Im Interview mit der Mediengruppe Bayern zog Bischof Stefan Oster Bilanz über das vergangene Jahr; dabei sprach der Bischof mit Martin Wanninger und Dr. Stefan Rammer über die Causa Hauzenberg, die Aufarbeitungsstudie, kirchenpolitische Themen und seine Gedanken zu Weihnachten. Das gesamte Interview finden Sie hier.
Herr Bischof, es war für Sie ein ereignisreiches Jahr mit der Causa Hauzenberg, der Missbrauchsstudie und Dissonanzen im Bischofskollegium. Täuscht der Eindruck oder war 2025 bisher das einschneidendste Jahr ihrer Amtszeit?
Bischof Stefan Oster: Tatsächlich war es sehr herausfordernd, aber ich darf auch sagen: Ich konnte innerlich im Frieden bleiben. Was mir besonders deutlich geworden ist: Ich weiß mich wirklich von guten Teams getragen, in denen ich alle wichtigen Entscheidungen gut besprechen konnte.
Gerade die Absetzung des Hauzenberger Pfarrers Alexander Aulinger hat für viel Aufsehen und Konflikte gesorgt. Würden Sie zurückblickend etwas anders machen?
Oster: Das frage ich mich tatsächlich. Vor allem, was die Kommunikation angeht. Über den Rückzug von Alexander Aulinger aus der Pfarrei waren wir mit ihm bereits länger im Gespräch. Wir hatten auch darüber beraten, wie wir die örtlichen Gremien bei dieser Entscheidung mitnehmen können. Aber genau das ist dann aufgrund des von verschiedenen Seiten erzeugten Drucks nicht mehr gelungen und hat vielfach Empörung und Verletzung verursacht, die mir wirklich leid tun. Die grundsätzliche Entscheidung aber war für mich und mein Team klar.
Inwiefern hat Sie die heftige Kritik, die es ja sogar in Form von Protesten gab, persönlich getroffen?
Oster: Natürlich lässt mich das nicht kalt. Mich schmerzt, welche Situation im Pfarrverband Hauzenberg durch die Dynamik der Ereignisse entstanden ist – und wie viele Menschen dadurch verletzt wurden, auf beiden Seiten. Nicht unwesentlich war für mich, dass wesentliche Gremien im Bistum und viele Menschen mir recht schnell Solidarität, Verständnis und Zustimmung zugesichert haben. Und es gab glücklicherweise Diejenigen, die nachgedacht und sich gefragt haben: Der Bischof wird doch nicht ohne Grund so handeln, wenn er wenig vorher den Pfarrer noch zum Dekan ernannt hatte.
Hat bei ihrem Verhalten die Sorge eine Rolle gespielt, dass man Ihnen – vor dem Hintergrund der allgemeinen Missbrauchsdebatte in der Kirche – den Vorwurf machen könnte, zu milde oder zu zögerlich agiert zu haben?
Oster: Meine tatsächliche Not war immer und ist es bis heute, dass ich vieles öffentlich nicht erzählen durfte und darf, da es um die Rechte Dritter ging. Vieles, was wir tun wollten, um für Transparenz zu sorgen, wurde uns rechtlich untersagt. Selbst in einem geschützten Kontext – wie im Gespräch mit den Gremien und Interessensgruppen aus Hauzenberg – konnte ich bestimmte Dinge nicht sagen. Und darf es auch jetzt nicht. Deswegen war auch die Kommunikation so schwer. Die Medien haben daraufhin zwei unterschiedliche Narrative gebracht. Das eine war: Der böse konservative Bischof, der kann den liberalen Pfarrer nicht leiden, der so tolle Jugendarbeit macht, weil er selber tolle Jugendarbeit machen will und jetzt ist er eifersüchtig. Das andere Narrativ: Der böse konservative Bischof, der muss an Vertuschung interessiert sein, weil alle, die so gestrickt sind wie er, an Vertuschung interessiert sind. Und deswegen holt er den Pfarrer viel zu spät raus. Aber beide Deutungen treffen die Sache nicht einmal im Ansatz.
Von der jüngst vorgestellten Missbrauchsstudie haben Sie sich sehr betroffen gezeigt. Wie schmerzlich sind die Ergebnisse für das Bistum?
