Foto: W. Bayer

Christen von morgen – Predigt zum 60. Geburtstag von Bischof Stefan Oster

Bischof Stefan Oster ist 60 Jahre alt: Die Predigt von Bischof Stefan zum Gottesdienst anlässlich seines Geburtstages am 03. Juni 2025.

Mit einem Pontifikalgottesdienst im Passauer Stephansdom hat Bischof Stefan Oster mit zahlreichen Fest- und Ehrengästen seinen 60. Geburtstag gefeiert. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bistums und der kirchlichen Verbände, etliche Domkapitulare und Geistliche, 60 Ministrantinnen und Ministranten, Politiker aus Stadt und Landkreis Passau und weitere Festgäste waren zu Ehren des Bischofs gekommen und haben ihn am 3. Juni hochleben lassen.

In seiner Predigt wandte er sich mit einer starken Botschaft an die Gläubigen im Bistum Passau und darüber hinaus: Jeder und jede von uns sei als getaufter Christ dazu aufgerufen, Jesus immer mehr kennenzulernen, mit ihm zu gehen und auch andere mit ihm bekannt zu machen: „Wie gehe ich um mit diesem Angebot, seiner Zuwendung, seiner Einladung zur Freundschaft? Ich bin überzeugt, dass wenn wir diese Antwort immer wieder neu suchen, entdecken und uns auch gegenseitig darin unterstützen, dass dann etwas von Erneuerung von Kirche immer wieder gelingt. Gerade in einer Zeit von solch dramatischen Veränderungen im Leben der Kirche und unserer Gesellschaft. Christen von morgen werden Freundschaftsmenschen sein, Menschen, die miteinander eine freundschaftliche Verbundenheit kennen und leben, die von ihrer eigenen Verbundenheit mit Christus kommt.“

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Die Predigt hier zum Nachlesen:

Liebe Schwestern, liebe Brüder in Christus,

mancher von Euch und Ihnen hat ja eine Nachricht bekommen, in der ich mitgeteilt habe, dass mir so ein runder Geburtstag doch nicht so ganz leichtfällt. Dabei geht es um die delikate Frage: Wer soll denn an so einem Tag eigentlich gefeiert werden? Will ich so ein Fest, bei dem es dann zum guten Ton gehört, viele lobende Dinge über das Geburtstagskind zu sagen? Natürlich, wir alle sind einfach Menschen und es ist gut und wichtig, dass wir einander mit Wertschätzung und Anerkennung begegnen. Aber tatsächlich gibt es da eine Art von Urversuchung in uns Menschen – und auch in mir, die dazu neigt, den Wert meines Lebens von äußerer Anerkennung her einzuschätzen. „Weil die Menschen mich mögen, deshalb bin ich was wert und mache es richtig.“ Und als öffentliche Person verstärkt sich diese Versuchung, weil diese versuchbare Seite in mir dann eben auch öffentlich geliebt sein will.

Liebe Schwestern und Brüder, ich kann tatsächlich gar nicht sagen, ob ich diesen Wunsch auch von außen geliebt zu sein, in mir genügend domestiziert habe. Aber was ich aus meinem Glauben weiß: Wenn dieser Wunsch der dominante Antrieb meines Handelns bleibt, dann bin ich aus der Sicht des Evangeliums im Zustand der Verlorenheit. Und genau diese Zweideutigkeit hat mich mit sehr gemischten Gefühlen auf diesen Tag heute zugehen lassen.

Und da kommen mir nun die Schrifttexte von heute, von diesem Dienstag vor Pfingsten wirklich zu Hilfe. Die Lesung erzählt vom Abschied, den Paulus von den Gläubigen aus Ephesus nimmt. Und es wird deutlich, wie sehr dieser Mann in seiner Sendung für das Evangelium aufgeht. Wie sehr er sich vom Geist Gottes geführt weiß, wie sehr er bereit ist, sein ganzes Leben dafür einzusetzen. „Von Stadt zu Stadt“ war er unterwegs und der Geist bezeugt ihm, so sagt er wörtlich, „dass Fesseln und Drangsale auf mich warten“. Und dann folgt der Satz, der so wuchtig hineingrätscht in mein persönliches Ringen um diesen Geburtstag. Der Satz lautet: „Ich will mit keinem Wort mein eigenes Leben wichtig nehmen.“ Rumms! Danke Paulus, für dieses Wort. Und wenn ich es ehrlich auch an mich heranlasse, dann merke ich auch, dass da doch ein ziemlicher Abstand ist zwischen diesem Wort von Paulus und meinen eigenen zweifelnden Fragen nach dem Umgang mit Anerkennung. „Ich will mit keinem Wort mein eigenes Leben wichtig nehmen.“

