Bild: M. Schropp

Die Sehnsucht der Weisen – Dreikönigsfest

Die drei Weisen aus dem Morgenland brachen auf und riskierten alles, um einem Stern zu folgen. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Dreikönigsfest 2015 im Passauer Stephansdom.

Liebe Schwestern und Brüder,
da kommen also die Ausländer, die Heiden nach Israel. Es sind Menschen, die zunächst nicht dem Glauben angehören, den die Menschen in Israel haben. Die Schrift nennt sie „Magoi“, daher kommt unser Wort „Magier“. Das wäre aber im heutigen Verständnis eine missverständliche Übersetzung, man will wohl einfach sagen, es seien weise Leute, Gelehrte gewesen, die ein Verstehen der Natur hatten, das sie mehr sehen ließ als die bloße Natur. Sie können offenbar auch die Sterne deuten. Daher übersetzt unser Text „magoi“ mit „Sterndeuter“, andere Übersetzungen sagen schlicht „Weise“, weise Männer aus anderen Kulturen, aus dem Osten, wie es heißt.

Ich möchte Sie einladen: Versetzen wir uns einmal ernsthaft hinein in diese Erzählung, ohne allzu schnell damit fertig zu sein. Schnell fertig wären wir, wenn wir drei Könige an unsere Hauskrippe als Teil unserer Weihnachtsromantik einfach hinstellen, aber nicht mehr genauer darüber nachdenken, was da eigentlich gesagt wird.

Die Weisen kamen aus dem Osten

Sie kamen aus dem Osten, heißt es. Es müssen wohlhabende Leute gewesen sein, die sich eine solche Reise leisten konnten, zumal sie mit Gold, Weihrauch und Myrrhe auch noch kostbare Gaben dabei hatten. Eine weite Reise war damals überaus beschwerlich und wohl auch gefährlich. Es sind drei Männer, die also viel riskieren. Wir wissen nicht genau, woher sie ihr Wissen hatten, aber sie sprechen schon davon, dass ein Stern aufgegangen sei, der von einem neugeborenen König der Juden kündete.

Womöglich waren sie auch Schriftkundige und hatten von den Prophezeiungen in den Heiligen Büchern der Juden gelesen, die diesen König angekündigt hatten, wie wir in der ersten Lesung aus dem Jesaja-Buch gehört haben. Oder sie waren mit Menschen zusammengetroffen, vielleicht jüdischen Kaufleuten, von denen viele damals in der Erwartung des Kommens des Messias waren. In jedem Fall schienen sie auch etwas Herrschaftliches an sich zu haben, denn sonst hätten sie wohl kaum Audienz bei König Herodes bekommen. Vielleicht also doch königlicher Abstammung? Wir wissen es nicht genau.

„Wir haben seinen Stern aufgehen sehen“

Andererseits wundert mich die Tatsache, dass Herodes sie zuerst nach dem Stern fragt, sie dann weiterziehen lässt, mit der Bitte, danach doch wieder zurückzukommen und ihm zu sagen, wo das Kind sei. Das heißt: Wenn der Stern so klar sichtbar für alle gewesen wäre, hätte ihn wohl auch Herodes erkennen und einfach mitgehen können. So aber konnten die drei Weisen ihn täuschen und auf einem anderen Weg heimziehen. Und warum führt sie der Stern eigentlich zuerst nach Jerusalem? Sie sagen wörtlich: „Wir haben seinen Stern aufgehen sehen.“ Und nun sind sie in Jerusalem und fragen trotzdem nach dem Weg? Was ist das für ein Stern, Schwestern und Brüder?

Und der Text ist auch noch insofern rätselhaft, als es nach der Begegnung mit Herodes plötzlich wieder heißt: „Der Stern zog vor ihnen her, bis zu der Stelle, wo das Kind war.“ Andererseits heißt es gleich im nächsten Satz: „Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt.“ Das passt irgendwie auch nicht von der Reihenfolge her: Sie folgen erst dem Stern, dann erst sehen sie ihn und freuen sich.

Eine geistliche Deutung des Sterns der Weisen

Ich möchte diese rätselhaften Hinweise nehmen, um eine geistliche Deutung zu versuchen. Es gibt in der Welt Dinge, die wir nicht sehen, nicht erkennen können, es sei denn unsere Absichten sind lauter, es sei denn die eigenen Absichten zielen nicht zuerst auf den eigenen Vorteil, sondern zum Beispiel auf das, was einfach nur wahr oder gut oder richtig ist. Vielleicht kennen Sie Erzählungen von Menschen, die besonders begabt sind im Umgang mit Tieren, zum Beispiel in der Erziehung mit Pferden oder Hunden. Das sind dann im Grunde immer Menschen, die sich sehr intensiv in so ein Tier hinein fühlen können, so dass sie es gewissermaßen von innen her verstehen lernen, so dass sie mitwahrnehmen und empfinden lernen mit dem Tier.

