Bild: R. Dorfner

Über Keuschheit und die Erkenntnis Gottes – die Predigt zur Diakonenweihe

Große Freude für die Kirche von Passau: Heute durfte ich Tobias Asbeck, Stefan Jell und Jan Kolars in Altötting zu Diakonen weihen. Hier die Predigt, in der ich darüber nachgedacht habe, was Sex, Erkennen und Gotteserkenntnis miteinander zu tun haben. Hier zum Nachhören, unten zum Nachlesen.


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Lieber Tobias Asbeck, lieber Stefan Jell, lieber Jan Kolars,

auch heute haben wir wieder – wie üblich – kein eigenes Evangelium für diesen Weihegottesdienst gewählt, sondern die Texte, die uns die Liturgie der Kirche für den heutigen Tag vorlegt. Und wie so oft fügt es sich oder fügt Gott, dass das Evangelium wie für diesen Tag geschrieben ist. Jesus sieht die vielen Menschen auf seinem Weg durch Städte und Dörfer und hat Mitleid mit ihnen, weil sie ihm wie erschöpfte Schafe vorkommen, die keinen Hirten haben. Und er ruft dazu auf den Herrn der Ernte zu bitten, Arbeiter für seine Ernte auszusenden. Ihr drei seid sicher auch eine Antwort darauf, dass viele Menschen oft und lange gebetet haben in einer so fordernden Zeit für die Kirche. Der Herr bekommt heute neue, von vielen erbetete Arbeiter in seinen Weinberg, in die Kirche von Passau – und zwar solche, die ihm eine endgültige Zusage geben. Und dafür sind wir alle hier überaus dankbar – mit Euch und für Euch.

„Erkennen“ in der Bibel

Eine der Zusagen mit den bedeutsamsten Folgen ist, dass Ihr heute versprecht, ab jetzt um des Himmelreiches willen ehelos zu leben. So heißt es wörtlich in der Versprechensformel. Das heißt: Wenn Ihr dem Versprechen treu bleibt, dann werdet ihr keine Kinder zeugen im biologischen Sinn. Und ihr werdet auch nicht an jener menschlichen Begegnung teilnehmen, die die Heilige Schrift oftmals mit dem Wort „erkennen“ bezeichnet. In der Schöpfungsgeschichte etwa heißt es: „Adam erkannte seine Frau Eva – und sie wurde schwanger“ (Gen 4,1). Und als der Engel Gabriel der Mutter Gottes die Geburt des Messias verheißt fragt sie verblüfft: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ (Lk 1,35).

Was ist da in der Nacht passiert?

Ist das nicht seltsam? Die geschlechtliche Begegnung von Mann und Frau wird mit einem Wort bezeichnet, das wir zunächst einmal mit einem intellektuellen Vorgang, einer geistigen Leistung in Verbindung bringen. Aber die Autoren der Bibel haben den Menschen zumeist ganzheitlich gesehen und deshalb schließt der Begriff „erkennen“ in diesem Verständnis zusammen mit dem Denken auch das Wollen und das Fühlen mit ein, weil der ganze Mensch in der Begegnung erkennt, tief erkennt. Ein Beispiel dazu: Als ich noch ein Junge war und schon Spielfilme im Fernsehen sehen durfte, aber mir noch wenig Gedanken über Sexualität gemacht hatte, da haben bestimmte Szenen manchmal große Verwunderung in mir ausgelöst. Damals waren nämlich erwachsene Menschen nach meiner kindlichen Beobachtung meistens lange im Umgang miteinander per Sie. Der Weg zum Du hat meistens viel länger gedauert als heute. Das war mein Eindruck als Kind: Bis sich meine Eltern mit jemand anderem geduzt haben, musste man sich doch schon länger und gut gekannt und Intensives miteinander erlebt haben. Und jetzt kommt es: Ich habe auch Filmszenen gesehen, in denen sich erwachsene Menschen begegnet sind, irgendwie sympathisch waren, dann haben sie sich ziemlich schnell geküsst, dann hat man vielleicht noch gesehen, dass sie im selben Haus oder sogar im selben Bett übernachtet haben. Und schon am nächsten Morgen haben sie sich geduzt – und haben so vertraut miteinander getan, als würden sie sich schon ewig kennen. Und ich habe mich als Kind gefragt: Was ist da in der Nacht passiert, dass das so schnell ging?

