Warum Weisheit mehr ist als Wissen. Die Predigt zur Verleihung der Missio Canonica in Fürstenzell 2014.
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
was für ein schöner Zufall, dass wir heute miteinander den Heiligen Benedikt feiern, den Patron Europas; und dass uns die Liturgie anlässlich dieses Festes den wunderbaren Text aus dem Buch der Sprichwörter schenkt.
Es geht um Weisheit. Wie angemessen für angehende Religionslehrer und –lehrerinnen! Der alttestamentliche Autor ist der Ansicht, dass die Weisheit das kostbarste Gut ist, das der Mensch besitzen kann, wie Schätze von Silber und Gold – so sehr ist sie es wert, sie zu suchen. Aber natürlich ist dies eine Weisheit, die im Gegensatz zu derjenigen steht, die zum Beispiel bei Paulus oder auch im Evangelium als Weisheit der Welt gebrandmarkt wird, als Weisheit, die die Erkenntnis Gottes eher verhindert als befördert.
Die biblische und weltliche Form von Weisheit
Liebe zukünftige Lehrerinnen und Lehrer katholischer Religionslehre, ich halte eine solche Unterscheidung zwischen einer biblischen und einer nur weltlichen Form von Weisheit für fundamental für uns alle, die wir in welcher Form auch immer mit Verkündigung zu tun haben. Es gibt nämlich eine Form des Wissens, eine Form weltlicher Weisheit, die verhindert, dass der Mensch zu Gott findet.
Und es gibt eine Weisheit, die bei der Gottesfurcht beginnt und auch bei ihr endet und deswegen tatsächlich immer tiefer wird. Und mit Gottesfurcht ist hier nicht einfach Angst gemeint, sondern tiefe Ehrfurcht vor Gott, ein Ausdruck des ehrfürchtigen Ergriffenseins oder gar Schauderns, den ein Mensch erfährt, wenn er sich im tiefsten Herzen bewusst wird, dass er wirklich und wahrhaftig vor dem Allmächtigen steht.
Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit
Die Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit, steht im Buch der Sprichwörter ganz zu Beginn, und hier im zweiten Kapitel des heutigen Textes lesen wir nun: Wer nach der Weisheit forscht, wer ehrlich Erkenntnis sucht, der wird die Gottesfurcht begreifen und Gotteserkenntnis finden. Was also steht am Anfang und was am Ende? Ist Gottesfurcht der Anfang der Weisheit oder ist sie das Ziel einer Suche nach Weisheit? Die Antwort ist: beides!
Im Grunde ist hier beschrieben, wie wahrhafte Erkenntnis die Gottesfurcht und die Gotteserkenntnis vertieft und wie dann umgekehrt wirkliche Gottesfurcht auch wieder zu tieferer Weisheit und Erkenntnis führt. Ist es nicht ähnlich mit unserer Erkenntnis von Menschen: Wer einen Menschen achtet und ehrt, ja wer ihn liebt, der erkennt mehr von ihm, der versteht tiefer, wie der andere ist. Und wer dann tatsächlich mehr von einem Menschen erkennt, der achtet und liebt ihn auch wieder mehr – sofern die Erkenntnis schön und gut ist. Erkenntnis, Liebe und Ehrfurcht wachsen aneinander und durcheinander.
Der Unterschied zum Wissen
Aber wie ist nun der Unterschied zu einem Wissen, das nur weltlich ist, das von Gott eher fernhält. Nun denken wir auch wieder an unsere Beziehung zu Menschen: Wer über einen Menschen nur deshalb Bescheid wissen will, damit er ihn einordnen kann, damit er ihn schablonisieren kann, damit er ihn kontrollieren kann – der wird notwendig bei einem Wissen stehen bleiben, dass zwar äußerlich nützlich sein kann, aber er wird den anderen Menschen nie in einem echten Sinn begegnen und tiefer verstehen.
Und wenn Sie sich nun fragen, warum ich das für heute Abend erwähne, dann eben deshalb, weil es auch einen Umgang mit Wissen über Gott gibt, der noch gar nichts mit Gott selbst zu tun haben muss. Sie selbst wissen, dass man Theologie studieren kann, sogar dass man Religion in der Schule unterrichten kann – und es ist alles formal richtig.
Nehmen wir an, Sie unterrichten sogar den Katechismus richtig, einschließlich der Dogmen. Sogar wenn alles ganz korrekt ist, kann es am Ende sein, dass Sie das in einer Weise tun, die noch überhaupt nichts mit dem wirklichen Glauben zu tun haben muss. Nicht, dass das Wissen unnütz wäre, aber die Frage ist: Ist es echte Erkenntnis, die auch etwas mit ihrem Herzen gemacht hat, die auch Ihr eigenes Inneres berührt hat?
