Nachdenken über Themen des Synodalen Weges – Hier ein Video zur Thematik der Macht, die im Forum I verhandelt wird. Hier der Text auch zum Nachlesen:
Über Macht, Selbsterhalt und geistliche Autorität
Sexueller Missbrauch – ob in oder außerhalb der Kirche – ist immer auch ein Missbrauch von Macht. Und weil in unserer Kirche unfassliches Leid durch sexuellen Missbrauch entstanden ist, ist es wichtig, dass wir uns darüber verständigen, wie wir Macht verstehen und mit ihr umgehen wollen. Dazu liegt schon ein Entwurf eines Grundtextes des Synodalforums I vor. Ich möchte diesen Text an dieser Stelle nicht diskutieren, das gehört in die Treffen des Synodalen Weges selbst. Ich möchte mit diesem Video im Anschluss an mein erstes Video schlicht einige Gedanken dazu legen – und dazu wieder den Fokus auf die absichtslose Liebe Gottes legen.
Kirche hat Macht, Bischöfe haben Macht, Pfarrer haben Macht. Und in einem gewissen Sinn hat jeder Mensch ob in oder außerhalb der Kirche an der Stelle Macht, an der er lebt und Einfluss auf seine Umgebung ausübt. Macht ist zunächst die positive Möglichkeit das eigene Leben zu gestalten, aber auch Strukturen, Organisationen, Einrichtungen und auch das Leben anderer Menschen mitzugestalten und zu beeinflussen. Und jeder und jede von uns hofft, dass diese Ausübung von Macht, die uns gegeben ist, im guten Sinn ausgeübt wird – zu Wohl der Menschen.
Die Macht und der Primat des Selbsterhaltes
Aber der Missbrauch macht vielleicht deutlicher als alles andere, wie ambivalent das Phänomen der Macht ist. Denn unser Glaube sagt, dass eine der Folgen dessen, was wir Sünde und Erbsünde nennen, die menschliche Selbstbezogenheit ist: Ich zuerst! Und dass mit dieser Selbstbezogenheit der Selbsterhalt das fundamentale Ziel des Menschen geworden ist. Das bedeutet, tief in unserem leib-seelischen Bewusstsein eingezeichnet ist uns das unbändige Bestreben, zu überleben und damit einher geht oft: sich durchzusetzen, andere kleinzuhalten, sich die eigenen Vorteile zu verschaffen. Und unterschwellig schleicht sich in uns ein Anspruch ein, ein vermeintliches Recht darauf, dass es mir immer zuerst um mich und meinen Selbsterhalt gehen darf. Und zwar eigentlich in fast jeder Lebenssituation: Ich zuerst. Und wo dieses vermeintliche Recht zum dann bei den Menschen zum Vorschein kommt, die wirklich Einfluss haben, dort wird jede Macht zweideutig. Dort unterliegt jede Macht der Gefahr, dass sie jemand für sich selbst missbraucht; die eigenen Ziele, das eigene Wohlergehen, die eigene Sicherheit, die eigenen Vorteile zuerst. Und wenn wir ehrlich sind, entkommt diesem Antrieb und dieser Versuchung eigentlich niemand. Wie von selbst agieren wir als natürliche Menschen unter dem Primat des Selbsterhaltes. Und genau hier setzt das Evangelium, setzt Jesus einen entschiedenen Kontrapunkt: Selbsterhalt um jeden Preis? Er sagt: „Wer sein Leben gewinnen will, wird es verlieren. Wer es um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“
Liebe Schwestern, liebe Brüder, wir hören so einen Satz nicht allzu gern. Er führt so ins Herz unseres eigenen Strebens nach Selbsterhalt, dass wir ihn gerne überhören, dass wir ihn nicht so wichtig nehmen; dass wir hoffen, dass Jesus uns auch anders erlöst. Dass wir um die Übung der Selbsthingabe irgendwie drumrum kommen – und trotzdem das Leben mit ihm gewinnen. Aber Jesus zielt deshalb mitten ins Herz, weil es Christen eben nicht um den Primat des Selbsterhaltes gehen soll, weil sie sich verwandeln lassen sollen von Ihm. Worum geht es? Jeder weiß es, es geht im Evangelium um Liebe. Und was sagt er dazu? „Niemand, sagt er, hat eine größere Liebe als wer sein Leben hingibt für seine Freunde“ Im letzten Video habe ich von absichtsloser Liebe gesprochen, die hier eine Konkretion findet: Jesus geht es nirgendwo um bloßen Selbsterhalt. Er gibt sein Leben nicht nur für seine Freunde und nicht nur für die, sondern auch für den allerletzten Sünder. Damit auch der sein Freund wird. Paulus nennt sich den Letzten, die Missgeburt – und wird einer seiner größten Freunde.
