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Ein Segen? Auch für die Seelsorger!

Ein neues Dokument

„Fiducia supplicans“1https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_ddf_doc_20231218_fiducia-supplicans_ge.html – flehendes Vertrauen: So heißt ein neues Dokument aus Rom, das aus dem Dikasterium für die Glaubenslehre kommt und von dessen Präfekt, Kardinal Fernandez, unterzeichnet ist. Es geht um eine Frage, die die inner- und außerkirchliche Öffentlichkeit seit Jahren hoch intensiv beschäftigt; ähnlich intensiv wie vielleicht nur die Frage nach einer möglichen Zulassung von Frauen zu den Weiheämtern. Es geht um die mögliche Segnung von Paarverbindungen außerhalb einer Ehe von Mann und Frau, also etwa um gleichgeschlechtliche Paare oder um neue Verbindungen nach einer Trennung oder Scheidung. Die weite Mehrheit der Berichterstatter zu dem hoch differenzierten Dokument hat es nach der Veröffentlichung wie eine Art Zeitenwende empfangen: Endlich erlaubt der Vatikan die Segnung von Homosexuellen!

Im Widerspruch zum jüngsten Brief an die deutschen Bischöfe?

Dabei hatte der Vatikan in Person von Kardinalstaatssekretär Parolin erst kürzlich den deutschen Bischöfen in einem Brief mitgeteilt, dass es im Anschluss an den deutschen Synodalen Weg Themen gebe, die veränderbar seien und mit Rom besprochen werden könnten – und solche, die unveränderlich seien. Kardinal Parolin hatte dem Brief eine ergänzende „Note“2https://www.kirche-und-leben.de/artikel/vatikan-lehre-zu-priesterweihe-und-homosexualitaet-nicht-verhandelbar aus dem Dikasterium für die Glaubenslehre unter Federführung von Kardinal Fernandez beigelegt, deren Inhalt alle weiteren, am Gespräch beteiligten römischen Dikasterienvorsteher zuvor ebenfalls gebilligt hatten. Diese Note betont, dass es hinsichtlich der den Männern vorbehaltenen Priesterweihe „keine Möglichkeit gebe zu einer anderen Beurteilung zu gelangen“ als die geltende Lehre es festhält.

In einem zweiten Punkt heißt es in der Note dann: „Ein anderes Thema, zu dem eine Ortskirche keinerlei Möglichkeit hat, eine andere Meinung zu vertreten, betrifft die homosexuellen Handlungen. Denn auch wenn man anerkennt, dass es aus subjektiver Sicht verschiedene Faktoren geben kann, die uns auffordern, nicht über die Menschen zu urteilen, ändert dies in keiner Weise die Bewertung der objektiven Sittlichkeit dieser Handlungen. Die beständige Lehre der Kirche betont, dass die objektive moralische Bewertung sexueller Beziehungen zwischen Personen desselben Geschlechts genau und sicher feststeht. Eine andere Frage, die hier nicht zur Diskussion steht, ist der Grad der subjektiven moralischen Anrechenbarkeit solcher Beziehungen in jedem einzelnen Fall.‘3Die Note zitiert hier ein Dokument der Kongregation für die Glaubenslehre: Notifikation bezüglich einiger Schriften von P. Marciano Vidal, C.Ss.R. vom 22. Februar 2001.“ Soweit der Text, der erst wenige Wochen alt ist – und aus derselben Feder stammt, wie der neue Text: Fiducia supplicans.

Nicht die Lehre vom Menschen verändert sich, sondern die vom Segen

Hatten sich zuvor zahlreiche Medien über diese „Note“ empört, so begrüßt nun ein großer Teil oft derselben medialen Beobachter diese neue Erklärung als einen Text, in dem die Kirche endlich ihre Meinung verändert habe: Jetzt können auch homosexuelle und andere Paare gesegnet werden. Wenn nun aber eben gesagt wurde, dass die „Bewertung der objektiven Sittlichkeit“ homosexueller Handlungen feststehe und wenn erst 2021 von der damaligen Glaubenskongregation bestätigt worden war, dass die Kirche keine „Vollmacht“ habe, „Verbindungen von Personen des gleichen Geschlechts“ zu segnen, was hat sich dann nun tatsächlich getan? Hat die Kirche also doch ihre Lehre geändert? Glaubt die Kirche jetzt, dass sie plötzlich doch die „Vollmacht“ hat, gleichgeschlechtliche Paare zu segnen?