Sie lernen dann nach und nach die äußeren Erscheinungen des Tieres, sein Verhalten, seine Bewegungen, seinen Atem und anderes mehr zu deuten auf die Befindlichkeit des Tieres hin. Das Tier kann nichts sagen. Es ist einfach, wie es ist. Aber ein guter Pferdeflüsterer zum Beispiel, der geht mit seinem Tier ganz anders um, als ein Metzger, der kein anderes Interesse hat als das Tier zu schlachten und das Fleisch zu verkaufen. Der Pferdefreund liest die Zeichen, die das Tier gibt, auf seine innere Bedeutsamkeit hin. Dafür braucht er Geduld, Liebe, Einfühlungsvermögen und anderes mehr. Und wenn das so ist, dann sieht er bei dem Tier Dinge, Phänomene, die ein anderer eben nicht sehen kann.

Innere Verwandschaft

Und das Wichtige bei einem solchen Erkenntnisprozess ist: man braucht die Offenheit, die Bereitschaft und die nach und nach eingeübte Fähigkeit zu einer Art inneren Verwandtschaft. Wenn ich einen Gegenstand, mehr noch ein Tier und noch mehr einen Menschen von innen her tief verstehen lerne, dann deshalb weil ich in meinem eigenen Erleben Erfahrungsbereiche habe oder zu Erfahrungen bereit bin, die sich so ähnlich anfühlen, wie bei dem, was oder wen ich da erkenne. Und dann sehe ich äußere Zeichen, Bewegungen, Handlungen und fühle mich hinein in das innere Leben eines Wesens. Und dann lerne ich die Zeichen zu lesen, zu deuten. Aber dabei muss es mir zuerst um dieses Wesen gehen und nicht zuerst um mich.

Und von diesen Überlegungen her zurück zu unseren Weisen. Von Christus wird im Weihnachtsevangelium gesagt, dass er das Wort Gottes ist, dass in ihm alles geschaffen ist, dass er das Licht der Welt ist. Von ihm wird in den Texten der Verheißung im Alten Bund auch gesagt, dass er vom Zion, von Jerusalem aus die Völker regieren werde, von ihm wird gesagt, dass er wie ein Menschensohn kommen und die Völker regieren werde, von ihm wird im Buch Numeri gesagt, dass ein Stern aufgehen werde in Jakob, von ihm wird prophetisch gesagt, dass er ein mächtiger Friedenskönig sein werde, den Gott seinen Sohn nennen würde.

Wahrheit um der Wahrheit willen

Vielleicht kennen die Weisen also alle diese und weitere Verheißungen und vielleicht sind sie wirkliche Gottsucher, Männer, die Wahrheit erkennen wollen, weil sie wahr ist und nicht einfach weil sie ihnen nützt; Männer, die das Gute suchen und tun wollen, weil es gut ist und nicht weil es für sie gerade angenehm wäre. Daher möchte ich es so deuten: Wenn Christus, der Schöpfer von allem wirklich der Gott ist, der sich dann unauflöslich als Mensch mit seiner Schöpfung verbunden hat, der in diese Schöpfung kommt, um sie aus dem Dunkel von Sünde und Tod und Depression herauszuholen, dann kann das auch ein Ereignis sein, dass diese geschundene, gebrochene Schöpfung aufatmen lässt, das etwas in ihr aufstrahlen lässt, das etwas in ihr erbeben lässt, weil in ihr das Licht, die Wahrheit, das Leben zum Vorschein kommt.

Und das zieht Menschen, die wirklich Wahrheit suchen, womöglich geheimnisvoll an. Vielleicht sind die Sterndeuter Menschen, die so berührt waren von der Hoffnung auf einen rettenden Gott, so in innerer Bereitschaft, dass in ihnen gleichsam ein Stern der Sehnsucht aufgegangen ist, dem sie gefolgt sind. Und ja, womöglich ging das auch mit äußeren Zeichen und Naturkonstellationen einher. Aber diese konnte niemand deuten, es sei denn jemand mit einer Art inneren Verwandtschaft zu dem Geschehen, das sich da unter dem Himmel ereignet hatte. Und sie finden das Kind und sie finden seine Mutter. Und sie fallen in die Knie und huldigen und beten an.

