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Allerseelentag und Allerheiligen

Der Allerseelentag ist der Tag, an dem die Menschen zu den Gräbern ihrer verstorbenen Familienangehörigen gehen und ihrer gedenken. Warum die Kirche den Allerseelentag und das Hochfest Allerheiligen so nah beieinander feiert. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Allerseelentag 2014.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
gestern, da haben wir noch aller Heiligen gedacht. Und es ist eigenartig, dass bei diesem großartigen Fest der Kirchenbesuch in der Regel nicht allzu zahlreich ist. Das hängt damit zusammen, dass das Bewusstsein für die Feier aller heiligen Männer und Frauen eher mit dem Totengedenken in Verbindung gebracht wird. Und am Nachmittag von Allerheiligen, da geht man eben auf die Gräber, meistens ebenfalls in Verbindung mit einem Totengedenken in der Kirche. Und einmal Kirche genügt ja am Tag, denkt man dann ökonomisch.

Aber diese Zuordnung, liebe Schwestern und Brüder, ist ein Missverständnis. Der Gräbergang hat seinen Platz am Allerheiligen Nachmittag deshalb gefunden, weil es ein Feiertag ist – und der Allerseelentag danach ist eben kein Feiertag, wenn er nicht ausgerechnet auf einen Sonntag fällt, wie in diesem Jahr. Aber im Grunde wäre der Allerseelentag der Tag für unseren Gräbergang.

Allerheiligen und Allerseelentag – der Unterschied

Aber was ist nun der Unterschied zwischen den beiden Tagen, die wir so nah aufeinander feiern? Sie alle wissen, dass die Kirche Heilige hat: Männer und Frauen, die in ihrem Leben so sehr auf Gott bezogen waren, dass sie wirklich Gott und den Menschen voller Liebe dienen konnten. Denken Sie an Mutter Theresa, denken Sie an Franz von Assisi, denken Sie an Ihren eigenen Namenspatron.

Diese Menschen waren freilich nicht deshalb heilig, weil sie sich in ihrer Tugendübung so großartig angestrengt haben, wie Superleistungssportler der Tugend. Sie sind heilig, weil ihre Gottverbundenheit so spürbar war und so in ihr Leben hineingestrahlt hat, dass sie einfach Menschen waren, die irgendwie das Ideal des vollendeten Menschseins verkörpert haben.

Das Wort „heil“

Wir haben im Deutschen auch das Wort heil, das bedeutet auch ganz, vollständig. Zu einem Kind sagen wir: ich mach das wieder heil oder das wird schon wieder heil. Und im religiösen Sinn ist dann das Heil-Sein, das Ganz-Sein auch das Heilig sein. Im Englischen kann man die gemeinsame Wortwurzel auch gut erkennen: whole heißt ganz und holy eben heilig.

Und das Fest Allerheiligen gedenkt eben all der Vielen, die ihre Ganzheit, ihre tiefe Menschlichkeit und Gottverbundenheit bekannt oder unbekannt in der Verborgenheit gelebt haben; Menschen; die die Kirche nicht in einem großen öffentlichen Verfahren für selig oder heilig erklärt hat. Alle Heiligen, ob bekannt oder unbekannt ehren wir an diesem Tag und bitten sie um ihre Fürsprache und ihren Schutz.

Allerseelentag: Gedenken an die Verstorbenen

Und heute, am Allerseelentag erinnern wir uns an unsere lieben Verstorbenen, mit denen wir einen Teil unseres Lebens verbringen und teilen durften, mit denen wir auch heute noch innerlich verbunden sind. Und nun ist es sicher so, – wenn wir ehrlich genug sind – dann haben wir wohl bei den wenigsten unserer Verstorbenen den Eindruck, sie wären schon vollendet gewesen, schon ganz, schon heilig. Jeder und jede hatte wohl so seine Eigenheiten, seine Ecken und Kanten, jeder und jede hat sich wohl auch in manchen Dingen schwer getan mit dem Loslassen, viele haben sich schwer getan, einfach liebevoll und gut zu sein zu den anderen, viele werden sich auch schwer getan haben, an Gott zu glauben und auf ihn zu vertrauen.

Kurzum: Die allermeisten von unseren Verstorbenen waren keine Heiligen, aber ich sage ausdrücklich dazu: noch keine Heiligen. Warum dieses „noch“? Weil die Kirche glaubt, dass wir alle, die wir Kirche sind, zusammengehören. Wir bilden eine Gemeinschaft, hier in diesem Leben und dort im Leben bei Gott. Und wir haben auch die Ahnung, dass wenn ein Mensch unvollendet, also nicht heilig ist, dass er dann gewissermaßen noch einen Weg vor sich hat. Gott entgegen.

