Foto: Konrad Lackerbeck

Vom Geheimnis der Kirche zur Heimat in der Kirche

Im Wort Geheimnis verbirgt sich das „Heim“: Wie können wir selbst Kirche werden? Die Predigt von Bischof Stefan Oster zur Wiedereröffnung der Bruder Konrad Kirche in Böhmzwiesel 2014.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
die Texte, die wir aus der Heiligen Schrift gehört haben, sind Texte, die an Tagen ausgewählt werden, an denen das Geheimnis der Kirche im Mittelpunkt steht. An Kirchweih etwa oder an den Festtagen für die großen römischen Basiliken, die ja so etwas wie die Mutterkirchen der Welt sind.

Und auch für uns heute und hier in Böhmzwiesel sind sie geeignet, weil sich hier vor Ort die große Weltkirche auch im Konkreten, im Kleinen ereignet. Auch hier in Böhmzwiesel, wo wir heute die erste Bruder Konrad Kirche der Diözese Passau nach umfangreichen Renovierungsarbeiten wieder einweihen dürfen, auch hier ist das Geheimnis der Kirche gegenwärtig.

Das Wort Geheimnis

Ich liebe dieses Wort vom Geheimnis, aber wir müssen es recht verstehen. Landläufig ist ein Geheimnis oft ein Rätsel, hinter das ich nicht komme. Etwas, das unzugänglich ist. Aber das ist nicht gemeint. In unserem Sinn ist mit Geheimnis eine Wirklichkeit gemeint, die irgendwie größer ist als wir selbst. Eine Wirklichkeit, in die wir eintreten können, die vielleicht manchmal unvertraut ist, weil sie eben über das Alltägliche hinausreicht, aber dennoch ist es eine Wirklichkeit, die uns nicht ratlos zurücklässt.

Sondern eher eine, die anzieht, die uns einlädt, sich ihr zu nähern und sie nach und nach für uns zu erschließen, aufzuschließen. Wenn wir zum Beispiel auch sagen, dass ein jeder Mensch ein Geheimnis ist, dann bedeutet das auch nicht, dass er unverständlich und rätselhaft ist und bleibt. Es bedeutet, dass ein Mensch immer größer ist als das, was man von ihm gerade sieht oder äußerlich spürt. Ein Mensch, jeder Mensch hat auch ein geheimnisvolles Innenleben, in das man eintreten kann, wenn er sich öffnet, das man sich allmählich erschließen kann – ohne es je vollständig in den Griff zu bekommen. Das liegt daran, dass jeder Mensch auch über sich hinausweist auf einen Größeren, von dem er stammt.

Im Geheimnis verbirgt sich „Heim“

Die Kirche ist also in diesem Sinn ein Geheimnis. Und ich mag das Wort gerade auf Deutsch auch deshalb, weil hier das „Heim“ mitten drin steckt. Kann es sein, dass sich das Innerste im Geheimnis der Kirche als unser Heim erweist, ja als unser eigentliches Daheim. Aber was ist dann die Kirche, wenn sie tatsächlich so etwas wie eine geheimnisvolle Heimat sein kann und soll?

Sicher kennen Sie alle gläubige Menschen, meist sind es Ältere, die es immer wieder hierher zieht, in dieses oder ein anderes Gotteshaus. Menschen, die die Ahnung haben, dass sich die Welt hier nach unten und oben öffnet. Sie wird tief und weit und lässt den Atem Gottes hier hinein reichen. Solche Menschen gehen hierher, weil hier mehr ist als nur diese Welt. Sie gehen hierher in einen Raum und spüren, dass das Verweilen bei dem, der hier wohnt, zum Beispiel heilsam sein kann, beruhigend. Es kann in den tieferen Frieden führen, aber auch in die Freude oder den Trost.

Vision vom neuen Jerusalem

In der ersten Lesung aus dem Buch Ezechiel hat der Prophet einen Vision vom neuen Jerusalem gegeben, vielleicht vom himmlischen Jerusalem, in dem ein Tempel steht, aus dem das Wasser fließt, ein heilendes Wasser, ein fruchtbringendes, lebenspendendes Wasser, es ist ein Strom, der anschwillt und die Welt heil macht. In der Schrift ist das Wasser sehr oft auch ein Bild für den Heiligen Geist.

Auch Jesus benutzt dieses Bild in diesem Sinn. Und so können wir auch sagen: Wenn eine Kirche in der Mitte eines Dorfes, einer Stadt ist, und die Menschen, die hierher kommen, lassen sich vom Geheimnis dessen berühren, der dort wohnt, dann fließen Ströme lebendigen Wassers von hier aus für die Gesellschaft, dann geht von hier ein guter Geist aus, der das Ganze gesund hält und zusammen hält.

Die Kirche als Geheimnis ist größer

Liebe Schwestern und Brüder, wir dürfen das als ein tiefes Bild auch für uns hier in Böhmzwiesel deuten. Sie haben hier eine Kirche. Und sie ist einem Mann geweiht, der der Patron unseres Bistums ist. Wir haben hier auch eine Reliquie von ihm hereingebracht. Bruder Konrad war durch und durch ein Mann der Kirche. Aber nicht zuerst der Kirche, die uns als erstes in den Sinn kommt, wenn wir Kirche denken: Papst, Bischöfe, Pfarrer, Strukturen, Amt, Organisation, Diskussion um Zölibat und Sexualmoral, Geldverwendung und vieles mehr.