Ein Volk von Priestern und Königen vor Gott

Und sie gehen verwandelt weg, auf einem neuen Weg. Sie machen sich nicht mit der übrigen Welt gemein, denn sie spüren, dass sie Herodes nicht vertrauen können. Herodes ist nicht in diesem Sinn mit ihnen verwandt, er sucht zuerst seinen eigenen Vorteil. Sie sind jetzt Verwandte dieses Kindes, sie sind Verwandte des Königs, dem sie huldigen. Sie sind also doch Könige! Denn dieser König in der Krippe verheißt all denen, die zu ihm gehören, dass sie ein Volk sein werden, ein Volk von lauter Priestern und Königen vor Gott.

Liebe Schwestern und Brüder, was sagen uns diese Weisen, diese Könige, die wir heute verehren? Zunächst: Wir sind in der unglaublich privilegierten Situation, dass wir nicht auf einer langen, äußeren Reise unser Leben aufs Spiel setzen müssen, um ihn kennenzulernen und anzubeten. Er ist schon da, wir sind sogar schon getauft auf ihn. Wir wissen sogar viel mehr von ihm als die Weisen damals, wir wissen von seinem Kreuz und seiner Auferstehung. Wir haben ein Buch, das von vorne bis hinten nur über ihn berichtet. Und wir haben als Getaufte seinen Geist empfangen. Wir müssen auch nicht als Ausländer in ein fremdes Land reisen, um Ihn dort zu suchen. Wir sind zwar aus der Sicht des jüdischen Volkes auch Heiden, aber eben getaufte Heiden. Hinzugenommen in diese Sammlungsbewegung des Volkes Gottes, die der Herr mit Israel begonnen hat. Die lange Reise dorthin muss also nicht sein.

Reise nach innen

Aber meine Frage ist: Sind wir schon diese Reise nach innen angetreten, die Reise, die uns wirklich Wahrheit und das Gute um ihrer selbst willen suchen lässt? Die Reise, die uns fähig macht, Ihn den König immer mehr wirklich zu erkennen als den, der gesagt hat, dass er die Wahrheit und die Liebe in Person ist? Sind wir in der Lage, Ihm zu begegnen und Ihn zu erkennen, weil wir innerlich mit Ihm verwandt sind oder bereit zu dieser Verwandtschaft?

Ist unser Herz dazu lauter genug? Sind wir dem Stern unseres Herzens zu Ihm hin schon gefolgt? Und sind wir in der Lage, unseren eigentlichen königlichen und priesterlichen Dienst, zu dem er jeden Getauften berufen hat, schon auszüben? Sind wir in der Lage, aus dieser inneren Verwandtschaft heraus wieder wegzugehen von Ihm, zurück in das manchmal gottferne Gebiet unseres alltäglichen Lebens und dort vom König zu erzählen? Weil auch wir alle seine Priester und seine Könige geworden sind?

Die Sehnsucht der Weisen

Liebe Schwestern und Brüder, ich möchte Sie mit diesen Fragen nicht überfordern, weil ich weiß, dass die meisten von uns, auf diese Fragen antworten würden: Nein, noch bin ich nicht dazu in der Lage. Noch habe ich vielleicht die Tragweite meines Glaubens an das Kind in der Krippe gar nicht erkannt; noch fühle ich mich gar nicht bereit oder fähig zu einer solchen Art von Verwandtschaft. Ich möchte Sie auch nicht überfordern, liebe Schwestern und Brüder, ich möchte in Ihnen vielmehr die Sehnsucht der Weisen wecken. Die Sehnsucht, sich auf den Weg zu machen auf eine Entdeckungsreise Ihrer Verwandtschaft mit dem Kind, das ein König ist; mit dem Gekreuzigten, der ein König ist; auf eine Entdeckungsreise Ihrer eigenen Berufung und Ihrer Identität, ein Königskind und ein echter Bruder, eine echte Schwester von Ihm zu sein.

Machen Sie sich auf den Weg, ernsthaft – wie die Weisen. Es kann sein, dass es nicht nur eine angenehme Reise wir, es wird so sein, dass es auch eine beschwerliche Reise wird, eine Reise, auf der etwas in uns unterwegs auf der Strecke bleiben wird – vor allem das Interesse am eigenen, schnellen Vorteil. Es ist also auch eine Reise der Umkehr. Aber es wird eine Reise sein, die Sie zugleich in die Fülle und ins Leben führen wird. Und nach Hause. Es ist also nicht nur Umkehr, es ist vor allem Heimkehr. Schon jetzt in diesem Leben und erst recht in dem Leben, das kommt und nie mehr aufhört. Dazu laden uns die drei Könige ein und zu dieser Reise segne Sie unser König selbst. Amen.