Am Caritassonntag dachte Bischof Stefan Oster in der Katholischen Morgenfeier bei BAYERN1 über die Tabor-Momente des Lebens und die Erzählung der Verklärung Jesu in Bezug auf die Einladung Jesu nach: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“
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Hier der gesamte Beitrag zum Nachlesen:
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Im Evangelium nach Matthäus lesen wir eine wunderbare Einladung von Jesus. Er sagt uns: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ Es ist ausdrücklich eine Einladung an alle, an alle Geplagten und damit im Grunde an uns alle. Denn wer könnte von sich und seinem Leben schon sagen, dass er ohne Plage sei und ohne Lasten, die er zu tragen hat? Und tatsächlich: Die Erfahrung von gläubigen Menschen durch die Jahrhunderte hindurch ist die: Jesus trägt selbst sein Kreuz für uns und er trägt auch unsere Kreuze mit uns. Und er verheißt dabei auch noch eine Ruhe, einen Frieden für die Seele.
Das ist – ohne Frage – ein großartiger Zuspruch; eine Zusage, die aber – und das müssen wir auch ehrlich sagen – von sehr vielen Menschen weder gehört wird noch geglaubt wird. Und ganz offensichtlich wird die Zahl derer, die so einer Einladung von Jesus misstrauen, immer noch größer und werden die Leute, die ihr folgen immer noch weniger. Denn auch wenn sie als Einladung offen klingt und sich tatsächlich an alle Menschen richtet, scheint sie die verheißene Seelenruhe trotzdem nicht automatisch zu bringen.
Und so fragen wir: Warum gelingt es denn nicht einfach, in diesen inneren Frieden zu finden? Und warum eigentlich haben wir in unserem immer noch christlich geprägten Land eher den Eindruck, dass die Menschen immer noch unruhiger, immer noch ängstlicher, oder auch immer noch streitlustiger und egoistischer werden? Warum verliert sich der Glaube insgesamt? Und zwar nicht nur bei uns Katholiken, sondern auch bei den anderen christlichen Geschwistern? Bei den Evangelischen, den Orthodoxen oder auch bei vielen Menschen aus den Freikirchen? Nirgendwo scheint es in unserer Gesellschaft Wachstum des Glaubens zu geben, zumindest nicht im größeren Stil. Obwohl doch alle eingeladen sind. Kann es sein, dass eine Antwort auf solche Fragen schon in der Einladung selbst mitgesagt ist? Jesus lädt ein mit den Worten „Kommt alle zu mir“. Daher möchte ich mit Ihnen der Frage nachgehen: Was bedeutet es also, zu Jesus zu kommen?
Und um dieser Frage nachzuspüren, möchte ich mit Ihnen zunächst das Evangelium des heutigen Sonntags betrachten. Es geht darin um die so genannte Verklärung Jesu, also um eine äußerlich wahrnehmbare wundersame Erscheinung der Person Jesu im neuen Licht. Der Kontext dazu ist im Lukas-Evangeliums folgender: Wir sind im neunten Kapitel und Jesus steht kurz vor seinem Entschluss, nach Jerusalem zu gehen – im vollen Bewusstsein, dass das Leiden und Tod für ihn bringen würde. Und eben hatte er seinen Jüngern noch eingeschärft, wer ihm folgen wolle, möge auch täglich sein Kreuz auf sich nehmen und ihm auf diese Weise nachgehen.
Denn wer sein Leben retten wolle, der werde es verlieren; wer es aber um seinetwillen, also um Jesu willen verliere, der werde es retten. Das, liebe Schwestern und Brüder, das klingt nun schon dramatisch streng. Eben hatten wir noch die Einladung zur Seelenruhe gehört und jetzt die Aufforderung, bereit zu sein, für Jesus das Leben zu geben. Liegt in dieser Spannung zwischen Einladung und Aufforderung schon die Antwort auf die Frage, warum kaum mehr jemand mitgeht, mit Jesus? Gehen wir weiter im Text bei Lukas, dann kommen wir zum Evangelium des heutigen Sonntags: Jesus nimmt darin drei von seinen engsten Weggefährten mit auf einen Berg, Petrus, Jakobus und Johannes.
