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Nein zur Selbstgerechtigkeit: Aschermittwoch

Selbstgerechtigkeit: Was Jesus daran kritisiert und was das für die Fastenzeit bedeutet. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Aschermittwoch 2016 im Passauer Stephansdom.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
es ist Zeit, sich wieder einmal intensiver mit dem Glauben zu befassen. Es ist damit auch Zeit manches zu relativieren: die Dinge und Sorgen und Wünsche, die sich so oft in den Vordergrund unseres Lebens schieben wollen, aber da vielleicht gar nicht hingehören. Also ist es Zeit, andere Akzente zu setzen, es ist Zeit, sich neu um unsere Beziehung zu Gott zu kümmern. Es ist Fastenzeit.

Angesichts der Texte, die uns die Liturgie des heutigen Tages schenkt, und angesichts des Aschenkreuzes, das wir gleich aufgelegt bekommen, möchte ich uns alle, auch mich selbst, mit einer provozierenden These konfrontieren. Wir alle wissen, dass Jesus nach der Darstellung des Neuen Testaments überaus oft und oft auch überaus hart die Schriftgelehrten und die Pharisäer angreift. Warum tut er das? Weil sie aus seiner Sicht ein verkehrtes Verständnis von Glauben und vom religiösen Leben hatten. Was war verkehrt daran? Ich möchte es im Wesentlichen auf drei Hauptpunkte beschränken.

Was Jesus an Selbstgerechtigkeit kritisiert

Erstens: Die Frömmigkeit war eine Frömmigkeit des Gesetzes, des Absolvierens von Pflichten, des religiösen Dienstes nach Vorschrift. Wenn ich das und jenes alles tue, was das Gesetz vorschreibt, dann werde ich gerettet oder dann achtet Gott auf mich oder dann gehöre ich zu der Gruppe derer, die alles richtig machen in einer religiös geprägten Gesellschaft. Und wichtig ist dann auch noch, dass das auch von anderen wahrgenommen wird: Seht: Ich bin religiös, ich erfülle die Pflichten.

Das zweite, was Jesus an dieser Form des religiösen Lebens anprangert, ist die damit verbundene Neigung zur Selbstgerechtigkeit. Eine Haltung, die sich etwa so ausdrückt: „Seht, was ich alles an religiösen Leistungen erbringe, also gehöre ich sicher zu den Gerechten oder zu denen, die Gott mag. Weil die anderen, die weniger Leistung auf religiösem Gebiet bringen, die mag er sicher weniger. Gott sei Dank bin ich nicht wie die.“

Selbstgerechtigkeit: Ich kann alles!

Der dritte Kritikpunkt Jesu ist die aus alledem folgende Meinung, durch eigene Leistung sein Heil erwerben und verdienen zu können. Die Selbstgerechtigkeit beinhaltet diese Meinung schon: Ich kann das leisten, ich bin religiös stark, ich bin auf der Seite derer, die für ihr Heil verantwortlich sind. Daher verdiene ich das Heil von Gott.

Er kann gar nicht anders, als es mir zu geben, weil ich doch alles so gut mache. Also noch einmal: Gesetzesfrömmigkeit, Selbstgerechtigkeit und Leistungsdenken im Religiösen als Hauptbestandteile des pharisäischen religiösen Lebens.

Was hat das mit unserem Glaubensleben zu tun?

Meine Frage oder These ist nun: Ist nicht alles das auch ein gängiges Bild von einer weit verbreiteten Frömmigkeit in uns und unter uns? Denken wir nicht bisweilen, ich gehe immerhin noch in die Kirche und die anderen nicht mehr! Und meinen wir nicht insgeheim, dadurch besser zu sein als die anderen? Kirchgang als unsere Leistung? Oder denken wir nicht: Bei mir passt eigentlich alles, beichten brauch ich eh nicht, weil ich ja kaum Sünden habe und ansonsten ethisch moralisch alles richtig mache?!

