Bild: R. Kickinger

Lieben ist die Bestimmung des Menschen

Lieben – ein Liebender zu sein ist die Grundverfassung des Menschen. Die Predigt zur Weihe von Jürgen Zacher und Anton Fliegerbauer zum ständigen Diakon 2014.

Liebe Mitbrüder auf dem Weg in den Dienst des Diakons, liebe Festgäste, liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
die Lesung und das Evangelium, die wir gehört haben, haben die beiden Weihekandidaten für diesen Tag ausgewählt. Sie enthalten jeweils einen Satz, der den beiden auf ihrem Weg hin zur Weihe besonders wichtig geworden ist.

Sie, lieber Herr Zacher, haben einen Satz aus dem ersten Johannesbrief ausgewählt, der Sie begleitet hat. Er lautet: „Wir wollen lieben, weil er uns zuerst geliebt hat.“ Ich halte die Einsicht, die hier zum Ausdruck gebracht wird, für eine der wichtigsten in der gesamten Heiligen Schrift und in unserem Glauben – und möchte mit Ihnen zusammen ein wenig darüber nachdenken und damit zugleich das Geheimnis des diakonalen Dienstes bedenken.

Mensch dazu geschaffen zu lieben

Was ist eigentlich die Grundverfassung des Menschen? Der Glaube sagt mit der Bibel, dass der Mensch dazu geschaffen ist, ein Liebender zu sein. Er ist dazu geschaffen, Gott mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzer Kraft zu lieben. Und er ist dazu geschaffen, aus dieser Liebesbeziehung zu Gott, sich und seine Mitmenschen ebenfalls zu lieben. Die Urbeziehung zu Gott befähigt uns dazu, den Nächsten zu lieben, wie sich selbst.

Das ist die Grundverfassung des Menschen. Er ist dazu gemacht, ein Liebender zu sein. Und das fundamentale Grundproblem des Menschen ist: er ist kein Liebender mehr. Er ist im Grunde zuerst ein Egoist; einer, der sich selbst für das Zentrum hält, um das sich alles dreht und zu drehen hat. Er denkt erstmal an seine eigenen Bedürfnisse, dann kann er sich vielleicht auch mal irgendwann um Gott kümmern und eventuell auch um die Anderen.

Aus der Gottesbeziehung herausgefallen

Das hängt nun damit zusammen, dass wir irgendwie aus der ursprünglichen Gottesbeziehung herausgefallen sind. Wir leben nicht mehr selbstverständlich bei Ihm und mit Ihm, so wie kleine Kinder bei Mama und Papa leben und sich geborgen fühlen. Wir finden es im Grunde sehr mühsam, irgendwie mit Gott in Beziehung zu treten. In unserer natürlichen Verfassung gibt es etwas, was sich dagegen sträubt, zum Beispiel zu beten oder gar die Bibel zu lesen. Gottesbeziehung? Ja, irgendwas wird es da oben schon geben!

Und wenn nun der Mensch aus der Innigkeit dieser Beziehung heraus gefallen ist, aber andererseits zur Liebe geschaffen ist, dann versucht er alles Mögliche, um sich dennoch irgendwie als Liebender zu erweisen. Er ist ja von seinem Herzen so gebaut, auch wenn das Herz sich von Gott weg und in sich eingekrümmt hat. Also versucht der Mensch nun, wie er sagt, Liebe zu machen. Er sucht sich Menschen oder Dinge, die er lieben kann.

Nicht ganz heil im Lieben

Und wir alle spüren, liebe Schwestern und Brüder, dass diese Liebesbeziehungen ganz oft nicht heil sind. Ganz oft geht es nämlich auch in unseren Liebesbeziehungen zu den Menschen um uns auch darum, den anderen irgendwie für sich zu haben, irgendwie zu besitzen und eben nicht einfach so zu lieben, wie mich selbst. Ich will Dich für mich, sagen wir – und verwechseln genau das mit Liebe.

Und wenn es zufällig passt, dass der andere ein Bedürfnis danach hat, endlich geliebt zu werden, dann verwechselt er vielleicht allzu leicht, die Tatsache, dass ihn ein anderer besitzen will, ebenfalls mit Liebe. Und seien wir ehrlich, wie viele Beziehungen – die müssen nicht mal Ehen sein, sondern schon im Vorfeld von Ehen gibt es das allzu oft – wie viele Beziehungen beginnen mit der Illusion, das sei nun die große Liebe, irgendwie vielleicht für immer, und wie viele täuschen sich darin – und sind allzu schnell wieder auseinander.

