Bild: S. Hintermayr / pbp

Die Krise der Kirche – und die Hilfe der Christen

Hier zum Nachlesen: Die Predigt zum Fest Maria Hilfe der Christen, zur Ausrufung der Maria-Hilf-Woche und zu meinem 8. Weihejubiläum.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

kürzlich habe ich in einer öffentlichen Debatte über die Krise der Kirche die Frage gehört: Sind die Bischöfe in unserer Kirche heute nicht eher ein Hindernis für den Glauben als das, was sie sein sollten, nämlich Türöffner für den Glauben oder auch so etwas wie die ersten Verkünder des Glaubens in einem Bistum? Ist das Bischofsamt, das mir heute vor acht Jahren übertragen worden ist, inzwischen zum Antizeichen geworden?

 Bischöfe als Projektionsfläche?

Tatsächlich spüre ich, wie wir Bischöfe in diesen Krisenzeiten zunehmend zur Projektionsfläche für  alle möglichen Schwierigkeiten und Probleme in der Kirche werden, vor allem für Skandale, wie den Missbrauchs- oder manchen Finanzskandal. Und tatsächlich ist dieses Amt ja eine große Provokation in einer Gesellschaft wie der unseren, in der alles ausdiskutiert wird. In der insbesondere unsere alten und neuen Medien zunehmend die Rolle der Hüter der Moral beanspruchen. Mitten in einer modernen, pluralen, demokratischen Gesellschaft gibt es eine Kirche mit einem Bischofsamt, das sich zuerst von Gott legitimiert und beauftragt sieht – und nicht durch demokratisch und medial ausgetragene Meinungsbildungsprozesse. Und obwohl von Gott beauftragt, sind natürlich auch wir fehlerhafte Menschen und arme Sünder. Und das ist gerade heute schwer zu verstehen.

Wie umgehen mit Macht?

Und natürlich gestehe ich sofort, dass mich die Fülle der Entscheidungsbefugnisse, die in unserer Kirche mit dem Bischofsamt verbunden sind, durchaus immer wieder erschreckt hat; auch dass es Machtmissbrauch durch Bischöfe und andere Verantwortliche in der Kirche gibt und immer gegeben hat. Daher bin ich mit vielen anderen Menschen der Meinung, dass wir Möglichkeiten finden sollen, wie stärkere Teilhabe von vielen passieren kann, auch wie Möglichkeiten von Rechenschaft und Kontrolle im Blick aufs Bischofsamt eingeführt oder schon bestehende verbessert werden können. An alledem arbeiten wir in verschiedenen Prozessen auf der Ebene unseres Bistums, der Kirche in Deutschland und mit Papst Franziskus in der Weltkirche.

Der Anlass, mit Glauben und Kirche abzurechnen

Aber es sind aus meiner Sicht nicht nur diese Fragen nach dem Umgang mit Macht, nach Missbrauch, nach Finanzen oder ähnlichem, die uns heute so bedrängen. Die meisten dieser Fragen haben ja auch ihre Berechtigung und verlangen nach Veränderung – um die wir uns auch redlich mühen. Aber ich glaube tatsächlich auch, dass es in dieser gesellschaftlichen Atmosphäre von heute immer leichter möglich wird, unseren Glauben und unser Glaubensfundament sehr grundsätzlich in Frage zu stellen – inner- und außerkirchlich. Und die genannten Probleme und Skandale sind für nicht wenige Menschen dann ein willkommener Anlass sehr viel grundsätzlicher mit der Kirche und ihrem Glauben abzurechnen.