Aber, meine Lieben, angesichts dieses Kernstücks des Evangeliums ist es kaum verwunderlich, dass die Zweideutigkeit der Macht auch tief im Amt der Kirche und in der Institution Kirche zu finden sind, das unterschwellige Bestreben nach Selbsterhalt – womöglich vor allem anderen, auch vor den Opfern von Missbrauch und Gewalt. Und deshalb ist es gut und wichtig, dass wir auch Möglichkeiten in der Kirche finden, Macht zu kontrollieren, Teilhabe zu ermöglichen und auch Macht zu delegieren und synodal unterwegs zu sein.
Das Heil der Seelen als oberstes Gesetz
Und daher fragen wir uns auch in einem zweiten Schritt: Wofür ist uns Macht in der Kirche gegeben. Unser Kirchenrecht regelt unter anderem Machtbefugnisse – und im allerletzten Paragraphen auf der letzten Seite unseres Codex steht dieser schöne Satz: „Salus animarum in Ecclesia semper suprema lex esse debet“. Das Heil der Seelen muss in der Kirche immer das oberste Gesetz sein. Liebe Schwestern und Brüder, das bedeutet letztlich, alles worüber uns Verfügungsmacht gegeben ist, über Personen, Finanzen, Strukturen, Immobilien und anderes mehr, all das muss eigentlich dem dienen, wofür Kirche da ist: Und das heißt hier: Das Heil der Seelen, das Heil der Menschen. Die Kirche ist also nicht für sich da, nicht für ihre Macht, nicht für ihren Selbsterhalt, sondern für das Heil der Menschen.
Jetzt kann man als nächstes Fragen: Was ist denn das Heil der Menschen? Dazu gibt es eine schöne Formulierung aus dem II. Vatikanischen Konzil, in der es heißt: „Die Kirche ist in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug, für die innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit der ganzen Menschheit.“ Dafür ist Kirche da, das heißt, das Heil entsteht dort, Menschen in Christus und durch ihn mit dem Gott der Liebe und der Wahrheit versöhnt und vereinigt werden – und in Ihm auch untereinander.
Und wie wirkt nun die Kirche dieses Heil: Indem sie vor allem drei Dinge tut: 1. Sie feiert Gott und feiert darin auch diese Versöhnung der Menschen mit Gott, Kirche ist Liturgie. 2. Sie gibt Zeugnis davon, dass dieses Heil möglich ist und alle Menschen eingeladen sind, umzukehren in die Versöhnung mit Gott. Kirche ist Evangelisierung. Und 3. Sie dient den Menschen, besonders den Armen, den Leidenden, aber darin eben auch der ganzen Schöpfung. Kirche ist Diakonie.
Und jetzt können und müssen wir uns fragen: Dient denn die Macht, die uns gegeben ist, diesem Ziel, dem Heil der Menschen. Helfen wir ihnen sich mit Gott zu versöhnen? Sind wir bei den Menschen in Not? Und glaubt uns unsere Verkündigung noch jemand? Für mich als Bischof ist das eine wirklich eine sehr ernsthafte Frage, die mich bedrängt und die mir auch meine engen Grenzen und die eigenen Schwächen vor Augen stellt: Leite ich so, verwende ich meine reale Macht als Bischof so, lebe ich so, diene ich so, verkünde ich so, dass Menschen zu Christus finden und damit zum Heil?
Wir spüren, dass wir in diesem Punkt oft versagen, wir spüren, dass viele Menschen Kirche so wahrnehmen, dass es ihr um Machterhalt geht und um Selbsterhalt und oft wenig um das, was wir das Heil nennen. Daher geht meine Frage weiter: Bevor wir über strukturellen Machtumbau reden, müssten wir nicht zuerst darüber reden, ob wir uns bei unserem Ziel einige sind? Und müssten wir dann nicht auf die Menschen schauen, die in der Kirche dieses Ziel erreicht haben?