Der Berg ist sowohl im Alten wie im Neuen Testament oft ein Ort, an dem die Menschen in unterschiedlicher Weise Gott begegnen. Die christliche Überlieferung erzählt, dass es diesmal der Berg Tabor war, auf den sie gegangen sind. Es wird gesagt, dass Jesus auf dem Berg betet – und dass er dabei auf einmal ganz anders aussieht. Sein Gesicht strahlt offensichtlich etwas Göttliches aus – und auch sein Gewand wird leuchtend weiß. Und auf einmal stehen auch zwei Männer bei ihm: Mose und Elija. Beide strahlen ebenfalls. Es wird gesagt, sie „erscheinen in Herrlichkeit“ (Lk 9,31) – und sie sprechen mit Jesus über sein Ende in Jerusalem – wo sich sein Weg erfüllen würde, wie es heißt.
Das Erscheinen der beiden Männer Mose und Elija ist überaus bezeichnend: Wenn die Bibel in knapper Sprache auf die ganze gläubige Tradition Israels verweist und diese zusammenfassen will, spricht sie oftmals „vom Gesetz und den Propheten“. Das Gesetz sind vor allem die fünf Bücher Mose und im weiteren Sinne diejenigen Bücher, die die Geschichte Israels erzählen. Und die Propheten sind diejenigen, die Gott immer neu als Korrektiv schickt, um Israel auf den richtigen Weg und ins rechte Gottesverhältnis zurückzubringen. Und wenn wir beide Begriffe, Gesetz und Propheten, noch einmal mit einer konkreten Person in Verbindung bringen wollen, dann sind es Mose und Elija.
Mose ist der Überbringer und Deuter des Gesetzes schlechthin und in der biblischen Tradition gilt er auch als Autor der ersten fünf Bücher der Bibel, die kurz das Gesetz genannt werden. Mose hatte am Sinai von Gott persönlich die zehn Gebote und viele weitere Anweisungen empfangen und dem Volk bekannt gemacht. Und Elija ist der größte und wichtigste der Propheten, der in schwierigen Zeiten das Volk immer neu weg vom Götzendienst hin zur Verehrung des Gottes Israels geführt hat. Diese beiden stehen nun bei Jesus: Mose und Elija, das Gesetz und die Propheten in Person, also in bestimmter Hinsicht die Personifizierung und Zusammenfassung der ganzen gläubigen jüdischen Geschichte und Tradition.
Und sie sprechen mit dem verherrlichten, mit dem leuchtenden Jesus über das Ende seines Weges, über seine Vollendung, wie es heißt. Wörtlich steht da im Griechischen: Sie sprechen über seinen Exodus – also von etwas, das so wie das zweite Buch der Bibel im Alten Testament bezeichnet wird; das Buch Exodus erzählt vom Auszug des Volkes aus Ägypten, von der Befreiung aus der Sklaverei. Wer also diese hier Passage mit gläubigem Herzen und wachem Verstand liest, der kann folgendes erkennen: Alles in der Geschichte Israels, alles worüber Gesetz und Propheten sprechen, läuft letztlich auf das Kommen Jesu hinaus und auf das Ende seines Weges in dieser Weltzeit. Es läuft auf eine Vollendung zu, die gleichzeitig eine Befreiung sein wird, ein Exodus, der befreit von der Tragik der Sünde und des Todes; der gewissermaßen den Himmel für alle aufschließt.
Der auferstandene Jesus wird das später den Emmaus-Jüngern und noch später den Aposteln bestätigen: Er spricht wörtlich von alledem, Zitat: „was bei Mose, den Propheten und in der gesamten Schrift“ über ihn geschrieben steht. Die drei Jünger auf dem Berg der Verklärung dürfen also jetzt schon Zeugen davon sein, dass im Grunde die ganze Bibel, die ganze heilige Schrift direkt oder indirekt von Jesus erzählt und auf Jesus hinführt. Und gläubige Herzen können in diesem Text verstehen: Er ist die Mitte und das Ziel der ganzen Geschichte, in ihm kommt Gott in die Welt, kommen Himmel und Erde zusammen. In ihm ereignet sich die endgültige Versöhnung Gottes mit seinem Volk und seiner Schöpfung.
Wir wissen nicht, was im Herzen des Petrus vorgeht, als er das sieht. Aber er erkennt wohl, dass sich hier und jetzt die Erfüllung einer Sehnsucht ereignet, auf die er als Israelit sein ganzes Leben gewartet hat. Und auf die sein ganzes Volk Jahrhunderte gewartet hat, das mag ihm wirklich bewusst geworden sein. Deshalb will Petrus bleiben und Hütten bauen. Aber der Text sagt dann lapidar: „Er wusste nicht, was er sagte.“ Wenn wir nun versuchen das zu deuten, dann ist zunächst einmal klar: Das Geschehen ereignet sich ohne das Zutun der Jünger. Sie können es nicht machen, sie können nicht produzieren, dass Jesus sich in dieser Weise zeigt.