Der Anspruch des Gekreuzigten: Ich bin der Herr

Und ich meine, das liegt vor allem daran, dass mit unserem Glauben ein solcher Anspruch verbunden ist, wie ihn uns das Evangelium stellt. Denn wenn der Glaube wahr ist, dann gibt es letztlich nur einen einzigen Herrn der Welt, der zugleich auch mein Herr sein will, der in meinem Innenleben den Raum einnehmen will, der Ihm gebührt. Und der die anderen Herren, die es in mir auch gibt – und die auch Raum einnehmen wollen, eigentlich entmachten will.  Und sind wir ehrlich: Fragen wir uns einfach mal: Was ist in meiner Seele der oder das allerwichtigste? Was ist mir das Kostbarste? Auf was hin sind meine Energien und Sehnsüchte ausgerichtet? Und wenn es in unserem Glauben nicht Jesus ist, dann lassen wir anderes in uns dominieren – und das dominiert dann notwendig auch über ihn in uns. Er will entmachten, ohne wenn und aber. Aber sein Weg  der Entmachtung ist leise und tief und zärtlich – und manchmal führt er über große Umwege. Aber es gibt gar keinen Zweifel, ob wir wollen oder nicht: Er ist der Herr – und wenn anderes in uns mehr herrscht als er; wenn vor allem mein eigenes Ego mehr herrscht als er, dann wird er zum Götzen. Dann fangen wir an zu bestimmen, wer er für uns ist und sein soll. Dann bleiben wir in uns die Mächtigen – und degradieren ihn zum Spielball unserer Interessen. Dann darf er vielleicht ein wenig mein Leben mit dekorieren. Wie gnädig von mir! Aber dann ist er nicht Herr. Und wenn ich ehrlich in mich hineinspüre, dann gibt es auch die Seiten in mir, die einfach nicht entmachtet werden wollen, die Seiten, die selbst Herr sein wollen. Komische Angewohnheiten, die mir lieb geworden sind. Kleinere Süchte vielleicht, mangelnde Kontrolle über bestimmte Triebe, oder Denkgewohnheiten über andere, jemanden gering schätzen, manche Selbstüberschätzung. Und in der Mitte von allem ein sich aufspielendes Ego, das insgeheim am liebsten selbst angebetet werden und deshalb eigentlich von Christus nichts wissen will.

Auch die Gesellschaft ahnt diesen Anspruch – und will sich seiner entledigen

Und ich glaube nun, gerade in einer Gesellschaft wie der unseren, die so auf Individualität aus ist, auf eine Freiheit aus ist, die sich von nichts und niemanden einschränken lassen will, die so auf materielles Wohlbefinden aus ist und mehr, in so einer Gesellschaft spüren insgeheim auch weite Teile dieser Gesellschaft, welch ein Anspruch eigentlich vom Gekreuzigten ausgeht. Und dann will man sich dieses Anspruchs entledigen, in unhörbar machen. Und man hat jetzt endlich scheinbar die Mittel, die Skandale, den Missbrauch, die allgemeine Stimmung zur Hand – um den ganzen Glauben und die Kirche unmöglich zu machen. „Wenn die Welt euch hasst, sagt Jesus im Johannes-Evangelium in seinen Abschiedsreden, dann wisst, dass sie mich schon vor euch gehasst habt.“ Warum? Weil ihr eigentlich nicht von der Welt, sondern neu geboren, neu aus Gott geboren seid. Ihr gehört und gehorcht nicht mehr demjenigen, was sich in dieser Welt als mächtig aufspielt, weder in euch noch außerhalb von euch. Ihr gehört zu Jesus.

Die Vision des Sehers: Der Drache und die Frau

In der zweiten Lesung haben wir von dieser ungeheuren Vision des Sehers gehört. Dieser riesige Drache mit sieben Köpfen und zehn Hörnern – und ihm gegenüber eine schwangere Frau, eine Gebärende und es wurde gesagt, dass der Drache mit seiner riesigen Macht das Neugeborene verschlingen wollte. Aber das Kind wird zu Gott entrückt. Der Drache kann gegen das Kind nicht an. Das Kind ist ja Gott – der Drache nur ein Geschöpf.  Aber fortan verfolgt er die Frau, die Gestalt, die hier sowohl auf die Mutter Jesu hin gedeutet werden kann, wie auch auf die Kirche insgesamt. Die Kirche ist ja der Ort all derer, in denen Gott selbst geboren wird, anfängt zu wachsen, anfängt Herr zu sein und zu herrschen. Aber eben nicht in einer Weise, wie in der Welt geherrscht wird, mit Gewalt, mit Angst, mit Unterdrückung, sondern mit Liebe, mit Einladung, mit Freude, mit Dank, mit Sinnerfahrung. Und tatsächlich, wenn wir diese Erzählung weiterlesen, dann verfolgt der Drache diese Frau als diejenige, aus der Gott geboren wurde. Und der Text fügt hinzu: Der Drache verfolgt auch die Kinder der Frau. Und das sind die, die am Zeugnis für Jesus festhalten.

Der Text der Offenbarung sagt dann auch, dass der Ort, den Gott der verfolgten Frau zuweist, die Wüste ist. Und die Wüste ist jener Ort, der in der Schrift immer wieder neu als Ort der Gottesbegegnung und Gottesgeburt erzählt wird. Und in der Wüste ist die Frau, auch beschützt vor den Angriffen des Drachens.

Maria und die Wüste

Geistlich gesprochen kann man auch sagen: Wenn wir innerlich zu Maria gehen, dann gehen wir in die Wüste. In der Wüste ist der Mensch ausgesetzt, er ist all der Dinge ledig, die ihn sonst umgeben und ablenken und die ihm Befriedigung zu verschaffen scheinen und die Macht über ihn haben wollen. In der Wüste gibt es fast nichts davon. In der Wüste aber, so erzählen uns die Propheten, hat Gott sein Volk umworben und zur Braut genommen. Die Wüste ist auch der Ort der Vermählung Gottes mit seiner Braut, mit seinem Volk.

