Beim feierlichen Pontifikalrequiem für Papst Franziskus im Passauer Dom feierten zahlreiche Gläubige aus Kirche, Politik und Gesellschaft mit. Bischof Stefan Oster hob in seiner Predigt drei bestimmte Themen hervor, die für Papst Franziskus wesentlich oder charakteristisch waren: Die Freude, die Synodalität und die Freiheit von Angst. Hier können Sie die Predigt nachhören und downloaden oder weiter unten nachlesen.
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
so viele Berichte gab und gibt es über das Leben und Wirken von Papst Franziskus in den letzten Tagen. Und besonders bei uns in Bayern aber auch darüber hinaus gibt es immer wieder auch Versuche einer Verhältnisbestimmung zwischen Papst Franziskus und seinem Vorgänger, unserem Heimatpapst Benedikt XVI. Sicher waren beide ganz unterschiedliche und jeweils auf ihre Art herausragende Persönlichkeiten. Und das, was ihre Persönlichkeit so besonders machte, wird dann – vielleicht auch je nach kirchenpolitischem Lager bisweilen so herausgehoben, dass es dann jeweils für den einen und gegen den anderen der beiden verwendet wird. Eine der Varianten lautet zum Beispiel: Benedikt war ein Mann des Denkens, der hohen Bildung und Theologie und er war ein Mann der Innerlichkeit. Er hat den Glauben tief formulieren können – und wollte auf diese Weise seinen Beitrag leisten. Er sei damit aber eher weltfremd geblieben – so sagen nicht wenige. Franziskus hingegen war stärker ein weltzugewandter Papst, ein Anpacker, einer, der nah bei den Menschen war – und einer der mit seiner Art Politik und Gesellschaft mitgestalten und zugleich die großen Probleme der Welt adressieren konnte: die ökologische Krise etwa, oder die Armut oder das große Thema der Migration, oder sein beständiger Kampf um den Frieden und andere mehr. Ein bedeutender Theologe aber sei er nicht gewesen, sagen andere. Sie hätten sich in manchen Punkten lieber mehr Klarheit gewünscht, mehr katholische Identität und weniger Politik.
Die innere Verfassung und die äußere Qualität des Handelns
Natürlich, liebe Schwestern und Brüder, gibt es Akzente und Charakteristika, aber wenn man sie zuspitzt, um sie gegeneinander auszuspielen, werden sie falsch. Ich möchte daher –zu dem vielen Guten, das auch schon öffentlich genannt wurde – für Papst Franziskus drei Punkte herausstellen, die zeigen, dass das, was er für die Belange von Gesellschaft und Politik einerseits eingebracht hat, tatsächlich ohne sein tiefes Fundament des Glaubens und des Gebets andererseits nicht denkbar gewesen wären. Dazu zunächst ein neutrales Beispiel, an dem deutlich werden soll, was ich meine. Stellen Sie sich einen Arzt vor, der einerseits ein hervorragender Mediziner ist, andererseits aber zugleich ein in sich ruhender Mensch mit einer ehrlichen Liebe zu den Menschen. Und nun stellen Sie sich vor, dieser Mann kommt als Notarzt zu einem Unfall, bei dem ein kleines Kind schwer verletzt wird. Der Unfallort ist geprägt von unglaublicher Aufgeregtheit und tiefer Emotionalität der beteiligten Menschen, insbesondere von der Mutter des Kindes, die dem Nervenzusammenbruch nahe ist und sich permanent weinend an ihr verletztes Kind klammert. Die wichtigste Eigenschaft des Arztes ist in diesem Moment die, dass er selbst ruhig bleibt, dass er die Mutter vom Kind entfernt und dafür sorgt, dass sie gut betreut wird. Und dass er sich dann in aller Erfahrung mit seinem Einfühlungsvermögen und seiner Fachkenntnis um das verletzte Kind kümmert. Würde er diese innere Fähigkeit zu einem ruhigen, der Sache angemessenen Umgang mit dem Kind und der Mutter nicht haben, würde er sich selbst in die Aufregung und den Trubel mit hineinziehen lassen, und könnte so keinen guten Dienst tun. Was ich sagen will: Die innere Verfassung und die Qualität des äußeren Handelns bedingen einander.
