Ein neues Dokument
„Fiducia supplicans“1https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_ddf_doc_20231218_fiducia-supplicans_ge.html – flehendes Vertrauen: So heißt ein neues Dokument aus Rom, das aus dem Dikasterium für die Glaubenslehre kommt und von dessen Präfekt, Kardinal Fernandez, unterzeichnet ist. Es geht um eine Frage, die die inner- und außerkirchliche Öffentlichkeit seit Jahren hoch intensiv beschäftigt; ähnlich intensiv wie vielleicht nur die Frage nach einer möglichen Zulassung von Frauen zu den Weiheämtern. Es geht um die mögliche Segnung von Paarverbindungen außerhalb einer Ehe von Mann und Frau, also etwa um gleichgeschlechtliche Paare oder um neue Verbindungen nach einer Trennung oder Scheidung. Die weite Mehrheit der Berichterstatter zu dem hoch differenzierten Dokument hat es nach der Veröffentlichung wie eine Art Zeitenwende empfangen: Endlich erlaubt der Vatikan die Segnung von Homosexuellen!
Im Widerspruch zum jüngsten Brief an die deutschen Bischöfe?
Dabei hatte der Vatikan in Person von Kardinalstaatssekretär Parolin erst kürzlich den deutschen Bischöfen in einem Brief mitgeteilt, dass es im Anschluss an den deutschen Synodalen Weg Themen gebe, die veränderbar seien und mit Rom besprochen werden könnten – und solche, die unveränderlich seien. Kardinal Parolin hatte dem Brief eine ergänzende „Note“2https://www.kirche-und-leben.de/artikel/vatikan-lehre-zu-priesterweihe-und-homosexualitaet-nicht-verhandelbar aus dem Dikasterium für die Glaubenslehre unter Federführung von Kardinal Fernandez beigelegt, deren Inhalt alle weiteren, am Gespräch beteiligten römischen Dikasterienvorsteher zuvor ebenfalls gebilligt hatten. Diese Note betont, dass es hinsichtlich der den Männern vorbehaltenen Priesterweihe „keine Möglichkeit gebe zu einer anderen Beurteilung zu gelangen“ als die geltende Lehre es festhält.
In einem zweiten Punkt heißt es in der Note dann: „Ein anderes Thema, zu dem eine Ortskirche keinerlei Möglichkeit hat, eine andere Meinung zu vertreten, betrifft die homosexuellen Handlungen. Denn auch wenn man anerkennt, dass es aus subjektiver Sicht verschiedene Faktoren geben kann, die uns auffordern, nicht über die Menschen zu urteilen, ändert dies in keiner Weise die Bewertung der objektiven Sittlichkeit dieser Handlungen. Die beständige Lehre der Kirche betont, dass die objektive moralische Bewertung sexueller Beziehungen zwischen Personen desselben Geschlechts genau und sicher feststeht. Eine andere Frage, die hier nicht zur Diskussion steht, ist der Grad der subjektiven moralischen Anrechenbarkeit solcher Beziehungen in jedem einzelnen Fall.‘3Die Note zitiert hier ein Dokument der Kongregation für die Glaubenslehre: Notifikation bezüglich einiger Schriften von P. Marciano Vidal, C.Ss.R. vom 22. Februar 2001.“ Soweit der Text, der erst wenige Wochen alt ist – und aus derselben Feder stammt, wie der neue Text: Fiducia supplicans.
Nicht die Lehre vom Menschen verändert sich, sondern die vom Segen
Hatten sich zuvor zahlreiche Medien über diese „Note“ empört, so begrüßt nun ein großer Teil oft derselben medialen Beobachter diese neue Erklärung als einen Text, in dem die Kirche endlich ihre Meinung verändert habe: Jetzt können auch homosexuelle und andere Paare gesegnet werden. Wenn nun aber eben gesagt wurde, dass die „Bewertung der objektiven Sittlichkeit“ homosexueller Handlungen feststehe und wenn erst 2021 von der damaligen Glaubenskongregation bestätigt worden war, dass die Kirche keine „Vollmacht“ habe, „Verbindungen von Personen des gleichen Geschlechts“ zu segnen, was hat sich dann nun tatsächlich getan? Hat die Kirche also doch ihre Lehre geändert? Glaubt die Kirche jetzt, dass sie plötzlich doch die „Vollmacht“ hat, gleichgeschlechtliche Paare zu segnen?
