Was die Angst mit unserem Leben macht und wie Christus uns aus dieser inneren Knechtschaft befreit: Die Predigt von Bischof Stefan Oster zur Feier von Maria Lichtmess mit anschließendem Blasiussegen im Passauer Stephansdom am 2. Februar 2016.
Liebe Ordensleute, liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
zum heutigen Tag schenkt uns die Liturgie einen Text aus dem Hebräerbrief, in dem bemerkenswerte Dinge über Jesus stehen. Ich zitiere zwei Sätze daraus noch einmal: „Da nun die Kinder Menschen von Fleisch und Blut sind, hat auch er in gleicher Weise Fleisch und Blut angenommen, um durch seinen Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel, und um die zu befreien, die durch die Furcht vor dem Tod ihr Leben lang der Knechtschaft verfallen waren.“
Habt keine Angst!
Offenbar, liebe Schwestern und Brüder, hat der Autor des Hebräerbriefes eine tiefe Einsicht in die Seele des Menschen. Er entdeckt eine Angst, die Furcht vor dem Tod. Und er beschreibt diese Angst als so bestimmend, dass sie uns Menschen knechtet. Mehr noch, dass sie uns ein Leben lang der Knechtschaft verfallen sein lässt.
Und offenbar kennt der Autor des Hebräerbriefes auch eine unheimliche Macht des Bösen, den Teufel, den er als Herrn über den Tod beschreibt, der also auch irgendwie der Urheber dieser Angst ist, der diese Angst schürt. Im Johannes-Evangelium heißt dieselbe Gestalt auch Vater der Lüge und Mörder von Anfang an. Der Tod macht Angst und Angst verführt uns dazu, der Lüge zu glauben, die aussieht wie Wahrheit. Wie kann man sich das genauer vorstellen, diese Knechtschaft, diese Angst?
Die Knechtschaft der Angst?
Nun, liebe Schwestern, liebe Brüder, wir Menschen sind Wesen, die sind zugleich sterblich und unsterblich. Vieles von uns wird vergehen, unser Leib, unser Gefühlsleben, vielleicht auch Aspekte unserer Seele. Aber seit Menschen über Menschen nachdenken haben sie auch das Bewusstsein, dass es im Menschen etwas Unsterbliches gibt. Etwas Geistiges, das leben wird, das weiterleben wird.
Die alten Philosophen haben unsere Seele eine Geistssele genannt, und wollten damit deutlich machen, dass es besonders der Aspekt des Geistigen das ist, was bleibt. Diese sehr alte Tradition im Denken der Menschen hat nun aber auch dazu geführt, dass man sich das Weiterleben des Menschen nach dem Tod als rein geistig, also als leiblos vorstellt. Alles Verwesliche und Vergängliche vergeht, das Geistige bleibt allein.
Christen glauben an die Auferstehung des Leibes
Dieser Gedanke, meine Lieben, ist aber nun gerade nicht christlich. Das Christentum bekennt nämlich die Auferstehung des Leibes. Wir nehmen dazu Maß an den Evangelien und am einzigen Auferstandenen, den die Welt je gesehen hat, an Christus. Die Apostel haben den auferstandenen Christus leibhaft gesehen, mit seinen Wundmalen.
Sie konnten ihn anfassen und die Evangelien erzählen sogar, dass sie mit ihm gegessen haben. Aber kein reiner Geist isst Fisch wie der Auferstandene im Evangelium. Freilich war der Leib des Auferstandenen verwandelt, verklärt, vergeistigt. Aber alle Evangelien machen genau dies deutlich: Der Auferstandene war nicht einfach nur ein reines Geistwesen.
Der Helige Geist
Aber – und das ist nun wichtig für uns – der Auferstandene hat uns seinen Geist geschenkt, den Heiligen Geist. Der ist nun tatsächlich körperlos, aber er ist das verbindende Liebesband des dreifaltigen Gottes. Es war in der Kraft des Geistes, in der Jesus wieder lebendig wurde von den Toten, in der Jesus mit dem Vater verbunden immerfort gelebt hat, in der Jesus seine Wunder und Zeichen gewirkt hat.
