Bild: Pressestelle Bistum Passau

Die Schriftgelehrten und der äußere Schein

Die Schriftgelehrten und der äußere Schein: Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Abschluss der Renovierungsarbeiten der neubarocken Kirche in Mitterskirchen 2015.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
nachdem ich nun doch in meinem Leben eine ziemlich lange Zeit Theologie studieren konnte, neige ich dazu, mich angesprochen zu fühlen, wenn es in der Bibel um die Schriftgelehrten geht. Das waren die Theologen der damaligen Zeit. Und heute lehrt Jesus die Menschen, sie mögen sich in Acht nehmen vor den Schriftgelehrten.

Nehmt euch in Acht vor den Schriftgelehrten

„Sie gehen gern in langen Gewändern umher, sagt Jesus, sie lieben es, wenn man sie auf den Straßen und Plätzen grüßt und sie wollen in der Synagoge die vordersten Sitze und bei jedem Festmahl die Ehrenplätze haben.“

So, und nun schauen Sie, in welchem Gewand ich hier angekommen bin, von wem ich alles so herzlich begrüßt worden bin und welchen Sitz ich in der Kirche und nachher bei der Feier im Wirtshaus habe! „Sie lieben so etwas“, sagt Jesus von den Schriftgelehrten.

Unterscheidung der Geister

Und ich frage mich nun: Liebe ich das alles auch? Mein Gewand, die Begrüßung durch Euch alle, die vorderen Sitzplätze? Nun, komisch wäre es, wenn ich es hassen würde, wenn ich es zurückweisen würde. Dann wärt Ihr brüskiert hier in Mitterskirchen. Denn es gibt ja etwas Ehrliches in diesen Umgangsformen und Ritualen, mit denen ein Bischof begrüßt wird.

Meine Gewissenserforschung muss also immer wieder diese Frage beinhalten: Gefällt Dir das alles? Dieser große äußere Aufwand, den die Menschen betreiben, wenn Du zu einer Feier kommst? Und wenn es Dir gefällt, warum gefällt es Dir? Das ist wohl die entscheidende Frage, liebe Schwestern und Brüder, warum gefällt mir das eigentlich?

Wenn ich so frage, spüre ich sehr, dass es hier um eine Unterscheidung geht: Gefällt es mir, weil ich selbst im Mittelpunkt stehe? Und weil ich mir am Ende vielleicht etwas drauf einbilden mag, dass mich alle Menschen hier begrüßen und mich bevorzugt behandeln? Ist es das, was mir gefällt? Wenn ich ganz ehrlich bin, dann gibt es tatsächlich eine Seite in mir, die sich von so etwas ansprechen lässt, eine Seite, die mich selbst in den Mittelpunkt stellen will.

Wenn es dem Schriftgelehrten nur um sich selbst geht…

Aber, liebe Schwestern und Brüder, ich spüre natürlich auch, dass das eine riesige Versuchung ist, eine Versuchung, die sich am Ende das Wort Jesu für die Schriftgelehrten sagen lassen muss: „Wenn es Dir vor allem um Dich selbst geht: Umso härter wird das Urteil sein, das Dich am Ende erwartet“. Die Herausforderung ist also die: Der Bischof ist jemand, der an der Stelle der Apostel den Herrn vertritt. Er kommt im Namen Jesu, er vertritt Jesus. Am Bischof soll kraft seines Amtes etwas von der Gegenwart Jesu erfahrbar und sichtbar werden.

Es gibt in der Kirche diese Ämter, auch der Pfarrer und der Diakon haben so eines. Wir glauben, dass wir berufen worden sind, um eben dies zu tun: Jesus kraft Amtes zu vertreten und gegenwärtig zu setzen. Und wir tun diesen Dienst nicht für uns selbst, sondern wir tun ihn, damit wir alle, Bischof eingeschlossen, lernen aus der Gegenwart Jesu zu leben. Damit wir lernen, Menschen zu werden, die vergeben können, die barmherzig sein können, die lieben und vertrauen können.

… wird ihn ein hartes Urteil treffen

Liebe Schwestern und Brüder, wenn ich nicht immer neu versuche, in diese Haltung hineinzufinden, die da sagt: „Jesus, es geht um Dich. Alle Freude, aller Dank gilt Dir. Ich bin nur Dein Knecht, der aus reiner Gnade in deinem Dienst stehen darf“. Wenn das nicht immer neu gelingt, dann wird mich ein hartes Urteil treffen, sagt das Evangelium. Und ich bitte den Herrn immer neu, dass er mir helfen möge, meinen alten Adam zu überwinden und auf Ihn selbst hin durchsichtig zu werden – für Ihn und für Euch.

