Über ein reiches Leben und die Verwirklichung des Christusgeheimnisses

Predigt beim Requiem für Altabt Emmanuel Jungclaussen OSB in Niederaltaich am 14.12.2018

Liebe Schwestern und Brüder,

zunächst möchte ich an Ihrem geistigen Auge kurz das äußere Leben unseres Verstorbenen Altabtes Emmanuel vorbeiziehen lassen – in einigen Lebensdaten. Er wurde als Walter Jungclaussen am 15. Mai 1927 in Frankfurt an der Oder geboren, als eines von insgesamt drei Kindern der evangelischen Eheleute Maria und Franz Jungclaussen. Der Vater war Mitbesitzer einer Gärtnerei. Als begabter Junge durfte er aufs Gymnasium gehen und entdeckte dort seine Liebe zur Musik, zu Literatur und den bildenden Künsten. Früh interessierte er sich auch für Philosophie, besonders Religionsphilosophie, für die Mystik, unter anderem auch für die Anthroposophie. Mittelalterliche Geschichte mochte er ebenso und verband damit wie er in einem frühen Lebenslauf schreibt, eine heimliche Neigung zum Katholizismus. Diese Neigung wurde nach einer Reise durch Österreich stärker, so dass er als 19jähriger, bald nach dem Krieg, an einem 8. Dezember, am Festtag der Mutter Gottes, in Hamburg Altona zum katholischen Glauben konvertierte, wie er in diesem handschriftlichen Lebenslauf erzählt. Ausgerechnet am 8. Dezember – in der St. Marienkirche in Hamburg-Altona! Später schrieb Abt Emmanuel, dass die Anziehungskraft der Mutter Gottes für ihn zum Eintrittstor in den Katholizismus wurde. Am 8. Dezember im Jahr 2018 wurde sie auch zum Eintrittstor in das Leben bei Gott. Was für eine schöne Fügung.

Lebensthema Ökumene

Dennoch: Nicht zuletzt durch seine evangelische Herkunft blieb im Kloster Niederaltaich die Ökumene eines seiner Lebensthemen; einerseits war er zum Beispiel einer der ersten beauftragten Seelsorger in unserem Bistum für die damals so genannten Mischehen, also nach heutigem Sprachgebrauch für konfessionsverschiedene Ehen. Und freilich ging sein ökumenisches Bemühen zugleich in die Richtung hin zur großen ostkirchlichen, geistlichen Tradition. Nach der Konversion stand für ihn fest, dass er Priester werden wollte – und so wurde Walter Jungclaussen am 25.7.1953 für die Diözese Osnabrück zum Priester geweiht. Während seiner zweijährigen Kaplanszeit in Fürstenau blieb in ihm die Sehnsucht nach einem Leben der Mönche – und er suchte weiter und fand schließlich den Platz, den ganz offenbar Gott für ihn vorbereitet hatte: die Abtei Niederaltaich.

 Der Schutz der Donau

Hier war er unter anderem Präfekt und Lehrer am St. Gotthard Gymnasium, er war zwischen 1968 und 1974 verantwortlicher Seelsorger hier in der Pfarrei, später war er im Kloster unter anderem auch Novizenmeister, Mitglied im Ökumenischen Institut und zugehörig zu den Mönchen im Kloster, die die ostkirchliche Liturgie feiern. Am 11.11. 1989 wurde er vom Konvent zum 84. Abt der Abtei Niederaltaich gewählt und durch Bischof Franz Xaver Eder am 9.Dezember 1989 zum Abt geweiht. Er blieb Abt bis 2001. Für eine kurze Zeit Anfang der 90er Jahre hatte er auch einen Lehrauftrag an der Uni Passau im Fach Spirituelle Theologie. 1994 war Abt Emmanuel Initiator des Donaugebetes im Anliegen des Erhaltes der freifließenden Donau. Wurde dieses Engagement zunächst nicht von allen verstanden, so fand es doch später in vielfachen Auszeichnungen eine bedeutsame Würdigung.

Ein Gottsucher mit Herz für die anderen

Abt Emmanuel war und blieb in allem und immer ein Gottsucher auch in seiner Naturverbundenheit und im Anliegen der Bewahrung der Schöpfung. Er war ein Mann, der die mystischen Traditionen der westlichen Überlieferung erschließen konnte, ebenso wie die Gebetstradition der Ostkirche, insbesondere mit dem so genannten Jesus- oder Herzensgebet. Ich möchte gerne eine persönliche Geschichte erzählen, die etwas zeigt von seiner Art zu begegnen. Als junger Mann, mit 24 Jahren, hatte ich als junger Journalist und Philosophiestudent große Fragen an die Welt, an den Glauben, an das Leben. Und in mir wuchs die Überzeugung, dass ein Mensch in seinem Leben lernen muss, sich selbst auszuhalten. Er muss lernen, mit sich selbst allein sein zu können und mit sich selbst zurecht zu kommen. Von der Kirche war ich zwar zum damaligen Zeitpunkt eher entfernt, aber dennoch dachte ich, ein Kloster sei der richtige Ort, um diese Erfahrung der selbst gewählten Einsamkeit zu machen. Und ich habe im Kloster Niederaltaich, genauer bei einem gewissen Pater Emmanuel angefragt, ob ich kommen könnte, um mit ihnen mitzuleben. Ich würde auch gerne manche Arbeit erledigen, die anfallen. Pater Emmanuel war damals der Novizenmeister und ich konnte während der Zeit auch da und dort mit ihm sprechen. Am Ende schenkte er mir das Buch von den „Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers“ – eine narrative Einführung in das schon erwähnte Herzensgebet, eine fortwährende Anrufung des Namens Jesu mit der Bitte um sein Erbarmen.

