Bild: S. Schmidt / pbp

Beten lernen heißt lieben lernen!

Vergangene Woche im Dom: Treffen der treuen Beterinnen und Beter unserer Barbarakapelle. Anschließend gesellige Begegnung in der La Cantina im HOME am Domplatz. In der Predigt habe ich über das Zuhören gesprochen und über das Beten – und davon, dass Beten lernen zugleich Lieben lernen heißt. Hier zum Nachlesen. Die Bilder vom Gottesdienst und dem anschließenden Treffen sind von S. Schmidt.

Liebe Geschwister im Glauben, liebe Beterinnen und Beter in der Barbarakapelle.

Ich komme von einem erfüllten langen Tag, bei dem ich den ganzen Tag in Gesprächen war: Einzelgespräche, Bewerbungsgespräche, problematische Gespräche, Dienstgespräche, Gruppengespräche. Der Tag ist überfüllt von Kommunikation und eigentlich habe ich den Anspruch, dass ich gerne auch höre, zuhöre. Und manchmal, wenn man viel am Reden und Hören ist, ertappt man sich. Ich denke mir dann: „Ich weiß jetzt eh schon, was der mir sagen will – kenn ich schon“, und falle ihm ins Wort, oder ich denke an ganz etwas anderes, oder bin noch mit einem Ohr und mit dem Herzen bei meinem letzten Gespräch und kann mich noch nicht wirklich auf das neue Gespräch konzentrieren. Oder eine andere, gegenteilige Erfahrung: Da spricht jemand, den ich eigentlich schon länger kenne aber ich denk mir: „Ich weiß zwar vermutlich eh schon, was er mir sagen will, aber jetzt hör mal genauer hin!“ Und plötzlich geht dir auf: Dieses Anliegen oder diese Herzensregung des Menschen hast du noch nie so gehört. Und du hast ihn neu verstanden.

Zuhören verlangt Sammlung

Was will ich damit sagen, liebe Schwestern und Brüder? Zuhören ist manchmal ein anstrengendes Unterfangen. Es redet sich leichter, wirkliches Zuhören ist schwerer. Wirkliches Zuhören braucht eine innere Sammlung, die beim Anderen sein kann. Und die beim Anderen eine Kraft sein kann, die sein Sprechen erst freisetzt. Wenn Sie die Erfahrung machen dürfen, dass Ihnen jemand wirklich zuhört, werden Sie merken, dass Sie dann anders und freier ins Sprechen kommen. Und auf diese Weise ereignet sich erst wirklich Begegnung. Und wir sehen auch, dass Menschen die wirklich Hörende sind – auch dann noch hören, wenn sie selbst sprechen. Weil sie so sprechen wollen, dass der andere nicht einfach nur einen Text oder Information aufnimmt. Sondern weil sie so sprechen, dass sie im Sprechen auch noch auf den anderen achten, letztlich auch auf ihn hören, auf die Situation, in der er ist; auf seine Fähigkeit, die Sache zu verstehen und mehr. Wenn wir wirklich in dieser Weise versuchen, miteinander zu sprechen, dann merken wir, wie wir auch innerlich einander näherkommen. Wir merken, dass ein Vertrauen wächst, ein gegenseitiges Kennen. Und wir spüren, je länger wir das aufeinander Hören geübt haben, desto weniger müssen bestimmte Dinge dann noch gesagt werden. Sie sind wir selbstverständlich schon da. Wir kennen und vertrauen einander.

Wer wird gerettet? Die, die Jesus kennen.

Wir haben heute ein Evangelium gehört, das sehr streng klingt. Es geht um die Frage: Werden viele oder nur einige gerettet? Und Jesus macht deutlich, dass es auf der einen Seite notwendig ist, dass wir uns darum mühen sollen, gerettet zu werden. Aber ich bin völlig überzeugt, dass er nicht meint, dass das ein Mühen sein soll, bei dem wir wahnsinnig viel „machen“ müssen, um Ihm dann zu zeigen, was wir alles gemacht und geleistet haben. Und dass wir dann gleichsam stolz auf uns selbst sind – weil wir so viel geleistet haben, so dass Jesus gar nicht mehr anders kann, als von uns beeindruckt zu sein.  Jesus sagt uns vielmehr: Da werden  nachher viele kommen und sagen „Herr wir haben doch mit dir gegessen und getrunken, wir sind mit dir unterwegs gewesen“ und Er wird sagen: „Ich weiß nicht, woher ihr seid“. Das klingt wie beim Gleichnis von den törichten und den klugen Jungfrauen. Da ging auch auf einmal die Tür zu und Jesus sagt dann zu den Törichten, die trotzdem noch rein wollen, aber draußen bleiben mussten: „Ich kenn euch gar nicht“. Also, seine Frage ist: „Woher bist du? Kennst du mich? Hast Du mich kennen gelernt? Bist du mit mir ein einem inneren Dialog des Hörens eingetreten? Hast du gelernt, auf mich zu hören? Wahrzunehmen, wer und wie ich bin? Und hast Du deshalb gelernt, mich zu lieben und zu erwarten?“

