Bild: Pressestelle Bistum Passau

Weißer Sonntag – Barmherzigkeitssonntag

Weißer Sonntag und Barmherzigkeitssonntag: Gott wirkt heilend. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Fest Weißer Sonntag 2016 im Passauer Stephansdom.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
alle drei Texte, die wir gehört haben, sind sehr reich. Sie sprechen von drei großen Gestalten unseres Glaubens, von drei Aposteln, Petrus, Johannes und Thomas; von Männern also, auf deren Glauben und Leben die Kirche aufruht. Wir nennen die Kirche ja auch die apostolische Kirche.

Ich möchte bei jedem der Männer einen spezifischen Akzent hervorheben, der etwas über die Kirche sagt. Petrus wird uns in der ersten Lesung geschildert als der, der heilt. So sehr sind die Menschen von seiner Verkündigung und seinem Handeln beeindruckt, dass man Kranke auf die Straße legte, wenn Petrus vorbeikam – damit sie wenigstens von seinem Schatten berührt wurden. Viele kommen zu ihm und werden geheilt, Kranke und von unreinen Geistern geplagte, wie es heißt.

Weißer Sonntag: Gott will heilen

Liebe Schwestern und Brüder, ich glaube zutiefst, dass Gott insbesondere durch Christus wundersam heilend gewirkt hat, und ich glaube auch, dass dieses Charisma der Heilung sich durch die Kirchengeschichte hindurchzieht und immer wieder aufstrahlt bei den großen Gestalten unseres Glaubens. Gott schenkt dieses Charisma immer wieder, denn Gott will heilen. Und er will vor allem und zuerst unsere Seele heilen, von der Sünde, von der Entfernung von Gott, von der Egozentrik.

Er will uns ein neues Herz geben, indem er es heilt und öffnet, und manchmal schenkt er auch Heilung im Außen, im Leib, damit wir verstehen, um was es eigentlich im Inneren geht. Eines der Lieblingsbilder unseres Papstes Franziskus für die Kirche ist das „Feldlazarett“. Die Kirche draußen bei denen, die verwundet sind, in ihrer Existenz, in ihren Beziehungen, in ihren leiblichen und geistigen Nöten. Und Petrus ist in der heutigen Lesung so ein Mann, der die Kirche draußen verkörpert. Apostolisch, hinausdrängend, Jesus als den Heilenden, den Heiland verkündigend und nicht nur redend, sondern eben mit seiner ganzen Existenz. Petrus wirkt selbst heilend.

Der Jünger, den Jesus liebte

Die zweite Gestalt taucht in der heutigen zweiten Lesung auf. Es ist Johannes, der Jünger, den Jesus liebte, wie es immer wieder im vierten Evangelium heißt. Johannes lag beim Abendmahl an der Brust Jesu, so heißt es im Text. Die Kirchenväter deuten es so: Dieser Jünger hat das Herz Jesu am besten verstanden, er hat am besten erkannt, was im Inneren Jesu los war.

Er ist deshalb auch der erste unter den Aposteln, der zum leeren Grab läuft, zusammen mit Petrus, aber er ist schneller als dieser, er kommt als erster an, gezogen von der Liebe. Und er ist der erste von ihnen, der die Auferstehung glaubt.

Die Vision des Johannes

Er war auch der einzige von ihnen, der Jesus unter dem Kreuz nicht verlassen hat, er ist mit Maria stehen geblieben, er hat gesehen und bezeugt, wie Jesus mit der Lanze das Herz geöffnet wurde. Er, der Jünger nach dem Herzen Jesu. Und dieser Jünger ist nun als alter Mann in der Verbannung auf der Insel Patmos, dort hat er eine Vision.

Er wird in den Tempel versetzt und sieht plötzlich den majestätischen Jesus, den göttlichen Jesus in seiner Herrlichkeit und Glorie, eine priesterliche Gestalt mit Augen wie Feuer und einer Stimme wie Rauschen von Wassermassen. Diesen sieht er, er, der Lieblingsjünger. Und, meine Lieben, eigentlich könnten wir uns nun denken, der alte Johannes fällt dem geliebten Jesus voller Freude um den Hals, einfach weil sie wieder so nah beisammen sind. Aber die Reaktion des Johannes ist eine andere, er sagt: „Als ich ihn sah, fiel ich wie tot vor seinen Füßen nieder.“

Innere Haltung der Anbetung

Liebe Schwestern und Brüder, Jesus ist nicht nur der Liebe, der Zärtliche, der Sich-sorgende, der unendlich Barmherzige. Jesus ist auch der Herrliche, der Majestätische, der Ehrfurcht gebietende, Jesus ist Gott. Wahrer Mensch und wahrer Gott. Und Johannes verkörpert hier als Apostel diese Liebesseite, die betende Seite, die Seite der Kirche, die im Tempel Gott liebt, erkennt, anbetet. Die vor Ihm kniet, sich vor Ihm niederwirft und sich alles von Gott erwartet.