Autorität bedeutet: Wachsen lassen
Wenn wir das tun, dann spüren wir, kommt auf einmal eine andere Dimension von Macht ins Spiel. Ich meine Macht im Sinn von echter Autorität. Autorität kommt von dem lateinischen Wort auctoritas und das wiederum kommt von augere: Das heißt vermehren und wachsen lassen. Und wenn wir uns fragen, was da vermehrt werden und wachsen soll, dann sind wir wieder bei dem Heil der Menschen und bei ihrem Wohlergehen. Zunächst: Ich glaube diejenige Person geht mit ihrer Macht gut um, die sie zum Wohl derer einsetzt, für die sie da ist. Und mit Wohl meine ich in einem weltlichen Sinne zunächst einmal: Kannst Du als leitende Person zulassen und dafür sorgen, dass jemand neben dir wachsen darf, dass er glänzen darf, dass er Erfolg haben und Gelingen erleben darf. Kannst Du ertragen und dich darüber freuen, dass andere etwas besser können als du selbst?
Wenn wir von hier weiterschauen auf Autorität in der Kirche, dann bedeutet es zusätzlich: Trägst Du mit Deiner Autorität dazu bei, dass Menschen neben Dir im Glauben wachsen, im Vertrauen auf die Gegenwart des Herrn? Oder dass sie Barmherzigkeit erfahren dürfen oder dass ihnen geholfen wird, wirklich umzukehren? Hast Du als Christ schon einmal eine Autorität so ausüben können, dass sich andere wirklich bekehrt und zum Heil in Christus gefunden haben.
Kritische Geister halten bei so einer Frage gleich ein Stoppschild hoch: Aufruf zu Bekehrung, Umkehr: Das riecht doch nach Drohbotschaft oder nach Manipulation, kommt da nicht der geistliche Missbrauch um die Ecke? Eine Form der subtilen Machtausübung, die Menschen dahin bringen möchte, wo ich sie gerne hätte? Auch solche Fragen haben ihr Recht. Denn ja, wir sind alle versucht, unseren Einfluss so auszuüben, dass wir einen Erfolg sehen, der nach mir aussieht: „Ich hab die Menschen bekehrt: Sie sind meine Jünger und Jüngerinnen. Sie folgen mir.“ All das kennen wir, liebe Schwestern und Brüder – und geistlicher Missbrauch ist auch überall dort um die Ecke, wo nicht genug draufgeschaut wird, wo und wie jemand „machtvoll“ tätig ist, auch im Dienst der Kirche.
Eben deshalb möchte ich als Korrektiv wieder auf das hinweisen, was ich im ersten Video gesagt habe: Der Kern des Evangeliums ist die absichtslose Liebe Gottes, die uns retten und Heil bringen und auch uns zur absichtslosen Liebe befähigen will. Denn wenn es letztlich in der Kirche mit all dem, was da an weltlicher Macht und geistlicher Vollmacht da ist, darum geht, Menschen zum Heil zu führen, dann sind die mächtigsten Frauen und Männer in der Kirche diejenigen gewesen, die am meisten den Menschen helfen konnten, zu Christus zu finden, zum Heil, zur absichtslosen Liebe. Die Menschen mit der meisten Autorität waren und sind die, denen es am wenigsten um den eigenen Selbsterhalt geht; die am meisten in die Fähigkeit gefunden haben, Gott und den anderen Menschen um ihretwillen zu dienen. Es waren und sind die Heiligen. Denken Sie im vergangenen Jahrhundert an Menschen wie Mutter Theresa oder Maximilian Kolbe, im 19. Jahrhundert an Menschen wie Therese von Lisieux, Don Bosco oder Bruder Konrad. Im Heute die um ihres Glaubens willen Verfolgten. So viele Zeuginnen im Großen und im Kleinen – die für so viele andere Menschen echte Autorität waren, an denen man sich aufrichten und wachsen konnte, von denen man lernen konnte, was es heißt, sich von der absichtslosen Liebe Gottes berühren zu lassen und sie zu verschenken.
Woher kommt die Kraft zur absichtslosen Liebe?
