Bild: M. Oswalt/unsplash

Der Lebensschutz und unser klares Zeugnis dafür – Fragen an Maria Flachsbarth

Der „Marsch für das Leben“ am kommenden Samstag (19.9.) in Berlin führt Menschen zusammen, denen das Leben vom Moment der Empfängnis bis zum letzten Atemzug ein herausragendes Anliegen ist. Vergangenes Jahr habe ich selbst daran teilgenommen, teile mit voller Überzeugung sein Anliegen und unterstütze die Veranstalter daher sehr gern.

Der Wind wird rauer

Das Thema „Abtreibung“ nimmt dabei einen zentralen Stellenwert ein, hat es aber in der öffentlichen Debatte immer schwerer, tatsächlich wahrgenommen zu werden. Eine zu befürchtende Instrumentalisierung des Themas am rechten Rand, lässt viele politische Stimmen aus der Mitte kleinlaut oder defensiv werden – auch dann, wenn der Lebensschutz ihre persönliche Überzeugung ist. Auch uns Bischöfe (und damit meine ich auch mich selbst!) schließe ich von dieser Neigung zur Defensive nicht aus. Mit dem Thema kann man öffentlich wenig punkten, vielmehr ist zu erwarten und zu befürchten, dass einem sofort der raue Gegenwind ins Gesicht bläst – politisch wie gesellschaftlich.

Das Thema Lebensschutz darf nicht verwässern

Das darf m.E. dennoch nicht dazu führen, dass wir das Thema vernachlässigen, kleinhalten oder in schlechten Kompromissen untergehen lassen. Den folgenden Sachverhalt und die Rolle der Politikerin und Katholikin Dr. Maria Flachsbarth (CDU) darin würde ich daher gerne zur Debatte stellen, auch wenn er vereinzelt schon diskutiert wurde. Für mich zeigt der Vorgang, dass unser christliches Zeugnis für den Lebensschutz klar und unzweideutig sein sollte.

Es ist erstens erklärte Politik der Bundesregierung, dass die Propagierung von Abtreibung kein legitimes Mittel der Familienpolitik sein kann und soll. So zumindest hat es mir die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Maria Flachsbarth, im persönlichen Gespräch mehrfach versichert.

Abtreibung unter dem Deckmantel sexueller und reproduktiver Gesundheitsdienste

Zweitens hat Maria Flachsbarth mehrmals erklärt, dass sie selbst eine erklärte Gegnerin von Abtreibung sei. Ich glaube ihr das und kenne von ihr dazu verschiedene öffentliche Äußerungen. Zum Beispiel hatte sie sich im Jahr 2013 ausdrücklich gegen den so genannten „Estrela-Bericht“ der EU gewandt. „Denn dieser hatte unter dem Oberbegriff der ’sexuellen und reproduktiven Gesundheit‘ ein Recht auf Abtreibung festgeschrieben und dieses als Handlungsziel europäischer Politik erklärt,“ so Maria Flachsbarth damals als Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.[1]

Umso erstaunlicher ist es aber, dass Maria Flachsbarth nun als internationaler „Champion“, also als eine Art Aushängeschild der Organisation „She decides“ öffentlich auftritt und in den fünf Interview-Fragen zu ihrer Motivation dazu in jeder (!) Antwort die „sexuellen und reproduktiven Rechte“ bzw. den Zugang zu „sexuellen und reproduktiven Gesundheitsdiensten“ feiert.[2]  Sie tut das nun aber für eine selbsterklärte „Bewegung“, die das Recht auf Abtreibung bis zur Geburt unter demselben Begriff der sexuellen und reproduktiven Rechte ausdrücklich fordert!

So entstand „She decides“

Kurz zur Entstehung von „She decides“: Die amerikanische Regierung unter Präsident Donald Trump hatte Anfang 2017 unter Wiederaufnahme der so genannten „Mexico City Policy“ seiner republikanischen Vorgänger denjenigen Organisationen das Funding entzogen, die Abtreibung als Dienstleistung im Rahmen ihrer Gesundheitsförderung fördern oder selbst anbieten.[3]Betroffen davon ist insbesondere die International Planned Parenthood Federation, eine weltweit operierende Stiftung, zu der in Deutschland auch die Organisation „Pro Familia“ gehört.