Oster: Sehr. Wobei die Studie so gemacht ist, dass sie auf der einen Seite tief gräbt, nichts beschönigt, aber gleichzeitig durch die Anonymisierung die Dinge auch in einem gewissen Abstraktionsgrad lässt, so dass explizite Bilder im Kopf nicht so leicht entstehen. Ich habe aber exemplarisch Personalakten gelesen. Da bin ich in Tränen vor den Akten gesessen, manchmal auch mit zorngeschwellten Adern, weil ich mir gedacht habe, um Gottes Willen, wie kann das sein in dieser Kirche?
Was hat sie so erzürnt? Auch das Verhalten einiger Ihrer Vorgänger?
Oster: Die Studie zeigt – und das ist sehr erschütternd – eine sehr generelle und weit verbreitete Haltung gegenüber den Betroffenen – nämlich die Blindheit oder auch Selbstimmunisierung gegenüber deren Leid. Exemplarisch zeigt das etwa das Zitat eines Richters aus den 70er Jahren. Er sagte sinngemäß, der Geistliche habe schwere Schuld auf sich geladen, dann aber schon im nächsten Satz, man müsse jetzt nicht meinen, dass das bei den Buben so gravierende Spuren hinterlasse. Es gab also bei allen Beteiligten gesellschaftlich oder kirchlich die fast totale Blindheit für das Leid der Betroffenen. Ich habe das Privileg, das aus der heutigen Zeit beurteilen zu können. Die Studie ist auch darin stark: Sie benennt Versagen, belässt es aber auch im damaligen Kontext. Für uns Heutige heißt es: Unbedingt daraus lernen! Und die Studie zeigt auch, dass wir in den letzten über 20 Jahren schon viel gelernt haben.
Für Aufsehen hat 2025 auch wieder Ihre skeptische Haltung beim sog. Synodalen Weg gesorgt. Jüngst sind sie einem Treffen des Synodalen Ausschusses ganz ferngeblieben. Wie geht es jetzt weiter?
Oster: Also zunächst einmal halte ich Synodalität, so wie es uns Papst Franziskus aufgegeben und vorgelebt hat, für ein prophetisches Zeichen, auch für die Kirche der Zukunft. Franziskus hat uns bei der Weltsynode gelehrt, wirklich einander zuzuhören und auf den Geist Gottes zu hören. Und eben keine Politik zu machen, bei der es sofort um Mehrheiten geht. Das ist ein tiefer Weg und ein Lernprozess. Dagegen habe ich beim Synodalen Weg in Deutschland viel mehr Politik erlebt und viel mehr Versuche, Positionen machtvoll durchzusetzen, die im Grunde schon vorher feststanden.
Und was ist mit Ihrer Position? Sind Sie kompromissbereit?
Oster: Ich habe immer gesagt, auch mit anderen Mitbrüdern zusammen, wir gehen mit der Weltkirche. Und jetzt gab es jüngst Verhandlungen mit deutschen Bischöfen im Vatikan. Ich war als Vertreter derer eingeladen, die offen kritisch sind. Da ist jetzt ein Gesprächsprozess im Gang, die Römer haben den Satzungsvorschlag für das geplante neue Synodale Gremium nun vorliegen. In Deutschland sind jetzt alle Bischöfe gespannt, wie sich Rom verhalten wird – und wir alle machen unser Weitergehen vom römischen Votum abhängig.
Es ist nicht der einzige Fall, wo sie als „Opposition“ in der Bischofskonferenz auftreten. Es gibt ein Papier, in dem die Anerkennung sexueller Vielfalt in Schulen begrüßt wird. Sie haben sich davon distanziert, warum?
Oster: Alle diese kontroversen Fragen drehen sich meines Erachtens im Kern um die christliche Auffassung der Lehre vom Menschen, um das, was seine Identität ausmacht. Diese christliche Identitätsfrage spielt aber in den Texten des Synodalen Weges und dann besonders auch in diesem Schulpapier fast keine Rolle mehr. Ich habe versucht, das einzubringen – mit sehr geringer Resonanz.
Können Sie das konkreter machen?