Meine Lieben, jeder und jede von uns hat Grenzen, Fehler, Schwächen, ist ein Sünder. Aber jeder von uns ist auch zur Heiligkeit berufen, das heißt zu einem Glauben, einem Vertrauen, dass Gott wirklich unser Leben tragen kann, dass er hineinwirken kann durch seine Liebe – und dass er uns befähigt, aus dieser Liebe leben zu lernen – für Ihn und für die anderen und sei es nur im Kleinen, Alltäglichen. Und es gibt in unserer Kirche viele Menschen, die auch Sehnsucht danach haben, die das Evangelium in diesem Sinn leben und zu leben versuchen. Aber womöglich gibt es nicht genug in einer Kirche, bei der der sonntägliche Gottesdienstbesuch bei unter 9 Prozent der Gläubigen liegt. Das heißt ja über 90 Prozent der Katholikinnen und Katholiken kommen fast oder gar nicht mehr zu der Feier, bei der sich die absichtslose Liebe Gottes ganz konkret schenkt und uns stärken und in die Welt senden will. Oder in einer Kirche, in der das Sakrament der Versöhnung fast gänzlich verschwunden ist, dieses großartige Geschenk Gottes, durch das wir uns immer wieder neu mit ihm versöhnen lassen können, durch das wir wieder neu hinein genommen und zurück geholt werden in den Liebeskreislauf Gottes.
Ich frag mich deshalb, wo soll denn die Überwindung zur Versuchung des Selbsterhaltes mit allen Mitteln herkommen, wenn wir uns nicht bekehren? Wo soll denn die Kraft zur absichtslosen Liebe herkommen, wenn nicht aus der beständigen Verbindung mit dem, der diese Liebe ist? Deshalb fürchte ich, dass eine Veränderung, die äußerlich bleibt, am Ende keine Veränderung für die Kirche im Sinne einer größeren Fruchtbarkeit bringen wird. Wenn weltliche Macht nur umorganisiert wird, wenn sie nur anders verteilt wird, ohne innere Erneuerung, ohne Rückgewinnung von geistlicher Autorität aus der absichtslosen Liebe – dann wird der Prozess der Marginalisierung von Kirche so weitergehen wie bisher und sich eher noch beschleunigen.
Deshalb glaube ich, dass zum Beispiel eine Stärkung der Feier der Sakramente und des Bewusstseins um Sakramentalität der Kirche unter den Gläubigen ein echter Beitrag sein wird; wo Menschen neu und tiefer entdecken und verstehen, was uns darin geschenkt ist: In der Taufe, in der Eucharistie, in der Firmung, im Sakrament der Versöhnung in der Ehe, im Priestertum, in der Stärkung für die Kranken, dort erneuert sich Kirche – und ihre Glaubwürdigkeit.
Konkrete Veränderungen
Ich bin natürlich dennoch für konkrete Veränderung: Ich glaube, dass eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit auf regionaler Ebene machtvolle Selbstherrlichkeit von Leitenden verhindern oder kontrollieren kann. Das sollten wir einführen, Vorarbeiten sind gemacht – und hoffen auch auf römische Unterstützung. Und ich bin auch für eine Beteiligung von möglichst vielen. Ich bin dafür, dass wir uns neu verständigen über eine Kultur von Leitung und Teilhabe in unserer Kirche. Da sind wir dabei – auch beim Synodalen
Weg. Ich freue mich über den Gedanken der Synodalität und der synodalen Kirche, wie ihn Papst Franziskus erst in seinem jüngsten Buch wieder so gut entfaltet. Darin macht er deutlich, dass ein synodaler Weg ein Weg der echten geistlichen Unterscheidung sein soll. Ein synodaler Weg, sagt er, ist kein Parlament. Es ist vielmehr ein geschützter Raum, in dem jeder Beteiligte aus freiem Herzen und ohne politische Machtinteressen, beitragen soll, was er oder sie zu einer Sache meint. Durch Phasen der Stille, durch gegenseitiges Wohlwollen und echtes Zuhören, kann sich dann durch Gottes Geist zeigen, was der nächste Schritt sein wird. Oder ob man in strittigen Fragen einen Schritt weiterkommt. Ich hoffe sehr, dass auch wir bei unserem Synodalen Weg dorthin kommen. Der Papst sagt freilich auch ausdrücklich, dass bei den synodalen Versammlungen nicht die Fragen der Lehre, nicht die Fragen der traditionellen Wahrheiten verhandelt werden, vielmehr soll es darum gehen, wie die bestehende Lehre heute in neuen geschichtlichen Kontexten gelebt und angewandt werden kann. Ein Maßstab dafür ist durch alle Zeiten hindurch der Dienst. Denn in diesem Punkt ist Jesus für alle Leitenden in seiner Kirche überaus deutlich.
„Ihr wisst, sagt er, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.“
Zum Synodalen Weg
Bischof Stefan hat sich bereits in der Vergangenheit mehrmals zum Synodalen Weg geäußert. Eine Stellungnahme zu den einzelnen Bereichen finden Sie hier.