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Interview: 10 Jahre Bischof von Passau

Am 24. Mai 2014 ist Stefan Oster zum 85. Bischof von Passau geweiht worden und feiert in diesem Jahr „10 Jahre Bischof von Passau“. Hinter ihm liegt ein bewegtes Jahrzehnt. Was bleibt, was ihm Kraft gibt und wie er die Zukunft der Kirche sieht, berichtet er im Interview mit Armin Berger und Wolfgang Krinninger vom Passauer Bistumsblatt.

Herr Bischof, am 24. Mai 2014 wur­den Sie zum 85. Ober­hir­ten der Diö­ze­se Pas­sau geweiht. Tau­sen­de Gläu­bi­ge waren damals da. Wie erin­nern Sie sich an Ihre Ankunft im Bis­tum Pas­sau?

Ich war – ehr­lich gesagt – wie ein stau­nen­der klei­ner Jun­ge, der ja wenig Ahnung hat­te von die­sem Dienst. Ich wuss­te nicht, was da auf mich zukommt, und gleich­zei­tig war ich auch ein biss­chen, sagen wir mal, beängs­tigt, weil ich auch gespürt habe, dass eine rie­si­ge Erwar­tungs­hal­tung da ist, ver­bun­den mit die­ser Euphorie.

Sie haben ver­sucht, die­se Eupho­rie ein biss­chen zu brem­sen und um Geduld gebe­ten, wenn Sie den Erwar­tun­gen nicht ganz gerecht wer­den kön­nen.

Ja, das weiß ich noch. Vor allem war ich noch nie ein beson­ders guter Sän­ger. Mei­ne eige­ne Selbst­be­schrei­bung ist: Frü­her war ich grot­ten­schlecht, jetzt bin ich nur noch schlecht. Aber es hat eine leich­te Stei­ge­rung gege­ben. Außer­dem nei­ge ich manch­mal dazu, län­ger zu pre­di­gen. Ich habe gesagt: ​Freun­de, da müsst ihr euch dran gewöh­nen hin und wie­der.“ Und dann pre­di­ge ich sehr chris­to­lo­gisch. Es geht immer direkt oder indi­rekt um Chris­tus. Und inter­es­san­ter­wei­se ver­bin­det man mit jeman­dem, der gefühlt freund­lich und als Bischof jün­ger ist als der Durch­schnitt, auto­ma­tisch klas­si­sche Reform­an­lie­gen. Und natür­lich gibt es da vie­le The­men, über die man reden muss und die man auch erklä­ren und ver­tie­fen muss.