Er war, wie die Schrift öfter sagt: Erfüllt vom Heiligen Geist. Das heißt, Jesus hat in dieser Gotteskraft, im göttlichen Geist, in dieser inneren Verbindung mit dem Vater immerfort mit dem Vater in tiefster Beziehung gelebt, immerfort im inneren Austausch, in der inneren Gegenwart beim Vater.
Leben in Beziehung und Hingabe
Das hat nun umgekehrt dazu geführt, dass ihm, Jesus, die nur weltlichen, die materiellen Dinge nachrangig wurden. Auch sein Leib war von ihm nicht primär als etwas gesehen, was unbedingt versorgt werden musste. Sondern sein Leib und seine menschliche Seele waren für ihn zuallererst für die Beziehungen da.
Durch seinen menschlichen Leib ist er bei uns gewesen, durch seinen Leib hat er sich uns gezeigt, durch die Hingabe seines Leibes und Blutes hat er uns erlöst. Jesu Menschheit war Ausdruck von Leben in Beziehung und Hingabe. Und dabei war ihm die Beziehung vorrangiger als die Sorge um den Erhalt des Leibes. Dass der Leib versorgt werden muss, ist selbstverständlich, aber dass das Wohlergehen des Leibes die erste und wichtigste Sorge im Menschen wird, diese Sorge hat er fleischlich genannt, gottabgewandt.
Mit aller Macht gegen die Angst vor dem Tod
Und damit sind wir wieder zurück bei dem Punkt, von dem der Brief an die Hebräer spricht: Was ist uns das Wichtigste im Leben? Zweifellos gibt es ein natürliches Empfinden, das sich mit aller Macht gegen das Vergehen unseres Leibes wendet, das sich mit aller Macht gegen den Tod stemmt, das sich mit aller Macht um den Selbsterhalt bemüht.
Aber dieses Bemühen um Selbsterhalt ist nicht einfach nur natürlich. Es ist oft auch einfach von Angst besetzt und von Egoismus, von der Gier nach Macht, nach Kontrolle, nach Sicherheit und Lustmaximierung. Hier und Jetzt muss es uns gut gehen, vor allem in diesen Punkten! Und wo wir diese Dinge nicht erfüllt sehen, dort sehen wir uns bedroht in unserem Selbsterhalt, dort bekommen wir Angst. Dort sind wir oftmals geknechtet von Angst – und eben nicht frei für die liebende Hingabe.
Christus nimmt der Angst ihren Grund
Aber was sagt uns Jesus, der Geistvolle, zum Beispiel in der Bergpredigt? „Was sorgt Ihr euch um Essen und Trinken und Anziehen? Um all das geht es den Heiden: Euch, meinen Jüngern soll es zuerst um mein Reich gehen, dann wird euch alles andere dazu gegeben werden. Der Vater weiß doch, dass ihr das andere auch braucht.“ Liebe Schwestern und Brüder, es gibt in unserer Welt und in unserer Kirche eine Erfahrung des Glaubens, eine Erfahrung der Gegenwart Jesu, die uns frei macht von allzu großer Sorge um die vergänglichen Dinge.
Es gibt die Erfahrung, dass wir mit Christus im Herzen und in der Kraft seines Geistes ein Leben leben können, das Zeugnis von dieser Freiheit gibt, die im Hebräerbrief angesprochen ist und in der Bergpredigt und in so vielen anderen Texten des neuen Testaments. Es gibt eine innere Freiheit von Angst. Sie ist frei, weil sie nichts zu verlieren hat, weil sie vom größten Reichtum überhaupt schon berührt und beschenkt ist.
Die innere Freiheit von Angst
Diese Freiheit hat schon eine Ahnung von der Ewigkeit, sie lebt schon auf Tuchfühlung mit ihr, sie lebt mit dem Herzen schon in der Wirklichkeit schlechthin, in Gottes Gegenwart. Sie leistet Verzicht nicht einfach um des Verzichtes willen, sondern weil sie weiß, dass übertriebene Sorge um dieses irdische Leben daran hindert, innerlich beim Herrn zu sein.