Ich bin sicher, liebe Schwestern und Brüder, wenn wir hinausgehen wollen in die Welt, als Apostel wie Petrus, predigend, heilend, zu den Menschen, dann hat unsere Verkündigung, unser heilendes Wirken keine Kraft, wenn sie nicht aus dem Tempel kommt, aus der Verneigung, aus der Ehrfurcht, aus der Anbetung. Aus der inneren Haltung, die am Herzen Jesu ruht, wie der Apostel Johannes.

Weißer Sonntag Gottesdienst

Unser Herz will erfüllt sein von Gottes Gegenwart, seiner Majestät, seiner Liebe, seiner Barmherzigkeit, damit die Menschen draußen auch tatsächlich spüren, von wem wir reden, in wessen Namen wir handeln. Und daher ist der Dienst hier im Tempel, der Gottesdienst, unsere Anbetung, unser liebendes Dasein vor Ihm so wichtig, so wesentlich. Ohne das dörrt die Kirche aus zum leeren Sozialkonzern, zur gottfernen Sozialarbeit, zum professionellen Dienst, der aber nicht mehr weiß, in wessen Namen und in wessen Geist er handelt.

Es gibt keinen Gegensatz zwischen dem apostolischen und dem betenden Dienst der Kirche, sondern ein tiefes Ineinander: Wenn der Dienst nicht aus dem Gebet kommt, ist er nur ethisch richtiges Handeln, aber ohne Gottes Geist – und wenn umgekehrt das Gebet nicht befähigt, weit hinaus zu gehen zu den Menschen, ist es nicht mehr als spiritueller Egoismus.

Der Apostel Thomas

Schließlich die dritte Gestalt aus dem Evangelium, der Apostel Thomas, der den Auferstandenen unbedingt sehen, berühren, anfassen will. Vielleicht eine Figur wie ein etwas dickschädeliger Niederbayer: „Wos i net selber sehg, des glaub i ned.“ Und vielleicht lässt sich an diesem zweifelnden, fragenden Thomas zumindest ein Aspekt so deuten: Die Kirche hat nie aufgehört immer neu über das Geheimnis Gottes nachzudenken, zu fragen, penetrant zu fragen.

Sie hat nie aufgehört wirklich verstehen zu wollen, wirklich Jesus begreifen zu wollen. Sie ist nicht einfach nur dumm ergeben, oder nur naiv fromm im schlechten Sinn, sondern der Glaube sucht Begründung, sucht Tiefe, sucht Einsicht, sucht Berührung. Die Kirche hört nicht auf Theologie zu treiben, sie hat Verlangen danach, Gott auch in der heutigen Welt zu erklären, begreifbar zu machen – auch im Gespräch mit der Kultur, der Gesellschaft, der Wissenschaft.

Die Verkündiger wollen sich selbst und den Menschen Jesus nahebringen, sie wollen ihn berühren und den Menschen helfen, sich von Jesus berühren zu lassen. Und Jesus kommt uns entgegen. Er lässt sich finden, lässt sich berühren von Herz zu Herz. Und er lässt uns auch tiefer verstehen, was er den Aposteln als Auftrag im heutigen Evangelium geschenkt hat: „Empfangt den Heiligen Geist, wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben.“

Weißer Sonntag: Einladung zur Umkehr

Die Kirche kann Sünden vergeben in Jesu Namen, das heißt: Sie kann immer und immer wieder die innere Nähe zu Jesus wieder herstellen helfen. Und die Apostel und ihre Helfer sind beauftragt das zu tun. Sünde ist ja einerseits Tat, konkretes schlechtes oder böses Handeln. Aber im Inneren ist Sünde Haltung, ist Sünde Entfernung von Gott, ist Sünde Ich-Bezogenheit, die nur und zuerst sich sieht. Wer so unterwegs ist, ist nicht in der Nähe Jesu.

Aber wer umkehren will, wer berührt werden will, den lädt die Kirche ein und sagt komm: „Hier ist die Quelle der Barmherzigkeit, hier ist die Quelle, die Dein Herz verwandeln kann, die Vergebung schenken kann, die alles erneuern kann. Hier ist der Ort, wo Du Dich mit Jesus versöhnen und Dein Herz heilen lassen kannst.“

Sündenvergebende Wirkung

Die Eucharistie, die wir feiern, liebe Schwestern und Brüder, hat schon sündenvergebende Wirkung und verbindet mit dem Herrn, sie ist die barmherzige Tat Jesu schlechthin. Aber wenn es gravierender ist, wenn unsere Entfernung von Gott ausdrücklicher ist, wenn die innere Haltung verhärteter ist, dann schenkt die Beichte immer neu die Möglichkeit, sich vom Herrn berühren und erneuern zu lassen.

Die Kirche als Gemeinschaft ist der Wohnort Gottes: Hier gehören wir hinein, weil wir ihm hier begegnen. Hier gehören wir hin, weil wir mit Johannes und anderen großen Männern und Frauen lernen, zu beten, auf Ihn zu hören. Hier suchen wir ihn mit dem Apostel Thomas und fragen und bitten: Herr, zeig Dich uns. Und von hier gehen wir hinaus zu den Menschen, um allen, seine Vergebung und seine Barmherzigkeit anzubieten, die wir selbst empfangen haben. Amen.