Liebe zwischen Eltern und Kindern

Oder die Liebe zwischen Eltern und Kindern: Freilich lieben die meisten Eltern ihre Kinder tief und intensiv: Und doch müssen die meisten Eltern dennoch unter Schmerzen lernen, dass sich die Kinder von ihnen lösen. Auch bei elterlicher Liebe ist oft das Moment der Besitzergreifung, des Anspruches „für mich“ größer als sie es selbst wahrhaben wollen.

Liebe Schwestern und Brüder, gibt es wirkliche Liebe, eine Liebe die einfach so den anderen meint. Einfach den anderen Menschen, um seinetwillen und nicht noch einmal hintergründig um meinetwillen? Ich bin der Überzeugung, dass wir zu so einer Liebe geschaffen sind, aber ich bin auch der Überzeugung, dass wir dazu die Erfahrung brauchen, die im ersten Johannesbrief und in Ihrem Wahlspruch, Herr Zacher, zum Ausdruck kommt: Er, Christus, hat uns zuerst geliebt.

Christus hat uns zuerst geliebt

Er ist der, der mich persönlich meint. Er ist der, der für mich und meine unerlöste Liebe gestorben und auferstanden ist. Damit ich in ihm neu werde und tief und frei. Und damit ich andere, zu denen er mich schickt auch einfach so lieben kann, nicht weil ich sie brauche, sondern weil sie seine Geschöpfe sind. Seine Geschöpfe, die oft genau so liebesunfähig und in sich verschlossen sind, wie ich selbst es oft bin. Oder seine Geschöpfe, die arm oder krank oder gescheitert oder verzweifelt sind. Seine Geschöpfe, die die Erfahrung nicht kennen, einfach umsonst geliebt zu sein.

Lieber Herr Zacher, lieber Herr Fliegenbauer: der Herr beruft Sie, solche Zeichen seiner Gegenwart zu sein, Zeugen, die den anderen Menschen mit seiner Liebe lieben können. Mit einer Liebe, von der sie selbst berührt sind, aber von der Sie sich auch immer neu berühren lassen müssen. Es gibt keine wirkliche Hinwendung zum Menschen im Sinne Jesu, die sich nicht speist aus der Beziehung zu Ihm, aus dem Gebet, aus dem konkreten Leben mit Ihm und vor Ihm.

Im Gebet zu ihm gehen

Er hat Sie zuerst geliebt, wenn Sie darauf antworten, indem Sie Ihm zuerst großzügig Zeit schenken, sich Seinem Wort widmen, immer neu im ausdauernden Gebet zu Ihm gehen, dann wächst in Ihnen immer neu die Kraft, die Nöte der Zeit wirklich zu sehen – und konkrete Antworten zu geben. Dann können Sie auch weiter hinaus gehen, zu den Entfernten, zu denen an den Rändern. Dann trägt Sie diese Kraft aus dem Zuerst des Herrn.

Und dann tritt auch das ein, was wir im Evangelium gehört haben: Sie, Herr Fliegerbauer, haben als Ihren Satz aus dem Evangelium ein Wort gewählt, das der Herr beim großen Weltgericht sagt. Es stammt aus dem Matthäus-Evangelium, aus dem 25. Kapitel. Jesus selbst erzählt diese Vision, wenn Er als Menschensohn wiederkommt, wie sich das Gericht dann abspielen wird. Er belohnt dabei vor allem diejenigen, die sich um die Ärmsten angenommen haben.

Den Anderen lieben

„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, sagt er uns. Der aufrichtige Dienst am Anderen, liebe Diakone, ist gewissermaßen die Schlüsselqualifikation des Diakons und im Grunde von allen Christen. Aber der Diakon ist schon in der Alten Kirche das Auge des Bischofs genannt worden für die Menschen, die in Not sind, auch deshalb, weil der Bischof immer der Pater pauperum war, der Vater der Armen.