Die Antwort, die Kardinal Fernandez in der neuen Erklärung seines Dikasteriums gibt, liegt nun tatsächlich nicht im Bereich der Lehre vom Menschen, sie liegt auch nicht in dem, was oben als „Bewertung der objektiven Sittlichkeit“ bezeichnet worden war. Sie betont vielmehr deutlich, dass sexuelle Beziehungen nur im Zusammenhang einer Ehe von Mann und Frau „ihren natürlichen, angemessenen und vollständig menschlichen Sinn“4Dikasterium für die Glaubenslehre: Erklärung Fiducia supplicans über die pastorale Sinngebung von Segnungen, 5 fänden. Die Lehre der Kirche, so der Text weiter, halte an diesem Punkt unverändert fest.

Es geht nicht um einen Segen in einem Gottesdienst

Die Neuerung liegt daher tatsächlich in der Differenzierung von dem, was als „Segen“ verstanden werden kann. Schon in der Erklärung von 2021 war gesagt worden, dass es um einen Segen in einem liturgischen Sinn gehe; einen Segen für ein Paar im Rahmen eines Gottesdienstes, um einen Segen, der auch nur entfernt an eine Eheschließung erinnern könnte. Diesen kann es nicht geben. Und daran hält auch das neue Dokument fest. Auch in dieser Hinsicht widersprechen sich beide Texte nicht: Keine Änderung der Lehre, keine liturgische Form – und Kardinal Fernandez ist hier nun noch deutlicher: Es soll auch keine ritiualisierten Vorlagen dazu geben, also kein so genanntes Rituale für einen Gottesdienst.

Was Kardinal Fernandez nun aber als tatsächliche Neuerung bringt: Er entwickelt die Lehre vom Segen ausdrücklich außerhalb der liturgischen Feiern weiter. Es ist beispielsweise so: Wenn ich als Priester oder Bischof öffentlich unterwegs bin, werde ich immer wieder spontan von Menschen um einen Segen gebeten: Ob ich die Person selbst oder ihr Kind, oder ihre abwesenden Angehörigen oder einen Gegenstand segnen könne. Noch nie habe ich in diesem Sinn einen Segen – formuliert in einem freien Gebet – verweigert und noch nie wäre ich auch nur im Ansatz auf die Idee gekommen, nachzufragen, ob der Mensch, der um so einen Segen bittet, dessen würdig ist.

Eine Bitte, durch Gottes Gnade besser vor ihm leben zu können

Aber eben solche und ähnliche Situationen verwendet Kardinal Fernandez nun – deutet sie theologisch als eine aufsteigende Segensbitte um Gottes Gnade und darum, als Bittender besser leben zu können. Und er weitet eine solche Segensbitte nun auch auf Paare aus, die sich – wie es heißt – in „irregulären Situationen“5Ebd., 31 befinden. Auch in deren Leben, so kann beispielsweise spontan und in freier Weise gebetet werden, möge sich Gottes Wille erfüllen. Und in diesem Sinn kann nun jeder Mensch und auch jedes Paar gesegnet werden.