Die Antwort, die Kardinal Fernandez in der neuen Erklärung seines Dikasteriums gibt, liegt nun tatsächlich nicht im Bereich der Lehre vom Menschen, sie liegt auch nicht in dem, was oben als „Bewertung der objektiven Sittlichkeit“ bezeichnet worden war. Sie betont vielmehr deutlich, dass sexuelle Beziehungen nur im Zusammenhang einer Ehe von Mann und Frau „ihren natürlichen, angemessenen und vollständig menschlichen Sinn“4Dikasterium für die Glaubenslehre: Erklärung Fiducia supplicans über die pastorale Sinngebung von Segnungen, 5 fänden. Die Lehre der Kirche, so der Text weiter, halte an diesem Punkt unverändert fest.
Es geht nicht um einen Segen in einem Gottesdienst
Die Neuerung liegt daher tatsächlich in der Differenzierung von dem, was als „Segen“ verstanden werden kann. Schon in der Erklärung von 2021 war gesagt worden, dass es um einen Segen in einem liturgischen Sinn gehe; einen Segen für ein Paar im Rahmen eines Gottesdienstes, um einen Segen, der auch nur entfernt an eine Eheschließung erinnern könnte. Diesen kann es nicht geben. Und daran hält auch das neue Dokument fest. Auch in dieser Hinsicht widersprechen sich beide Texte nicht: Keine Änderung der Lehre, keine liturgische Form – und Kardinal Fernandez ist hier nun noch deutlicher: Es soll auch keine ritiualisierten Vorlagen dazu geben, also kein so genanntes Rituale für einen Gottesdienst.
Was Kardinal Fernandez nun aber als tatsächliche Neuerung bringt: Er entwickelt die Lehre vom Segen ausdrücklich außerhalb der liturgischen Feiern weiter. Es ist beispielsweise so: Wenn ich als Priester oder Bischof öffentlich unterwegs bin, werde ich immer wieder spontan von Menschen um einen Segen gebeten: Ob ich die Person selbst oder ihr Kind, oder ihre abwesenden Angehörigen oder einen Gegenstand segnen könne. Noch nie habe ich in diesem Sinn einen Segen – formuliert in einem freien Gebet – verweigert und noch nie wäre ich auch nur im Ansatz auf die Idee gekommen, nachzufragen, ob der Mensch, der um so einen Segen bittet, dessen würdig ist.
Eine Bitte, durch Gottes Gnade besser vor ihm leben zu können
Aber eben solche und ähnliche Situationen verwendet Kardinal Fernandez nun – deutet sie theologisch als eine aufsteigende Segensbitte um Gottes Gnade und darum, als Bittender besser leben zu können. Und er weitet eine solche Segensbitte nun auch auf Paare aus, die sich – wie es heißt – in „irregulären Situationen“5Ebd., 31 befinden. Auch in deren Leben, so kann beispielsweise spontan und in freier Weise gebetet werden, möge sich Gottes Wille erfüllen. Und in diesem Sinn kann nun jeder Mensch und auch jedes Paar gesegnet werden.
Solche Segnungen, heißt es weiter, sollen weder ausdrücklich gefördert werden; noch sollen sie so vollzogen werden, dass sie Anstoß erregen, noch soll ein Ritual dafür formuliert werden. Auch Anlass, Kleidung, Gesten der zu Segenenden sollen nirgendwo an eine Eheschließung erinnern. Aber alles soll im Dienst einer pastoralen Zuwendung zu den Menschen stehen – auf dass Gott in ihnen wirken könne – und zwar ohne dass dabei ihre konkrete Beziehung ausdrücklich gutgeheißen oder wie es im Text heißt: „konvalidiert“ würde. Dies entspricht der gläubigen Einsicht, dass es immer Gott selbst ist, der den ersten Schritt auf jeden von uns zu macht. Es gibt immer den Primat der Gnade – die Menschen dann helfen kann, anders vor Gott zu leben – in seinem Sinn. In diesem Sinn können Priester, Diakone und andere Personen in der Seelsorge nun auch Paaren segnend begegnen – ohne dabei meinen zu müssen, in widersprüchliche pastorale Situationen zu geraten. Einen einfachen Segen, verbunden mit einem freien Gebet um Gottes Hilfe und seine Gnade, kann jeder spenden. Zudem: Des Segens Gottes ist ausnahmslos jeder Mensch bedürftig, weil – wie Paulus sagt – „alle gesündigt haben“ (Röm 3,23) – auch die Segensspender.