Von den Schriftgelehrten zur renovierten Kirche

Von hier, liebe Schwestern und Brüder, möchte ich nun vom Evangelium her eine ähnliche Frage an uns alle stellen, die uns den Sinn dieser wunderbar erneuerten Kirche deutlich machen kann. Zunächst: Ich habe gehört und gelesen, dass für die Innen- und Außenrenovierung hier in den letzten beiden Jahren sehr viel investiert worden ist.

Es gab sehr viel Engagement, sehr viel Eigenleistung der Gemeinde, sehr viel Ehrenamt. Insbesondere Euer Kirchenpfleger, Herr Kletztl, hat sich überaus stark engagiert. Dafür sei ihm und allen engagierten Helferinnen und Helfern und allen, die zum Gelingen des heutigen Tages und zum Abschluss der Kirchenrenovierung beigetragen haben, mein herzlicher Dank ausgesprochen. Eine wunderbare Sache, über die ich sehr froh bin.

Warum renovieren wir eine Kirche?

Aber ich möchte mit Jesus und dem heutigen Evangelium noch einmal in die Mitte zielen, um den Kern, um den es geht. Und damit möchte ich die Frage verbinden: Warum und wozu renovieren wir eine Kirche? Natürlich, damit wir einen würdigen Gottesdienstraum haben.

Damit hier die großen und kleineren Feste des Kirchenjahres würdig begangen werden können, aber auch solche Feste, die unser eigenes Leben biographisch intensiv betreffen. Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen, Erstkommunion, Firmung und anderes mehr. Alles das ist würdig und recht und es sind sehr gute Gründe für eine Kirchenrenovierung.

Jesus sieht die Witwe und ihre Tat

Aber die Witwe, die uns Jesus heute im Evangelium vorstellt, ist nun eine richtige Herausforderung für uns. Sie sitzt im Tempel und geht davon aus, dass sie niemand sieht. Und es ist wunderbar, dass Jesus sie sieht und ihre Tat. Sie gibt zwei kleine Münzen, und Er weiß alles, Er kennt ihr Herz. Er weiß, dass das ihr ganzer Lebensunterhalt ist.

Schon in der ersten Lesung aus dem Alten Testament haben wir auch eine Geschichte von einer Witwe gehört, die ihr letztes Mehl und Öl zur Verfügung stellt, damit Elija, der Gottesmann etwas zu essen bekommt. Und genau daraus entsteht dann für die Witwe Fruchtbarkeit und Segen. Der Topf versiegt nicht mehr. Gott sieht diese gläubige Witwe, Jesus sieht die gläubige Witwe im Tempel, die nichts hat außer Gott. Ihm gibt sie alles. Und sie wird vom Herrn gesehen!

Die Witwe im Vergleich zum Schriftgelehrten

Liebe Schwestern und Brüder, die Witwe im Tempel stellt uns alle vor die Frage: Geht es uns vor allem und zuerst um uns? Oder geht es uns um Gott? Geht es darum, dass wir (!) eine schöne Kirche haben, dass wir uns darin wohlfühlen, dass wir darin uns und unsere Anliegen herbringen und feiern dürfen? Wie gesagt, alles keine verwerflichen Motive.

Sie werden erst problematisch, wenn es uns nie um Gott als Gott geht! Geht es uns auch einfach einmal und vielleicht sogar zuerst um Gott? Einfach weil er Gott ist? Ist die Kirche, ist der Tempel für uns auch ein Haus, in dem wir Gott anbeten, in dem wir Ihm Zeit und Ehre schenken und Liebe und Lobpreis, aus dem einfachen Grund weil er Gott ist? Weil wir Ihn kennen und lieben?

Über das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe

Vor einiger Zeit habe ich einen Einkehrtag gehalten, in dem es auch um das Gebot ging, das Jesus das erste und wichtigste von allen genannt hat: „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben mit ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzer Kraft und allen Gedanken“. Das zweite, laut Jesus ebenso wichtige Gebot heißt: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Ich bin nun ehrlich überzeugt, dass wir das zweite Gebot im Grunde erst gut befolgen können, wenn wir im ersten stehen.

Wenn wir Gott kennen und lieben gelernt haben, weil er uns zuerst geliebt hat, dann lernen wir auch nach und nach, den Nächsten wie uns selbst zu lieben. Weil wir von Gottes Liebe getragen sind. Bei diesem Besinnungstag also kam ein nicht mehr ganz junger, kirchlich sehr engagierter Mann zu mir und sagte: „Vor ungefähr vierzig Jahren habe ich von meinem Pfarrer gelernt, dass Gott mich bedingungslos liebt. Das trägt mich bis heute. Und jetzt kommen Sie und sagen, ich soll Gott um seiner selbst willen lieben. Das ist eine ganz neue Perspektive und Herausforderung für mich“.