 Immer für eine Sache, nicht gegen jemanden oder etwas

Das Buch beginnt mit einer Einleitung von Abt Emmanuel und diese beginnt wiederum mit einem Satz, der die innere Haltung seiner ökumenisch ausgerichteten Gottsuche verdeutlicht: „Der entscheidende Schritt zur Einigung der Christenheit ist die Erkenntnis, dass die verschiedenen christlichen Kirchen und Gemeinschaften in der Verwirklichung des Christusgeheimnisses voneinander lernen und sich dadurch im geistlichen Leben gegenseitig bereichern können.“ Voneinander lernen ist ein Stichwort. Abt Emmanuel ist ein Suchender und Lernender geblieben, von den anderen, von der Natur, von den Menschen selbst. Einigung ist ein zweites Stichwort: Selbst wenn er sich für die Donau engagiert hatte, wollte er dies nie in Form von gegen etwas oder gegen jemanden tun, sondern immer für ein Ziel, für den Erhalt des natürlichen Laufes des Flusses – und nie einfach polemisch oder gar aggressiv, eher die Menschen einend und mitnehmend in diesem Ziel – indem man für die gute Sache betete und den Segen erbat. Heute sind sich viele, die allermeisten, darin einig, dass es tatsächlich eine gute Sache war.

Verwirklichung des Christusgeheimnisses

Am entscheidendsten im erwähnten Zitat ist für ihn aber wohl die Formulierung von der „Verwirklichung des Christusgeheimnisses“. Was könnte das meinen? Nun das eben schon erwähnte Buchgeschenk erhielt noch eine handschriftliche persönliche Widmung des Paters Emmanuel: „Für Stefan“, steht da „Zur Erinnerung an eine sehr stille Zeit, in der Unhörbares hörbar wurde…. Niederalteich 25.10.1989, Pater Emmanuel Jungclaussen.“ Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, ob ich damals tatsächlich schon verstanden hatte, was er mit dem Unhörbaren meinte, das in mir angeblich hörbar wurde. Aber ich weiß, dass es da eine Art Sehnsucht in mir gab, die mich gezogen hat, und deren Ziehen im Laufe der Jahre deutlicher geworden ist. Ich bin nach dieser Zeit wieder zurück in mein Studenten- und Journalistenleben – hab weiter gesucht und gefragt – und bin mehr als fünf Jahre später tatsächlich Ordensmann geworden. Und zu diesem Zeitpunkt des Ordenseintritts konnte ich dann besser verstehen, was „Verwirklichung des Christusgeheimnisses“ meinte.

 In die Tiefe gehen

Es geht um einen vertrauenden Glaubensakt, eine Zustimmung zu dem, was die Kirche glaubt und verkündet, nämlich dass Christus wirklich da ist, dass er gegenwärtig ist, dass er in uns und unter uns lebt. Und dass es für uns darum geht, mit unserem Herzen, mit unserem Leben eine Antwort darauf zu geben; diese Gegenwart gewissermaßen zu realisieren. Christus ist nicht nur in Gedanken da, sondern wirklich. Und wenn wir in uns hineinspüren und auch tief in das Leben der anderen hineinspüren dürfen, dann dürfen wir glauben und wahrnehmen, dass über all das hinaus, was sich uns alltäglich innerlich aufdrängt: Gedanken, Gefühle, Eindrücke, leibliche Erfahrungen, Trieberfahrungen – wenn wir all das einmal lassen könnten und tiefer gehen, dann ist da nicht einfach das blanke Nichts, sondern eben erfüllte Gegenwart, Leben, Anwesenheit der schöpferischen Liebe, Christus in uns. Und anzufangen und immer wieder neu zu beginnen, das Leben aus dieser inneren, geglaubten Dimension zu leben, das würde ich mit Abt Emmanuel die „Verwirklichung des Christusgeheimnisses“ nennen wollen.

 Ankommen und Bleiben beim Herrn

Im heutigen Evangelium haben wir die Aufforderung Jesu gehört, wir möchten doch in Ihm bleiben, dann würden wir reiche Frucht bringen. Das innere Bleiben in diesem Frieden, ist eine Lebensaufgabe für Abt Emmanuel gewesen und er hat es verstanden, dieses Ankommendürfen bei Christus und das Bleiben auch für andere als Aufgabe zu erschließen. Ein Ankommen und Bleiben, das tiefen Sinn schenkt und zugleich auch von dem „Glück sich selbst zu finden“ erzählt, so einer seiner letzten Buchtitel. Wer Christus findet, der findet sich mit Gott dem Vater versöhnt und findet daher als Kind Gottes tiefer zu sich selbst als er es je anders könnte.

Die reiche Fruchtbarkeit eines Lebens

Wer in Christus bleibt, bringt reiche Frucht, sagt uns das heute Evangelium auch. Wir schauen dankbar auf ein reiches, fruchtbares Leben zurück, hier im Kloster Niederaltaich, der Ort, für den er geboren wurde, der Ort, wo er für viele Menschen ein echter Seelsorger in vielen Lebenslagen war. Für seine Brüder im Kloster war er über Jahrzehnte ein treuer Mitbruder und für 12 Jahre geistlicher Vater als Abt. Und für nicht wenige Menschen war er ein weiser Begleiter hinein in ein tieferes, sinnverfülltes und gläubiges Leben. Am vergangenen Samstag, am Tag der Unbefleckten Empfängnis Mariens, hat er sein biologisches Leben seinem Schöpfer in die Hände zurückgegeben und ist in das Leben hineingegangen, das durch seine Taufe in ihm grundgelegt wurde, das er zeitlebens gesucht hatte und das er hoffentlich nun in Fülle leben darf. Lieber Abt Emmanuel danke für alles, lebe in Frieden. Amen.