Ein Segen für die Segnenden
Ich bin deshalb dankbar für diese Erklärung, weil sie uns in den polarisierten Debatten um dieses Thema in mehrfacher Hinsicht weiterhelfen kann. Im Bistum Passau habe ich vor zwei Jahren eine neue Stelle angestoßen für die Seelsorge von queeren Personen. Als katholische Kirche haben wir auf dem pastoralen Weg mit diesen Menschen in der Regel ein großes Defizit an Verstehen und allzu häufig kaum Sprachfähigkeit in der Seelsorge. Jetzt wird der Spielraum für den gemeinsamen pastoralen Weg weiter. Ein Gebet um Gottes Segen und seinen guten Geist im Sinn der Kirche muss nicht mehr im Widerspruch zur Kirche stehen. Und in diesem Sinn kann das neue Dokument über den Segen selbst ein Segen für jene sein, die sich in der Seelsorge ehrlichen Herzens um Begleitung mühen und zugleich der Kirche in ihrer Überlieferung treu bleiben wollen.
Klärungen für Deutschland und die Weltkirche
Klärend kann der Text in Deutschland wirken, weil er im Anschluss an den Synodalen Weg in unserem Land einerseits den Bitten vieler Synodaler um Segnungen der genannten Paare entgegenkommt. Andererseits könnte er eine Entwicklung, die Gefahr läuft, sich von der Weltkirche zu entfernen, aufhalten, indem er ausdrücklich Liturgien und Rituale solcher Segnungen untersagt. Denn tatsächlich sind inzwischen längst Initiativen gestartet worden, die solche Texte und Liturgien ausformulieren wollen oder schon ausformuliert haben, um den Segnungen einen Rahmen analog zu einer Trauung zu geben.6https://www.akf-bonn.de/files/endf_f_230517_die_feier_des_segens_fuer_paare_web.pdf Das ist aber ausdrücklich nicht erlaubt.
Klärend kann der Text auch für den synodalen Weltprozess sein. In der römischen Synode im vergangenen Oktober war die Frage nach möglichen Segnungen von Gleichgeschlechtlichen mehrfach angesprochen – von Befürwortern und Gegnern. Und immer wieder stand dabei auch eine mögliche Veränderung der Lehre im Raum, befürchtet oder befürwortet. Denn natürlich gibt es eine innere Logik nach dem Verständnis: Wer segnen will, müsste damit ja auch gutheißen (= bene-dicere), was all die Zeit vorher als Sünde galt und immer noch gilt. Geht das? Jetzt zeigt sich: Dieser Zusammenhang ist nicht zwangsläufig. Wenn wir Segen in jener Differenzierung verstehen, die Kardinal Fernandez uns nun vorlegt, und die ausdrücklich von Papst Franziskus bestätigt wurde, dann geht es. Und würde das auch so rezipiert, dann bliebe dieses Thema wohl auch grundsätzlich bei der Synode kommenden Oktober eher außen vor und womöglich inhaltlich beruhigt. Und die Synodalen könnten sich nach dem Wunsch von Papst Franziskus nun tatsächlich konzentrierter um das eigentliche Hauptthema kümmern: Nämlich darum, eine mehr synodale, missionarische und partizipative Kirche zu werden.
Anmerkungen, Bemerkungen, Quellenangaben
- 1
- 2
- 3Die Note zitiert hier ein Dokument der Kongregation für die Glaubenslehre: Notifikation bezüglich einiger Schriften von P. Marciano Vidal, C.Ss.R. vom 22. Februar 2001.
