Bild: Pressestelle Bistum Passau

Unser Herz – eine Mördergrube?

Unser Herz – eine Mördergrube? Warum wir aus unserem Herzen keine Mördergrube machen sollen. Die Predigt von Bischof Stefan Oster in der Osternacht 2016.

Liebe Schwestern, liebe Brüder, liebe österliche Glaubensgemeinschaft,
die meisten kennen den Ausdruck, die Aufforderung: „Mach aus deinem Herzen keine Mördergrube“. Will sagen: Lass den Gedanken raus, verschließ nichts in dir, was dich danach nach unten zieht, sprich es aus, ermorde den Gedanken nicht in dir selbst, sonst wirkt er womöglich als verfaulender, als gärender in dir weiter. Oder gar als „Leiche im Keller“, um ein ähnliches Sprichwort zu verwenden.

„Mach aus deinem Herzen keine Mördergrube“

Wenn wir einander mit solchen Worten zu etwas auffordern, dann wissen wir um innere Prozesse, dann wissen wir, dass es tatsächlich so etwas gibt, Dinge zum Beispiel, die wir in uns hineinfressen, Emotionen, Gedanken, Trauer zum Beispiel oder Hass oder Neid. Niemand darf meine Gefühle erkennen, ich begrabe sie in mir.

Oder irgendwann bin ich vielleicht mal so verletzt worden, dass das zwar mein Leben bis heute bestimmt, aber ich lasse es mir vor niemandem anmerken. Ich begrabe das in mir und halte den Deckel drauf.

Unser Herz ist ein Abgrund

Liebe Schwestern und Brüder, ich sage das deshalb, weil solche Dinge im Grunde jeder kennt. Aber mehr noch, ich sage es, weil die Dinge, die wir bewusst kennen, im Grunde nur sozusagen die Spitze eines Eisberges sind. Unser Herz ist ja tatsächlich ein Abgrund, und zwar im Guten wie im Schlechten. Es ist ein Abgrund an Erfahrungen, an Geschichte, an Prägungen, an Emotionen, an Verletzungen und mehr.

Du denkst manchmal, manches Gefühl kann nicht tiefer sein – und es geht doch tiefer. Oder du merkst nach einigen Wochen, es war gar nicht tief, sondern doch nur oberflächlich, weil es schon wieder vorbei ist. Unser Herz hat Tiefe, hat Oberflächlichkeiten, es ist weise, aber manchmal ist es auch fürchterlich dumm. Es hängt sich an Dinge, an Menschen, an Meinungen, die nicht gut sind für es – und doch hat es in der Tiefe ein intensives, echtes Gewissen.

Tiefe oder Mördergrube?

Der Bibel ist diese Wort „Herz“ überaus kostbar, aber die Hl. Schrift weiß um die Vieldeutigkeit und Unbeständigkeit des menschlichen Herzens: Im Buch der Sprichwörter (27,19) lesen wir den schönen Satz: „Wie Wasser ein Spiegel ist für das Gesicht, so ist das Herz des Menschen ein Spiegel für den Menschen.“ Aber bei Jeremia (17,9) heißt es: „Arglistig ohnegleichen ist das Herz und unverbesserlich. Wer kann es ergründen?“

Und der Prophet Ezechiel (11,9) empfängt von Gott die Verheißung von etwas Neuem: „Ich schenke ihnen ein anderes Herz und schenke ihnen einen neuen Geist. Ich nehme das Herz von Stein aus ihrer Brust und gebe ihnen ein Herz von Fleisch.“ Im Neuen Testament bestätigt Jesus diese Notwendigkeit eines erneuerten Herzens und er will und wird selbst der sein, der unser Herz erneuert.

Der am meisten umkämpfte Ort der Welt

Das Herz ist in der Bibel der innerste Personkern, das was den Menschen ausmacht, der innere Ort, wo sein Denken, sein Wollen, sein Fühlen zusammen kommen und wo Entscheidungen fallen, dort, wo das Gewissen sitzt, dort, wo wir Verbindung mit Gott haben können und wo wir lieben lernen. Jesus preist die selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen, sagt er.

Wenn das alles stimmt, liebe Schwestern und Brüder, und ich bin überzeugt, dass es stimmt, dann wundert Sie vielleicht nicht mehr, wenn ich behaupte: Aus der Sicht des Glaubens gesprochen, geistlich gesprochen, ist Ihr Herz und mein Herz der am meisten umkämpfte Ort der Welt.

Wem gehört Ihr Herz?

Es geht nämlich um die alles entscheidende Frage: Wem gehört es? Wem gehört Ihr Herz? Wer darf darin wohnen? Was oder wer hat Recht, in ihrem Herzen einen wichtigen Platz einzunehmen? Wer darf darin vorkommen? Raum einnehmen oder ausräumen? Welcher Mensch, welche Tätigkeit, welche Motive und Gefühle, welche Gedanken? Wo sind die längst vergangenen Mördergruben, wo die nicht geheilten Wunden, wo der Eiter? Und wo sind in uns die inneren Orte, wo schon echter Friede ist, Freude, Tiefe, Liebe?

Wenn wir ganz ehrlich sind, alle miteinander, jeder für sich, dann wissen wir, dass es in jedem von uns die Neigung gibt, zuerst einmal alledem einen wichtigen Platz in unserem Herzen zu geben, was mir selbst unmittelbare Vorteile bringt, was mir gerade gut tut, was mir schmeichelt, was mir Sicherheit gibt. Und außerdem bin ich selbst es, der alleine bestimmt, was ein Vorteil für mich ist und was gut für mich ist. Der Chef auf dem Thron meines Herzens bin in der normalen Verfassung dieses Herzens ich selbst, mein dickes Ego.