Angst hilft nicht beim Beten, Angst hilft nicht dabei, den anderen zu lieben, Angst lässt mich ganz bei mir sein und mich an diese Welt festkrallen. Das ist die Sklaverei, die der Autor des Hebräerbriefes meint. Und deshalb schreibt der Autor des Johannes Briefes eben genau umgekehrt: „Die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht.“ Wer mit dem Herrn lebt, der muss nicht alles an sich reißen, festhalten, kontrollieren, der kann frei sein und freigebig sein.
Geweihtes Leben: Verzicht, um frei zu sein
Liebe Ordensleute, die Sie heute hier sind: Wir haben das Jahr des geweihten Lebens gefeiert und beschließen es heute, am Tag des geweihten Lebens. Unser Papst Franziskus, der selbst ein Ordensmann ist, hatte es ausgerufen, im dem Wunsch, diese Lebensform in der Kirche und in der Welt wieder neu sichtbar zu machen.
Die Lebensform der Befreiten, die Lebensform derer, die ausdrücklich Verzicht leisten, um frei zu sein für den Herrn und in Ihm. Wie gegensätzlich ist diese Lebensform doch zu einer Welt und Gesellschaft, in der man sich so sehr definiert über Anerkennung und Einfluss, über das Gelingen romantischer Liebesbeziehungen, über Besitz und weltliche Titel?
Ordensleute können innere Freiheit von Angst bezeugen
Wie fremd, aber doch auch wie provokativ ist es in so einer Welt. Provokativ bedeutet wörtlich „hervorrufend“. Ja, wir hoffen und beten, liebe Geschwister im Ordensstand, dass nicht zuletzt durch Eure Existenz der inneren Freiheit und Furchtlosigkeit, dass dadurch in vielen anderen Menschen etwas hervorgerufen wird, das sie nachdenken lässt, was denn der eigentliche Sinn ihrer Existenz ist. Und ob nicht vielleicht gerade die Ordensleute schon etwas gefunden haben von dem, was das Evangelium den Schatz im Acker nennt oder den Anfang des Himmels.
Ich danke jedenfalls von ganzem Herzen für Ihr Zeugnis, liebe Ordensleute, für Ihr Zeugnis der Liebe zum Herrn und zu den Menschen, für Ihre Treue in langen Jahren des Ordenslebens in einer Zeit, die dieses Zeugnis immer weniger versteht und hervorbringt.
Ich bitte Euch sehr: Betet für unser Bistum, dass uns der Herr ein Aufatmen schenken möge und einen Aufschwung, dass viele junge Menschen den Ruf in sich verspüren mögen, sich Ihm zu weihen und Ihm mit ganzer Hingabe zu folgen!
Glauben und vertrauen lernen
Staunend stehen wir vor dem alten Simeon und der alten Hannah im heutigen Evangelium: Beides prophetische Gestalten, die vollkommen in der Verborgenheit geblieben wären, wenn sie uns der Evangelist Lukas nicht in seinem Evangelium zur Betrachtung geschenkt hätte. Ein Mann, eine Frau, jeweils hochbetagt, aber durch ihr treues Leben mit Gott immer mehr von seinem Geist durchdrungen.
Und diese beiden alten, gottgeweihten Menschen werden gewürdigt, den Erlöser in der Gestalt des kleinen Jesus-Babys zu sehen und in den Armen zu halten. Heute legen diese beiden alten Zeugen auch uns das Kind ans Herz, auf dass wir vertrauen lernen, glauben lernen, dass der Herr auch uns würdigt, von ganzem Herzen verstehen zu dürfen, was das Gebet des Simeon bedeutet. Jesus ist das Licht, das uns getaufte Heiden erleuchtet und wahrlich Herrlichkeit für sein Volk Israel, für uns, seine Kirche und für die ganze Welt. Amen.