Sie erkannten einander

Und meine heutige Antwort mit der Bibel ist: Sie erkannten einander. Es gibt eine Form der Begegnung, in der ein Mensch sich dem anderen öffnet, sich in der Tiefe auf ihn einlässt, sich vielleicht im Innersten berühren lässt oder berührt – und das führt im gelingenden Fall zum tieferen Verstehen, zu einer Art vertrautem Verstehen voneinander und füreinander. Sie erkannten einander. Aber, liebe Schwestern und Brüder, die meisten von uns wissen auch, dass die sexuelle Begegnung zwischen Menschen nicht immer und schon gar nicht automatisch ins tiefere Verstehen, ins Erkennen münden muss. Sie kann auch schief gehen, der eine kann den anderen nur benutzen und ihn dann schnellstmöglich wieder loswerden. Viele Menschen fragen sich heute, wie kann das heute in einem guten und tiefen Sinn gelingen? Und zwar für reale Menschen und nicht nur zwischen Schauspielern in einem romantischen Film.

Erkennen mit Verstand, Wille und Gefühl

Warum, so werden Sie fragen, spreche ich über so etwas, wenn die Diakone auf diese Form des biblischen Erkennens gerade verzichten werden? Nun, weil ich glaube, dass wir von dieser Beschreibung des Erkennens etwas lernen können für – und jetzt sage ich ein großes Wort – für die Erkenntnis Gottes, für die Erkenntnis Jesu. Und für die Frage, wie wirkt sich so eine Erkenntnis auf unser ganzes Leben aus. Fragen Sie sich zum Beispiel: Wie spricht der Liebende von seiner Geliebten, wenn er von einem Freund gefragt wird: Erzähl mir was von ihr?! Sagt er in nüchterner Beschreibung: „Sie ist 1,75 groß, hat braune Haare und grüne Augen und sie wiegt 65 Kilo und ist Buchhalterin bei der Sparkasse?“ Sagt er nicht eher Sachen wie: „Sie ist wunderschön, ich ertrinke in ihren Augen, ich liebe, wie sie sich bewegt und spricht – und selbst wenn sie arbeitet, hat sie ihr Herz am rechten Fleck und bei den Menschen.“ Verstehen Sie, was ich meine? In der zweiten Rede ist der ganze Mensch beteiligt, nicht nur der nüchterne Verstand, sondern auch die Freude, der Wille, das Herz.

Die Lebensaufgabe

Aber nun, meine Lieben, kann man Gott, kann man Jesus so erkennen, dass man in ähnlicher Weise von ihm sprechen kann, mit dem Herz? Man kann. Weil er selbst uns den Geist gibt, der genau diese innere Verbindung herstellen will, von Herz zu Herz. Und ich bin überzeugt, dass es für alle Christen, aber besonders auch für Diakone und Priester eine Lebensaufgabe ist. Mehr noch: Es ist die Lebensaufgabe.

„Brannte mir nicht das Herz?“

Sie, lieber Jan Kolars, haben als Ihr Schriftwort für diese Weihe den Satz aus der Emmaus-Erzählung ausgewählt: „Brannte uns nicht das Herz?“ Und die Emmaus-Jünger beziehen es auf den gemeinsamen Weg als sie mit dem Auferstandenen gehen und er ihnen die Schrift auslegt. Und Sie, lieber Jan, haben bei Ihrer Firmung etwas vom Geist Gottes spüren dürfen, das Sie im Nachhinein so deuten: „Mir hat das Herz gebrannt.“ Und seitdem hat Sie der Gedanke, Priester werden zu können nicht mehr losgelassen. Gerade Ihr ungewöhnlicher Ausbildungsweg zeigt etwas von dieser großartigen und liebevollen Führung Gottes durch die Herzensbegegnung. Ich wünsche Ihnen sehr, dass Sie immer mehr in dieses Geheimnis hineinwachsen dürfen, dass Sie die Erfahrung des für den Herrn entzündeten Herzens immer wieder machen dürfen – und davon auch Zeugnis geben können – und so auch andere entzünden können.