Haben wir IHN erkannt?
Sagen wir in unsrem Unterricht oder in unserer Verkündigung nur richtige Sätze oder sind wir dabei Zeugen und Zeuginnen dessen, was wir glauben? Sie selbst kennen auch den Unterschied zwischen einer Predigt, die irgendwie richtig ist, aber Sie haben den Eindruck: Es ist nicht mehr als eine Ansammlung theologischer Floskeln.
Oder Sie ahnen: in diesen Worten spricht einer, der vom Herzen her weiß, wovon er spricht. Wenn wir also von Jesus sprechen, dürfen wir uns fragen: Haben wir IHN selbst erkannt? Sind wir von ihm innerlich berührt worden, weil wir ihn durch Gebet, im aufmerksamen Hören der Schrift, in der Suche nach ihm, im Wunsch, ihn wirklich kennen zu lernen, allmählich immer mehr auch in uns Raum gegeben haben? Oder ist unsere Rede von Jesus bloße Wissensvermittlung?
Religionsunterricht und Katechese
Wissen Sie, ich will nicht den Unterschied zwischen Religionsunterricht und Katechese einfach aufheben. Der Religionsunterricht hat eine andere Aufgabe als die Katechese in der Pfarrei. Aber dennoch wird man Ihrem Unterricht anmerken: Die weiß nicht nur in der Form des bloßen Wissens, von wem sie spricht, sondern sie hat auch innerlich den erkannt, von dem sie erzählt.
Sie dürfen sehr gerne – wenn Sie den alttestamentlichen Text von heute noch einmal nachlesen – immer dann, wenn Weisheit da steht, auch Jesus einsetzen. Jesus heißt im Neuen Testament: Logos. Und das kann übersetzt werden mit Wort, mit Sinn, mit Vernunft oder auch mit Weisheit. Wenn wir Jesus suchen und ihn nicht nur so kennenlernen, dass wir ihn als Wissen benutzen und gebrauchen, dann werden wir in ihm selbst immer weiser. Dann wird unser religiöses Erkennen Herzenserkenntnis. Und dann verändert das tatsächlich auch unser Sprechen über ihn.
Christus als Inbegriff der Weisheit
Das Evangelium stellt übrigens diesen Bezug her: Die Jünger werden uns darin heute präsentiert als Männer, die um Jesu willen alles andere verlassen und hintangestellt haben. Im Alten Testament war es die Weisheit, die zu suchen lohnender ist als alles andere. Aber hier im Neuen Testament erweist sich Christus selbst als der Inbegriff unserer Weisheit.
Liebe Schwestern und Brüder, ich möchte Sie einladen, auch Ihre Verantwortung als Religionslehrer in Zukunft derart wahrzunehmen, dass Sie ein Mensch bleiben und immer mehr werden, der mit Jesus auf dem Weg ist und bleibt, der ihn immer besser und tiefer kennen und lieben lernt. Damit Ihre Worte im Unterricht nicht bloß Wissen sind, sondern Weisheit atmen. Die Jugendlichen, denen Sie begegnen als LehrerInnen haben ein Recht darauf, durch Sie auch Jesus kennen zu lernen. Und dazu müssen wir ihn selbst kennen.
Seit wann betest du wirklich?
Eine letzte Bemerkung: Ich habe immer mal wieder, nicht oft – aber intensiv, Menschen getroffen, deren Reden über den Glauben mich tief bewegt haben, in ihrer Klarheit und Reife und Echtheit. Sie hatten Kraft, in mir etwas in Bewegung zu bringen. Sie haben mich neu motiviert. Und ich habe danach nie gefragt: Wie viel hast Du studiert, woher weißt Du das alles?
Die viel wichtigere Frage an solche Menschen ist: Seit wann betest Du wirklich? Wie betest Du? Wie liest Du Gottes Wort? Und wie ist es gegangen, dass Dir Jesus wirklich zu Herzen gegangen ist. Und fast immer scheint hinter solchen Menschen dann eine sehr intensive geistliche Praxis auf, eine Praxis des Lebens mit Jesus und der immer neuen Suche nach ihm.
Ich erbitte für Sie alle den Segen des Allerhöchsten. Dass in Ihrem Unterricht immer wieder junge Menschen von Christus nicht nur Wissen erwerben, sondern von ihm berührt werden, weil sie einen Lehrer oder eine Lehrerin haben, der ihn persönlich kennt. Amen.