Unmittelbar nach dem Beschluss der Trump-Regierung hatte sich die Organisation „She decides“ gegründet. Die niederländische Entwicklungsministerin Lilianne Ploumen hatte als Initiatorin zu einer Geberkonferenz eingeladen, der sich zahlreiche Staaten und Organisationen anschlossen. Ausdrückliches Ziel: Das fehlende Funding aus den USA ausgleichen und Frauenrechte stärken, vor allem im Blick auf sexuelle und reproduktive Rechte und Gesundheit. Dabei geht es selbstverständlich auch um die Verhinderung von Nöten und die Stärkung der Rechte von Frauen, insbesondere um sexuelle Selbstbestimmung, gegen Genitalverstümmelungen, gegen Zwangsheiraten und ähnliches mehr. Dass aber der entscheidende Punkt der ausdrückliche Einschluss der Ermöglichung von Abtreibung ist – und zwar ohne Einschränkung und bis zur Geburt des Kindes, ist für Maria Flachsbarth offenbar weniger gravierend.

Wer dem Manifest nicht zustimmt, gehört nicht dazu

Sie persönlich, ebenso wie die Bundesregierung, lehne Abtreibung als Mittel der Familienpolitik und -planung ab, betont sie immer wieder. Die Dokumente von „She decides“ sagen etwas anderes: Sie propagieren ein Manifest, das offen und ohne Einschränkung vom Recht auf sichere Abtreibung spricht[4]. Und sie betonen, das Manifest sei der „nichtverhandelbare Eintrittspunkt“ (!), wenn man Mitglied der Bewegung sein wolle.[5]Maria Flachsbarth ist aber nicht nur Mitglied der Bewegung, sie ist einer ihrer „Champions“.

Ich bin mit Maria Flachsbarth deshalb in ein intensives persönliches Gespräch eingetreten, mündlich und schriftlich. Ich bin ihr für dieses Gespräch sehr dankbar und möchte dafür auch große Wertschätzung ausdrücken. Ich habe ihr aber auch mitgeteilt, dass ich in ihrem Handeln Widersprüche sehe, die sie mir nicht ausräumen konnte. Mehrmals hat Maria Flachsbarth dabei betont, dass sie selbstverständlich gegen Abtreibung sei. Sie habe sich immer wieder in diesem Sinn geäußert und eingesetzt. Sie engagiere sich daher vor allem im Blick auf Chancen, sexuelle Selbstbestimmung, Bildung und Gesundheit von Frauen für „She decides“. Zudem: Sie habe sich als „Champion“ der She-decides-Bewegung im Auftrag der Bundesregierung zur Verfügung gestellt – und das könne eben bisweilen auch zu Loyalitätskonflikten führen.

Maria Flachsbarth tritt nun aber auf der Seite von „She decides“ ausdrücklich als „practicing Roman Catholic“ auf, sie ist also solche nicht nur Mitglied der Bundesregierung, sondern eben auch Präsidentin des Katholischen Deutschen Frauenbundes und Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken.

Ein falscher Eindruck

Mit ihrem Engagement für „She decides“ vermittelt sie den aus meiner Sicht nicht zu leugnenden Eindruck, dass nun auch herausragende Repräsentanten der Katholischen Kirche das „Manifest“ der She decides-Bewegung voll mittragen. Zahlreiche Veröffentlichungen zu dieser Bewegung betonen natürlich ausdrücklich diesen Punkt: Zugang zu sicherer Abtreibung![6] Vernetzung und Unterstützung für „She decides“ läuft über Planned Parenthood[7], über eine Organisation also, die allein im Jahr 2018 nur in den USA 332.757 Abtreibungen durchgeführt hat.[8]Planned Parenthood betrachtet nach dem eindrücklichen Zeugnis von Abby Johnson, einer ehemaligen Klinikdirektorin der Organisation, Abtreibung als wesentliches „Geschäftsmodell“.[9]Die International Planned Parenthood Federation wird von der Bundesregierung mit einem zweistelligen Millionenbetrag unterstützt! Namhafte Stimmen aus ganz Europa und Afrika teilen die Einschätzung, dass es auch „She decides“ neben den Themen der Gesundheit und sexuellen Selbstbestimmung von Frauen vor allem um Abtreibungen gehe.[10]