„Herr öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde“

Und Sie, lieber Stefan Jell, haben als Ihr begleitendes Schriftwort einen Satz aus dem Buch der Psalmen angegeben. Er lautet „Herr öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde.“ Da spricht in Ihnen ein Mann, der Freude hat an der Liturgie, am Stundengebet. Und Sie haben in einem schönen Video zurecht darauf hingewiesen, dass der Satz zeigt, dass Gott immer den ersten Schritt auf uns zu macht, dass er der Handelnde an uns ist – aber dass er sich unsere Antwort und unser Mitwirken ersehnt. Er öffnet die Lippen, er ermöglicht den Lobpreis, aber Sie stimmen ein und wirken mit. Wir tun es nie aus eigener Ermächtigung. Wir sind zuerst Gerufen und dann Antwortende – und wir haben unsere Sendung von Ihm und nicht aus uns selbst. Möge Ihnen diese Herzensantwort immer leicht über die Lippen gehen.

„Viel vermag die Barmherzigkeit“

Und Sie lieber, Tobias Asbeck, haben im Buch Tobit sich von dem Satz berühren lassen: „Viel vermag die Barmherzigkeit.“ Und auch das fügt sich in die Rede vom Erkennen und vom Erkanntwerden durch Gott: Er erkennt uns alle voller Barmherzigkeit. Bevor er uns irgendwie kritisch sieht und unsere Sünde sieht, hat er uns immer schon voller Liebe angeschaut, weil er uns aus Liebe geschaffen hat. Liebe erkennt anders. Und sich von diesem barmherzigen Blick erkennen und lieben lassen, das habe ich auch bei Ihnen durch die Jahre der Ausbildung besonders gespürt, das lässt reifer werden, das lässt wachsen. Und es bewegt uns selbst hinein in die Fähigkeit, barmherziger zu werden.

Der Zölibat: Keine Entscheidung gegen die Liebe

Liebe Brüder, ich sage das sehr deutlich: Der Zölibat, den Sie übernehmen, ist nicht eine Entscheidung gegen die Liebe. Es ist eine Entscheidung für einen Weg, auf dem Sie berufen sind, Jesus, der Sie zutiefst kennt, selbst immer mehr zu erkennen, weil Sie von Ihm liebevoll erkannt sind. Und weil Er der Einzige ist, der Sie in der tiefsten Tiefe Ihres Wesens kennt und erkennt. Und auch das möchte ich sagen: Wir alle hören als Kirchenmenschen sehr viele Predigten – aber vielleicht berühren uns nur wenige. Mich jedenfalls haben immer die Predigten am meisten berührt, wenn ich gespürt habe, dass da ein Mensch wirklich einer ist, der aus dem Gebet, aus der oft über Jahre gewachsenen Erkenntnisbeziehung mit dem Herrn lebt. Die Menschen spüren das.