Es gibt, liebe Schwestern und Brüder, auch die Seite in mir, die das gerne mit Paulus mitsprechen würde. Weil ich wirklich immer mehr Sehnsucht nach dem habe, dass es zuerst und vor allem um Ihn geht, um Jesus, und nicht um mich. Aber wenn ich es dem Paulus nachsagen würde: „Ich will mit keinem Wort mein eigenes Leben wichtig nehmen“, dann würde ich auch spüren: Das wäre noch nicht ganz ehrlich. Denn na klar, gibt es in mir den alten Adam, der mir einreden will, mein eigenes Leben am allerwichtigsten zu nehmen. Und wenn ich dahin spüre, dann kommt eher Scham in mir auf. Denn mein Dienst als Bischof ist in der Nachfolge der Apostel, also auch des Paulus. Da ist mir dann eine abgeschwächte Version so eines Satzes, nämlich von Papst Johannes XXIII näher. Dieser hat öfter zitiert, was ihm ein Engel im Traum gesagt haben soll: „Giovanni, nimm Dich nicht so wichtig.“ Sehr sympathisch, mir auch nahe, sehr menschlich, aber eben nicht Evangelium, wie bei Paulus. Daher, danke, lieber Paulus für diesen so herausfordernden Satz, an diesem Tag. Dass Du Dich mit ihm so klein gemacht hast, macht Dich vor Gottes Augen wirklich groß.

Im Evangelium sind wir dann mit einer zweiten Abschiedsrede konfrontiert worden, von Jesus selbst. Der Johannes-Evangelist lässt Jesus vor seinem Weg in Leiden und Tod drei große, großartige Abschiedsreden halten, die letzte mündet dann in ein Gebet von unglaublicher Schönheit und Tiefe. Die Bibelauslegung nennt es das hohepriesterliche Gebet. Jesus betet für die Seinen, dass sie nicht verloren gehen, dass sie immer mehr eins werden, dass sie in der Wahrheit geheiligt bleiben. Und einer der Sätze, die mir auch in diesem, heute gehörten Text immer wieder sehr nahe gehen, lautet: „Das ist das ewige Leben, dass sie dich, den einzigen wahren Gott erkennen und den du gesandt hast, Jesus Christus“. Liebe Schwestern und Brüder, wenn Sie mich fragen, was mir in meinem Dienst als Bischof in den letzten elf Jahren das zentralste Anliegen überhaupt war, dann ist das hier formuliert: Dass Menschen entweder immer mehr oder auch neu in so etwas hineinfinden wie eine Erkenntnisbeziehung zu Christus und damit auch zum Vater.

Jetzt, was heißt „Erkenntnisbeziehung“? Wenn dieses Evangelium von Erkennen redet, dann meint der Evangelist tatsächlich nicht einfach nur ein intellektuelles Einsehen mit dem Kopf, sondern so etwas, was passiert, wenn Menschen miteinander vertraut werden. Wenn ein Mensch erlebt, wie der andere Mensch beginnt, in seinem inneren Leben eine Rolle zu spielen; wenn einer den anderen bewegen kann zu Mitgefühl, Mitfreude, Mitleiden. Erkenntnisbeziehung bedeutet, in einem Menschen, die Gründe seines Sprechens und Handelns nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich mitvollziehen, verstehen zu können; zu spüren, was den anderen im Innersten bewegt; und sich selbst davon bewegen lassen; gerne mit dem anderen sein und teilnehmen dürfen an seinem Leben; Vertrauen und Freundschaft aufbauen – und mehr. So etwas würde ich beschreiben mit „Jesus erkennen“ und mit Ihm zusammen dann auch den Vater.

