Wie Weisheit Kultur verwandelt – Fest der seligen Gisela in Veszprém

Texte: Weis 7, 7-10.15-16; Mt 13,44-46 (sel. Gisela)

Liebe Geschwister im Glauben, liebe Ungarn, liebe Mitglieder der Passauer Delegation,

Jahr für Jahr kommen viele von Ihnen aus Ungarn zu uns nach Passau, in die schöne Stadt an der Donau, die unsere Länder verbindet, Deutschland und Ungarn, Bayern und Ungarn. Und als ich in den letzten Tagen ein wenig genauer über die selige Gisela nachgelesen habe, konnte ich manche Gemeinsamkeit zu meinem eigenen Leben entdecken, die ich sehr schön finde. Ich selber habe wie die selige Gisela, eine längere Zeit meiner Jugend in der wunderbaren Stadt Regensburg verbracht. Eine Stadt mit einer großen Geschichte. Hier ist Gisela vermutlich auch geboren worden, und sicher ist sie hier in die Schule gegangen, beim Hl. Wolfgang dem großen Abt und Bischof von Regensburg. Und wahrscheinlich hat sie hier auch König Stephan von Ungarn geheiratet. Auch ist in Regensburg ihre Mutter begraben, die Gisela von Burgund. Ich bin Gisela dann später zwar nicht nach Ungarn, aber gewissermaßen von Regensburg nach Passau gefolgt, wo ich nun seit fünf Jahren als Bischof dienen darf. Hier habe ich gelernt, dass wir ein berühmtes Grab Eurer ungarischen Königin haben und dass wir als Kirche von Passau zwei Mädchenschulen betreiben, die nach Eurer Königin die Giselaschulen heißen. Die Schulen sind beheimatet in dem ehemaligen Kloster Niedernburg, in dem Gisela Äbtissin war und in dieser großartigen romanischen Klosterkirche ist auch ihr Grab, das von vielen Menschen verehrt wird. Und ich bin froh und dankbar heute zum ersten Mal hier sein zu können in Veszprém, wo sie gelebt und regiert hat – und wo sie diese großartige Kirche gestiftet hat.

Ein Paar für die Völkerverständigung

Ich frage mich: Was mag das für dieses junge Mädchen bedeutet haben, so früh in ein ganz fremdes Land zu ziehen, mit einem jungen Prinzen verheiratet zu werden? Eine Hochzeit einzugehen, arrangiert aus politischem Interesse? Wie sehr hätte das schief gehen können, rein menschlich betrachtet! Aber wie sehr lag über diesem jungen Prinzenpaar offenbar der Segen und die Gnade Gottes. Der junge Christ Stephan, der zum ersten König und Gründer Eurer Nation als christlichem Land wurde. Und diese Prinzessin aus Bayern, die ihm ganz offenbar ebenbürtig war in ihrem christlichen Glauben und Eifer und in ihrer Liebe für ihr neues Volk. Wie schön man hier Völkerverständigung studieren kann!

Das Christentum und die Macht

Die Lesung aus dem Buch der Weisheit, passend zu dieser Heiligen, erzählt davon, dass ihr Autor die Weisheit Zeptern und Thronen vorgezogen hat, also der Macht und dem Reichtum. Wie ist das mit der Macht? Was bedeutet Macht in unserer Welt? Und wie gehen wir als Kirche, auch ich als Bischof, mit der konkreten Macht um, die wir haben? Wir spüren heute, gerade auch in Deutschland, dass es auch in der Kirche Sünde gibt, die vor allem mit Macht zu tun hat: Menschen in der Kirche – und zwar auf der ganzen Welt – haben andere Menschen missbraucht, oft auch Kinder und Jugendliche. Und sie haben es oft unter dem schrecklichen Vorwand getan, angeblich aus Liebe zu handeln. Missbrauch unter dem Schein von Liebe ist die Perversion von Liebe und ist dramatischer Missbrauch von Macht, auch von geistlicher Macht. Und es ist sehr gut, liebe Schwestern und Brüder, dass die Dinge ans Licht kommen, die passiert sind in unserer Kirche. Denn es kann uns reinigen und von Heuchelei frei machen. Es kann uns tiefer und heiliger machen, hoffentlich. Denn wenn uns Jesus eine Lehre sehr deutlich erteilt hat, dann eben die, dass wir als Christen mit Macht anders umzugehen haben, als die übrige Welt es oft tut. In einer Welt, in der Gott herausgedrängt wird, ist Macht allzu oft ein Mittel der Unterdrückung der Menschen, sagt Jesus. Und er fügt hinzu: „Bei euch aber soll es nicht so sein. Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.“ (Mk 10, 42-44)

In der Fremde zuhause sein

Gisela war eine mächtige Frau, die Frau des Königs, die Königin von Ungarn. Und wir wissen von ihr, dass sie Kirchen gegründet hat und Klöster und Schulen und soziale Einrichtungen. Wie eine Dienerin von allen. Ganz offenbar konnte Gisela diesen Weg gehen, weil tief in ihrem Herzen Christus schon fest verankert war. Später als Ordensfrau in Passau sollte sich zeigen, dass sie so eine Berufung auch im Herzen hatte: Ein Mensch zu sein, der ganz für Christus und deshalb auch ganz für die anderen leben kann. Und ich kann mir im Grunde nur diesen einen Grund dafür vorstellen, wie es möglich war, dass für sie das neue Land von der völligen Fremde zur wirklichen Heimat wurde – auch wenn es nicht ihre letzte Heimat war.