Begreifend zerstören und begreifend sehen lassen

Und ich möchte auch den Weg der Keuschheit im Erkennen verdeutlichen. Es gibt nämlich auch eine Art unkeusches Erkennen, ein Erkennen, das vor allem begierlich und besitzergreifend ist. Ich möchte es an dem Wort „begreifen“ verdeutlichen, einem Wort also, das bildlich beschreibt, was wir mit Erkennen meinen. Wir greifen auf einen Gegenstand zu – mit der Hand – be-greifen wir. Unser Tastsinn versteht ja schon etwas davon, wie die Dinge sind. Aber gerade das Begreifen kann ein wildes Zugreifen sein, dass die Dinge an sich reißt und für sich selbst in Besitz nimmt – und sich an sich krallt. Und dann ist es ein Begreifen, das ganz schnell übersieht, was an der begriffenen Sache wesentlich ist. Dann wird die Sache reduziert auf: Mein Besitz, mein Objekt der Selbstdarstellung. Denken Sie an Menschen, die sich mit Luxusgegenständen oder gar Luxusmenschen umgeben müssen, um zu zeigen wer sie sind. Oder mein „Begreifen“ kann ein zärtliches Umschließen sein, ein Halten, das im Halten nicht zerdrückt, sondern zeigt und der Sache selbst hilft, sich zu zeigen. Es ist ein Begreifen, dem es wirklich um die Sache selbst geht – und nicht um den eigenen Profit oder Vorteil. Denken Sie an etwas Zerbrechliches: an eine Löwenzahnblume in ihrer Reife als Pusteblume. Wie gehe ich damit um im Begreifen. Besitzergreifend zerstöre ich sie, im zärtlichen Umhüllen zeige ich sie – und gebe den Flugschirmen die Möglichkeit, sich zu zeigen und wegzufliegen.

Sich berühren lassen von Gottes Wort

Und jetzt wieder zum Dienst des Diakons: Sie sind berufen, Gottes Wort zu verstehen, in Gottes Wort einzutauchen, sich davon ansprechen und berühren zu lassen. Es in sich hineinzunehmen. Und von dort ins Sprechen zu kommen. Verstehen Sie, warum es hier eine Analogie gibt zudem anfangs geschilderten Erkennen der Geschlechter? Es ist ein tiefes Ineinander, aus dem heraus das Wort entsteht, das Sprechen entsteht. Und es entsteht hoffentlich so, dass Ihr Begreifen des Gotteswortes und Ihr Sprechen des Gotteswortes nicht ein gieriges Besitzergreifen ist, dass es auch nicht zur eigenen Selbstdarstellung benutzt wird. Sondern dass es von der Ehrfurcht vor dem Wort getragen ist. Dass es aus der betenden Begegnung mit dem Wort lebt und damit mit aus der betenden Begegnung mit dem lebendigen Gott. Und verstehen Sie, dass man so eine Art des Umgangs mit dem Wort zärtlich und doch auch keusch nennen kann. Weil es nicht ichhaft, nicht begierlich ist, sondern wirklich etwas zeigen will von dem, wovon ich selbst berührt bin?

Jesus im Anderen erkennen

Und hier kommt dann auch zusammen, was Sie versprechen. Sie versprechen Keuschheit, gerufen dazu, Gott tiefer zu lieben und zu erkennen, um Ihm ganz zur Verfügung zu stehen. Sie versprechen Männer des Gebets und der Innerlichkeit zu werden und Männer des Glaubens der Kirche. Und Sie versprechen Männer zu werden, Diakone, die die Not der Menschen im Blick haben. Und auch diese Erkenntnis der Not der anderen, die muss gewissermaßen aus dem ganzheitlichen und zugleich keuschen Blick kommen. Sie kommt aus einer Offenheit, die sich berühren lässt und die nicht benutzen und gebrauchen will. Und Sie kommt aus der erspürten Ahnung, dass Jesus wirklich auch im anderen Menschen da ist. Das betende Sein beim Herrn, das betende Betrachten des Gotteswortes, die Feier der Sakramente machen Sie hoffentlich sensibler für die Anwesenheit Gottes in der Welt, in den Menschen, besonders in den Armen. Wir alle danken Ihnen sehr, dass Sie sich auf den Weg gemacht haben und das Sie sich zu diesem Weg entschieden haben. Und wir danken allen, die Sie auf diesem Weg begleitet, gefördert, ausgebildet haben; allen voran Ihren lieben Eltern. Und wir danken dem Herrn, dass wir glauben dürfen, dass Sie von Ihm voller Liebe erkannt worden sind. Amen.

 

Bild: R. Dorfner