Sie sind nur seiner Einladung gefolgt, mit auf den Berg zu gehen. Und dann passiert es. Und wenn Petrus – ohne Erfolg – Hütten bauen will, dann weist das vermutlich darauf hin, dass er den Augenblick gerne festhalten möchte. Es ist so tief und überwältigend für ihn, dass er bleiben möchte – mit Jesus und den beiden, die für die ganze Geschichte Israels stehen. Hier ist nämlich der Glaube zur Gewissheit geworden. Petrus darf sehen, ganz real – und er wird bestätigt: Er und seine Freunde sind tatsächlich dem gefolgt, der der erwartete Messias ist; der, in dem sich die Verheißungen Gottes erfüllen würden.
Aber Petrus wird auch sofort wieder ernüchtert. Von jetzt an wird er mit seinem Messias nach Jerusalem gehen müssen, der Leidensweg für Jesus beginnt. Sie werden Ablehnung und Verfolgung erleben, Qual und Folter Jesu – er selbst wird ihn verleugnen, obwohl er die Verklärung am Berg erleben durfte. Später wird er für seinen Glauben auch die Folter am eigenen Leib erfahren – und ebenfalls getötet werden. Mit Ausnahme des Johannes ist übrigens von allen Aposteln überliefert, dass sie in den Jahren nach dem Pfingstereignis für ihren Glauben gestorben sind.
Was kann uns diese Geschichte sagen – vor allem im Blick auf die Einladung, die wir zu Beginn gehört haben: „Kommt, alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch Ruhe verschaffen.“ Zunächst würde ich fragen wollen: Gibt es in unserem eigenen Leben so etwas wie Tabor-Erlebnisse; also Ereignisse, die nach diesem Berg der Verklärung benannt sind – und in denen wir zum Beispiel überwältigende Schönheit erfahren durften, oder auch die tiefe Gewissheit, dass alles gut ist und gut wird.
Es kann so vieles sein: Ein Blick in ein gläubiges Gesicht – und ich weiß, dass es Gott gibt. Die Teilnahme an einem bewegenden Gottesdienst – und ich spüre: Der Herr ist nahe. Es kann das Erleben der Geburt eines Kindes sein, oder der Blick auf die Weite des Meeres; die Begegnung mit einem großartigen Kunstwerk oder die Kühle des Waldes am Morgen. Tabor-Erlebnisse sind buchstäblich oft hinreißende Momente im Leben, in denen die Gewissheit aufscheint: Gott ist da. Und er hält das Leben in der Hand.
Aber Tabor-Momente lassen sich nicht festhalten. Sie lassen sich auch nicht machen. Sie werden geschenkt. Und einmal geschenkt, können wir sie erinnern. Wir können sie im Inneren unseres Herzens bewahren und wir können sie innerlich immer wieder aufsuchen. Vor allem dann, wenn das Leben äußerlich schwer wird oder sogar hoffnungslos scheint. Wir können uns auch gegenseitig daran erinnern. Gott ist da und seine Verheißung ist: Er bleibt da, in allem und trotz allem. Tabor-Momente helfen uns, Pilger der Hoffnung zu sein – und trotzdem weiterzugehen. Weil uns der Glaube trägt.
Mehr noch: Wir selbst können in uns den Wunsch kultivieren, dass andere Menschen auch durch uns, durch mich, Tabor-Momente erleben. Wir können solche Momente für die anderen natürlich auch nicht machen, aber wenn wir ihnen einfach gut sind; wenn wir ihnen einfach dienen, weil wir selbst Pilger der Hoffnung sind; weil wir in unserem eigenen Leben immer wieder beschenkt worden sind und weil wir im eigenen Leben immer wieder Tabor-Momente erleben durften, können wir Menschen so begegnen, dass auch sie Hoffnung finden. Und womöglich wird der eine oder andere Tabor-Moment dabei sein. Wenn sich andere fragen: Warum ist dieser Mensch so froh, so dankbar? Und warum ist er einfach gut zu mir?
