Bild: Pressestelle Bistum Passau

Alle Völker sind gerufen: Epiphanie 2016

Alle Völker sind gerufen: Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Hochfest der Erscheinung des Herrn, dem Dreikönigstag 2016.

Liebe Schwestern und Brüder,
die erste Lesung aus dem Jesaja-Buch enthält eine Vision des Propheten davon, wie in Jerusalem das Licht aufstrahlt. Nach den dunklen Jahren des babylonischen Exils, nach Verwüstung und Beherrschung durch die Besatzungsmacht, kehrt Israel nach Hause zurück. Das Volk, so sagt der Prophet, wird erleben, dass Gott sich wieder bei ihnen niederlässt in seinem Heiligtum. Das Licht des Allmächtigen wird wieder in Jerusalem aufstrahlen und weit, weithin leuchten.

Und weil dieses Licht dann aufstrahlt, werden die anderen Völker kommen, weil sie verstehen lernen. Hier lebt ein Volk einfach anders als die anderen. Dieses Volk hat eine andere, eine viel tiefere Mitte. Und deshalb pilgern dann die Völker selbst hin zu diesem Licht und sogar die Könige kommen herbei. Alle versammeln sich dort und geheimnisvoll heißt es nun auch: Deine Söhne kommen von fern und deine Töchter trägt man herbei? Wie? Sind auf einmal die, die von ferne kommen auch Söhne und Töchter, nicht nur die Kinder der Israeliten?

Das Licht strahlt auf, wenn die Völker kommen

Wir erinnern uns hier vielleicht an ein Psalmwort aus dem Psalm 87. Da besingt der Psalmist auch eine Völkerwallfahrt zum Zion und die Menschen, die dort hinkommen, erkennen plötzlich: Jeder ist dort geboren, denn Er, der Höchste, hat Zion gegründet.

Liebe Schwestern und Brüder, wenn Jerusalem das ist, was es wirklich ist und wozu es berufen ist, nämlich Wohnort Gottes in der Welt, wenn die Israeliten das sind, wozu sie berufen sind, nämlich ein heiliges, ein priesterliches Volk, das mit Gott und aus seiner Gegenwart lebt, dann werden viele aus den anderen Völkern plötzlich erkennen. Der eigentliche Gründer Zions ist wirklich der Herr. Und dann ist das, woraus die dort in Jerusalem leben, dann ist das auch mein eigener Ursprung. Auch ich bin dort geboren, ja, jeder ist dort geboren, weil jeder Mensch, ausnahmslos berufen ist, als Kind Gottes zu leben und in diese Dimension wieder neu hineinzufinden.

Die Wallfahrt der Völker zum Wohnort Gottes

Paulus hat in der zweiten Lesung aus dem Epheserbrief diese Vision deutlich vertieft. Er schreibt, er habe eine Offenbarung erhalten durch den Geist. Dass nämlich die Heiden, also alle Völker, die nicht zum jüdischen Volk gehören, dass die alle zum selben Leib gehören und Miterben sind in Christus Jesus.

Deshalb, meine Lieben, prophezeit Jesaja hier im Alten Testament etwas, dessen Verwirklichung er noch nicht sehen, noch nicht erleben durfte oder vielleicht nur im Ansatz und in Ahnungen. Aber die Kirche stellt diese Lesung von der Völkerwallfahrt zum Zion nun ganz bewusst in die Liturgie des Festes am heutigen Tag. Und sie bezieht damit die Wallfahrt der Sterndeuter aus dem Osten auf diese Prophetie Jesajas.

Maria und Josef

Allerdings: Im heutigen Evangelium geht es nicht um Zion, um Jerusalem als konkrete Stadt, es ist hier eher ein armseliger Stall oder eine Unterkunft in Betlehem, aber in diesem Stall sind zwei der Repräsentanten Zions schlechthin. Maria, die Mutter Jesu und Josef, der im Evangelium einfach nur der Gerechte genannt wird.

Diese beiden dürfen als Vertreter derjenigen verstanden werden, die das Alte Testament so oft den heiligen Rest nennt, Menschen des Volkes Gottes, die in der Treue zur Berufung Israels leben trotz aller Wirren und Kämpfe und Versuchungen ihrer Zeit. Diese beiden, Maria und Josef, sind also Juden im allerbesten und treuesten Sinn des Wortes, eine Tochter und ein Sohn Zions.

Bethlehem, Haus des Brotes

Und diese beiden gehen gewissermaßen an einen geheimnisvollen Ursprung zurück, gehen in die Geburtsstadt Davids nach Bethlehem. Betlehem heißt übersetzt: Haus des Brotes. Sie gehen also auch dorthin, wo eine andere Prophezeiung aus dem Buch Micha, die Geburt des Messias verheißen hat, wie wir im Evangelium gehört haben, eine Prophezeiung, die den Herodes so sehr beunruhigt hat. Herodes ist gewissermaßen der Anti-Repräsentant des jüdischen Volkes.

