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Die Frage nach der Impfung

Auch in unserer Kirche ist die Frage hoch umstritten, ob es eine moralische Verpflichtung gibt, sich impfen zu lassen.

Ich möchte dazu folgende Einschätzung geben: Sofern es nicht gravierende gesundheitliche oder andere sehr persönliche Gründe gibt, halte ich es aus moralischen Gründen für sehr wichtig, sich impfen zu lassen. Ich möchte nicht von einer Pflicht sprechen und möchte auch nicht, dass staatliche Stellen uns verpflichten. Aber die zentralen Gründe für eine Impfung geben zumindest für mich selbst den Ausschlag für eine abgewogene, positive Entscheidung für die Impfung.

Zunächst: Wir haben als Menschen grundsätzlich die hohe Verantwortung, für unsere eigene Gesundheit zu sorgen. Diese Pflicht ist natürlich nicht absolut und muss mit anderen Gütern abgewogen werden – zum Beispiel in Situationen, in denen ich meine eigene Gesundheit riskiere für das Wohl anderer Menschen. Aber die Impfung gegen Covid-19 bietet einen inzwischen sehr wahrscheinlichen und überwältigend häufig nachgewiesenen Schutz vor einem schweren Verlauf der Krankheit im Fall einer Infektion. Wir schützen uns also selbst und unsere eigene Gesundheit.

Zweitens: Wir schützen andere – und wir schützen dabei vor allem auch die Schwächeren, nämlich Menschen, die selbst nicht geimpft werden können, weil medizinische Gründe dagegen sprechen. Geimpfte können zwar das Virus auch noch auf andere übertragen, aber offensichtlich sehr viel seltener als Ungeimpfte.

Drittens: Wir tragen mit einer Impfung dazu bei, dass unser gesellschaftliches und kirchliches Leben wieder in normale Bahnen zurückkehren kann – und wenden damit auch andere Formen von Not und Schaden von den Menschen ab: materielle, kulturelle, persönliche und andere Not.

Dazu unterstützen wir mit einer Impfung auch die großen Anstrengungen, die die vielen Verantwortlichen in Politik, Gesellschaft und vor allem in medizinischer Forschung aufgebracht haben, um möglichst zügig wirksame und sichere Impfstoffe produzieren und unter möglichst vielen Menschen verteilen zu können. Nach allem, was wir wissen, sind die möglichen Nebenwirkungen in Qualität und Quantität vergleichsweise marginal im Verhältnis zum großen Nutzen der Impfung für die Vielen.

Als Katholik möchte ich zusätzlich auch auf das Votum von Papst Franziskus verweisen, der häufig und auch im Einklang mit vielen weiteren kirchlichen Verantwortungsträgern dazu aufgerufen hat, sich impfen zu lassen. Er hat den Zugang zu Impfungen für die Armen in Rom gefördert und dafür gesorgt, dass auch in ärmeren Ländern Impfstoffe verteilt werden. Für ihn ist es ein Werk der Liebe, sich impfen zu lassen.

Mancher weigert sich an einer Impfung teilzunehmen, weil es auch solche Impfstoffe gibt, die mithilfe von Zelllinien abgetriebener Föten gewonnen wurden. Auch diesem Problem hat sich die römische Glaubenskongregation gestellt und folgendes gesagt: „Der Hauptgrund, die Anwendung dieser Impfstoffe als sittlich erlaubt zu betrachten, liegt darin, dass die Art der Mitwirkung am Übel (passive materielle Mitwirkung) der Abtreibung, von der diese Zelllinien stammen, seitens derjenigen, die die entstehenden Impfstoffe erhalten, eine entfernte Mitwirkung ist. Die moralische Pflicht, eine solche passive materielle Mitwirkung zu vermeiden, ist nicht bindend, wenn eine schwerwiegende Gefahr besteht, wie z. B. die ansonsten nicht eindämmbare Verbreitung eines schweren Krankheitserregers – in diesem Fall, die pandemische Ausbreitung des Covid-19 verursachenden SARS-CoV-2 Virus. Es gilt also festzuhalten, dass alle Impfstoffe, die als klinisch sicher und wirksam anerkannt sind, in diesem Fall verwendet werden können, mit dem sicheren Gewissen, dass die Inanspruchnahme dieser Impfungen keine formale Mitwirkung an der Abtreibung, aus der die Zellen, mit denen die Impfstoffe hergestellt wurden stammen, bedeutet. Es ist allerdings zu unterstreichen, dass die moralisch zulässige Verwendung dieser Arten von Impfstoffen aufgrund der besonderen Bedingungen, die sie eben rechtfertigen, in sich keine (auch nicht indirekte) Legitimation für die Praxis der Abtreibung darstellen kann und die Missbilligung der Abtreibung seitens jener, die die Impfstoffe nutzen, voraussetzt.“ Freilich: Wenn es die Wahl und wirksame Impfstoffe gibt, die nicht unter Verwendung von Zelllinien von Föten entwickelt wurden, sollte diesen aus unserer Sicht der Vorzug gegeben werden.

Schließlich will ich trotz dieser guten Gründe nicht, dass Menschen gezwungen werden, sich impfen zu lassen und ausdrücklich sagen: Es gibt keine generelle Pflicht und soll keine geben. Es muss eine freie, gewissenhaft abgewogene, persönliche Entscheidung der einzelnen Person bleiben. Aber ich hoffe ehrlich auf eine vernünftige Abwägung – und möchte daher alle Zweifelnden aufrufen, die genannten Argumente gut zu überlegen – und den Schritt zur Impfung zu gehen. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag für sich selbst, für andere, für die Gesellschaft und nicht zuletzt für das Glaubensleben der Kirche.

 

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