Oster: Zunächst: Natürlich ist es wichtig, junge Menschen gut zu begleiten, die nach ihrer sexuellen Identität fragen oder darin auch Verunsicherung erleben. Gerade in einer Zeit wie unserer. Meine Position dabei ist: Als Glaubende leben wir aus der Erfahrung, dass die tiefste Identität eines Menschen seine Gotteskindschaft sein kann. Wir alle beten „Vater Unser“, das heißt, ich bin wirklich von Gott geliebt. Und meine Frage ist: Wenn ich lerne, in dieser Identität vertrauensvoll zu stehen, hat das nicht notwendig Auswirkung auf mein Selbstverhältnis, zu mir, zu meinem Leib, zu meinen Gefühlen? Ich habe das am eigenen Leib tief erfahren – und die Bibel ist voll davon! Mich beschäftigt nun die Frage: Warum kommt diese christliche Position, die so hilfreich sein kann, in diesen wichtigen Fragen der Pädagogik fast nicht mehr vor? Nicht einmal in einem Papier der Bischöfe? Tatsächlich erleben wir: In den Gender-Theorien gibt es auf einmal eine Vielzahl von neu entdeckten Identitäten? Aber das, was wir Wichtiges und Klärendes dazulegen könnten, das scheint keine Rolle mehr zu spielen. Und das ist mein Punkt.
Sie sprachen zuletzt auch öfter über KI und Social-Media. Wo sehen Sie die Verantwortung der Kirche in diesem Bereich?
Oster: Letztlich geht es auch hier wieder um die Frage, wer oder was die menschliche Person ist. Ein einfaches Beispiel: Wir haben gerade 50 Jahre Telefonseelsorge gefeiert. Einer der wertvollsten Dienste, den wir haben. Wir haben da gut ausgebildete Ehrenamtliche, die Tag und Nacht am Telefon gesprächsbereit sind. Mit KI könnten wir die alle überflüssig machen – äußerlich gesehen. Wir könnten zum Beispiel alle Fragen, die jemals gestellt wurden, auch durch die Maschine beantworten lassen. Auch noch individualisiert: Da sitzt jetzt z.B. ein 40-jähriger suizidgefährdeter Alkoholiker, der anruft. Die KI könnte für genau diesen Fall, die besten Antworten bringen, die es auch wissenschaftlich für so einen Fall gibt. Aber: Die künstliche Intelligenz kann nicht authentisch zuhören, von Herz zu Herz; sie kann kein Vertrauen aufbauen, sie kann nicht beten für den anderen. Sie kann in alledem nur so tun als ob! Aber genau damit kann sie alles genuin Menschliche verschwinden lassen. Deshalb glaube ich: Wir als Kirche müssen so etwas wie die Hüter der Kostbarkeit der menschlichen Person und menschlicher Beziehungen sein.
Rom hat die Frage, ob Frauen Diakonin werden können, zuletzt offen gelassen. Braucht es denn aus Ihrer Sicht keine Aufwertung von Frauen in der Kirche?
Oster: Doch, natürlich. Seit ich hier bin, haben wir den Anteil der Frauen in Leitungspositionen massiv vergrößert. Wir hatten zuvor noch nie eine Caritas-Direktorin, noch nie eine Kanzlerin. Wir hatten noch nie eine Leiterin der Abteilung Medien, auch keine Archivdirektorin und weitere Frauen in Leitungspositionen. Die sind jetzt alle da. Denn natürlich ist es wichtig, eine „klerikale Männerwirtschaft“ in diese Richtung aufzubrechen. Das ist doch keine Frage.
Und was ist mit einem Sakralen Amt?
Oster: Hier wird in der Kirche intensiv um das Amt der Diakonin gerungen. Diese Frage halte ich theologisch für offen. Die Entscheidung dazu liegt aber nicht in den Händen des Bischofs von Passau, sondern beim Papst.
Gibt es eine Botschaft, die Ihnen an diesem Weihnachten besonders wichtig ist?
Oster: Immer wieder in der Kirchengeschichte wie auch in der Geschichte Israels gab es Entwicklungen und Ereignisse, die die Menschen massiv haben zweifeln lassen, ob Gott wirklich da ist und mit uns mitgeht, etwa in Seuchen, Kriegen und Katastrophen. Und auch wir erleben seit vielen Jahren einen beispiellosen Abgang der Menschen, dazu die Missbrauchskrise, die die Vertrauenskrise massiv beschleunigt. Wie sehr würden wir uns wünschen, dass Gott endlich mal wuchtig eingreift und drastisch aufräumt in dieser Welt und dieser Kirche. Tatsächlich aber ist die christliche Erfahrung: Gott kommt in der Nacht – aber nicht mächtig, sondern ohnmächtig. Als Kind von Betlehem – und er kommt so, weil er uns von innen her anziehen und berühren und nicht von außen überwältigen will. Wer sich dieses Kind buchstäblich ans Herz gehen lässt, in dem kann die Hoffnung neu werden. Gott kommt und ist immer schon da. Aber sind wir dort, wo er schon ist?
Interview: Martin Wanninger und Dr. Stefan Rammer
