Bild: Pressestelle Bistum Passau

Psalm 16 als Antwort auf die Freude des Herrn

Warum der Psalm kein Zwischengesang ist. Oder warum kein Christ ein Griesgram sein dürfte. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Psalm 16 am Tag der Ordensjubilare 2014.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
wir haben nach der ersten Lesung heute und vor dem Evangelium den Psalm 16 miteinander gesungen. An dieser Stelle im Gottesdienst nach der Lesung ist in der Regel ein Psalm die Antwort des Gottesvolkes auf das Wort Gottes, das es eben gehört hat.

Und das Schöne ist: Die Kirche antwortet hier nicht mit eigenen Worten, sondern sie macht sich das Gebetbuch des Volkes Israel zu eigen, die Psalmen, die zugleich ebenfalls in die Schrift Eingang gefunden haben, die also selbst auch Gotteswort geworden sind: Gotteswort im Menschenwort. Die Kirche, die Gemeinde Gottes, antwortet also auf das in der Lesung gehörte Wort mit einem Lied aus diesem großartigen Buch.

Der Psalm – nur ein Lied?

Und ich muss gestehen: Allzu oft übergehe ich den Inhalt ein wenig achtlos. Ein Lied eben, denkt man leicht, vor dem Evangelium halt. Manche nennen es auch Zwischengesang, als müsste man nur eine Pause, einen Zwischenraum bis zum Evangelium mit einem netten Lied füllen. Aber an alle liturgisch Interessierten: Bitte sagen Sie nicht mehr Zwischengesang, weil es eben tatsächlich Antwort ist. Und heute, an diesem wundervollen Jubiläumstag, ist ein unglaublich schöner Text Antwort auf das in der Lesung gehörte Wort Gottes.

Zunächst worauf haben wir da geantwortet, auf welches Wort der Schrift? Es stammt vom Paulus und ist das Ende seines Briefes an die Galater. Paulus spricht davon, dass er sich allein des Kreuzes Christi rühmen möchte. Das ist sein Leben und seine Lebensgrundlage. Er ist tief davon bewegt, dass Christus durch sein Kreuz und seine Auferstehung in ihm lebt, in der Kraft seines Geistes.

Im Geheimnis der Gegenwart des Herrn

So sehr weiß sich Paulus in dieses Geheimnis der Gegenwart des Herrn hineingenommen, dass er weiß: Genau darauf kommt es letztlich an! Es kommt darauf an, so sehr vom Herrn in Besitz genommen zu werden, dass man buchstäblich, neu geworden ist, neue Schöpfung ist, oder auch neu geboren ist, wie die Schrift anderswo sagt.

Liebe Schwestern und Brüder aus den Orden: Wann sagen wir in einem weltlichen Sinn, jemand sei wie neu geboren? Zum Beispiel wenn einer von einer Kur zurück kommt, dann fühlt er sich vielleicht so, oder wenn einer frisch verliebt ist, dann fühlt er sich auch so. Oder wenn einer eine längere, ganz bedrückende Zeit erleben musste und dann davon befreit ist, dann fühlt er sich wie neu geboren, dann hat das Leben plötzlich wieder neue Qualität, neue Richtung, neuen Sinn, neue Tiefe. Wir sprechen also schon im weltlichen Sinn von so etwas ähnlichem, was Paulus da meint.

Psalm 16,11: Du zeigst mir den Weg, der zum Leben führt. Du beschenkst mich mit Freude, denn du bist bei mir; aus deiner Hand empfange ich unendliches Glück.

Eine neue Schöpfung

Aber seine Erfahrung reicht noch viel tiefer: Wer in Christus ist, ist eine neue Schöpfung, neu geboren. Darauf kommt es an. In Ihm sein, sich von Seinem Geist durchdringen lassen, in Seiner Gegenwart leben, sich von Ihm führen lassen – und so neu das Leben, die Liebe, das Vertrauen lernen. Der Glaube, den Paulus meint, geht an die Wurzel der Existenz. Er ist nicht nur im Kopf, er ist vielmehr noch im Herzen und von dort ist er gewissermaßen in den Beinen und den Füßen, weil er so sehr trägt.

Und nun, meine lieben Schwestern und Brüder, liebe Ordensschwestern und Ordensbrüder, nun hören wir noch einmal hinein in das Lied der Kirche, den Psalm 16, den sie auf diese Botschaft des Paulus als Antwort singt. Nur drei, vier kurze Sätze genügen: „Du bist mein Herr, mein ganzes Glück bist du allein“. Oder: „Er steht mir zur Rechten, ich wanke nicht“. Und: „Vor Deinem Angesicht herrscht Freude in Fülle, zu deiner Rechten Wonne für alle Zeit“ oder: „Es freut sich mein Herz und frohlockt meine Seele.“

Psalm singen, statt Griesgram sein

Liebe Schwestern und Brüder: Wer sich von Christus hat in Besitz nehmen und verwandeln lassen, wer von Ihm ergriffen ist, wie Paulus, der kann von da an unmöglich ein Griesgram sein. Warum nicht? Na, „vor deinem Angesicht herrscht Freude in Fülle, Wonne für alle Zeit.“ Freude kann man nicht machen, Freude ist da als Lebensgrundlage. Sie wird geschenkt. Und Wonne! Wie beschreiben wir eigentlich Wonne?

Ich würde vorschlagen, Wonne ist womöglich nochmal eine Steigerung von Freude, weil es irgendwie ausdrückt, dass mein ganzes Gemüt, meine Leiblichkeit, meine Sinnlichkeit da mit hineingenommen ist: Wonne für alle Zeit! Freude, Wonne, als tragende Grundhaltung, liebe Schwestern und Brüder, und Glück ist für die Menschen verheißen, denen es in ihrem Leben geschenkt worden ist, sich selbst ganz Gott zu schenken.