Ein Herz ohne Geist ist eine Mördergrube

Und das Dilemma ist, wenn das so ist, aber vor allem, wenn es nur so ist, dann ist das Herz von innen her gesehen, eigentlich tot, dann ist es verschlossen, dann ist es ein Grab. Warum? Weil es – wie Martin Luther sagt – in sich eingedreht, in sich verkrümmt ist, nur auf mich hin. Aus der Sicht des Glaubens bedeutet das aber: Ein solches Herz ist ohne Geist, ohne den Heiligen Geist, es ist ein Grab.

Es ist eine Mördergrube, in der ich auch den Gedanken an Gott entweder begraben habe, oder wenn ich ihn zulasse, dann so, dass er zuerst einmal mir selbst nützt. Auferstehung? Na ja, ich bestimme selbst, wie viel Gott in mir auferstehen kann! Erst einmal so viel, dass ich was davon habe. Das, liebe Schwestern und Brüder, ist der Zustand eines Herzens, in dem der Glaube, den Jesus meint und geben will, noch keinen Einzug gehalten hat.

Immun gegen die Umwelt

Und Sie ahnen vielleicht auch, dass so ein Zustand mich am Ende nicht nur immun gegen Gott macht, sondern auch gegen den Nächsten oder gegen den, der mein Nächster werden will. Vielleicht mein Verwandter, vielleicht mein Nachbar, vielleicht der Bettler in der Stadt, vielleicht der Flüchtling, der zu uns kommt.

Es ist schon klar, liebe Schwestern und Brüder, nicht jeder kann offen für alle sein, aber die Frage ist: Bin ich in meinem Herzen überhaupt offen für andere, für fremde Not? Und zwar deshalb, weil mir in dem anderen Menschen Christus entgegen kommt. Weil ich so herzensoffen sein kann, dass ich das Gespür für den Herrn auch im Anderen habe. „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, sagt er uns.

Ich selbst kann es nicht besser machen

Die schlechte Nachricht an uns alle ist übrigens die: Ich kann mein eigenes Herz nicht einfach selber besser machen, ich kann mich nicht wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Abgrund meines Herzens ziehen. Ich kann nicht einfach beschließen, keinen Stolz, keinen Neid, keinen Egoismus, keine fehlgeleiteten Triebe mehr in mir zu haben.

Aber die gute Nachricht ist die: Jesus kann es und will es. Im Grunde ist die Ursache für das, was wir am Karfreitag gefeiert haben, für Jesu grausames Sterben am Kreuz, die Ursache ist unser Herz. Gott will unser Herz, Christus will unser Herz. Er gibt alles dafür, er gibt sein Leben dafür. Er will, dass wir ihm vertrauen, ihn lieben. Und er will so in unserem Inneren, in der Grabkammer, in der Mördergrube unseres Herzens von innen her, den Steinblock beiseite schieben.

Raus aus der Mördergrube: Jesus erneuert unser Herz

Er will dass frische Luft rein kommt und Leben, er will in uns auferstehen, er will in uns bleiben, erfahrbar werden. Er will uns beschenken mit seinem Leben, mit seiner Liebe. Und es ist eine echte, ehrliche und tiefe Erfahrung von allen Menschen, die wirklich zum Glauben gefunden haben: Er erneuert tatsächlich unser Herz.

Er geht einen neuen Bund mit uns ein. Wir lernen in ihm neu sehen, die Welt neu sehen, den anderen neu sehen, er reinigt die Augen unseres Herzen von dem Augenblick an, da er anfängt, darinnen zu wohnen. Von dem Augenblick an ist auch für uns Auferstehung, von dem Augenblick beginnt unser persönliches Ostern.

Es hat schon angefangen…

Und die zweite gute Nachricht für uns alle ist: Es hat schon angefangen. Christus ist schon in der Taufe in unser Herz gekommen, untrennbar, unverlierbar. Er hat uns seinen Geist gegeben. Die Einladung an uns ist, nun mit ihm mitzuwirken. Die Einladung heißt, den Impulsen des Geistes in uns Raum geben, damit nach und nach jeder Winkel unseres Herzens von seiner Auferstehung durchleuchtet wird, damit jeder einzelne Stein unserer vielen inneren Kammern und Grabkammern geöffnet wird.

Und deshalb sind wir hier, liebe Schwestern und Brüder, deshalb feiern wir gemeinsam diese Nacht der Nächte. Wir feiern den Übergang vom Tod zum Leben, wir feiern Auferstehung des Herrn und wir feiern Auferstehung, Gräberöffnung in unseren Herzen.

Von der Mördergrube zum Tempel

Wir feiern, dass wir dadurch alle Möglichkeiten geschenkt bekommen, um mit ihm mitzugehen, um unser Herz durchlichten zu lassen, um unser Herz von der Mördergrube zum lichtdurchfluteten Tempel umwandeln zu lassen, voller frischem Wind, voller Durchlässigkeit für den Geist. Jesus ist auferstanden, er ist da in mir und unter uns.

Und er sehnt sich danach, dass wir alle immer mehr seine Zeugen werden, Osterzeugen, freudige Zeugen des neuen Lebens. Das wünsche ich Ihnen für heute und die kommende Zeit von ganzem Herzen.