Aber Sie sind mit Ihrem Kurs oft auch ange­eckt…
Ja, natür­lich, wenn man sich da in eine Min­der­hei­ten­po­si­ti­on begibt, dann ist man schnell mal in Erklä­rungs­not. Zudem wird mit kon­ser­va­tiv immer gleich­zei­tig ver­bun­den, dass jemand irgend­wie böse ist oder kei­ne Ahnung hat oder ein Beton­kopf ist. Das zeigt sich dann auch in der Bil­der­spra­che in den Medi­en. Man sucht sich dann zu jeman­dem, der nicht die Main­stream-Posi­ti­on hat, immer irgend­wel­che Bil­der, auf denen der ganz komisch oder ganz grim­mig schaut.
Der Syn­oda­le Weg wur­de ja ein­ge­rich­tet damals als Reak­ti­on auf die vie­len Miss­brauchs­fäl­le in der katho­li­schen Kir­che. Wie, glau­ben Sie, kann das Ver­trau­en wie­der wach­sen?
Es ist da in den ver­gan­ge­nen Jah­ren wirk­lich viel pas­siert. Sowohl im Bis­tum Pas­sau wie auch auf der Ebe­ne der Bischofs­kon­fe­renz – in der Auf­ar­bei­tung, in der Prä­ven­ti­on wie auch in der Sor­ge um die Betrof­fe­nen. Natür­lich gibt es im Blick auf die Betrof­fe­nen auch das Gefühl: Es ist nie genug, was wir tun. Aber wenn wir auf ande­re gro­ße Orga­ni­sa­tio­nen schau­en, in denen auch Miss­brauch pas­siert, habe ich das Gefühl, es gibt kei­nen Ort, kei­ne Orga­ni­sa­ti­on, wo so tief­grei­fend und so ehr­lich ver­sucht wird, sich dem The­ma zu stel­len. Wir ver­su­chen, wirk­lich auch an die Ursa­chen ran­zu­ge­hen und uns um die Betrof­fe­nen zu sor­gen, die Prä­ven­ti­on zu stär­ken, um die Kir­che zu einem siche­ren Ort zu machen.
Wir sind da auf einem guten Weg. Des­halb kön­nen wir, glau­be ich, auch all­mäh­lich aus dem Selbst­an­kla­ge­mo­dus raus­kom­men und sagen, unser Glau­be ist schön und tief und groß. Und er hilft Men­schen zu leben. Wir müs­sen uns dafür nicht ver­ste­cken, vor allem weil es nicht der Glau­be ist, den wir uns gemacht haben, son­dern der, den wir über­lie­fert bekom­men haben. Ich sage daher auch mit eini­gem – rich­tig ver­stan­de­nem – Selbst­be­wusst­sein, unser Glau­be ist wun­der­bar und hat mit Chris­tus ein unglaub­li­ches Allein­stel­lungs­merk­mal; wenn das wahr ist, dass er lebt und unter uns ist, dann müs­sen und dür­fen wir das auch immer wie­der neu verkünden.
Aber den­noch wird die Gemein­schaft der Gläu­bi­gen klei­ner. Und das betrifft ja gera­de auch die­je­ni­gen, die das Glau­bens­le­ben orga­ni­sie­ren.

Das eine ist: Es ist noch viel da. Es sind vie­le Men­schen da, die sich für die Kir­che enga­gie­ren und ehren­amt­lich unter­wegs sind. Ich freue mich auch sehr über unse­re guten Pries­ter und die enga­gier­ten Mit­ar­bei­ter in der Pas­to­ral, in der Kir­chen­mu­sik, im haupt­amt­li­chen Dienst. Und nicht weni­ge Ehren­amt­li­che tun so viel! All das erfüllt mich mit Dank – und gleich­zei­tig macht es mir Sor­gen, dass gera­de die Zahl der Pries­ter­amts­kan­di­da­ten wie auch die Zahl derer in Aus­bil­dung für Pas­to­ral­be­ru­fe über­all dras­tisch zurück­ge­gan­gen sind – auch bei uns.

Was wir nicht so gut kön­nen, ist Din­ge blei­ben las­sen, die nicht mehr so gut funk­tio­nie­ren. Katho­li­zis­mus in einem eher länd­li­chen Raum wie dem unse­ren ist behar­rend und in gewis­ser Wei­se struk­tur­kon­ser­va­tiv. Den Men­schen fällt es schwer, das hei­mat­li­che, alles was an Gefühls- und Erfah­rungs­welt damit ver­bun­den ist, zu ver­las­sen. Wenn wir sagen, der Got­tes­dienst fin­det jetzt nur in der Nach­bar­pfar­rei statt, dann ver­liert man Men­schen und es blei­ben Leu­te auf der Stre­cke. Und trotz­dem müs­sen wir, glau­be ich, sol­che Wege suchen. Auch wenn wir ein über­schau­ba­res Bis­tum sind und noch auf Jah­re hin auch die hei­li­ge Mes­se so fei­ern und orga­ni­sie­ren kön­nen, dass Men­schen nicht beson­ders weit gehen oder fah­ren müs­sen, um eine hei­li­ge Mes­se fei­ern zu kön­nen.
Was mir wirk­lich Sor­gen macht, ist die inhalt­li­che Dimen­si­on des Glau­bens. Die Fra­ge ist: Wie hel­fen wir Men­schen, den Glau­ben im Kopf und im Herz auch zu ver­ste­hen und da auch in die Tie­fe zu gehen, wenn wir gleich­zei­tig mer­ken, dass das Inter­es­se für Glau­bens­fra­gen nicht so groß ist. Und auch das Ver­trau­en, dass in der Kir­che Ant­wor­ten für die gro­ßen Fra­gen die­ser Zeit gefun­den wer­den kön­nen, ist nicht beson­ders groß.