- 4Dikasterium für die Glaubenslehre: Erklärung Fiducia supplicans über die pastorale Sinngebung von Segnungen, 5
- 5Ebd., 31
- 6
Kommentare
Lieber Bischof Oster,
vielen Dank für Ihre Ausführungen. Ich bin zwar kein Prophet aber bei der Nachricht über das Dokument und beim Lesen desselben kamen mir die Tränen, weniger aufgrund des Inhalts als aufgrund der Folgen und Konsequenzen für die Kirche, konkret befürchte ich eine Kirchenspaltung-die 3. Große nach der mit der Ostkirche und der Reformation. Ich bin grundsätzlich ein positiver Mensch voller Hoffnung in der Gegenwart Gottes lebend und auf die Zukunft ausgerichtet lebend und blickend. Doch hier scheint mir eine rote Linie überschritten. Die ersten weltkirchlichen Reaktionen sprechen Bände: Akzeptanz durch die US Bischöfe, Ablehnung durch die Malawische Bischofskonferenz. Es tritt eine ähnliche Situation ein wie nach Amoris laetitia und aus folgenden Gründen halte ich es für das Überschreiten einer roten Linie:
1.Die Differenzierungen innerhalb des Textes werden in der Öffentlichkeit und in der Praxis nicht so wahrgenommen werden, das zeigen schon die ersten Schlagzeilen und Reaktionen.
2. Ich halte eine der Lehre widersprechende pastorale Praxis für theologisch nicht haltbar und nicht redlich.
3. Ich sehe diese Entscheidung nicht eingebunden in die vielbeschworenen synodalen Prozesse der Kirche. Die Anglikaner ringen seit Jahrzehnten um diese Fragen: dort ist die Spaltung noch sichtbarer und fortgeschrittener.
4. Mir fehlt vollkommen die Ökumenische und interreligiöse Ebene: gerade die Ostkirchen und der Islam werden sich von Rom distanzieren und Beziehungen abbrechen.
5. Ich halte es in der aktuellen politischen und vor allem ideologischen Gemengelage, die hoch emotional aufgeladen ist, für mehr als unklug solch eine Entscheidung zu treffen.
6. Es scheint mir eine Fixierung auf das sexuelle zu geben. Der Gedanke, dass jemand mit dem Segen sozusagen Kraft erhält sein Leben den objektiven Geboten Gottes und den Vorgaben der Kirche auszurichten wird auch nicht eintreffen. Es handelt sich um ein Ab-segnen des status quo. Alles andere ist Wunschdenken.
7. Als nächster Schritt werden einige Kardinäle und Bischöfe Papst Franziskus öffentlich zurechtweisen und ihn bitten das Dokument zurückzunehmen. Im schlimmsten Fall wird dieser mit einer Exkommunikation reagieren, woraufhin die Exkommunizierten zuerst den natürlichen Tod des Papstes abwarten werden und den Ausgang des nächsten Konklaves. Im schlimmsten Fall wählen sie selbst einen aus ihren Reihen zum Papst.
Sehr geehrter Herr Bischof, sehr geehrter Herr Benoa,
auch wenn ich den Inhalt des vatikanischen Dokuments an sich begrüße (als ersten Schritt in die richtige Richtung), teile ich zumindest zwei Einschätzungen von Herrn Benoa:
1. „Die Differenzierungen innerhalb des Textes werden in der Öffentlichkeit und in der Praxis nicht so wahrgenommen werden.“ Ich bin mir wie Herr Benoa sicher, dass die Bedingungen der Segenserlaubnis bald aus dem Blick geraten werden. Das hat nicht nur damit zu tun, dass sich viele Menschen nicht sehr für Theologie interessieren, sondern auch mit den Bedingungen selbst: Was heißt es, der Segen dürfe nicht ritualisiert und in keinem Gottesdienst gespendet werden? Jede Form von Segen braucht ein Mindestmaß an Ritus, und sei es allein die Segensformel. Geht man grob nach dem Benediktionale vor (was sich ja anbieten würde), wird man kaum eine Segenshandlung ohne Schriftwort ausführen. Und ein „Vaterunser“ sollte wohl auch dabei sein – ist das nicht schon ein Gottesdienst in nuce? Oder was soll man sich unter einem „spontanen Segen“ vorstellen? Als ich vor vielen Jahren ungeplant in einem bekannten aber nicht wirklich anerkannten Wallfahrtsort in der Herzegowina gestrandet bin, sah ich ein älteres Paar, das im Devotionalienhandel allerhand eingekauft hatte und nun einen Priester bat, den Inhalt ihrer Plastiktüte zu segnen – was dieser offenbar durch ein kurzes Gebet und eine schnelle Handbewegung als erledigt ansah. Ich hoffe, dass unter „spontan“ kein solcher „Segen to go“ gemeint ist, das haben sich Menschen nicht verdient.