Herzen und Kultur verwandeln

Der Grund ist Christus: Wer mit ihm geht und gehen kann, wer sich ganz auf ihn verlässt, der lernt, überall auf der Welt zuhause zu sein. Und er kann lernen, überall auf der Welt die Menschen und ihre Kultur lieben zu lernen, sich einzulassen und sie gleichzeitig mit zu verwandeln, ihr ein christliches Gesicht zu geben. Gisela hat ihre neue Kultur und Heimat mit verwandelt, man kann sagen, sie hat sie auch getauft. Und das ist ein Vorgang, der kann nie einfach von außen nach innen geschehen, nie quasi als Zwang, sonst wird er nicht echt. Wirklich taufen kann man nur einen Menschen und im übertragenen Sinn auch eine Kultur, wenn man tief eingetaucht ist in das Herz der Menschen und ihrer Kultur, wenn man dort angekommen ist, wenn man Menschen berühren kann, so dass sich Herzen verwandeln. Dann passiert eine Verwandlung der Kultur, die nicht fremd ist und überfremdet, sondern die das Beste und Schönste aus dieser Kultur hervorbringt, um es Christus zu weihen, wie eine Neugeburt also, von innen nach außen.

Eine weise Frau

In diesem Sinn war – so meine ich zu sehen – der verehrten Gisela die Weisheit wichtiger als alles andere. Denn christlich gesprochen bedeutet die Weisheit entdecken nichts anderes als Christus entdecken, den Logos entdecken. Also den, der allem Geschaffenen innewohnt und ihm den tiefsten Sinn gibt. Und weise-sein heißt dann auch: diesen Sinn, diesen Logos, in den Menschen, in der Kultur, in den Geschöpfen gleichsam aufzuspüren, ihn tief zu verstehen von innen her – und damit die Menschen und ihre Kultur tief verstehen. Und dann heißt weise sein, mitzuhelfen, dass dieser Logos hervorkommt, dass er gleichsam „geboren“ wird – so dass die Menschen, das Land ein christliches Gesicht bekommen, so dass sie Christus in sich tragen und zum Vorschein kommen lassen. In diesem Sinn glaube ich, war Gisela eine weise Frau, erfüllt von der Weisheit, die aus Christus kommt.

Der Schatz im Acker

Und unser Evangelium von heute erzählt auch davon: Jesus sagt uns in einem Bild, was es für einen Menschen bedeutet, das Himmelreich zu entdecken. Wir glauben natürlich auch, dass das zugleich bedeutet, Jesus zu entdecken, den König dieses Himmelreiches. Wenn also ein Mensch einmal von Jesus wirklich berührt wird, von seiner Größe und Wahrhaftigkeit, von seiner Tiefe und Majestät, von seiner Schönheit und Demut, von seiner Liebe und seiner Kraft, wenn einem das im Herzen aufgeht, nicht nur im Kopf, dann wächst eine Sehnsucht, die Ihn wichtiger sein lässt als alles andere. Dann ist dieser Schatz im Acker wichtiger als Reichtum, Macht, Besitz, Anerkennung und so vieles mehr, von dem wir leicht abhängig werden können. Dann wird man alles tun, um den ganzen Acker zu gewinnen, in dem der Schatz vergraben ist. Und man wird sein Leben damit verbringen, von diesem Schatz zu leben und mit ihm. Christlich gesprochen heißt es: Mit dem Herrn leben, schenkt einen Reichtum, einen Sinn, eine Tiefe, die durch nichts anderes mehr zu ersetzen ist, der nichts anderes gleichkommt. Und es bedeutet, dass man lernt, diesen Schatz zu verschenken und sich selbst mit ihm zu verschenken, Weil die Dinge, die der Herr schenkt, nur dann mehr werden, wenn man sie weiter verschenkt.

Ein reicher Mensch – auch in der Armut des Gefängnisses

In diesem Sinn glaube ich, war Gisela immer ein zutiefst reicher Mensch, egal ob sie gerade Königin in Ungarn war, oder ob sie nach dem Tod ihres Mannes arm und elend im Gefängnis saß oder ob sie eine Klosterschwester in Passau war. Sie hatte den Schatz im Acker gefunden – und ihr Leben dafür gegeben. So danken wir heute hier in Veszprem und bei mir zuhause in Passau für dieses Lebenszeugnis. Für dieses Zeugnis gläubiger Liebe und gläubiger Kultur, für dieses Zeugnis der Völkerverständigung. An Giselas Leben wird exemplarisch deutlich, was eine, oder besser was die wesentliche Kraft war, die Europa in der Tiefe geformt hat und uns bis heute verbindet: der Glaube an Christus. Mögen wir uns auch in Zeiten wachsender Tendenzen von Spaltung und Trennung gerade bei uns in Europa immer neu daran erinnern. Selige Gisela bitte für uns. Amen.

Bild (Kickinger): Segen in der Kathedrale von Veszprém mit der Armreliquie der sel. Gisela. Rechts Erzbischof Gyula Marfi von Veszprém.