 Maria hilf!

Liebe Schwestern und Brüder, all die Jahrhunderte haben Menschen in Zeiten der Bedrängnis zur Mutter Gottes Zuflucht genommen. Besonders auch hier und besonders unter dem Anruf: Maria hilf! Mancher fragt sich: Warum sind sie denn nicht gleich zu Jesus gegangen, den direkten Weg sozusagen? Ich würde darauf antworten: Weil Maria der direkteste Weg zu Jesus selbst ist. Sie ist der Ort, die konkrete, geschaffene Person in der Welt, die ganz frei und ganz empfänglich auf Gott hin ausgerichtet ist. In ihr hat der Himmel, hat Gott selbst Wohnung genommen. Sie ist vollständig erfüllt von Ihm selbst. Sie ist deshalb die Urgestalt der Kirche, ja sie ist in bestimmter Weise die Kirche selbst, in der Gott wohnt. Und zwar die Kirche, die auch innerlich in der Wüste ist, frei für das Geschehen der innigen Vermählung der Vereinigung mit Gott.

Menschen der Kirche

Und liebe Schwestern und Brüder, als es für mich unvorhersehbar vor acht Jahren dazu kam, dass meine Bischofsweihe genau auf den 24. Mai fallen sollte, am Tag Maria, Hilfe der Christen, da dachte ich mir: Ich würde dieses Bistum und alle, die in ihm Gott suchen und glauben wollen, unter den besonderen Schutz der himmlischen Frau stellen wollen. Auch mich und meinen Dienst. Auf dass wir in ihrer Nähe und mit ihrer Hilfe Jesus näher kommen. Auf dass wir in Maria das tiefe Geheimnis der Kirche wahrnehmen können. Und auf dass wir beschützt seien vor dem, was sich in diesen Zeiten auch im geistlichen Kampf gegen die Kirche und damit auch gegen uns richtet. Von ihr her sehen wir, dass die Kirche so viel mehr ist als Strukturen, als Macht, als Skandale, als die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen und ihren Reizthemen. Kirche ist von innen her Gegenwart Jesu. Sie ist seine Einladung, kirchliche Menschen zu werden. Menschen, in denen er selbst Wohnung nimmt, weil sie ihn lieben und weil sie immer mehr lernen, ihn Herr sein zu lassen.

Die Kirche von Passau

Und so danke ich Ihnen allen, und all denen, die mit mir zusammen Kirche sein wollen, Kinder der Mutter Gottes, Kinder des Vaters im Himmel und Geschwister Jesu, unseres Bruders und unseres Herrn. Es ist so wohltuend, von vielen Männern und Frauen begleitet zu sein, die mit Kopf und Herz für Gott und die Kirche gehen. Passau ist in dieser Hinsicht wirklich ein so schönes Bistum mit so vielen guten und engagierten Menschen in unserer Kirche, im Haupt- und Ehrenamt, denen ich allen von Herzen danken möchte.

Der Blick nach vorne: Der Kampf wird schwerer

Ich möchte aber auch beinahe voraussagen, dass die Zeiten für gläubige Menschen in Zukunft nicht leichter, sondern eher noch schwerer werden, eher herausfordernder. Der Kampf um die Kirche, um das, was sie im Innersten ist, wird womöglich massiver werden. Vielleicht werden wir noch mehr Austritte erleben und Menschen, die sich enttäuscht von der Kirche abwenden. Womöglich liegt das tatsächlich auch an mir selbst und an manchen von uns, die wir alle berufen sind, ein kräftiges Zeugnis zu geben, es aber oft nur schwächlich tun. Unser Zeugnis ist vor allem die Freude, die Freude zu Jesus zu gehören, die Freude Kinder dieser Kirche zu sein, Kinder der Mutter Gottes und Geschwister Jesu. Wir dürfen im Glauben schon erspüren, wo wir endgültig zuhause sein werden. Wir sehen innerlich den Himmel schon offen für uns alle. Und der Herr will uns in diesen Zeiten weder demütigen noch beschämen. Er will uns ermutigen, froh und dankbar unser Zeugnis in Wort und liebender Tat all denen zu geben, die mit uns sind. In diesem Sinn beten wir für unser Bistum, für die Maria-Hilf-Woche und für alle Menschen, die uns ein Anliegen sind und für meinen Dienst: Maria, Du Hilfe der Christen, bitte für uns. Amen.