Solche Segnungen, heißt es weiter, sollen weder ausdrücklich gefördert werden; noch sollen sie so vollzogen werden, dass sie Anstoß erregen, noch soll ein Ritual dafür formuliert werden. Auch Anlass, Kleidung, Gesten der zu Segenenden sollen nirgendwo an eine Eheschließung erinnern. Aber alles soll im Dienst einer pastoralen Zuwendung zu den Menschen stehen – auf dass Gott in ihnen wirken könne – und zwar ohne dass dabei ihre konkrete Beziehung ausdrücklich gutgeheißen oder wie es im Text heißt: „konvalidiert“ würde. Dies entspricht der gläubigen Einsicht, dass es immer Gott selbst ist, der den ersten Schritt auf jeden von uns zu macht. Es gibt immer den Primat der Gnade – die Menschen dann helfen kann, anders vor Gott zu leben – in seinem Sinn. In diesem Sinn können Priester, Diakone und andere Personen in der Seelsorge nun auch Paaren segnend begegnen – ohne dabei meinen zu müssen, in widersprüchliche pastorale Situationen zu geraten. Einen einfachen Segen, verbunden mit einem freien Gebet um Gottes Hilfe und seine Gnade, kann jeder spenden. Zudem: Des Segens Gottes ist ausnahmslos jeder Mensch bedürftig, weil – wie Paulus sagt – „alle gesündigt haben“ (Röm 3,23) – auch die Segensspender.

Ein Segen für die Segnenden

Ich bin deshalb dankbar für diese Erklärung, weil sie uns in den polarisierten Debatten um dieses Thema in mehrfacher Hinsicht weiterhelfen kann. Im Bistum Passau habe ich vor zwei Jahren eine neue Stelle angestoßen für die Seelsorge von queeren Personen. Als katholische Kirche haben wir auf dem pastoralen Weg mit diesen Menschen in der Regel ein großes Defizit an Verstehen und allzu häufig kaum Sprachfähigkeit in der Seelsorge. Jetzt wird der Spielraum für den gemeinsamen pastoralen Weg weiter. Ein Gebet um Gottes Segen und seinen guten Geist im Sinn der Kirche muss nicht mehr im Widerspruch zur Kirche stehen. Und in diesem Sinn kann das neue Dokument über den Segen selbst ein Segen für jene sein, die sich in der Seelsorge ehrlichen Herzens um Begleitung mühen und zugleich der Kirche in ihrer Überlieferung treu bleiben wollen.

Klärungen für Deutschland und die Weltkirche

Klärend kann der Text in Deutschland wirken, weil er im Anschluss an den Synodalen Weg in unserem Land einerseits den Bitten vieler Synodaler um Segnungen der genannten Paare entgegenkommt. Andererseits könnte er eine Entwicklung, die Gefahr läuft, sich von der Weltkirche zu entfernen, aufhalten, indem er ausdrücklich Liturgien und Rituale solcher Segnungen untersagt. Denn tatsächlich sind inzwischen längst Initiativen gestartet worden, die solche Texte und Liturgien ausformulieren wollen oder schon ausformuliert haben, um den Segnungen einen Rahmen analog zu einer Trauung zu geben.6https://www.akf-bonn.de/files/endf_f_230517_die_feier_des_segens_fuer_paare_web.pdf Das ist aber ausdrücklich nicht erlaubt.

Klärend kann der Text auch für den synodalen Weltprozess sein. In der römischen Synode im vergangenen Oktober war die Frage nach möglichen Segnungen von Gleichgeschlechtlichen mehrfach angesprochen – von Befürwortern und Gegnern. Und immer wieder stand dabei auch eine mögliche Veränderung der Lehre im Raum, befürchtet oder befürwortet. Denn natürlich gibt es eine innere Logik nach dem Verständnis: Wer segnen will, müsste damit ja auch gutheißen (= bene-dicere), was all die Zeit vorher als Sünde galt und immer noch gilt. Geht das? Jetzt zeigt sich: Dieser Zusammenhang ist nicht zwangsläufig. Wenn wir Segen in jener Differenzierung verstehen, die Kardinal Fernandez uns nun vorlegt, und die ausdrücklich von Papst Franziskus bestätigt wurde, dann geht es. Und würde das auch so rezipiert, dann bliebe dieses Thema wohl auch grundsätzlich bei der Synode kommenden Oktober eher außen vor und womöglich inhaltlich beruhigt. Und die Synodalen könnten sich nach dem Wunsch von Papst Franziskus nun tatsächlich konzentrierter um das eigentliche Hauptthema kümmern: Nämlich darum, eine mehr synodale, missionarische und partizipative Kirche zu werden.

Anmerkungen, Bemerkungen, Quellenangaben