Über die Freude und ihre Quelle
Damit zu unserem verehrten Hl. Vater Franziskus: Eines seiner ersten, großen programmatischen Worte, das wir von ihm gelesen haben, steht in seinem ersten wegweisenden Dokument, das er uns geschenkt hat. Das Dokument heißt „Evangelii Gaudium“. Übersetzt: Die Freude des Evangeliums. Es ist vom Ende des Jahres 2013, also bald nach seiner Wahl – und es beginnt mit dem Satz: „Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen. Diejenigen, die sich von ihm retten lassen, sind befreit von der Sünde, von der Traurigkeit, von der inneren Leere und von der Vereinsamung. Mit Jesus Christus kommt immer – und immer wieder – die Freude. In diesem Schreiben möchte ich mich an die Christgläubigen wenden, um sie zu einer neuen Etappe der Evangelisierung einzuladen, die von dieser Freude geprägt ist.“ Die Freude als prägendes Merkmal der Evangelisierung. Liebe Schwestern und Brüder, ich hatte mehrfach Gelegenheit, Papst Franziskus begegnen zu dürfen. Vor allem auch während insgesamt drei Monaten, in denen ich bei drei Treffen der Bischofssynode in Rom dabei sein konnte. Und ich habe im Grunde immer einen Papst erlebt, der froh war, Menschen zu begegnen und froh bei der Sache war. Auch noch im hohen Alter. Als ich im vergangenen Jahr bei der großen Ministrantenwallfahrt dabei sein konnte, waren wir alle bei sehr hohen Sommertemperaturen beieinander. Vor allem Zehntausende von Jugendlichen. Und der Papst selbst hat sich – das war ihm anzusehen – schon sichtlich schwergetan, selbst aufzustehen, ein paar Schritte zu gehen. Und er hat sich bei der Riesenhitze in sein Papamobil gequält – und ist dann endlich durch die Mengen auf dem Petersplatz gefahren, die Jugendlichen hatten lange auf diesen Höhepunkt gewartet und ausgeharrt. Und mir schien: Franziskus hat sich wirklich gefreut. Mehr noch: Mir schien, diese Begegnung mit den jungen Menschen hat ihn zwar zusätzlich manches an Kraft gekostet, aber es war auch zu spüren, wie er in dieser freudigen Begegnung neue Kraft bekommen hat. Jugendliche aus meinem Bistum haben mir dann auch noch ihr Pilgerheft gezeigt und mit strahlendem Gesicht auf die Stelle gedeutet, an der der Hl. Vater persönlich unterschrieben hatte, als er bei ihnen vorbeigekommen war. „Vicinanza“, die Nähe zu den Menschen, das war ihm wichtig – weil sie alle Gottes Geschöpfe sind. Aber immer zugleich, das hat er mir auch persönlich gesagt: Vicinanza zu Gott und Vicinanza, Nähe zu den Menschen. Das Wichtigste, so sein Rat an mich, das Wichtigste ist den salesianisches Herz, Dein Don Bosco Herz, ist die innere Nähe. Don Bosco, mein Ordensvater, hat auch immer wieder gesagt: Wir lassen unsere Heiligkeit in der Fröhlichkeit bestehen. Und wirklich in der Freude des Evangeliums nah mit den Menschen sein, das kann man nur, wenn man auch nah mit Gott ist, nah mit dem Auferstandenen, der die Quelle der Freude ist. Papst Franziskus war ein großer Beter und er hatte die Demut, jeden zu bitten, für ihn zu beten. Die Nähe zu Gott und die Nähe zu den Menschen im Geist der Freude bedingen einander.