Oder umgekehrt: Denken wir nicht, sofern wir doch noch zum Beichten gehen: Hab ich wieder alles richtig gemacht, also bin ich dabei!? Liebe Schwestern und Brüder, ist also nicht der Pharisäismus genau so unter uns gegenwärtig? Religiöse Selbstgerechtigkeit, die Sicherheit, auf der richtigen Seite zu sein und dabei die eigene religiöse Leistung betonend? Sind wir da nicht dabei?

Deine Beziehung zu Gott

Aber nun, wenn Jesus alles das anprangert und oft ziemlich gnadenlos damit abrechnet, was wäre dann der Glaube, den er meint? Liebe Schwestern und Brüder, er meint aus meiner Sicht vor allem und zuerst die Qualität einer wirklichen Beziehung zu Ihm und zum Vater. Fragen wir uns: Wie sehr geht es uns auch im Religiösen nur um uns selbst? Oder aber wie sehr geht es uns wirklich um Gott als Gott?

Also: Wenn Du betest, sagt Jesus im heutigen Evangelium, dann ist er erste und innerste Ort Deines Gebetes, Deine Kammer, Deine Verborgenheit. Gebet ist zuerst einmal Sache zwischen Dir und dem, den Du als Vater ansprechen darfst. Dem Du immer vertrauen kannst, weil Du wirklich glauben kannst, dass Er für Dich sorgt. Aber auch, weil Du ihn als Gott, als heilig, als unfassbar majestätisch, als Schöpfer von allem in Ehrfurcht wirklich verehrst? Geht es Dir wirklich um diesen Gott als Gott und als deinem Vater? Oder geht es Dir in allem Religiösen zuerst einmal doch um Dich selbst?

Jesus will unser religiöses Leben erneuern

Im Grunde ist Jesus gekommen, um unser religiöses Leben so zu erneuern, dass wir wirklich in die ehrliche Beziehung kommen, dass wir uns wirklich als Kinder Gottes wahrnehmen lernen, versöhnt mit dem Vater. Und wenn Sie nun fragen: Ist dann das alles, was ich vorher aufgezählt habe an religiösen Pflichten und Routinen, das regelmäßige Gebet, der Gottesdienstbesuch, die Beichte, ist das alles schlecht?

Nein, ist es nicht, es wird nur dann Pharisäismus, wenn es nicht zuerst von dem Wunsch getragen wird, in der Beziehung zu Christus und zum Vater zu bleiben und in dieser Beziehung immer mehr zu wachsen. Es wird schlecht, wenn es der Ausdruck meiner eigenen religiösen Leistungsfähigkeit bleibt, die ich mir selbst zuschreibe.

Selbstgerechtigkeit im Beispiel

Es ist wie in einer Beziehung mit einem Menschen, mit einem Freund, mit einem Ehepartner. Der Anfang ist die tiefe Begegnung, ist die Entdeckung des Herzens des Anderen, die echte Beziehung zwischen Zweien, die Liebe, die Freundschaft, die entsteht. Und dann, erst dann, finden sich Gewohnheiten, Gesetzmäßigkeiten, Routinen, die den beiden helfen, in der Beziehung zu bleiben und sie wachsen zu lassen.

Ehepaare, beispielsweise, finden für ihr Beziehungsleben Regeln, kleine oder größere Gesetzmäßigkeiten. Manche küssen sich immer dann, wenn sie auseinander gehen. Andere versuchen, jeden Streit vor dem Einschlafen zu schlichten. Manche frühstücken wenigstens samstags ausgiebig miteinander. Wieder andere reservieren sich einen Abend in der Woche für sich alleine und vieles solcher Art.

Regeln und Gesetzmäßigkeiten aus Liebe

Hier sind also Gesetzmäßigkeiten, Regeln der Beziehung gewachsen, die der Qualität der Beziehung dienen, die ihr Raum zum Wachsen schenken. Aber sie sind kein Selbstzweck oder kein Egozweck. Sie helfen vielmehr, der Beziehung einen Rahmen zu geben und ihr Nahrung zu geben.