2. „Es scheint mir eine Fixierung auf das Sexuelle zu geben.“ Das stimmt sicher, aber neu ist das nicht. Die katholische Kirche kämpft spätestens seit Augustinus mit der Geschlechtlichkeit des Menschen und pendelt damit zwischen Verboten und intellektuellen Abenteuern („Theologie des Leibes“). Vielleicht wäre es ja mal ein lohnender Versuch, wenn die Kirchenleitung zum Thema Geschlechtlichkeit eine Zeit lang schweigt und medizinische sowie psychologische Forschung rezipiert.
Mit besten Grüßen,
Heinz Niederleitner.
Was erhoffen Sie sich, Herr Heinz Niederleitner, von der medizinischen oder psychologischen Forschung zur Geschlechtlichkeit? Die Synodalen sprechen ständig von den neuen Ergebnissen der Humanmedizin, erklären aber nicht, was sie unter den neuen Erkenntnisse verstehen. Als Arzt erkenne ich bezüglich der von Gott recht eindeutig gegebenen Geschlechtlichkeit von Mann und Frau nichst Neues und ich erwarte mir da auch von der Psychologie keine Neuigkeiten. Sehen Sie sich einmal den Körper einer Frau und den eines Mannes an, dann sehen Sie , welche Voraussetzungen notwendig sind zum Erhalt der Menschheit. Homosexualität hingegen zwischen Männern oder Frauen ist eine biologische Sackgasse, die auch von der Psychologie nicht weggeleugnet werden kann.
Sehr geehrter Herr Arnold,
wenn man Sexualität nur als Mittel zur Fortpflanzung sieht, braucht man sich vermutlich tatsächlich nicht weiter damit auseinander zu setzen. Allerdings ist Sexualität sogar in der Lehre der Kirche nicht darauf reduziert: „In der Ehe wird die leibliche Intimität der Gatten zum Zeichen und Unterpfand der geistigen Gemeinschaft. […] ‚Infolgedessen ist die Sexualität, in welcher sich Mann und Frau durch die den Eheleuten eigenen und vorbehaltenen Akte einander schenken, keineswegs etwas rein Biologisches, sondern betrifft den innersten Kern der menschlichen Person als solcher.'“ (KKK 2360f.)
In Bezug auf Homosexualität räumte der Katechismus selbst ein Wissensdefizit ein (KKK 2357 „… noch weitgehend ungeklärt …“) Der Text stammt von Angang der 1990er Jahre. Da wissen wir heute mehr. Wie wurde am Synodalen Weg geschrieben: „Humanwissenschaftlich und medizinisch ist sie [Homosexualität, Anm.] eine Normvariante menschlicher Sexualität.“ Aber es geht nicht nur um Homosexualität, sondern um die gesamte Sexuallehre der Kirche. Generell dazu lesenswert: http://www.synodalerweg.de/fileadmin/Synodalerweg/Dokumente_Reden_Beitraege/SV-IV/SV-IV_Synodalforum-IV-Grundtext-Lesung2.pdf (hier auch das obige Zitat, Seite 21)
Außerdem lesenswert:
Martin M. Lintner: Christliche Beziehungsethik. Historische Entwicklungen – Biblische Grundlagen – Gegenwärtige Perspektiven, Freiburg i. Br. 2023
Eberhard Schockenhoff: Die Kunst zu lieben. Unterwegs zu einer neuen Sexualethik. Freiburg i. Br. 2021
Worauf ich hinauswill: Die akademische Moraltheologie ist schon viel weiter als die Kirchenleitung.
Mit bestem Gruß,
Heinz Niederleitner
.
Sehr geehrter Herr Bischof,
vielen Dank für die hilfreiche Einordnung des aktuellen Dokuments.
Die Initiative des Vatikans halte ich für begrüßenswert, indem die pastorale Zuwendung bestärkt, gleichzeitig aber die bestehende Lehre bestätigt wird.
Begrüßenswert ist immer auch eine Schaffung von Klarheit – die aber nur gegeben ist, wenn man das Dokument vollständig und intentionsgemäß rezipieren möchte. Wie Herr Benoa richtig anmerkte, wird dies nicht durchgängig der Fall sein.
Als Beispiel – sei es mit diesem Dokument nun möglich, dass die Praxis der noch nicht veränderten Lehre vorausgehen kann, ist seitens des ZdK zu lesen. Wer gestern noch Stellungnahmen aus dem Vatikan als wenig relevant einstufte, scheut heute nicht deren Instrumentalisierung. So ist leider eine weitere Polarisierung zu erwarten.
Sorry, aber bald verstehe ich nichts mehr und ich denke, dass es den meisten Menschen ebenso geht. Beispielsweise verstehe ich die Interpretation der Segnung für homosexuelle Paare von dem Bischof Oster – den ich übrigens als Salesianer aus Benediktbeuren hoch einschätze – überhaupt nicht. Und wenn ich als erfahrener, alter Hochschullehrer (allerdings Medizin) schon Verständnisschwierigkeiten habe , wie geht es dann anderen Lesern oder Hörern? Meine Wenigkeit versucht den Ausführungen von Bischof Oster zu entnehmen, dass der priesterliche Segen für ein gleichgeschlechtliches Paar etwas anderes bedeutet, als es das Paar wünscht: Der Priester segnet in der Hoffnung, dass das Paar seinen Irrweg einsieht. Das Paar jedoch erhofft sich vom Segen göttliche Zustimmung für seine (sündige) Situation. Sollte das vor einer Segnung nicht genau vom Priester geklärt werden oder sollte man diesen Unfug nicht gänzlich lassen? Aber vielleicht verstehe ich tatsächlich alles nicht richtig und Excellenz Oster meint etwas ganz anderes? Aber was meint er?
Lieber Herr Niederleitner,
wenn Sie eine Aussage des Synodalen Wegs zitieren, dass „Humanwissenschaftlich und medizinisch ist sie [Homosexualität, Anm.] eine Normvariante menschlicher Sexualität“, dann darf konsequenterweise auch darauf hingewiesen werden, dass humanwissenschaftlich (wohl weniger medizinisch, siehe Beiträge beispielsweise hier von Wolfgang Arnold) in Bezug auf sexuelle Identität heutzutage viel verbreitet von „Fluidität“ die Rede ist. Insofern sollten dann aber auch Angehörige und Sympathisanten von Gruppierungen wie beispielsweise https://www.idisb.de oder https://couragerc.org nicht marginalisiert, gar diskriminiert werden: Zwar definieren sie mehr oder weniger selbstbestimmte fluide Veränderungsmöglichkeiten nicht so, wie es der weltliche Mainstream recht unmissverständlich vorgibt, jedoch kann ihnen nicht vorgeworfen werden, im Widerspruch zur kirchlichen Lehre zu stehen. Es ist anzunehmen, dass diese Männer und Frauen von einer „Erweiterung der Lehre“, wie sie jetzt vorgestellt wurde, wenig halten dürften – mutmaßlich hätten sie eher Interesse an einer pastoralen Begleitung und Hinführung beispielsweise zum Sakrament der Krankensalbung. Einer weiteren aktuellen Studie aus dem humanwissenschaftlichen Bereich zufolge (vgl. https://doi.org/10.2105/AJPH.2020.305637 ) scheint es ihnen mit dieser Haltung und Hoffnung auf Heilung gar nicht so schlecht zu gehen, wie hingegen seitens auch in der Kirche tonangebender Interessengruppen gemeinhin insinuiert wird, so Derartiges zur Debatte überhaupt noch zugelassen wird.
Herzliche Grüße
GM
Sehr geehrte Frau Muellenberger,
reden kann man über vieles, aber man sollte wissen, wie man es tut. Dass es wichtig ist, Menschen, die aus welchen Gründen auch immer unter ihrer sexuellen Disposition leiden (das gilt zum Beispiel auch für asexuelle Menschen, die keinen Partner, keine Partnerin finden), zu begleiten, versteht sich von selbst.
ABER:
„Heilung“ insinuiert eine Krankheit. Wer „Heilung“ in Zusammenhang mit Homosexualität verwendet, behauptet, diese sei eine Krankheit. In anerkannten internationalen Medizinklassifikationen wurde Homosexualität vor Jahrzehnten (!) aus der Liste von Krankheiten gestrichen. Homosexualität ist keine Krankheit, das sollte sich ja nun wirklich herumgesprochen haben (wenn Sie’s mir nicht glauben, vielleicht der deutschen Bundesärztekammer: http://www.aerzteblatt.de/archiv/211816/Sogenannte-Konversionstherapien-Homosexuelle-sind-nicht-krank). Wer homosexuelle Menschen als „krank“ bezeichnet, diskriminiert und beleidigt sie. Menschen zu diskriminieren und zu beleidigen ist unchristlich. Selbst der Katechismus (KKK 2358) warnt davor, sie ungerecht zurückzusetzen und ruft zu „Achtung, Mitleid und Takt“ auf (wobei das Wort „Mitleid aber auch eine Beleidigung homosexueller Menschen ist). Hingewiesen sei darüber hinausgehend, dass zum Beispiel auf diese Weise unter Umständen der objektive (*) Tatbestand des § 283 StGB des österreichischen Rechts verwirklicht ist (die entsprechende deutsche Rechtsvorschrift kenne ich nicht, in der Schweiz scheint es ähnlich zu sein: http://www.swissinfo.ch/ger/politik/gesetz-gegen-homophobie_wer-homosexualitaet-als-krankheit-bezeichnet–macht-sich-strafbar/45549966).
(*) Der subjektive Tatbestand ist freilich mitunter schwer nachweisbar, wie dieser ähnlich gelagerte Fall zeigt: http://www.kirchenzeitung.at/site/themen/gesellschaftsoziales/die-hoelle-an-der-wand
Besten Dank, Herr Niederleitner, dass Sie sich die Zeit genommen haben, auf mein Posting zu reagieren!
Im Hinblick auf Ihre Nachricht vom 23. Dezember, in der Sie sich auf den Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) beziehen, möchte ich zunächst einige Aktualisierungen präzisieren. Wie Ihnen offensichtlich noch nicht bekannt, bezeichnet die neueste deutsche Fassung des KKK in der Druckausgabe von 2003/2005 (mit Bezug auf die derzeit maßgebliche lateinische Ausgabe (editio typica) von 1997) „Mitleid“ nun angemessener als „Mitgefühl“, entsprechend der originalen lateinischen Begrifflichkeit „compassio“. Des Weiteren wird statt der Formulierung „homosexuelle Veranlagung“ nun von „homosexuellen Tendenzen“ gesprochen, was eine Redefinition in Richtung eines breiter interpretierbaren Verständnisses nach sich ziehen könnte und im Licht gegenwärtiger wissenschaftlicher Erkenntnisse (s.u.) als beachtenswert angesehen werden kann. Die offizielle, aktuelle Version des KKK ist online über die Webseite des Vatikans einsehbar: https://www.vatican.va/archive/DEU0035/__P8B.HTM .
Ihre Bedenken bezüglich der möglichen interpretativen Trugschlüsse innerhalb eines katholischen Diskussionsforums nehme ich ernst. Es ist wichtig zu betonen, dass es nicht meine Absicht war, Beleidigungen zu formulieren oder jemanden zu diskreditieren. Ich bedaure jegliche Missverständnisse, die entstanden sein könnten.
Leider muss ich eingestehen, dass sich in meiner vorherigen Mitteilung (22.12.) ein bedauerlicher Fehler eingeschlichen hat: Ich bezog mich mit einer irrtümlichen Verlinkung auf eine Studie, die eine ERHÖHTE Suizidalität bei Versuchen der Veränderung der sexuellen Orientierung suggeriert (Blosnich et al., 2020, https://doi.org/10.2105/AJPH.2020.305637 ), anstatt auf die Studie von Sullins (2022, http://doi.org/10.3389/fpsyg.2022.823647 ), welche die Ergebnisse von Blosnich kritisch analysiert und zu dem gegenteiligen Ergebnis kommt, dass Menschen, die ihre homosexuellen Empfindungen zu verändern suchen, eine GERINGERE Suizidrate aufweisen. Dies wurde dann nochmals von Sullins 2023 in einer umfassenden Erwiderung auf Kritik dargelegt ( http://sullins.epizy.com/published%20articles/Combined%20comment%20responses%20021023%202%20website%20version%20050123.pdf?i=1 ).
Die in der Schweiz veröffentlichte Zeitschrift ‚Frontiers in Psychology‘, welche die Originalstudie von Sullins veröffentlichte, wird in ihrem Fachbereich als eines der weltweit maßgeblichen und führenden Publikationsorgane anerkannt.
Die gesetzliche Regulation in Deutschland der sogenannten „Konversionstherapie“, auf die Sullins Bezug nimmt, schreibt vor, dass bestimmte Kriterien einzuhalten sind, wobei die spezifischen Behandlungsmethoden, die unter diesem Terminus subsumiert werden, nicht klar definiert sind.
Ob erwähntes Institut ( https://www.idisb.de ) derartige Therapien anbietet, kann ich nicht definitiv beurteilen, aber die Homepage erwähnt keine Krankheitsbilder, sondern spricht von „Konflikten im Bereich der Sexualität“, wie sie zum Beispiel bei einer „Inkongruenz im Erleben einer sexuellen Orientierung“ vorkommen können.
Die Internetpräsenz von https://couragerc.org bietet einen umfassenden FAQ-Bereich, in dem unter anderem eine kritische Auseinandersetzung mit der Redewendung „Pray the gay away“ nachgelesen werden kann.
Zum Abschluss möchte ich hervorheben, dass ein breites Diversitäts- und Meinungsspektrum sowie die weitere Vertiefung wissenschaftlicher Forschung von immenser Bedeutung sind und dass auch das kirchliche Lehramt wissenschaftliche Erkenntnisse würdigen und integrieren sollte, wie es bereits durch das Zweite Vatikanische Konzil empfohlen wird (GS 54 oder 62 etc).
Eine offene akademische Diskussion zu Sullins’ Arbeiten wäre in diesem Sinne äußerst begrüßenswert und sollte seitens kirchlich verbundener Organe und Medien angeregt und gefördert werden.
Mit freundlichen Grüßen
GM
Sehr geehrter Herr Bischof Oster,
meine Frage als Nicht-theologe bleibt trotzdem:
Warum ist es nicht (wie bisher) ausreichend, dass sich nur der einzelne Mensch in seiner Persönlichkeit segnen lässt, wenn er den Segen von der Kirche und die barmherzige Zusage Gottes empfangen möchte, um mit Gottes Gnade und Hilfe seinen Willen besser erkennen und erfüllen zu können?
Warum ist es Paaren in homosexuellen und irregulären Beziehungen anscheinend so wichtig, sich als “ Paar “ vom Priester segnen zu lassen, warum genügt ihnen, wenn es ihnen wirklich und ernsthaft um Gottes Willen für ihr persönliches Leben und Heil geht, nicht der übliche Einzelsegen, den jeder einzelne Mensch von einem katholischen Priester erbitten und erhalten kann, egal in welchen Umständen und Sünden er gerade lebt und in gewisser Weise gefangen ist?
JESUS ist der Ehebrecherin barmherzig und ver-urteilt sie nicht, aber ER sagt zu ihr (Johannes 8,11):
„.. geh hin und sündige hinfort nicht mehr. “
Hätte JESUS die Ehebrecherin auch gesegnet, wenn sie zu ihm gesagt hätte:
“ Ich hole noch meinen Liebhaber, damit DU uns beide zusammen gleichzeitig segnen kannst! “ ?
Oder müßte nicht der segnende Priester dann zu dem gesegneten Paar sagen:
“ Und nun geht hin und sündigt hinfort nicht mehr zu Eurem Glück und Heil!“ ?
Jeder einzelne Mensch ist von Gott geliebt und gewollt und darf auf Gottes Segen hoffen und darum bitten (denn ein “ Recht “ darauf haben wir nicht, wir können ihn nicht “ einfordern “ und uns einfach “ nehmen „),
aber: darf auch ein “ Menschenpaar “ um solch einen Segen bitten, das in der Sünde lebt (und vielleicht auch darin beharren will!)?
Ich weiß nicht, ob diese feine, pastorale, päpstliche Unterscheidung des Segens auf Dauer und in der kirchlichen Praxis Bestand hat oder ob es nur die Einfallstür ist für weitere “ liberale Forderungen „, um die Sünde gutzuheißen?
Mir bleibt als einfache Gläubige nur das einfache Gottvertrauen:
“ JESUS, ich vertraue auf DICH! “
Ich wünsche Ihnen und allen hier viel Weihnachtsgnade und -segen vom göttlichen Jesuskindlein und seinen Frieden im Herzen!