Synodalität: Miteinander Kirche sein
Ein zweites, großes Thema war für ihn das Thema der Synodalität. Kirche sein bedeutet synodal sein, wörtlich übersetzt: gemeinsam auf dem Weg zu sein. Ein erstes Mal habe ich mehr davon aus der unmittelbaren Nähe zu ihm verstehen können, als ich im Jahr 2018 bei der Bischofssynode für die Jugend dabei sein konnte. Einen ganzen Monat im Oktober. Papst Franziskus hat uns alle aufgefordert, in der Synodenaula nach einigen Redebeiträgen in der großen Versammlung einige Minuten zu schweigen, zu fragen, was wir gehört haben, was in uns Resonanz erzeugt. Und Gott zu fragen, was das für uns bedeutet. Wirklich Zuhören, so der Hl. Vater damals, hat eine theologische Dignität. Denn in der Schrift lesen wir: Gott hörte auf den Schrei seines Volkes. Und die zweite Synode, bei der ich dabei sein konnte, war dann eine Synode über Synodalität selbst: Im Grunde haben wir dabei bei vielen Gelegenheiten das Zuhören geübt, in beide Richtungen: Im Hören auf Gottes Geist und im Hören aufeinander. Und alles im geschützten Raum, ohne größere Öffentlichkeit, ohne den Versuch, Politik zu machen; und nach dem Hören einfach in der Freiheit und mit dem Freimut der Kinder Gottes das Seine zu sagen. So, so die Überzeugung von Franziskus, so finden wir einen gemeinsamen Weg. In einer polarisierten Welt und Kirche, ist es für uns alle wesentlich, hörende Menschen zu werden – und auch zu versuchen, an der Meinung dessen, der anders denkt als ich selbst, immer noch das Gute herauszuhören. Papst Franziskus war dabei selbstverständlich ein Vertreter der lehrenden Kirche, das waren die Päpste immer, das war auch die Kirche immer: die lehrende Kirche, die Mater et Magistra. Aber dieser Papst als oberster Lehrer dieser Kirche hat uns tatsächlich allen gezeigt, dass wir alle, dass auch die Kirche und auch der Papst immer auch Lernende und eben vor allem Hörende bleiben müssen. Wie heilsam wäre es in unserem aufgeregten Medienbetrieb, politischem Betrieb und auch kirchlichem Betrieb, würden wir immer wieder zuerst einmal gut hören, gut zu verstehen versuchen, ehe wir selbst sprechen. Papst Franziskus wollte dabei auch dies: eine polarisierte und in Parteiungen und Fraktionen auseinandertreibende Kirche auf einer tieferen Ebene wieder zueinander führen. Gemeinsam gehen, synodal Kirche sein. Das war sein großes Thema für die Kirche des 21. Jahrhunderts. Und er war überzeugt, dass es auch Gottes Thema für uns ist.
Franziskus hatte keine Angst
Ein dritter Punkt, den ich schließlich noch nennen möchte: Ich hatte immer den Eindruck, Franziskus hatte keine Angst. Ein Mann mit so viel Verantwortung für den Gang der Kirche und ihren Glauben in der ganzen Welt. Er hatte Vertrauen, dass er in der Kraft des Hl. Geistes den rechten Weg finden würde. Er hatte auch keine Angst vor Fehlern und vor dem Eingeständnis, selbst Fehler gemacht zu haben. Oft und oft hat er gesagt, er sei ein Sünder, der nach seinem Wahlspruch lediglich aus reiner Barmherzigkeit erwählt war und nicht aufgrund eigener Verdienste. Er wusste um die Kraft der Vergebung durch das Kreuz Christi. Und er ging voran, öffnete Türen nach vorne, aber eben auch in die Tiefe. Er ist nach seinem eigenen Wort immer wieder buchstäblich an die Ränder gegangen, auch wenn diese Ränder Länder und Orte waren, in denen die Sicherheitsstandards oft sehr viel geringer sein konnten, die oft genug gefährlich für so eine Reise schienen, noch dazu im hohen Alter. Beispiele: Irak, Myanmar, Madagaskar, Kongo. Auch Orte also, an denen das Christentum nicht automatisch hohe Anerkennung hatte. Franziskus, so schien mir immer wieder, hatte keine Angst. In der Heiligen Schrift, im ersten Johannesbrief lesen wir dazu den wichtigen Satz: „Die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht.“ Deshalb habe ich mich oft gefragt: Lebt Papst Franziskus, so gut es eben ihm als einem Geschöpf Gottes möglich war, vor allem aus dieser Liebe, die nicht zuerst aus ihm selbst, sondern von Gott kommt? Ein Mann, der tiefen Freude, und des großen Gottvertrauens, der mit uns allen synodal gehen und Kirche sein will; furchtlos und in der Liebe des Herrn? Wir werden ihn vermissen, aber wir dürfen auch Zuversicht haben, dass er immer noch mit uns ist, dass er für uns betet – und den Weg mit uns weitergeht. Danke, lieber, verehrter Heiliger Vater, danke für alles. Vor allem danke auch für dieses Zeugnis, dass ein Mensch vor allem dann ganz weit nach draußen gehen und Türen öffnen kann, wenn er innerlich tief in dem verankert ist, von dem die Freude kommt, der die Angst nimmt und der die Fähigkeit zum Lieben schenkt. Amen.