber Anlass für meine Stellungnahme.

Was soll oder „darf“ ein Bischof?

Was mich viertens irritiert, dass Sie mir als Bischof offenbar nicht (oder nicht mehr?) zugestehen wollen, dass ich meine Verantwortung für ein Thema, das ich für Glauben, Kirche und gesellschaftliches Leben für so zentral halte, wahrnehme. Ich betrachte das Einbringen für und das Stehen zu diesen Überzeugungen als (alles andere als bequemen!) Teil meines Amtes – und kann als Christ in meiner Kirche nicht nachvollziehen, warum Sie mir die Empfehlung geben, das nicht zu tun.

Nicht wenige Christinnen und Christen erwarten gerade das – und ich meine zurecht. Als Beobachter von und Teilnehmer am Diskurs dieser Gesellschaft kann ich es freilich schon nachvollziehen – und für uns alle, und damit auch für die Jugendverbände, geht es darin jetzt und zukünftig mit folgenden Fragen einher: Geht die Kirche im gesellschaftlichen Diskurs auf? Oder ist und bleibt sie in diesem Diskurs auch ein immer wieder notwendiges Korrektiv? Und wenn ja, für welche Themen?

Wer instrumentalisiert wen und warum?

Freilich nähren Sie schließlich mit Ihrer letzten Einlassung (Punkt 3) noch einmal den Verdacht, dass Sie nicht nur die formalen, sondern eben damit auch die inhaltlichen Spielregeln für den Diskurs bestimmen wollen. Im vergangenen Jahr habe ich folgende Erfahrung gemacht: Ich bin an einem Tag bei den Jugendlichen von „Fridays for Future“ mitgelaufen, weil ich der Überzeugung bin, dass sie mit dem Klimaschutz ein auch für uns sehr wichtiges Thema auf der politischen Agenda weit nach vorne gebracht haben. Das wollte ich unterstützen.

Freilich bin ich von eher konservativer politischer Seite gewarnt worden, dass da auch viele „Linksradikale“ mitlaufen würden – und wen ich da mit meiner Teilnahme alles auch noch bejahen würde. Am nächsten Tag bin ich in den „sozialen“ Medien tatsächlich unter anderem als Unterstützer eines „linksradikalen Ökofaschismus“ bezeichnet worden. Was mir auffällt: Von unseren Jugendverbänden habe ich im öffentlichen Diskurs im Grunde nie eine Abgrenzung gegen die radikale Linke gehört – weder in dieser noch in anderen Fragen. Dennoch kam die Frage, die auch an mich von konservativen Politikern ging: „Lassen Sie sich da nicht instrumentalisieren?“ Meine Antwort: „Womöglich kann ich mit einer Teilnahme eher dazu beitragen, dass genau diese Instrumentalisierung durch Einzelne nicht passiert, sondern eher ausgleichend wirkt“

Der Marsch für das Leben

Am unmittelbar nächsten Tag war ich dann erstmals beim Marsch für das Leben in Berlin dabei. Ich weiß ja nicht, ob Sie das schon einmal erlebt haben. Aber weder beim Marsch selbst noch bei der Kundgebung habe ich Formen dessen wahrgenommen, was Sie als „Hetze“ beschreiben, auch nicht die Vereinnahmung der Veranstaltung durch Rechtsradikale. Es waren einfach in größter Mehrheit friedliche, überwiegend gläubige Menschen mit einem Anliegen für das Leben, übrigens interessanterweise auch viele junge Menschen und natürlich Frauen.

Zudem: Bei meinem Statement bei der Kundgebung habe ich mich ausdrücklich gegen eine Vereinnahmung von rechts ausgesprochen. Was mich aber erstaunt hat: Ich bin damals bereits am Bahnhof von schwerbewaffneten Sicherheitskräften der Polizei abgeholt und gegen Gegendemonstranten abgeschirmt worden, die tatsächlich immer wieder lautstark und polemisch zum Ausdruck gebracht haben, was Sie vermutlich als „Hetze“ bezeichnen – und zwar hunderte. Diesen ist es z.B. auch gelungen, die Kundgebung durch einen plötzlichen Ansturm auf die Veranstaltungsbühne zu stören – sie mussten mit massivem Polizeieinsatz von dort entfernt werden. Zudem haben sie den Demonstrationszug mit großen Sitzblockaden gestört.

Diskutieren wir miteinander – mit Respekt

Wenn ich mich recht erinnere, waren zum Schutz dieses Marsches rund 800 schwer bewaffnete Polizeikräfte im Einsatz. Nun sind aber auch auf dieser Kundgebung tatsächlich auch Menschen aus dem AfD-Spektrum mitgelaufen (wieviel kann ich nicht sagen, ich habe nur Beatrix von Storch identifiziert). Wiederum in den „sozialen Netzwerken“ bin ich daraufhin als „Nazi“ bezeichnet worden. Bedeutet das schon, dass ich mich instrumentalisieren lasse? Wenn aber der Lebensschutz das eigentliche Anliegen der Veranstalter ist, unabhängig von parteipolitischen Interessen, und nicht der Versuch einer politisch einseitigen Vereinnahmung, sollte man dann nicht gerade deshalb hingehen, um eine mögliche Vereinnahmung zu verhindern? Eben weil es genuin unser Anliegen ist und kein Spielfeld für politische Profilierung werden soll? Und würden Sie als Verbandsvertreter auch Ihre Stimme erheben gegen die, die aus der radikalen Linken die Kundgebung verhindern wollten?

Will sagen: Oftmals sind Diskursbeiträge je nach Person und Thema erwartbar – wohl auch von mir. Aber dass sich das Klima des Diskurses in eine Richtung verschiebt, die in Zukunft bestimmte, auch erwartbare Diskursbeiträge und Teilnehmende grundsätzlich ausschließen wollte – das hielte ich ehrlich für demokratiefeindlich und für schwer erträglich, zumal bei Jugendverbänden, die gerade die Demokratie hochhalten. Daher ein abschließendes Plädoyer: Ringen wir miteinander um Positionen, um Überzeugungen, um Wahrheit – immer mit dem Respekt vor dem anderen, der jedem gebührt. Und in diesem speziellen Fall auch ganz besonders mit dem Respekt vor den Ungeborenen, die in dieser Gesellschaft keine allzu große Lobby haben.

Mit besten Grüßen

Stefan Oster SDB, Passau