Gott nicht nur für die eigenen Bedürfnisse benutzen

Ich habe mich dann gefragt: Was ist eigentlich passiert, dass unsere Liebe zu Gott für diesen Mann wie für viele andere so sehr aus dem Blickfeld der Verkündigung gekommen ist? Denn wenn wir Jesu erstes Gebot ernst nehmen, dann kann das doch nicht einfach eine Liebe zu Gott meinen, die Ihn immer nur für die eigenen Bedürfnisse und das eigene Wohlbefinden benutzt! Die Frage ist also noch einmal: Lieben, ehren wir Ihn mit Ehrfurcht, weil wir wirklich ernst nehmen, wer er ist und wie er ist?

Viele von Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, sind Eltern. Und viele kennen die Phase, in denen Jugendliche selbständig werden, aber eben noch daheim wohnen. Und oft entdecken und pflegen Jugendliche in dieser Zeit zuerst einmal sehr stark ihre eigenen Interessen. Die Eltern werden freilich noch gebraucht: Zum Wäsche waschen, zum Essen herrichten, zum Saubermachen. Und dann ist der Jugendliche wieder weg.

Geben wir Gott die Ehre, weil er Gott ist?

Und nicht selten fühlen sich Eltern immer mal wieder einfach nur benutzt. Sie mögen ihre Kinder natürlich trotzdem und sagen: So ist das halt in der Pubertät. Aber dennoch würden sie es viel schöner finden, wenn sie auch wieder eine echte Beziehung mit den Jugendlichen leben könnten. Oder wenn die Jugendlichen zu ihnen einfach mal nur deshalb gut sind, weil sie die Eltern gern haben.

Die Eltern würden sich freuen, wenn die Kinder nicht nur die Dienstleistung entgegen nehmen, sondern ihnen einfach auch Zeit und Aufmerksamkeit schenken würden. Liebe Schwestern und Brüder, wir oft sind wir nur pubertäre Jugendliche in unserer Beziehung zum Herrn? Jugendliche, die ihn vor allem benutzen! Und wie selten geben wir ihm die Ehre, einfach weil er Gott ist, weil er unfassbar groß und wunderbar ist?

Der Unterschied zu den Schriftgelehrten

Gotteshäuser wie dieses hier, das Ihrem großen Patron Johannes dem Täufer geweiht ist, solche Häuser sind gebaut, damit wir in ihnen Gott die Ehre geben, weil wir Ihn kennen und lieben; auch weil wir vor Ihn hintreten können mit allem, was wir haben und entbehren. Aber, liebe Schwestern und Brüder, wir glauben ja, dass er wirklich so ist, wie es in der Bibel steht.

Wir glauben, dass er der unfassbare, unendliche, majestätische, heilige Gott ist, der zugleich in Jesus für uns unfassbar klein und demütig geworden ist. Und wenn das stimmt und wenn wir unseren Gott in Jesus wirklich anschauen können, dann gibt es niemanden, der unsere Liebe und unseren Dank, unser Lob und unsere Ehrfurcht mehr verdienen würde als Er. Einfach, weil Er ist, wer Er ist. Und nicht zuerst, weil Er uns nützt.

Kommen Sie in dieses Gotteshaus

Und so möchte ich Sie einladen: Lassen Sie sich von diesem wunderbaren Gotteshaus, in das so viel Freude und Engagement hineingesteckt wurde, neu inspirieren. Lassen Sie sich inspirieren, Gott die Ehre zu geben.

Sie dürfen selbstverständlich mit allem anderen auch immer wieder zu Ihm kommen: mit Bitten und Dank, mit Klagen und Weinen, mit Not und Verzweiflung, mit Freude und Leid. Aber Er sehnt sich danach, von uns auch einfach nur gepriesen zu werden, schlicht weil wir Ihn ernst nehmen als Gott, und weil wir Ihn immer besser kennen lernen und lieben wollen.

Er sieht uns und kennt uns

Und Sie dürfen gewiss sein: Über Menschen, die Gott in dieser Weise die Ehre geben, über einer Gemeinde, die Gott in dieser Weise ihr Lob singt, darüber liegt der Segen. Er sieht uns und kennt uns, wie die arme Witwe im Tempel, die niemanden hat, außer Ihn. Er will nämlich unter uns wohnen und das heißt: Er will vor allem in unseren Herzen wohnen. Liebe Schwestern und Brüder, noch einmal von Herzen Dank für alle Mühen, die in dieses erneuerte Gotteshaus eingeflossen sind.

Es ist wie neu, äußerlich gereinigt. Es möge dazu beitragen, dass auch wir unsere innere Verfassung in einen Zustand bringen, der dieser Kirche ähnelt: Damit spürbar wird, was uns verheißen ist. „Wenn einer mich liebt, sagt Jesus, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen.“ Dazu segne Sie alle unser großer Gott, dem wir heute von Herzen unser Lob singen. Amen.