Und nun: Warum ist das wichtig? Weil, so sagt Jesus selbst in dem zitierten Satz, weil das schon das ewige Leben ist. Das heißt also konkret: Über unsere Glaubensgemeinschaft, unsere Gottesdienste, über die Feier Sakramente, über unseren Umgang mit der hl. Schrift, durch unser Gebet, unseren Dienst am anderen Menschen, besonders dort, wo Not ist – durch all das können wir in uns etwas wachsen lassen, was uns wirklich in den Frieden führt, in die Freude, die von Ihm kommen. Und was uns dann auch ein Gespür für die Unterscheidung gibt: Welches Handeln, welches Sprechen, welcher Weg ist jetzt dem Weg, dem Handeln näher, das Jesus wählen würde. Weil es aus einer Verbundenheit mit ihm kommt, aus der „Erkenntnis“. Zu dieser Unterscheidung gehört dann auch: Wo meldet sich in mir oder anderen erst einmal die Ego-Seite, die normalerweise eben nicht mit dem ewigen Leben verbunden ist. Aber Jesu Gegenwart in dir wachsen lassen, das ist schon, so sagt er selbst, ist schon Ewiges Leben, ist Beginn des Ewigen Lebens mitten in diesem konkreten, alltäglichen, bedürfnisorientierten, materiellen Leben, das oft so schön ist, wunderbar sein kann, aber eben auch verwundet ist und damit auch vergänglich und vom Tod bedroht.

Nun fragen Sie sich vielleicht: Ist das, was der Bischof da von Beziehung redet, nur was für ihn oder nur für Priester und Ordensleute? Und die Antwort ist: Es ist für alle. Jeder und jede kann da hineinfinden. Und jeder und jede auf seine individuelle Weise. Gott liebt die Ordensfrau oder den Bischof nicht mehr als jeden von Ihnen – zu uns allen, zu jedem einzelnen, ist er buchstäblich unendlich barmherzig, vergebend, neu machend.

Die Frage an uns ist: Antworte ich auf diese Liebe, so dass die Beziehung wachsen und damit das Ewige Leben in mir Raum gewinnen kann?  Finde ich in diese Art von Beziehung mit Christus? Und macht dann auch das Christenleben in unserer Gesellschaft diesen Unterschied? Sind diejenigen die in unseren Pfarreien, in unseren Schulen, Caritas-Einrichtungen und vielem mehr wirken, erfüllt von dieser Sehnsucht, Jesus in diesem Sinn zu kennen und für ihn gehen? Und auch erfüllt von der Sehnsucht, dass womöglich auch andere ihn kennenlernen? Warum? Weil das Geschenk des ewigen Lebens eine unglaubliche Gabe ist, die jetzt schon anfängt.

Sie spüren vermutlich: Jeder und jede von uns ist daher als getaufter Christ aufgerufen, sich dieser Frage immer wieder auszusetzen: Wie gehe ich mit diesem Angebot seiner Zuwendung um, mit seiner Einladung zur Freundschaft? Ich bin überzeugt, dass wir diese Antwort immer neu suchen, entdecken und uns darin auch gegenseitig unterstützen müssen. Gerade in einer Zeit von solch dramatischen Veränderungen im Leben der Kirche und der Gesellschaft. Christen von morgen werden Freundschaftsmenschen sein; Menschen, die miteinander eine freundschaftliche Verbundenheit kennen und leben, die von ihrer eigenen Verbundenheit mit Christus kommt. Mit Christus der da ist, und der da bleibt. Immer.