Sie wur­den am 24. Mai zum Bischof geweiht, an dem Tag fei­ert die Kir­che das Hoch­fest ​Maria, Hil­fe der Chris­ten“. Wie stark bau­en Sie auf die Unter­stüt­zung der Got­tes­mut­ter?
Ich will die Mut­ter Got­tes den Men­schen als wich­ti­ge spi­ri­tu­el­le Erfah­rung nahe­le­gen, weil sie die Ant­wort ist. Sie hat die authen­tischs­te, tiefs­te, ganz­heit­lichs­te Ant­wort gege­ben, die ein Mensch geben kann. So tief, dass in ihr Gott Woh­nung genom­men hat, dass sie prak­tisch eine Art Inbe­griff der Kir­che gewor­den ist. Denn Kir­che ist Woh­nung Got­tes unter den Men­schen. Mei­ne inne­re Über­zeu­gung ist, ich kann mich in die­ses Ja der Got­tes­mut­ter hin­ein­stel­len und mit ihr ler­nen, Ja und Amen zu sagen. Ja auf das, was der Anruf an mich ist.
Und dadurch wird mein Glau­be hof­fent­lich tie­fer und exis­ten­zi­el­ler und ver­bind­li­cher die­sem Gott gegen­über, der uns ruft. Und, ja, des­we­gen glau­be ich, dass das eine wich­ti­ge Dimen­si­on für uns Katho­li­ken ist. Wenn wir nach Alt­öt­ting gehen, dann spü­ren vie­le: Hier ist hei­le Welt – weil sie selbst die hei­le Welt in Per­son ist. Des­we­gen ist die Mut­ter Got­tes eine sehr wich­ti­ge spi­ri­tu­el­le Dimen­si­on für mich. Alle gro­ßen Erneue­rer in der Kir­che, die ja fast alle Ordens­grün­der waren, waren tie­fe Ver­eh­rer und Ver­eh­re­rin­nen der Mut­ter Gottes.
Ein kur­zer Blick in die Zukunft. Was ist Ihr per­sön­li­cher Wunsch, Ihre Hoff­nung?
In einem der ers­ten Zei­tungs­in­ter­views vor zehn Jah­ren bin ich gefragt wor­den, was mein Pro­gramm sei. Dann war ich echt über­rascht und habe gesagt: Mehr von Jesus. Und ehr­lich gesagt, das hat sich nicht geän­dert. Ich habe ein­fach die Sehn­sucht oder die Auf­ga­be, Men­schen mit ihm bekannt­zu­ma­chen. Ich glau­be, dass das eine ganz­heit­li­che Erfah­rung wird, die mein Leben in die grö­ße­re Frei­heit, in die grö­ße­re Freu­de führt, auch in die grö­ße­re Fähig­keit zu lie­ben, zu glau­ben, zu hof­fen. Die Tat­sa­che, dass wir uns für die Öko­lo­gie enga­gie­ren, dass wir uns für Arme ein­set­zen, dass wir Kin­dern und Jugend­li­chen in der Erzie­hung hel­fen wol­len, dass wir uns um Men­schen in Not sor­gen – das ist alles eine Fol­ge dar­aus, dass wir berührt sind von der Hin­ga­be Chris­ti und von sei­nem Leben für uns. Des­we­gen wol­len wir für ande­re leben, ja, es ist eine Fol­ge dar­aus.
Und die Gefahr, die ich sehe, ist, dass sich da was ent­kop­pelt. Ich will, dass Men­schen, Chris­tus für sich ent­de­cken, und ich darf das auch durch mei­nen Dienst oder durch den Dienst, den ich mit ande­ren zusam­men mache, immer wie­der mal erle­ben. Das ist die größ­te Freu­de, zu ent­de­cken, dass ein Mensch dort­hin fin­det und davon irgend­wie Zeug­nis geben kann, dass das sein Leben ver­än­dert hat. Ja, das hof­fe ich, dass das mög­lichst vie­le Men­schen fin­den können.
Sie haben vor zehn Jah­ren ein Amt über­nom­men, das sehr for­dernd ist. Haben Sie das Gefühl, dass die­ses Amt Sie in die­sen zehn Jah­ren ver­än­dert hat, und wenn ja, wie?