„Ich habe es nie bereut“

Ich bin im Vergleich mit Ihnen ein Jungspund, was das Ordensleben angeht. Nicht einmal 20 Jahre sind es bei mir, was ist das schon angesichts von 65 Jahren, 60 Jahren, 50 und 40 Jahren seit der ersten Profess? Aber ich darf sagen, liebe Schwestern und Brüder, ich habe es nie bereut! Ich durfte und darf die Erfahrung machen: Sich auf Gott ganz einzulassen, beschenkt wirklich mit Freude, ja, und auch immer wieder mit Wonne, und besonders auch mit Glück und mit Sinn.

Und das heißt gar nicht, das wissen Sie alle, dass dieses Leben nicht auch schwer ist und schwer sein kann. Es ist auch ein Kreuz, es ist auch eine große Herausforderung, ein fortwährender, täglicher Kampf. Aber ist es nicht eine ungeheurere Zusage des Evangeliums von heute, wenn der Herr sagt: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten tragt, ich will euch Ruhe verschaffen“!?

Lasst euch erquicken

Statt Ruhe verschaffen haben manche Übersetzungen hier auch: „erquicken!“ Der Herr sagt: „Kommt, ich will euch erquicken!“ – trotz aller Last des Lebens. Erquicken, was für ein schönes Wort, das klingt auch schon wieder so nach Wonne, so nach prallem Leben. Liebe Schwestern und Brüder, wir Ordensleute dürften und könnten also im Grunde sowas wie die christlichen Wonneproppen sein: Kinder Gottes, die wirklich aus der Freude ihres Herrn leben.

Ich weiß natürlich, Schwestern und Brüder, dass jeder und jede von Ihnen das lange Ordensleben nicht immer so erfahren hat. Ich weiß aus der Erfahrung der eigenen Ordensgemeinschaft, dass es auch Frustrationen gibt, Verletzungen, Müdigkeit, Depression. Es gibt auch Verbürgerlichung, Individualismus, allmähliches Lau-werden und anderes mehr. Und mancherorts sieht es deshalb, wir sind ehrlich, gar nicht so sehr nach Wonne aus.

Ein großes Zeugnis der Treue

Aber, meine lieben Jubilarinnen und Jubilare, Sie sind alle noch da! Sie haben bis jetzt ein großes Zeugnis der Treue zu diesem Leben mit Christus gegeben und Sie geben es immer noch. Und es ist tatsächlich so: Je tiefer wir uns wirklich von Christus in die Erfahrung führen lassen, die Paulus als das Leben aus dem Herrn beschreibt, desto freier und getragener werden wir.

Und es ist immer wieder neu möglich – auch im Alter – wirklich zum Herrn zu gehen, in ein ehrliches tiefes Gebet zu gehen, in den ehrlichen inneren Austausch mit Ihm. Es ist immer neu möglich, seinen Dienst so zu tun, dass er wirklich auf Ihn ausgerichtet ist und deshalb nicht zuerst vom Applaus der Menschen abhängt. Es ist auch heute noch möglich, innerlich frei zu werden durch Ihn und auf Ihn hin.

Ein privilegiertes Leben?

Liebe Schwestern und Brüder, ich hab das immer so empfunden, dass ich als Ordensmann im Grunde ein sehr privilegiertes Leben führen durfte. Wir dürfen ganz auf einen Gott schauen, der uns liebt und unser Leben trägt. Wir dürfen für Ihn arbeiten und müssen es nicht zuerst für Geld tun oder gar für Profit.

Und wir dürfen immer neu lernen, den Menschen um ihrer selbst willen zu dienen und nicht, weil wir sie an uns binden wollen. Wir sind frei, weil wir in Christus gebunden sind. Wir sind Menschen, die wissen, wen sie anbeten sollen, in einer Welt, in der es so viel verkehrte und trügerische Anbetung und Anbiederung an Götzen aller Art gibt.

Neu üben, jeden Tag

Liebe Schwestern und Brüder im Ordensstand: Wenn wir jeden Tag immer neu einüben, dass wir ganz Ihm gehören, dass wir wirklich ein freies, frei gebendes Loslassen lernen, dann wächst in unserer Seele das Jungsein – egal wie alt wir sind. Dann wächst eine Demut, die weiß, dass sie alles von Ihm zu erwarten hat, dann wächst eine geistliche Kindschaft, die weiß, dass sie von Seinen Vaterarmen ruhig getragen ist, egal wie bewegend die Stürme außen herum toben. Dann wächst je neu die „Freude in Fülle, die Wonne für alle Zeit.“

Diese Erfahrung, liebe Schwestern und Brüder, wünsche ich Ihnen immer wieder neu. Sie alle, wie Sie hier sind, sind ein lebendiges Zeugnis dafür, dass Ordensleben auch im 21. Jahrhundert möglich ist und schön ist, Sie sind ein Zeugnis dafür, dass gelebte Treue zu Christus und zu den Brüdern und Schwestern ein Leben erfüllen kann. Ich danke Ihnen für dieses Vorbild von ganzem Herzen und wünsche Ihnen auch für alles, was Ihnen bevorsteht – selbst wenn es schwer wird – dass es trotzdem von dieser Grunderfahrung getragen ist, die das heißt: „Vor Dir, Herr, und bei Dir und in Dir ist Freude in Fülle und Wonne für alle Zeit.“ Amen.


Welchen Psalm Sie auswendig kennen sollten, erfahren Sie in dieser Osterbotschaft von Bischof Stefan Oster.