Schon oft, liebe Schwestern und Brüder, habe ich auch in Predigten die Frage gestellt: Stellen Sie sich vor, Er käme morgen wieder – und sie dürfen sicher sein, er kommt wieder! Ob nachher oder morgen oder in 1000 Jahren oder im Augenblick ihres Todes – Er kommt wieder. Sie werden Ihm begegnen. Wird es eine Begegnung sein, die aus einem vertrauten aufeinander Hören kommt, aus einem gegenseitigen Kennengelernt-haben? Wird die Freude da sein? Und werden wir sagen können: „Herr, wie schön, dass du da bist! Endlich begegne ich Dir von Angesicht zu Angesicht! Endlich kommen wir in die Begegnung, nach der ich mich gesehnt habe, weil ich schon so lange eingeübt habe, auf dich zu hören, weil ich gelernt habe, dein Wort zu verstehen.“? Wird das so sein? Oder hätten wir Angst vor seinem Kommen, weil wir ahnen, dass er uns doch überführen würde?

Wir wissen gar nicht, worum wir beten sollen?

Nun ist ausgerechnet am heutigen Tag, wo wir ein Treffen von treuen Beterinnen und Betern haben, ein Text in der ersten Lesung, in dem Paulus über das Beten spricht. Und er sagt uns dieses rätselhafte Wort „Wir wissen gar nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen“. Warum wissen wir das gar nicht? Vermutlich, weil wir nicht so ganz gut eingeübt sind ins Hören. Natürlich, liebe Schwestern und Brüder, das sagt uns die Schrift an anderer Stelle, natürlich dürfen wir darum beten, dass es uns gut geht, dass wir von Krankheit verschont bleiben, dass es unseren Lieben gut geht, dass wir Arbeit finden und dass wir gut durchs Leben kommen, und so weiter. Um all das dürfen wir beten und bitten. Denn der Herr ist ein guter Vater, der für uns sorgt. Aber, liebe Schwestern und Brüder, wenn es in unserem Leben wirklich darum geht, ein tiefer, reifer Mensch zu werden, einer der Gott und die Menschen wirklich liebt. Einer, der zu sich selbst Ja gesagt hat, weil Gott zu ihm Ja gesagt hat; wenn es darum geht, dann frag ich mich: Ist es möglich, so ein Mensch zu werden, ohne Krisen zu durchleben?

Die Krisen und das Gebet

Denken Sie an den Verlorenen Sohn im Gleichnis, der wirklich im letzten Dreck bei den Schweinen hockt und dann erst kapiert, dass der Vater bei ihm geblieben ist und dass der Vater ihn umgibt. Und dass er ihn wirklich liebt und einlädt, nach Hause zu kommen. Hätte er das vorher kapiert, wo er noch an allem möglichen festhalten musste, vor allem am Geld das ihm sein Vater gegeben hatte? Und der anschließend sein Leben verspielt hat und das Geld verjubelt hat und sich Beziehungen gekauft hat. Hätte er vorher verstehen können, wie sehr der Vater ihn liebt – ohne vorher durch diese Krise gegangen zu sein? Das heißt, er hätte vielleicht vorher gebetet: „Lieber Gott, mach, dass es mir gut geht und dass ich Geld habe, um mein Leben genießen zu können“. Das wäre jedenfalls ein verständliches Gebet für einen normalen jungen Menschen. Aber im Nachhinein betrachtet: Ist es für den jungen Mann nicht letztlich auch gut gewesen, dass er alles loslassen und die Not durchleben musste – damit er erkennt, wer sein Vater wirklich ist? Und wenn das wirklich gut für ihn war, dann hätte er aber doch wahrscheinlich trotzdem nicht um so eine Krise gebetet, nicht wahr?

Paulus sagt uns also: „Wir wissen gar nicht, worum wir inhaltlich beten sollen.“ Denn wissen wir, was kommen soll, was kommen müsste, damit wir Menschen werden, die Gott lieben, die Ihn erwarten, die gelernt haben auf Ihn zu hören? Wissen wir, um was wir beten sollen? Nein, Paulus sagt: „Wir wissen nicht, um was wir beten sollen, aber der Geist in Dir ist schon da. Er weiß es. Er tritt für dich bei Gott ein mit Seufzern, die man kaum in Worte fassen kann“. Und das, liebe Schwestern und Brüder, das bedeutet auch, auf Gott hören lernen und auf die inneren Regungen des Geistes wachsam sein, im Schweigen Ihn erwarten, alles das heißt auch beten. Auf Gott hören lernen, heißt beten lernen.

