Bild: U. Friedenberger

Über die Weisheit – Seniorentag Schweiklberg

Über die Weisheit und die Torheit. Die Predigt von Bischof Stefan Oster anlässlich des Seniorentags in Schweiklberg 2015.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
schon oft hatte ich die Gelegenheit, mit jungen Menschen eine Frage zu besprechen, die mich immer neu umtreibt, wenn ich über den Menschen nachdenke. Was ist eigentlich Weisheit? Sie alle wissen, dass Weisheit in der Hl. Schrift, vor allem in vielen schönen Texten des Alten Testaments, hoch gepriesen wird. Sie wird als wertvoller als Gold gesehen, sie führt zum Glück, sie führt zu Gott.

Weisheit und Alter

Die Torheit dagegen führt ins Unglück. Und unser normales menschliches Verständnis bringt Weisheit mit dem Alter zusammen. Wir neigen von Natur aus dazu zu denken, die Weisheit ist ein Privileg, ein Vorrecht des Alters. Ein junger Mensch ist nicht einfach weise.

Dazu ist sein Leben oft zu ungestüm, zu schnell, zu wenig erfahren. Wir glauben ja, dass es die Lebenserfahrung selbst ist, die den Menschen weise macht und zusammen mit der Weisheit ehrfürchtig und demütig und tief und vielleicht auch liebesfähig und hoffnungsvoll.

Alter führt nicht automatisch zu Weisheit

Aber – und das ist ein Problem – ist es nicht gleichzeitig so, dass das mit der Weisheit nicht automatisch geht, nur weil man älter wird? Gibt es nicht auch unter den älteren Menschen, die verbittert geworden sind, oder böse oder dumpf? Die gibt es auch. Ohne Zweifel. Weise wird man nicht von allein.

Außerdem: Vermutlich will ein großer Teil der jüngeren Menschen echte Weisheit gar nicht erkennen, oder viele können es nicht erkennen, weil man manche Dinge nur verstehen kann, wenn man schon selbst ein wenig dahin unterwegs ist. Es kann also sein, dass einige sehr weise unter uns sind, aber kaum jemand merkt es.

Die biblische Weisheit ist anders

Und jetzt mach ich das noch ein wenig komplizierter: In der Bibel ist von einer Weisheit die Rede, die anders ist als das, was die restliche Welt für weise hält. Es kann zum Beispiel sein, dass es sehr, sehr gescheite Menschen gibt, die aber aus der Sicht unsres Glaubens gar nicht weise sind.

Und es kann sein, dass es Menschen unter uns gibt, die in der Gesellschaft mit ihren Ansichten gar nicht angesehen sind, die aber trotzdem eine tiefe Weisheit haben aus der Sicht des Glaubens. Einfache, treue, tiefe Menschen.

Es ist kompliziert mit der Weisheit

Sie sehen: das ist ein wenig kompliziert mit der Weisheit. Aber wenn wir auf die Heilige des heutigen Tages schauen, die kleine Therese vom Kinde Jesu, dann erkennen wir etwas von dem, was die Bibel mit Weisheit meint. Und dann wird es plötzlich auch ganz leicht das zu verstehen. Und es trifft sich sehr gut, dass diese junge Frau, die im Alter von 24 Jahren schon gestorben ist und die nie offiziell Theologie studiert hat, ein Mädchen ist, das schon als 15-Jährige ins Kloster eintreten durfte.

Diese junge Frau ist eine große Heilige und eine von nur vier Kirchenlehrerinnen überhaupt. Eine tiefe, große Weisheit spricht aus ihren Worten und Texten, eine Weisheit, die so einfach und so voller Liebe war. Eine Weisheit, die auch erfüllt war vom Geist der Kindheit, den Jesus für so wichtig hält.

Weisheit erfüllt vom Geist der Kindheit

Im Evangelium haben wir nämlich gehört, dass in seinem Reich, dort, wo er Jesus der König ist, dort geht es darum, wie ein Kind zu sein. Wie ein Kind zu vertrauen, wie ein Kind alles von Gott zu erhoffen, wie ein Kind im Spiel sich selber zu vergessen und sich zu freuen daran, dass der Vater, der Papa da ist und für uns sorgt.

Meine Lieben, es gibt einen großen Unterschied zwischen der Weisheit der Welt und der Weisheit, die Jesus meint. Jesus spricht von der Herzenshaltung, die einem Kind eigen ist, das ganz auf die Mama oder den Papa bezogen lebt. Weisheit im Sinne Jesu ist das Leben aus dem Vertrauen, dass das Entscheidende, das Wichtigste, das Tiefste im Leben von Gott kommt. Die Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit, lesen wir immer wieder in der Schrift.

Leidvolle Erfahrungen

Liebe Seniorinnen und Senioren, die Sie heute hier sind: Viele von Ihnen machen im Leben die Erfahrung, dass nicht mehr alles so leicht und so schnell geht. Viele müssen die oft leidvolle Erfahrung machen, dass sie nicht mehr alles können, weil das Alter und manche Krankheit Tribut fordern.

