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Berg und Boot als Orte der Begegnung mit Gott

Das Boot auf stürmigem Wasser kann ein Bild für die Stürme des Lebens sein. Mit Jesus kommt die Rettung. Predigt von Bischof Stefan Oster in der Wallfahrtskirche Mariahilf ob Passau am 10. August 2014.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
das Evangelium von heute ist ein wundervoller, Mut schenkender Text für unsere Zeit. Erlauben Sie mir, dass ich einige Aspekte daraus mit Ihnen noch einmal gleichsam meditierend und kommentierend nachvollziehe. Die Szene, die wir gehört haben, folgt der Szene, in der Jesus die Fünftausend an einem abgelegenen Ort mit Brot und Fischen gespeist hatte.

Nun, gleich danach, sagt er den Jüngern, sie sollten mit dem Boot an das andere Ufer des Sees, nach Genezareth vorausfahren. Inzwischen wollte er die Leute wegschicken und anschließend auf einen Berg gehen, um zu beten. Liebe Schwestern und Brüder, ist das nicht wunderbar? Jesus betet! Und er geht dazu in die Einsamkeit, hier auf einen Berg.

Auf dem Berg und im Boot

Wie oft ist in der Schrift der Berg der Ort Gottesbegegnung. Auch in der ersten Lesung haben wir davon gehört. Der große Prophet Elija ist am Gottesberg Horeb. Er ist dort nach einer vierzigtägigen Wanderung durch die Wüste angekommen – und jetzt, gleichsam geläutert durch die Entbehrungen der Wanderung und voller Sehnsucht nach seinem Gott, jetzt ist er auch in der Lage, diesen Gott auch im leisen Säuseln des Windes zu erkennen – und sich vor Ihm zu verneigen. Weil Gott dieses Mal eben nicht im Sturm, im Erdbeben und im Feuer gegenwärtig ist.

Auch Jesus braucht Gebet

Und auch Jesus betet also, allein auf einem Berg. Auch Jesus braucht Gebet und sucht Gebet. Er sucht es als immer neue Verinnerlichung seiner Verbundenheit mit dem Vater. Der Vater ist in ihm und er im Vater, das ist so und bleibt so auf ewig.

Aber in dieser Welt, in der so vieles auf ihn eindringt, das nicht von Gott kommt, in dieser Welt braucht auch er, der menschgewordene Gott immer wieder die Vergewisserung, die Rückkehr, das Eintauchen in die Gegenwart des Vaters, ehe er gleichsam wieder neu in diese Welt hinein aufbricht. In eine Welt, die er voll Unheil erlebt, voll Lüge, voll Abwendung von Gott, aber auch voller Sehnsucht nach Leben und Wahrheit und Glück. In dieser Welt will und soll er das Heil bringen und den Menschen helfen, zu Gott, zum Vater zurückzufinden.

Mit Gott in Beziehung leben

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben: Glauben wir eigentlich, dass es wirklich möglich ist, mit unserem Gott in einer tiefen Beziehung zu leben? Glauben wir, dass die eigentliche Erfahrung unseres Glaubens nicht aus dieser Welt kommt, sondern aus der Welt Gottes in unsere Welt hineinragt? Glauben wir, dass es über die bloße Natur hinaus auch das Übernatürliche in uns und in unserer Kirche gibt?

Im Evangelium sehen wir, wie die Jünger und besonders Petrus in dieses Geheimnis des Übernatürlichen eingeübt werden. Sie fahren auf dem See, es ist Nacht und es ist schon lange Nacht. Die Zeitangabe „vierte Nachtwache“ sagt, dass wir uns dem Morgen nähern. Es ist wohl irgendwas zwischen drei und sechs Uhr am Morgen. Das erinnert uns an die Auferstehung am Ostermorgen, es erinnert, dass Gott in der Schrift mehrmals rettend eingreift, wenn der Tag anbricht.