Das Gebet und die kleinen Krisen

Und beten lernen heißt: Natürlich dürfen wir Wörter machen, in denen wir Gott um alles bitten, was uns Not macht, was uns Freude macht, was auch immer. Aber Menschen werden, die Ihn lieben lernen, heißt notwendigerweise still werden, schweigen lernen, hören lernen auf die leisem Regungen, in denen Er zu uns spricht, warten lernen, alleine vor Ihm und mit Ihm sein. Liebe Schwestern und Brüder, ich sage ihnen ehrlich, dass das Hineinfinden ins Schweigen für mich auch jedes Mal wieder und immer neu ein Ringen ist. Zum Beispiel, wenn ich an einem vollen Tag wie heute nach Hause komme. Und dann wirklich still werden, ins Gebet gehen, ins Schweigen gehen vor Ihm. Der natürliche Mensch in mir, der will alles noch erledigen, was sich in seiner Aktentasche drin findet oder der will sich ablenken oder der will jetzt erst mal zur Belohnung was Gescheites essen oder was auch immer. Aber still werden vor Ihm, nichts tun, erst einmal warten können, ins Schweigen finden, ins Tiefere hinein fühlen – das muss schon fast jeden Tag durch eine kleine Krise gehen. Und das gilt vor allem dann, wenn man es nicht gewohnt ist, oder für mich, wenn ich mal ein paar Tage unterwegs war, zum Beispiel im Hotel, oder in einem Tagungshaus auf Konferenzen, wo es mir kaum gelingt, tief ins Gebet zu kommen. Dann wieder den Rhythmus zu finden, braucht auch immer wieder etwas Überwindung.  Aber, liebe Schwestern und Brüder, die Übung dessen, es regelmäßig zu tun und solche Versuchungen zu überwinden, führt zumindest nach meiner Erfahrung immer und immer wieder in einen größeren Frieden und in das Vertrauen, dass der Herr schon da ist und dass sein Geist wirklich in uns betet.

Und ich sage ihnen auch ganz ehrlich: Ich warte voller Sehnsucht bis der Herr kommt. Bis Er endlich wiederkommt, wie von Ihm verheißen. Voller Sehnsucht. Und ich hoffe, dass ich Ihn genug liebe und gelernt habe zu lieben, dass ich Ihm wirklich unter die Augen treten und Ihn umarmen kann, auch wenn er durch und durch mein Herz sieht und erkennt, was da alles ist und was da alles noch nicht ist und wo auch dunkle Flecken sind.  Aber ich hoffe, dass es so sein wird, und ich bleibe in der Übung, im Warten, im Lieben, im Hören. Immer neu. Und wissen Sie, warum das so wichtig ist? Paulus erwähnt es in einem Nebensatz. Da steht der wunderbare Satz, dass Gott bei denjenigen, die Ihn lieben, alles zu Guten führt. Stellen Sie sich mal vor, egal was Ihnen passiert, egal was kommt, Paulus sagt „Schwert oder Hunger oder Durst, was auch immer, was auch kommt – bei denen, die Gott lieben, wird er alles zum Guten führen.“ Alles (!) steht da. Beten lernen heißt: Gott lieben lernen und heißt still sein können vor Ihm.

Die Gefahr des spirituellen Egoismus

Eine Gefahr dabei ist freilich, dass wir im Beten trotzdem tief bei uns selbst bleiben und gewissermaßen in einem spirituellen Egoismus leben. Nach dem Motto: „Ich und mein lieber Gott und die anderen sind mir egal.“ Das wäre verfehltes Beten! Sie dürfen sich daher auch fragen, wenn Sie lernen zu beten und sich nach Gott ausstrecken: Macht es mich auch meinen Mitmenschen gegenüber geduldiger, liebevoller, offener? Kann ich auch den besser ertragen, den ich vorher noch nicht so mochte? Lerne ich, dem Anderen zuzuhören, wirklich um Seinetwillen? Ein Kriterium der Frage, ob Sie im Heiligen Geist unterwegs sind, ist auch die Frage: Lerne ich, meine Mitmenschen zu lieben und besser zu hören? Darum ist das zweite Gebot ebenso wichtig ist das Erste. Das erste heißt, so Jesus: „Du sollst deine Herrn, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzer Kraft.“  Aber wenn du gewissermaßen nach Ihn Ausschau hältst, dann wirst du auch ein Sehnen bekommen nach Seiner Gegenwart im anderen.  Denn Er selbst sagt uns, dass Er auch in unserem Nächsten anwesend ist. Dass wir Ihm auch dort begegnen können. Daher waren vor allem die großen Gestalten unseres Glaubens, die heiligen Männer und Frauen, besonders sensibel für den vermeintlich Allerärmsten und Allerletzten. Für den, der vielleicht am tiefsten im Dreck sitzt oder in der Abhängigkeit ist oder in der Not oder im Verbrechen. Unsere heiligen Männer und Frauen sehen auch in denen immer noch die Gegenwart Gottes und lassen sich von der Gegenwart Gottes im Nächsten berühren. „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan,“ sagt er uns in einem Wort, das wir alle kennen. Beten lernen heißt lieben lernen – Ihn und den anderen. Und darin dann auch noch sich selbst.

Ich bin dankbar für jeden und jede, die in der Barbarakapelle beten. Danke, dass Sie sich immer wieder überwinden, hingehen und still werden vor Ihm. Und ich finde es schön von Ihnen, dass so viele von Ihnen die Erfahrung machen, dass da etwas von Friede kommt, von der Geduld und vielleicht auch von der Hoffnung, dass er endlich wiederkommt, dass wir Ihn umarmen können – dankbar für alles, was Er für uns getan hat – und was Er immer wieder neu tut, besonders wenn wir die Messe feiern. Amen.