All das gehört auch dazu, aber ich rede von der Kirche als Geheimnis, die größer ist als alles, was ich aufgezählt habe: Bruder Konrad hat gewissermaßen so in der Kirche gelebt, dass sie ihm von innen her eigentliche Heimat geworden ist, Ort der Anwesenheit des geheimnisvollen, liebenden Gottes. Er hat Maria verehrt als lebendige Kirche, als Wohnort Gottes. Bei ihr wollte er sein, in der lebendigen Kirche gewissermaßen. Und deshalb ist er im gewissen Sinn auch selbst Kirche geworden.

Tiefe und Weite spüren

Ein Mensch, ein einfacher demütiger Mensch, aber zugleich ein Mensch, bei dem die anderen eine ungeahnte Tiefe und Weite spüren durften. Ist es nicht so, dass man das Bild vom Tempel aus der Ezechiel-Vision auch auf Bruder Konrad anwenden könnte? Ist es nicht so, dass die Begegnung mit ihm heilsam sein konnte, dass aus ihm selbst Ströme der Güte und Liebe flossen, die bei anderen oftmals wieder den Lebensmut geweckt oder Trost gespendet haben?

Liebe Schwestern und Brüder, wenn Bruder Konrad Kirche geworden ist, dann ist es genau diese Mahnung, mit der uns Paulus an unser eigenes gläubiges Leben erinnert: In der zweiten Lesung haben wir gehört: Wisst Ihr nicht, dass Ihr selbst Tempel Gottes seid? Also Kirche. Wisst Ihr nicht, dass der Herr selbst bei Euch eingezogen ist und dass es auch Eure Verantwortung ist, die innere Wohnung so zu öffnen, dass er sich darin gewissermaßen entfalten und ausbreiten kann, so dass jeder immer mehr spürbar Kirche wird?

Der Zusammenhang von innen und außen

Im Evangelium schließlich haben wir ebenfalls so einen Zusammenhang von innen und außen gehört. Wir sehen hier wie selten sonstwo im Evangelium einen richtig zornigen Jesus. Er hat Eifer für das Haus Gottes, er treibt die Händler raus, samt ihrem Geld und ihren Waren und Tieren. „Macht das Haus Gottes nicht zu einer Markthalle!“ ruft er. An einer anderen Stelle, in der dieselbe Szene geschildert hat, sagt Jesus sogar noch schärfer: „Mach daraus keine Räuberhöhle!“

Warum ist das wichtig, warum ist ihm das so ernst, warum wird Jesus hier nahezu gewalttätig, wenn er Tische und Stühle umwirft und mit einem Strick die Händler vertreibt? Die Schrift antwortet mit einem Wort aus den Psalmen: „Der Eifer für Dein Haus verzehrt mich“. Ja, Jesus verzehrt sich dafür, dass dort in der Welt, wo Gott wohnen soll, keine anderen Dinge den Vorrang vor Ihm haben dürfen. Es darf nicht zuerst um Geld gehen, auch nicht zuerst um Macht, es soll zuerst darum gehen, dass Gott ankommen kann, dass er angebetet und verehrt und geliebt wird.

Leben ins Lot

Nicht, weil er es bräuchte, sondern weil erst dadurch unser eigenes Leben ins rechte Lot kommt – für uns und die anderen. Und auch wenn unser eigener innerer Tempel von Dingen beherrscht wird, die nicht Gott sind, wenn unser eigener innerer Tempel zum Beispiel von Gier nach Geld oder Macht, von Ehrgeiz, Neid, Verbitterung oder anderem beherrscht oder besetzt wird, dann strömt daraus nicht Geist, nicht Liebe, dann strömt daraus nicht lebendig machendes Wasser! Jesus verzehrt sich dafür wahrhaftig, er verzehrt sich auch für meine und Ihre Seele.

So sehr, dass er für uns gestorben ist. Er hat uns seinen Leib hinterlassen und sein Blut in dem Gedächtnis, das wir jetzt gleich feiern. Wir feiern es hier zum ersten Mal nach der Wiedereröffnung hier auf seinem Altar. Liebe Böhmzwiesler und alle, die Sie immer wieder hierher kommen, um bei Gott zu wohnen und Gott in sich wohnen zu lassen: Halten Sie Ihre Kirche in Ehren.

Es ist eine sehr schöne Kirche mit einem großartigen Patron. Bitten Sie Ihren Patron immer wieder, dass auch er Ihnen helfen möge, im tiefen Sinn des Wortes immer mehr Kirche zu werden, also Wohnort Gottes in der Welt. Dieses schöne Gotteshaus steht dafür, Sie alle kommen immer wieder hierher. Es geschieht Wandlung auf dem Altar, aber diese Wandlung geschieht, dass unser Inneres sich wandelt zur Wohnung Gottes, bei Dir und mir jweils einzeln– aber besonders auch als Gemeinschaft. „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind“, sagt der Herr, „da bin ich mitten unter Ihnen“. Und so soll es sein. Amen.


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