Angst im Boot: „Fürchtet euch nicht“

Der See ist unruhig, der Wind peitscht die Wellen hoch, vermutlich rudern sie vergeblich gegen den Sturm. Da kommt Jesus und sie denken zunächst: „Es ist ein Gespenst“ und sie schreien vor Angst. Darauf beginnt Jesus mit ihnen zu reden: „Habt Vertrauen, ich bin es. Fürchtet euch nicht.“

Liebe Schwestern und Brüder, wie oft im Neuen Testament hören wir dieses Wort: „Fürchtet euch nicht!“ Es kommt vor allem dann, wenn Jesus überraschend auftaucht und oder wenn er etwas von seiner Majestät und Herrlichkeit sehen lässt. Die Engel rufen es den Hirten in der Weihnachtsnacht zu, der Herr sagt es den Jüngern, als er sie aussendet, der Auferstandene sagt es zu den Frauen am Grab: „Fürchtet Euch nicht!“

Furcht ist ein Hindernis für den Glauben

Was ist also offenbar eines der größten Hindernisse für den Glauben? Es ist die Furcht. Die Furcht, sich ihm anzuvertrauen; die Furcht auch, womöglich wirklich Konsequenzen für das eigene Leben ziehen zu müssen, wenn ich mich ihm tatsächlich annähern sollte. Oder die Furcht, sich wirklich vor der Welt zu ihm zu bekennen und dem, was er der Kirche geschenkt hat.

Im Fall der Jünger nährt die Furcht den Zweifel und reichert ihn an mit wilder Phantasie. Sie scheinen diese greifbare Wirklichkeit des Sturmes, der mächtigen Wellen, der Enge des Bootes, diese Wirklichkeit scheinen sie für das Ganze zu halten. Da muss so eine eigenartige Erscheinung auf dem Wasser wie ein Gespenst erscheinen, vielleicht auch nur ein Phantasiegebilde, eine Einbildung – das griechische Wort, das hier mit Gespenst übersetzt wird, lautet „phantasma“.

Gott will in unser Leben hineinwirken

Liebe Schwestern und Brüder, ist es nicht tatsächlich so, dass wir in den Bewegungen unseres Alltags, die manchmal wild und hektisch sind, manchmal auch nur routiniert ihre Bahnen laufen, ist es da nicht oft so, dass wir gar nicht leicht auf die Idee kommen, dass Gott mitten in diesen Alltag unseres Lebens hineinwirken könnte und will?

Und dann spüren wir vielleicht tatsächlich hin und wieder einmal eine tiefe Herzensregung, vielleicht große Sehnsucht, vielleicht auch Gewissheit des Glaubens. Aber wir halten das dann möglicherweise gleich wieder für Phantasie oder irgendwas Unwirkliches, ein wenig Gespenstisches – weil alles andere viel wichtiger erscheint? Kennen Sie das?

Zuerst mit Gott leben

Aber um es ehrlich zu sagen, Schwestern und Brüder, wir sind als Christinnen und Christen dafür geschaffen, gerade nicht diese alltägliche, materielle Welt schon für das Ganze zu halten. Wir sind dafür geschaffen, zuerst  mit Gott zu leben und aus dieser Beziehung heraus, die uns trägt, dann unsere konkrete weltliche Wirklichkeit im Hier und Jetzt zu meistern.

Und wenn ein Mensch so lebt, wenn er sich wirklich getragen weiß von Christus in seinem Glauben, dann trägt das auch gerade durch Stürme des Lebens hindurch oder durch die manchmal öden Routinen des Alltags.

Petrus braucht Gewissheit

Ich sagte, Petrus, ist dabei das zu lernen. Er hört Jesus sagen: „Ich bin es, fürchtet euch nicht.“ Aber er braucht mehr Gewissheit, er will wirklich den Glauben wagen. „Herr, wenn Du es bist, dann befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme.“ Und Jesus sagt: „Komm.“

Petrus ist hier einerseits also ein wenn auch noch kleiner Held des Glaubens, trotzdem einer, der wirklich etwas riskiert. Er steigt aus dem Boot. Freilich geht er nicht blind, er hat ja Hinweise, dass es wirklich Jesus ist, der da auf ihn zukommt; aber er tut das Außergewöhnliche. Andererseits ist Petrus hier auch der, der Wachstum im Glauben braucht, der auch gefährdet ist, wie wir alle, im Glauben zu scheitern.