Und wenn dann zum Beispiel so eine Regel oder gemeinsame Gewohnheit gewachsen ist und zum Leben der Partner einfach dazu gehört, und Sie als Ehepartner plötzlich einfach aufhören, sie einzuhalten, dann fragt sich der andere schon, was ist eigentlich mit unserer Beziehung los. Dann ist das in der Regel natürlich eine Beziehungsstörung. Daher: solche Regeln sind wichtig. Aber sie sind nicht Mittel für Ihre eigene Selbstdarstellung als jemand, der in Beziehung lebt!

Das Samstagsfrühstück

Nehmen wir an, Sie haben mit Ihrem Ehepartner die schöne Gewohnheit, dass Sie samstags immer ausgiebig miteinander frühstücken. Dann wäre es doch komisch, wenn Sie jedes Mal danach denken: Was bin ich für ein toller Ehepartner, dass ich das immer mache! Und es wäre komisch, wenn Sie es vor allem deshalb machen, damit Sie sich nachher gut als Ehepartner gut fühlen.

Nein, liebe Schwestern und Brüder, solche Vollzüge sind einfach regelmäßiger Ausdruck einer inneren Beziehungsqualität. Und sie werden zum Pharisäismus, wo diese Beziehungsqualität gar nicht da ist oder schwindet und Sie es einfach nur tun, damit Sie sich gut fühlen.

Neu lernen „Vater“ zu sagen

Aber alles, wofür Jesus gekommen ist, gelitten hat, gestorben ist, ist nicht, damit wir einfach religiöse Übungen machen, sondern damit wir aus ganzem Herzen neu lernen Vater zu sagen, damit wir neu lernen, Jesus zu lieben, damit wir neu lernen zu verstehen, dass die Beziehung zu unserem Gott, unserem Vater die wichtigste Beziehung unseres Lebens ist. Du sollst den Herrn Deinen Gott lieben mit ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzer Kraft, sagt Jesus als erstes und wichtigstes Gebot! Und warum ist das so wichtig? Na zuerst einfach weil er wirklich Gott ist, wer außer Gott sollte denn sonst absolut liebenswürdig sein?

Und zweitens ist es wichtig, damit wir nicht verloren gehen: Die Beziehung zum Vater ist Leben, ist das eigentliche Leben. Und eben nicht das ist das eigentliche Leben, was wir so gerne dafür halten: Erfolg, Anerkennung, Besitz, Macht über andere, Vergnügen, nicht einmal die romantische Mann-Frau-Liebe. Denn selbst wenn wir das alles hätten, Schwestern und Brüder, würden aber nicht in der Beziehung zum Herrn leben, dann wäre alles nichts, dann wäre unser Leben verloren, dann wäre es nicht mehr wert als Staub und Asche. Dann sind wir nicht mehr als Staub und Asche.

Frei von Selbstgerechtigkeit: Fastenzeit nutzen

Wir lassen uns jetzt gleich diese Zeichen auflegen, das Aschenkreuz auf die Stirn und wir bitten darum: Herr, lass mich verstehen, dass ich ohne Dich nichts bin als Staub und Asche. Lass in mir die Sehnsucht wachsen nach einer ehrlichen, tiefen, persönlichen Beziehung mit Dir. Schenk mir neu den Geist der Umkehr, den Geist des Gebetes und lass mich nicht nur in Gedanken, sondern mit der ganzen Seele erkennen, dass ich Dein Kind bin und dass Du mein Vater bist.

Mach mich frei von aller religiösen Selbstgerechtigkeit, nimm den Pharisäer in mir aus meinem Herzen und zeige mir, dass es der wahre Weg in die Gotteskindschaft ist, wenn ich mich mit Jesus, deinem Kind verbinde, in der Eucharistie, im Wort Gottes, im Sakrament der Versöhnung, im ehrlichen Gebet und im Schweigen vor Dir oder auch in der Gemeinschaft von Menschen, die ihn schon von Herzen her kennen. Herr hilf mir in diesem Weg auf Ostern hin, die Gemeinschaft mit Dir wirklich zu erneuern – und hilf mir, so selbst ein Abbild Deiner barmherzigen Liebe auch für andere zu werden. Amen.