„Jesus kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ (Joh 1,11) Aber Maria und Josef, diese exemplarischen Vertreter ihres Volkes, gehen nun also in den Ort, der Haus des Brotes heißt, und sie wissen noch nicht, dass sie dorthin gehen, wo der geboren wird, der später von sich sagen wird: „Ich bin das Brot des Lebens.“ (Joh 6,48)

Die Geburtsstunde der Menschheitsfamilie

Aber nun strahlt unter ihnen, wo diese beiden Israeliten, Maria und Josef, wo sie im Namen des Herrn beieinander sind, dort strahlt ihnen das helle Licht auf. Der Retter ist da. Hier, meine Lieben, ist gleichzeitig Geburtsstunde der neuen Stadt, Geburtsstunde des neuen, des himmlischen Jerusalems, nämlich Geburtsstunde der Gemeinschaft all derer, die zu Jesus gehören, Geburtsstunde der Menschheitsfamilie, die in Ihm und bei Ihm ihren Zugang zu Gott neu finden.

Jeder ist dort geboren, sagt der Psalmist. Die Hirten, die Armen kommen als allererste vom Feld und beten an und gehören dazu. Und heute, am heutigen Festtag beginnt die verheißene Völkerwanderung hin zu dieser Anfangsgestalt des neuen Jerusalem. Die Völkerwanderung beginnt dorthin in ihren ersten berühmten Repräsentanten: In den Sterndeutern aus dem Orient.

Wir sind Teil der wandernden Völker

Und wenn wir von hier auf das Pfingstereignis schauen, Schwestern und Brüder, dann sehen wir plötzlich etwas ganz Analoges. An Pfingsten sind wir im konkreten, im geschichtlichen Jerusalem vor knapp 2000 Jahren, aber dann sind wir auch bei denen, die zu IHM gehören, bei der Gemeinschaft, die er schon um sich versammelt hat, wir sind bei den Zwölf Aposteln und wieder bei Maria – und diese bleiben zusammen im Obergemach und beten und beten und beten.

Bis der Geist kommt, bis der Geist wie Feuer zu ihnen kommt und in ihnen ihre Herzen hell macht und wie ein helles Licht in ihnen und durch sie aufstrahlt. Dunkelheit bedeckt alle Völker der Welt: hier aber macht sich Jerusalem auf und wird Licht. Hier ist die Gestalt des neuen Jerusalem schon um die Jünger erweitert.

Aber jetzt machen sie die Türen auf, treten hinaus und begegnen nun, wie es heißt: Männer aus allen Völkern. Und die werden aufgezählt: Juden und Proselyten, Araber und Kreter und viele andere mehr. Die Völker wandern hin zum Zion und entdecken in der Gemeinschaft des Neuen Jerusalem ihren eigentlichen Geburtsort, in der Gemeinschaft derer, in deren Mitte Jesus lebt und leuchtet.

Daheim bei Jesus

Im Grunde, Schwestern und Brüder, ist dieses Fest unser aller Fest. Die allermeisten von uns, die wir hier sind, entstammen nicht dem Volk, das Gott zuerst erwählt hat. Die meisten von uns sind die getauften Heiden, diejenigen, die Zugang bekommen haben zum Neuen Jerusalem. Wir gehören zu den Völkern, die in diese Gemeinschaft hinein gehen und entdecken. Hier ist unser eigentlicher Ursprung, hier in der Gemeinschaft derer, die das Licht haben, die das Licht kennen, in denen das Wort Fleisch geworden ist.

Hier will ich wohnen, hier will ich dazugehören, hier ist Leben, ewiges Leben, hier bin ich daheim – bei Jesus. Und durch Ihn beim Vater. Liebe Schwestern und Brüder, das neue Jerusalem ist hier. Wir sind heute die Repräsentanten aus den Heidenvölkern, die zur Krippe kommen. Maria ist die erste, die Urgestalt der Kirche, wie das Konzil sagt. Sie ist die heile, die geheilte Schöpfung, die uns in aller Zärtlichkeit das Kind aus der Krippe nimmt und ans Herz legt, auf dass es mit uns und in uns wachse. Dass wir wachsen in Glaube, Hoffnung und Liebe.

Frieden für uns und alle Völker

Aber auch auf dass es den Frieden in uns wirke und unter uns. Die Christen aller Zeiten haben nämlich auch dies erfahren. Solange der Mensch keinen Frieden in sich hat, das heißt, solange er nicht mit Gott versöhnt ist, solange bleibt auch der äußere Friede zwischen den Menschen prekär, solange bleibt er im Grunde nur ein Waffenstillstand.

Erst in Christus ist wirkliche Versöhnung zwischen den Völkern, erst in Ihm wird die Menschheitsfamilie so versammelt, dass die Menschen entdecken: Jeder ist aus ihm geboren und wir sind alle miteinander Schwestern und Brüder. Das letzte Konzil, meine Lieben, hat die Kirche selbst ein Sakrament genannt, das heißt ein Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit.

Wir alle, die wir zur Kirche gehören dürfen, zur Braut unseres Herrn, wir sind in der Kirche berufen, Zeichen dafür zu sein, dass jeder Mensch zur Zugehörigkeit zu Gott in Christus berufen ist und dass wir ausnahmslos alle, alle Menschen in Gott Brüder und Schwestern sind. Und wir sind berufen, in der Welt, unter den Menschen, vor allem dort wo sie im Dunkeln leben, sein helles Licht aufstrahlen zu lassen, sein Licht, das wir empfangen haben, aus der Krippe, vor der wir heute zusammen mit den Sterndeutern knien. Amen.