Ich möchte Sie einladen, nach Möglichkeit zu jedem Menschen gut zu sein, einfach deshalb, weil es ein Mensch ist, ein Kind Gottes. Und egal, ob Ihnen ein Mensch gerade sympathisch ist oder weniger sympathisch. Und unabhängig davon, ob der andere Ihnen gerade nützlich ist oder nicht. Vielleicht sogar dann, wenn er Sie nicht mag oder gegen Sie ist. Können wir einfach gut zum anderen sein? So, dass andere staunen über solche Güte? Natürlich tun wir das in unterschiedlicher Verantwortung: Menschen, die uns nahe sind, bekommen naturgemäß die intensivere Zuwendung. Das darf und soll sein. Aber dass im Grunde jeder Mensch auf unterschiedliche Weise unsere Zuwendung verdient, das darf und soll auch sein.
Da kann ja jeder kommen
Das Motto unserer Caritas ist in diesem Jahr: Da kann ja jeder kommen. Und im Blick auf das zu Beginn Gesagte, möchte ich bekräftigen: Jesus lädt wirklich alle ein, sich ihm zu öffnen, auf ihn zu schauen, zu ihm zu kommen. Und ich bin sicher, dass er uns allen immer wieder neu – auch in schwierigen Zeiten – Tabor-Momente schenken will, Momente, in denen wir spüren, dass wir letztlich nicht alleine sind. Das Motto „Da kann ja jeder kommen“ ist bewusst zweideutig gewählt und soll eben deshalb auch nachdenklich machen. In der Umgangssprache verwenden wir so einen Satz oftmals, um uns einen Bereich zu reservieren – um gerade nicht für jeden zugänglich zu sein. „Da kann ja jeder kommen“, will – wenn es in einer bestimmten Tonlage gesagt wird – eigentlich sagen: Nein, gerade nicht jeder. Einige sind besonders privilegiert, die können kommen, andere gerade nicht.
Aber umgekehrt, wenn wir den Satz so sagen: „Da kann wirklich jeder kommen“, dann verweist er darauf, dass die Angebote unserer Caritas offen sind für alle Menschen. Und man fragt dort nicht zuerst, ob jemand Christ oder gut katholisch ist. Schon gar nicht, wenn es um bestimmte Angebote für Menschen in Not geht oder zum Beispiel für Menschen auf der Flucht. Da kann ja jeder kommen! Genau: Jeder Mensch ist aus unserer Sicht Kind Gottes, hat eine unverlierbare Würde als Mensch und ist es unbedingt wert, dass wir ihm angemessen und mit Wertschätzung begegnen. Jeder kann kommen! Und um an den Anfang des Beitrags zurückzukommen:
Jeder, der sich mühselig und beladen fühlt, ist eingeladen zu Jesus zu kommen. Und sich von Ihm berühren zu lassen. Aber natürlich gilt auf für uns alle: Wenn wir einmal davon berührt sind, wer er wirklich ist, und zu was er uns einlädt, dann wird das auch unser Leben verändern. Dann werden wir selbst aufgefordert, Menschen zu werden, die einladend sind wie Er. Dann sind wir aufgefordert, Nachfolge zu leben, weil wir Seinen Namen tragen. Wir sind Christen. Und wir sind in unserer Taufe, in unserer Firmung, im Empfang der Sakramente, in vielen anderen Gelegenheiten mit Ihm in Berührung gekommen. Wir alle haben Tabor-Erlebnisse gehabt, die uns gezeigt haben: Er ist da.
Freilich: Es kann sein, dass wir uns mit allen möglichen Sorgen und Ablenkungen innerlich so zugemacht haben, dass wir kaum noch Kapazität haben, Tabor-Erlebnisse zuzulassen, sie zu glauben und anzunehmen. Daher ist es auch für uns alle gut, vor allem in diesem Zugehen auf Ostern hin, Zeit zu reservieren für das Gebet, für die Stille, für das ruhige und zuhörende Gespräch mit unseren Lieben oder mit Menschen, die sich aussprechen wollen. Es ist gut, loszulassen und sich der Schönheit der Natur zu öffnen oder Schönheit von Kunst und Musik wahrzunehmen.
Es ist schön und gut, ein Mensch sein und erahnen zu dürfen, dass es Gott gut meint mit mir. Da kann ja jeder kommen! Jeder kann zu Ihm kommen – und jeder und jede kann lernen, in die Nachfolge einzutreten. Er will unser Herz verwandeln, er will Schwerpunkte verschieben, er will uns liebesfähig machen – für unsere Lieben und für alle, die Not leiden – und genau damit, kommt auch das, was er verheißt: Der Frieden in der Seele. Er will ihn allen, allen geben. Weil Jeder kommen kann. Gottes Segen für Sie alle.
Bischof Stefan Oster SDB
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