Liebe Schwestern und Brüder, wenn ich jetzt 60 werde, dann frage ich mich, was diese Zahl eigentlich bedeutet. Also folgendes: Im Alten Testament ist die 60 der Übergang vom Erwachsenenalter hin zum Greisenalter. Herzlich willkommen. Die 6 in der 60 ist die Zahl des sechsten Schöpfungstages, das ist der Tag, an dem der Mensch erschaffen wurde, als eine Art Zielpunkt dieser Erzählung. Sie ist Zielpunkt, in dem was geschaffen ist, sie ist aber nicht das Ende der ganzen Erzählung. Das Ende ist der Übergang in den siebten Tag, in den Tag, an dem Gott ruht – und den Menschen einlädt mit ihm zu ruhen. Hineinzufinden in das Ruhen Gottes wäre dann recht verstanden zugleich so etwas wie die Pflege der Erkenntnisbeziehung. Ahnen Sie, wie wichtig unser Sonntag für unseren Glauben ist?

Und dann gibt es noch eine unheimliche Zahl, in der auch die sechs vorkommt, nämlich gleich drei Mal. Die 666 ist die Zahl eines teuflischen Tieres in der Offenbarung des Johannes, dessen Namen sich in dieser Zahl 666 zeigen würde. Seit jeher rätseln Gläubige und Bibelforscher darüber, was die 666 bedeuten könnte – und zwar auch über den bloßen Namen eines römischen Kaisers  hinaus. Ich fand eine Deutung naheliegend, die auch mit dem sechsten Tag zu tun hat: Der Mensch des sechsten Tages ist gewissermaßen in höchster Potenz – sechs – sechs – sechs – der Mensch, der gerade nicht in die Ruhe des Sabbat, nicht in das Sich-Überlassen an Gott eintreten will. Er will nicht in die Ruhe Gottes, in seinen Frieden und seine Freude eintreten. Er will dramatisch, potenziert er selbst sein und sich selbst erhöhen, womöglich sogar den Tod überwinden und aus eigener Kraft ewig zu leben. Und doch bleibt er als Todgeweihter im fortwährenden Ringen mit dem, der allein das Ewige Leben geben könnte.

Wenn nun aber die 60 den Eintritt ins Greisenalter bedeutet, also die Vergänglichkeit umso sichtbarer macht, dann möchte ich noch einmal mehr den Paulus vom Anfang aufrufen und ihn mit Paps Leo XIV verbinden. In seiner allerersten Predigt hat er über seinen Dienst gesprochen und dabei auf den hl. Ignatius von Antiochien Bezug genommen, der im alten Rom den Löwen zum Fraß vorgeworfen worden war – weil er Bischof und Christ war. Ignatius hatte seinen Gläubigen einen Brief geschrieben, in dem er sein Martyrium voraussieht und sagt: „Dann werde ich wirklich ein Jünger Jesu Christi sein, wenn die Welt meinen Leib nicht mehr sieht“. Papst Leo sagt nun in seiner ersten Predigt dazu, dass diese Worte des Ignatius auch in einem allgemeinen Sinn verweisen auf eine Anforderung an alle, die in der Kirche ein Leitungsamt innehaben. Nämlich, „zu verschwinden, damit Christus bleibt, sich klein zu machen, damit er erkannt und verherrlicht, sich ganz und gar dafür einzusetzen, dass niemandem die Möglichkeit fehlt, ihn zu erkennen und zu lieben.“ So, Papst Leo.

Liebe Schwestern und Brüder, ich danke von Herzen, dass Sie heute alle da sind, um mit mir danke zu sagen. Und ich möchte sie um Ihr Gebet bitten für mich und uns alle, dass wir immer mehr lernen, uns – im Sinne von Papst Leo – klein zu machen, damit Menschen die Möglichkeit finden, Jesus mehr zu erkennen und zu lieben. Komm heiliger Geist und entzünde die Herzen Deiner Gläubigen – und erneuere das Antlitz der Erde. Amen.

Die Predigt hier als Podcast:

Lesen Sie hier den vollständigen Artikel auf der Homepage des Bistums.


An seinem Geburtstag überraschte das Bistum Passau Bischof Stefan mit einer digitalen Festschrift – mit vielen tiefgründigen aber auch humorvollen Video-Beiträgen, Texten und Honoratioren. Unter dem Thema „Missionarische Kirche“ sind auf der Homepage sowohl wissenschaftliche Überlegungen als auch Erfahrungen aus der Praxis und viele mehr zu finden. Die Festschrift finden Sie ab sofort online.