Für ihr Engagement bei „She decides“ bekommt Maria Flachsbarth auch Kritik aus ihrer eigenen Partei, der CDU, insbesondere von den „Christdemokraten für das Leben“.[11]Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Prof. Dr. Thomas Sternberg, verteidigt Maria Flachsbarth dagegen. Er sieht sie durch „Lebensschützer“ gar „öffentlich denunziert“ oder „diffamiert“. Er sei sich mit Maria Flachsbarth in der Ablehnung von Abtreibung „völlig einig“ und meint, dass man mit ihrer Diffamierung dem gemeinsamen Anliegen des Lebensschutzes „einen Bärendienst“ erweise.[12]

Das Nachsehen hat der Lebensschutz

Ich bin genau umgekehrter Meinung: Ich meine, Maria Flachsbarth unterhöhlt mit einem undifferenzierten Plädoyer als Champion von „She decides“ für „sexuelle und reproduktive Rechte“ gerade dieses Anliegen – und erweist ihm einen Bärendienst. Denn bislang habe ich zum Beispiel keine Antwort bekommen auf die Frage, warum sie diesen Begriff (nämlich „sexuelle und reproduktive Rechte“) gerade auf dieser Internetseite, die für Abtreibung bis zur Geburt wirbt, nicht nach katholischen Verständnis präzisiert hat, nämlich, dass Abtreibung niemals zu rechtfertigen sei. Aus Loyalitätsgründen für die Regierung? Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Minister Gerd Müller als ihr Chef oder die Bundeskanzlerin eine solche Präzisierung untersagen würden.

Maria Flachsbarth betont auch, mit „She decides“ erreiche man viele vulnerable Menschen für Gesundheitsanliegen, die man sonst nicht erreiche. Für mich ist das ein Vorgehen nach der Logik: Der Zweck (das Erreichen der Vulnerablen) heiligt die Mittel (die Inkaufnahme von tausenden im Mutterleib getöteten Kindern). Auch auf diesen Vorhalt habe ich keine Antwort mehr bekommen.

Das Lehramt ist eindeutig

Ich möchte schließlich die Position der Kirche in wenigen markanten lehramtlichen Äußerungen darstellen. Die gewichtigste Aussage stammt aus dem II. Vatikanischen Konzil. In der Konstitution „Gaudium et spes“ (Nr 51) heißt es schlicht: „Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuungswürdige Verbrechen“[13]. Papst Johannes Paul II. hat in seiner Enzyklika Evangelium Vitae geschrieben: „Die sittliche Schwere der vorsätzlichen Abtreibung wird in ihrer ganzen Wahrheit deutlich, wenn man erkennt, dass es sich um einen Mord handelt… Getötet wird hier ein menschliches Geschöpf, das gerade erst dem Leben entgegengeht, das heißt das absolut unschuldigste Wesen, das man sich vorstellen kann.“ (Nr 58)

Und im selben Dokument (Nr 59) sagt der Papst: „Nicht unterschätzt werden darf schließlich das Netz der Mittäterschaft, das sich bis auf internationale Institutionen, Stiftungen und Vereinigungen ausdehnt, die systematisch für die Legalisierung und Verbreitung der Abtreibung in der Welt kämpfen. Damit übersteigt die Abtreibung die Verantwortung der einzelnen Personen und den ihnen verursachten Schaden und nimmt eine stark soziale Dimension an: sie ist eine sehr schwere Verletzung, die der Gesellschaft und ihrer Kultur von denen zugefügt wird, die sie aufbauen und verteidigen sollten.“[14]