Viele müssen die leidvolle Erfahrung machen, dass liebe Menschen weggehen, sterben. Nicht selten sind ältere Menschen alleine. Und manchmal sagt man auch: das Alter bringt einen automatisch wieder in die Nähe der Kindheit, einfach weil man oft so sehr auf Hilfe angewiesen ist, wie ein Kind.

Der Herbst des Lebens ist eine Zeit großer Chancen

Liebe Schwestern und Brüder, die Zeit im Herbst unseres Lebens ist geistlich gesprochen eine Zeit großer Chancen! Jetzt, wenn nicht mehr so viel selbstverständlich ist. Wo der Mensch lernen muss, zu lassen und zu verlassen, wo er mit Beschwerden und Krankheit öfter zurecht kommen muss.

Jetzt schenkt das Leben die Gelegenheit in die Tiefe zu gehen, es schenkt die Gelegenheit, mit dem Herrgott in die tiefere Zwiesprache zu kommen, in ein Gespräch wie mit einem Freund, der immer da ist. Jetzt können Sie Ihre Seele öffnen und immer besser lernen, sich ganz auf Ihn zu verlassen, wie ein Kind.

Kein Leben ist nutzlos

Und wenn wir in unserem Leben das lernen, dann ist auch das Leben im Alter alles andere als nutzlos. Im Gegenteil, dann gibt es zutiefst Sinn, dann werden wir immer mehr auf den verwiesen, der der eigentliche Sinn unseres Lebens ist. Ich kenne alte Menschen, die ein Herz voller Gott haben. Und zwar auch dann, wenn es viel Leid zu tragen gibt, viel Einsamkeit.

Es ist manchmal so, dass ich so einen alten, einsamen Menschen besuchen gehe. Ich will ihm etwas Gutes tun – und ich gehe tief beschenkt wieder weg. Weil dort so viel innerer Reichtum ist. Es ist wahr, das äußere Leben hat dort an Reichtum verloren, an Möglichkeiten und Spielräumen und Aktivitäten. Aber genau das kann die Reise nach innen ungeahnt vertiefen und reich machen.

Das Geheimnis der Stellvertretung

Und noch ein Geheimnis verrate ich Ihnen sehr gerne, das mancher von Ihnen sicher schon kennt. Es gibt im Leben von uns Christen das Geheimnis der Stellvertretung. Auch im Leiden und in der Krankheit.

Es gibt ältere Mitbrüder in meiner Ordensgemeinschaft, unter den Priestern oder einfach auch unter gläubigen Christinnen und Christen. Die kennen noch dieses Wort, das so altmodisch klingt: „Etwas aufopfern“. Aber, meine Lieben, damit ist im Grunde eine tiefe Wirklichkeit verbunden. Wenn wir ein Kreuz zu tragen haben und es aus Liebe zu Jesus einfach annehmen lernen und wenn wir es Ihm anbieten, dann kann es sehr fruchtbar werden. Und zwar oftmals ohne dass wir es wissen.

Leid für Gott fruchtbar werden lassen

Wir können dann zum Beispiel beten: „Herr, ich weiß nicht, warum ich das jetzt gerade ertragen muss, oder warum ausgerechnet mir das jetzt passiert. Aber ich schaue auf Dein Kreuz und bitte Dich. Hilf mir meines zu tragen, trag Du es mit mir mit und zieh es in Dein Kreuz hinein, so dass es fruchtbar wird für Deine Kirche, für die Menschen für die Welt.“

Ich bin sicher, liebe Schwestern und Brüder, dass uns – wenn wir uns im Himmel einmal treffen werden – dass wir dann staunen werden, wer für uns alles etwas aufgeopfert hat, wer für uns ein Leid durchgetragen hat – und wie es dann Gott für uns hat fruchtbar werden lassen.

Weisheit und das Gebet

Wir gehören alle zusammen als Kirche, wir sind alle Schwestern und Brüder und Sie als Seniorinnen und Senioren sind ein unersetzlich wichtiger Teil dieser Kirche. Ich möchte am Schluss demütig bitten. Beten Sie für unsere Kirche von Passau und wenn Sie etwas zu tragen haben, bieten Sie dem Herrn an, dass er Ihr Kreuz fruchtbar werden lasse für unsere Kirche, für unsere Priester, für alle Gläubigen.

Für die Jugend, für die Familien und andere Anliegen mehr und natürlich auch für einzelne Menschen, die Ihnen nahe sind. Sie tragen so in nicht messbarer Weise zum Wachstum der Kirche bei und helfen ihr, fruchtbar zu sein.

Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute hier sind. Ich danke allen, die ein treues Zeugnis ihres Glaubens geben, ich danke Ihnen allen ganz besonders für Ihr Gebet. Wie schön, dass Sie da sind und das Leben unserer Kirche von Passau so sehr bereichern. Amen.