Der selbstlose Dienst am Anderen, die Liebe umsonst ist unsere Schlüsselqualifikation und ich finde an der von Ihnen ausgewählten Evangeliums-Stelle zwei Dinge besonders interessant, aber auch beunruhigend. Der Weltenrichter ruft die Menschen in sein Reich, die sich den Geringsten zugewendet haben, aber er verurteilt diejenigen, die diese Zuwendung unterlassen haben. „Ihr habt mich nicht gespeist, bekleidet, im Krankenhaus besucht und so fort.“

Die Schuld: Unterlassung

Das Beunruhigende ist: Den Verurteilten werden keine aktiven Sünden vorgeworfen, sondern Unterlassung! Sie werden nicht verurteilt für das, was sie Böses getan haben, sondern für das Gute, das sie nicht getan haben. Nun aber, die Verurteilten fragen den Herrn: „Wann warst Du denn arm oder nackt oder krank und wir haben Dir nicht geholfen?“ Darauf sagt Jesus wieder: „Was Ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan.“

Was heißt das? Das heißt: Sie haben Jesus im Anderen nicht erkannt! Warum nicht? Nun, weil sie ihn womöglich vorher nie kennen gelernt haben. Weil sie ihn womöglich nicht kennen lernen wollten oder ihn nicht suchen wollten. Wie kann einer wirklich lieben, wenn er nicht von der Liebe des Herrn berührt ist? Und wie kann einer Ihn im Anderen erkennen, wenn er ihn nie zuvor erkannt hat?

An die Ränder gehen

Liebe Brüder, Jürgen Zacher und Anton Fliegerbauer: Der Diakon ist bevorzugt derjenige, der für den Bischof an die Ränder geht, wie Papst Franziskus immer wieder sagt. Er ist derjenige, der sogar bei denen an den Rändern, bei denen, die so gar nicht nach Jesus aussehen, sogar bei denen erkennt er die Gegenwart Jesu selbst und kann ihnen deshalb dienen. Warum? Weil er von Jesus schon erkannt ist und geliebt ist und weil er in seinem Antworten Jesus selbst kennen und lieben und spüren gelernt hat.

Liebe Brüder: Hören Sie nie auf, immer und immer wieder zu Jesus zu gehen. Bitten Sie ihn jeden Tag, ihn morgen tiefer erkennen und lieben zu können als heute. Schenken Sie Ihm Zeit im Gebet, substantielle Zeit. Schenken Sie Ihm Zeit, auf Sein Wort zu hören. Lernen Sie, in der Schrift seine Stimme zu hören, lernen Sie immer mehr feinfühlig zu werden mit ihren inneren Sinnen für seine Gegenwart.

Es gibt keinen Gegensatz zwischen Gebet und Pastoral

Es gibt keinen Gegensatz zwischen Gebet einerseits und Pastoral andererseits. Im Gegenteil: Sie tragen notwendig einander. Wenn unser Gebet uns nicht liebesfähiger macht, ist etwas faul an unserem Gebet. Und umgekehrt, wenn unser Handeln am Anderen nicht aus dem Gebet, aus der Beziehung zu Christus geschieht, dann wird es ganz schnell bloßer Betrieb, den jeder andere auch aufrecht erhalten kann, ohne ein Zeuge Jesu zu sein. Ich will Sie ermutigen, Zeugen zu sein und immer mehr zu werden!

Ich danke Ihnen sehr, dass Sie sich im Dienst des Diakons dem Herrn zur Verfügung stellen. Und ich danke Ihnen auch besonders dafür, dass Sie bereit sind, diesen Dienst auch mit einem Zivilberuf auszuüben. In Ihrem Zivilberuf werden Sie nicht automatisch, vor allem nicht äußerlich erkennbar sein als Diakon, aber Sie werden dennoch nicht aufhören, auch in Ihren Arbeitsfeldern Diakon zu sein. Und ich hoffe sehr, dass die Menschen, mit denen Sie im Zivilberuf arbeiten, auch immer wieder spüren, was oder besser wer Sie im Innersten bewegt.

Dank an die Familien

Ich danke auch Ihren Ehefrauen, dass sie eingewilligt haben in Ihren Wunsch, sich als Diakon zur Verfügung zu stellen. Es ist nicht selbstverständlich. Und diese Berufung des Vaters ist auch eine neue Herausforderung für die Familie. Aber ich bin zuversichtlich, dass diese Berufung auch segensreiche Wirkung für die Familie haben wird.

Ich danke auch den Kindern, Verena und Amelie und Kilian und Marcel. Auch sie (Ihr) werden lernen müssen, mit der Berufung des Vaters umzugehen. Auch sie werden Verständnis finden müssen dafür, dass der Vater Dienst an anderen tut und daher manchmal nicht bei ihnen sein kann. Aber auch sie können von der christlichen Erfahrung profitieren und tiefer in den Glauben hineinwachsen. Das gebe Gott.

Und so darf ich Ihnen beiden, liebe Brüder, nun voller Freude und Dankbarkeit die Weihe zum Diakon spenden. Amen.


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