Die Kirche und die Schwangerenkonfliktberatung

Vor über 20 Jahren hatte sich in der katholischen Kirche in Deutschland die heftige Debatte um die Schwangerenkonfliktberatung ereignet. Papst Johannes Paul II. hatte damals die kirchlichen Träger angewiesen, keinen Beratungsschein mehr auszustellen, der vom Gesetzgeber her Voraussetzung sein sollte für eine mögliche Abtreibung. Daraufhin haben engagierte Katholiken den Verein „Donum vitae“ gegründet – um so in der Schwangerenkonfliktberatung bleiben und den Beratungsschein weiter ausstellen zu können – und um so mehr Frauen zu erreichen und Abtreibungen zu verhindern. „Donum vitae“ war damit ausdrücklich kein kirchlicher Verein mehr. Aber weil der Verein trotz der Anweisung von Johannes Paul II. Beratungsscheine ausgestellt hat, haben die Bischöfe damals festgestellt, dass eine Mitarbeit bei „Donum vitae“ eine spätere Mitarbeit in einem kirchlichen Träger ausschließe. Und auch wenn sich inzwischen die Wogen zwischen Bischöfen und „Donum vitae“ geglättet haben, ist das Verhältnis immer noch nicht ganz geklärt.[15]Ich erwähne diesen alten Konflikt im Sinne der Vergleichbarkeit: Aus meiner Sicht ist die Mitwirkung bei „Donum vitae“ ungleich harmloser als ein Auftritt als internationaler Champion von „She decides“.

Unser Auftrag: Klarheit im Zeugnis für das Leben

Daher komme ich persönlich zu der abschließenden Bewertung – und sage das ausdrücklich im Anliegen des Zeugnisses für den Lebensschutz und ohne Maria Flachsbarths persönliche Überzeugungen in Abrede stellen oder ihr schaden zu wollen: Weil „She decides“ so eng mit der „International Planned Parenthood Federation“ verbunden ist und zudem für ein Recht auf Abtreibung bis zur Geburt eintritt, verkehrt sich ein Engagement für „She decides“ trotz aller guten Absichten zum Lobbyismus für einen der größten Anbieter von Abtreibung weltweit. Ich halte deshalb ihre Entscheidung, dennoch als ein „Champion“ der „She decides“ Bewegung aufzutreten für unvereinbar mit den herausgehobenen Positionen, die Maria Flachsbarth in der katholischen Kirche in Deutschland einnimmt.

 

[1]https://www.cducsu.de/presse/pressemitteilungen/europa-schuetzt-die-menschenwuerde-von-anfang

[2]https://www.shedecides.com/champions/dr-maria-flachsbarth/

[3]https://www.whitehouse.gov/presidential-actions/presidential-memorandum-regarding-mexico-city-policy/

[4]https://www.shedecides.com/manifesto/

[5]https://shedecides.com/wp-content/uploads/2018/12/SheDecides_AtLocalLevel_11.10.2018.pdf– Hier unter Punkt 2: Background and Context.

[6]Etwa hier: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/sw/Schwangerschaftsabbruch?nid=72669

[7]https://www.shedecides.com/support-unit/

[8]https://www.plannedparenthood.org/uploads/filer_public/4a/0f/4a0f3969-cf71-4ec3-8a90-733c01ee8148/190124-annualreport18-p03.pdf

[9] https://aerzte-fuer-das-leben.de/fachinformationen/schwangerschaftsabbruch-abtreibung/literatur-zu-schwangerschaft-schwangerschaftsabbruch/lebenslinie-warum-ich-keine-abtreibungsklinik-mehr-leite/ Der Film zum Buch: Unplanned. Was sie sah veränderte alles, Gerth Medien Oktober 2020.

[10]https://www.fafce.org/press-release-african-european-voices-united-yes-to-safe-deliveries-no-to-abortion/

[11]https://cdl-online.net/uploads/pdf/cdl-aktuell-2020-02-september.pdf

[12]https://www.kirche-und-leben.de/artikel/ein-baerendienst-fuer-den-lebensschutz

[13]http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19651207_gaudium-et-spes_ge.html

[14]http://w2.vatican.va/content/john-paul-ii/de/encyclicals/documents/hf_jp-ii_enc_25031995_evangelium-vitae.html

[15]https://www.kirche-und-leben.de/artikel/woelki-beratungsscheine-von-donum-vitae-inakzeptabel