Wenn der Alltag alle Vorsätze schluckt

Ist es nicht so, dass wir immer mal wieder konkrete Schritte über das bloß Alltägliche hinaus machen? Wir gehen zum Beispiel auf Einkehrtage oder Exerzitien, wir kommen mit guten Vorsätzen heim, wollen täglich intensiver beten, wollen uns besser um Nöte in unserer Umgebung kümmern.

Und nach und nach gehen wir damit wieder unter. Wir lassen es bleiben. Der Wind des Alltäglichen oder die Wellen der Sorgen um die Dinge sind stärker. Der Glaube scheint unwirklicher zu werden, gespenstischer. Er trägt nicht mehr.

Nahrung für die Seele

Liebe Schwestern und Brüder: Dieses Evangelium ist für uns aufgeschrieben. Wir brauchen den Herrn; zu uns kommt er und lädt uns ein. „Fürchte Dich nicht. Wag es nur an mich zu glauben, auf mich zu vertrauen. Geh ins Gebet, suche die ehrliche, offene, tiefe Beziehung zu mir – und ich verspreche Dir, Du wirst mehr und mehr lernen, dass Du mitten in diesem konkreten Leben mit all seinen Freuden, Sorgen und Nöten, von etwas anderem getragen bist, von mir, Deinem Herrn.

Aber Du brauchst dazu wirklich regelmäßiges, tiefes Gespräch mit mir. Du brauchst das Verweilen bei mir, den Rückzug zu mir, Deine Seele braucht tiefere Nahrung als nur die Zeitung oder das Fernsehen oder das Internet. Sie braucht mich, sie braucht wie Petrus meine Hand, die Dich immer wieder neu herauszieht und Dich neu im Glauben zum Stehen bringt. Du brauchst innere Festigkeit, inneren Frieden, den nur ich Dir schenken kann.“

Suchen, ersehnen, anbeten

Liebe Brüder und Schwestern, als die Jünger Jesus bei sich im Boot hatten, hat sich der Wind gelegt. Sie konnten ruhig weiterfahren. Sie hatten ihn ja wirklich bei sich. Aber sie haben ihn nicht einfach wie einen Gegenstand in Besitz genommen.

Man kann Jesus nicht einfach besitzen, man kann ihn suchen, sich nach ihm sehnen und man muss ihn vor allem auch anbeten als den, der er ist. Er ist Gottes Sohn, er ist der Abglanz des Vaters. Im letzten Satz des heutigen Evangeliums lesen wir: „Die Jünger im Boot fielen vor Jesus nieder und sagten: Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn.“

Anbetung beginnt mit Ehrfurcht

Liebe Schwestern und Brüder, unsere ehrliche Anbetung beginnt mit  der Ehrfurcht. Jesus ist alles andere als ein Gespenst. Er ist eine Wirklichkeit, die viel realer, viel größer, viel majestätischer als alles ist, was wir denken können. Und die Tatsache, dass er sich für uns so klein gemacht hat in der Krippe von Bethlehem und am Kreuz von Golgotha, diese Tatsache, die mindert seine Größe keineswegs.

Im Gegenteil. Sie macht erst wirklich deutlich, dass diese Herrlichkeit Gottes wirklich radikal Liebe ist. Schwestern und Brüder, wenn wir aus Ihm so leben wollen, wie Er es sich für uns wünscht, dann ist es nötig, dass wir erst vor Ihm niederknien und Ihn wirklich anbeten als Gott, ehe wir beginnen mit Ihm zu reden wie mit einem Freund.

Mit Jesus sicher im Boot

Und wenn die Anbetung und das Vertrauen in unserem Herzen zu wachsen beginnt, meine Lieben, dann nimmt er Wohnung in uns, dann steigt er mit uns ins Boot, dann werden Sie spüren dürfen, wie sich die inneren Stürme Ihres Lebens beruhigen.

Dann werden Sie spüren dürfen, wie Sie der Glaube auch durch stürmische Zeiten trägt, dann werden Sie mehr und mehr in Ihrem Herzen mit dem Bekenntnis erfüllt: „Du Herr, bist mein Herr und mein Gott und Du bist wahrhaft Gottes Sohn.“ Amen.