Mich sel­ber? Ja, natür­lich, es wäre schlimm, wenn nicht. Ich hof­fe, ich bin demü­ti­ger gewor­den, auch gedul­di­ger. Ich glau­be, ich bin anfangs sehr enthu­si­as­tisch ange­tre­ten, mit der Über­zeu­gung, ich kann jetzt da irgend­wie was bewe­gen, und hab viel­leicht auch manch­mal jeman­den mit mei­nen Über­zeu­gun­gen über­fah­ren oder über­for­dert. Da ver­su­che ich heu­te einen ande­ren Ansatz, ohne dass ich die grund­le­gen­den Über­zeu­gun­gen ver­lo­ren hät­te. Was sich ver­än­dert hat, ist auch, dass ich gelas­se­ner gewor­den bin. Ich habe eine grö­ße­re Frei­heit des Wor­tes und des Han­delns gefunden.

Was war die schöns­te Über­ra­schung in den ver­gan­ge­nen zehn Jah­ren?

Letz­tes Jahr war ich in Ita­li­en in der Nähe eines Wall­fahrts­orts im Urlaub, und dort habe ich eine Grup­pe von sechs Leu­ten getrof­fen: ein jun­ger Mann, des­sen Eltern, eine jun­ge ehe­ma­li­ge Mus­li­ma und deren Ver­lob­ter, und noch eine ande­re Per­son. Und die waren alle mit­ein­an­der auf den Spu­ren in Ita­li­en von Fran­zis­kus und Cla­ra. Sie haben mich kon­tak­tiert, weil sie gewusst haben, ich bin in der Nähe. Beim Mit­tag­essen haben sie mir erzählt: ​Du, wir woll­ten Dich ein­la­den und Dir sagen, 2016 war noch kei­ner von uns gläu­big.“ Das berühr­te mich zutiefst. Ich habe natür­lich gro­ße Sachen erle­ben dür­fen: Ich war jetzt auf der Syn­ode, ich war bei Welt­ju­gend­ta­gen und so wei­ter…

Und immer steht man als Bischof da irgend­wie im Mit­tel­punkt. Das ist alles schön, aber am meis­ten berührt mich, wenn sowas pas­siert. Erst kürz­lich war ich bei einer Visi­ta­ti­on. Und an einem der Aben­de kam am Ende eine Frau mit Trä­nen in den Augen und hat gesagt: ​Herr Bischof, heu­te habe ich zum ers­ten Mal nach Jah­ren ver­stan­den, was Sie uns eigent­lich sagen wol­len.“ Sol­che Erfah­run­gen, da kom­men mir sel­ber die Trä­nen. Da mer­ke ich dann: Der Hei­li­ge Geist ist am Werk. Das glau­be ich zutiefst. Und das sind die klei­nen Din­ge. Eigent­lich geht‘s mir um nichts ande­res als um das: Men­schen dahin zu füh­ren. Das ist der Dienst, den wir als Kir­che tun.

Hier das Interview mit Bischof Stefan zum Nachhören: