Foto: Gemälde von Pater Juan de la Miseria: Teresa von Ávila, im Karmelitinnenkloster Sevilla

Am Kreuz begegnet uns Christus

Christus am Kreuz betrachten und neu geboren werden: Das ist der Königsweg zu einem glaubwürdigeren Christentum. Die Ansprache von Bischof Stefan Oster anlässlich des Symposiums „500 Jahre Teresa von Avila“ im Jahr 2015.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesem Symposium zur Ehre der der Hl. Teresa.
Im Evangelium von heute schenkt uns die Kirche einen Abschnitt aus dem Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus, einem Pharisäer und führendem Mann unter den Juden. Jesus nimmt in diesem Gespräch Bezug auf ein alttestamentliches Geschehen, geschildert im Buch Numeri. Das Volk Israel hatte in der Wüste gegen Gott gemurrt und sich beklagt über die Zustände. Auch das Manna, das Gott wundersam geschenkt hatte, wurde als elende Nahrung verhöhnt. Da, heißt es, schickte Gott Giftschlangen unter das Volk. Menschen wurden gebissen und starben.

Das Volk jammerte daraufhin, tat Buße, bat Mose, den Vermittler, zu Gott zu beten. Daraufhin ließ Gott den Mose eine Kupferschlange im Lager aufstellen, ein Zeichen der Rettung durch Gott. Jeder Gebissene, der dort hinblickte, blieb am Leben. Und auf diese Schlange nimmt Jesus nun Bezug im heutigen Evangelium. So wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so wird der Menschensohn erhöht werden. Und jeder, der an ihn glaubt, wird das ewige Leben haben.

Erhöhung durch das Kreuz

Dem Leser dieses Evangeliums war damals schon klar, dass Jesus hier mit Erhöhung seine Kreuzigung meint. Anderswo im Evangelium ist das Kreuz auch der Akt nicht nur der Erhöhung, sondern der Verherrlichung Jesu. Die unfassbare Größe und Tiefe seiner Liebe kommt in ihrer höchsten, herrlichsten Form im Elend des Gefolterten, Toten, Nackten am Kreuz zum Ausdruck. Dieser und kein anderer schenkt uns Zugang zum Vater, zu seinem Reich, zum neuen Leben – durch eben dieses Sterben.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben, zu Beginn des Gesprächs mit Nikodemus hatte Jesus diesen Pharisäer sehr unmittelbar konfrontiert mit der Behauptung: „Amen ich sage Dir, wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht schauen.“ Der führende Pharisäer versteht die Sache nur gegenständlich, nur buchstäblich: „Ich kann nicht in den Leib meiner Mutter zurück, um nochmal geboren zu werden.“ Jesus präzisiert: Es geht um ein Geborenwerden von oben, aus Wasser und Geist und nicht aus dem Fleisch. Es geht um ein Geborenwerden aus dem Geist Jesu, auf den wir mit dem Wasser getauft sind. Und der Jesus des Johannes-Evangeliums haucht diesen Geist bereits am Kreuz aus. Aus dem Sterben ins Leben.

Mehr als ein Set theologischer Lehrsätze

Liebe Schwestern und Brüder, ich bin überzeugt davon, dass einer der schwerwiegendsten Irrtümer über den christlichen Glauben der ist, der ihn auf ein Set von theologischen Lehrsätzen einerseits und ein Set von moralischen Verhaltensregeln andererseits reduziert. Gerade die Geschichte von Jesus und Nikodemus macht aber deutlich, dass Jesus die Menschen nicht zuerst mit einer neuen Lehre konfrontiert, sondern mit einer neuen Wirklichkeit. „Reich Gottes“ heißt diese Wirklichkeit und sie ist gewissermaßen der ständige innere Aufenthaltsort Jesu. Er lebt in der Liebe, er lebt im Herz des Vaters und er ist gekommen, um uns alle in diese neue Wirklichkeit hineinzuholen und hineinzulieben.

Diese Mission kostet ihn das Leben. Und wenn ich sagte, einer der schwerwiegendsten Irrtümer über den Glauben ist seine Reduktion auf einerseits theologische Lehrsätze, andererseits moralische Verhaltensnormen, dann neigen wir in unserem Herzen alle dazu. Es gibt diese Seite in uns, die will sich mit ihrem Nachdenken über Gott und ihrem Gutsein vor Gott den Zugang zu diesem Reich selbst ermöglichen, selbst verdienen. Sie will sich selbst rechtfertigen, sich selbst recht machen vor Gott.

Jesus ist die Tür

Aber, Schwestern und Brüder, das Heil kommt von außen. Es kommt von außen in unsere gebrochene Welt hinein und ist aus dieser gebrochenen Welt nicht einfach ableitbar oder auffindbar. Es ist neu. Das Heil ist der Einbruch des Reiches Gottes, den wir nicht machen, nicht erreichen, nicht forcieren können. Weder durch allzu viel Nachdenken, noch durch das Einhalten moralischer Vorschriften. Es kommt durch das Lieben und Sterben des Gottessohnes.

Er ist die Tür, durch ihn treten wir ein in das Herzensreich des Vaters. Und wenn wir sagen, er gibt uns seinen Geist, dann müssen wir einräumen: Auch für uns ist ein wirkliches Leben aus seinem Geist nicht zu haben, es sei denn um den Preis der Kapitulation unseres Egos und unseres Willens, uns selbst da hineinzubringen. Das Land der Liebe, die Gott meint ist nur um den Preis der Preisgabe eines hartnäckigen Wunsches in uns zu haben, nämlich des Wunsches, selbst Herr seines Lebens sein zu wollen.

Der Blick zum Kreuz ist der Weg ins Leben

Jesus lädt uns Gläubige ein, uns in seiner Kraft auf seinen Geist wirklich einzulassen. Er lädt uns ein, anzufangen, Ihn wirklich zu suchen. Und zwar nicht den Jesus, den wir uns gerne einbilden, sondern den Jesus, der er wirklich ist. Unterschieden von uns und nicht ableitbar aus unseren Sehnsüchten, Wünschen oder psychischen Befindlichkeiten. Er kommt von außen: Er ist der Einbruch des Neuen in unser Seelenleben, in das Leben unseres Geistes.

Er lädt uns ein, mit ihm zu sterben, um mit ihm in das Leben aufzuerstehen, das er schenken will. Die neue Wirklichkeit ist Konsequenz unserer Lebensübergabe an ihn. „Wer sein Leben gewinnen will, wird es verlieren, wer es um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ Der Aufblick zum Kreuz, die Nachfolge im Kreuz ist der Weg ins Leben, in die neue Wirklichkeit, in die Freude schlechthin.

Neues Leben, neue Wirklichkeit

Und ein Mensch wie die große Teresa von Avila lehrt uns in unermüdlicher Geduld eben dieses: dass das, was Jesus schenkt, nicht zuerst Theologie und nicht zuerst Moral ist. Er schenkt Leben, schon jetzt neues Leben, neue Wirklichkeit. Und wenn wir uns in der Demut des Herzens, im Einüben des persönlichen, des tiefen Gebetes, im Dienst der selbstlosen Liebe am anderen Menschen von seinem Geist führen lassen, dann werden wir Menschen, die auch andere mehr und mehr spüren lassen: Da ist einer vertraut mit einer Wirklichkeit, die größer ist und tiefer als die sichtbare Welt. „Das innere Gebet, sagt Theresa, ist das Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft alleine zusammen kommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt.“

Liebe Schwestern und Brüder, um in dieses sichere Wissen von der Gegenwart des geliebten und liebenden Freundes hineinzufinden, gibt es die Wege die uns die Kirche immer neu bereitstellt auch durch ihre großen Lehrer wie Teresa: das Verkosten seines Wortes, das Empfangen seines Sakramentes, die Gegenwart anderer Menschen, die ihn schon kennen und an ihn glauben, die Einweisung in die Fähigkeit zu beten und bei unserem Freund zu verweilen.

Theologie und Moral folgen der Begegnung

Wir alle sind bedroht von der Häresie des Pharisäismus: der Reduktion des Glaubens auf Theologie und Moral. Aber Theologie und Moral folgen erst der ehrlichen Begegnung mit dem Herrn. Sie leben aus dieser Begegnung und legen sie aus. Aber sie sind abgelöst von dieser Begegnung nicht fruchtbar im Sinn Jesu. Und Teresa lehrt uns, wie wir in der Kraft des Geistes und in der Kraft des Kreuzes die eigentlichen Quellen des Lebens berühren können.

Ich danke Ihnen allen, die Sie nach diesen Wegen suchen – das ist aus meiner Sicht übrigens auch der Königsweg zu einem glaubwürdigeren Christentum. Ich danke besonders auch denen unter Ihnen, die als Lehrerinnen und Lehrer des inneren Lebens anderen Menschen helfen, diese Wirklichkeit des neuen Lebens als eigene Erfahrung zu entdecken. Und die große Teresa möge uns allen auf unseren oft so dürftigen Wegen ins Gebet eine große Helferin und Fürsprecherin sein. Amen.