Heilig werden

Wir glauben das deshalb, weil niemand ganz zu Gott kommen und wirklich in seiner Nähe leben kann, der eben nicht selbst ganz ist, der nicht heil gemacht ist. Denn solange wir das nicht sind, halten wir dieses unfassbare, schöpferische Feuer der Liebe Gottes gar nicht aus. Es ist vielleicht vergleichbar mit dem Blick in die Sonne, je mehr wir aus dem Dunklen kommen, desto weniger halten wir den unmittelbaren Blick in die Sonne überhaupt aus. Je mehr wir andererseits die Helle des Tages gewohnt sind, desto eher schauen wir in die Sonne, ohne gleich blind zu werden und gar nichts mehr zu sehen.

Und so ähnlich ist das mit unseren Herzen, liebe Schwestern und Brüder, je mehr unser Herz in diesem Leben auf Gott hin orientiert ist, je mehr es Sehnsucht nach Ihm hat, um Ihn zu kennen und zu lieben, desto mehr wird es von Ihm erfüllt. Es hat ja Umgang mit ihm, und er kann das Feuer seines Geistes nach und nach in unser Herz eingießen. Er macht unser Herz Ihm verwandt, er macht es hell, so dass es die innere Ausrichtung auf Gott ertragen kann und sogar immer mehr ersehnt.

Zu Gott hin reifen

Es gibt Menschen, die sind so voll von diesem Feuer, die sind so bekannt mit Gott, die leben so aus Ihm, dass die Kirche immer gewusst hat, dass es diejenigen sind, die nach ihrem Tod gleich und unmittelbar ganz in seiner Nähe sind. Wenn die Kirche jüngst Papst Johannes Paul II. heilig gesprochen hat, dann in diesem Bewusstsein. Er war ein Mann Gottes, ein Mann der Liebe, der Tiefe, des Vertrauens, der Sehnsucht nach Gott. Er ist jetzt ganz bei Ihm. Wir können ihn anrufen und um Fürbitte bei Gott bitten.

Aber bei uns durchschnittlichen Christen und eben auch bei vielen unserer Verstorbenen, da ist eben noch viel, was noch geläutert, was noch verwandelt werden kann, was noch der Reifung bedarf, was eben noch der Durchdringung mit dem Heiligen Geist bedarf.

„Bete bitte für mich“

Die Kirche hat immer auch gewusst und gelehrt, dass unsere Verbundenheit zu unseren Verstorbenen etwas dazu beitragen kann, dass sie näher zu Gott hin reifen und auf ihrem Läuterungsweg vorankommen. So wie schon in dieser Welt ein wirklich Liebender einem anderen mit dazu verhelfen kann, reifer zu werden und tiefer zu werden und vertrauensvoller zu werden.

Kennen Sie das nicht, dass Sie in Gegenwart eines herzensguten Menschen selbst den Eindruck haben, zu einem besseren Menschen zu werden? Und sagen Sie nicht auch manchmal zu einem Menschen „bete bitte für mich“ – und Sie sagen es viel lieber zu jemandem, von dem Sie den Eindruck haben, er lebt innerlich nahe bei Gott als zu einem Lügner oder Gauner.

Liebestat für die Toten

Und wenn nun unsere Verstorbenen nicht völlig von uns getrennt sind, wenn wir alle in Gottes Kirche immer noch geeint sind, wenn wir zudem die Ahnung haben, unsere Verstorbenen sind noch auf dem Weg des Heilwerdens, dann ist unser Beten für die Verstorbenen gewissermaßen unsere Liebestat für sie, unsere Hilfe.

Eben deshalb, weil es in der Kirche zwischen hier und drüben keine letzte Trennung, sondern bleibende Verbundenheit gibt, deshalb glauben wir, dass unsere dankbare, bittende, liebende Erinnerung an unsere Verstorbenen ihnen diesen Dienst erweisen kann, näher zu Gott zu kommen und so ganz zu werden, heilig zu werden.

Fegefeuer und Hölle

Diesen Weg der Läuterung, den nennt die Kirche in einem Bild das Fegefeuer. Dieses Bild, liebe Schwestern und Brüder, ist nicht zu verwechseln mit dem Bild des Feuers für die Hölle. Hölle ist eine Bezeichnung für einen Zustand, in dem ein Mensch sich endgültig und willentlich und mit letzter Konsequenz von Gott abgewandt und nur sich selbst zugewandt hat. Es ist die bewusste Entscheidung dafür, eine dunkle Seele ohne Gottes Liebe haben und behalten und in der selbstgewählten Dunkelheit bleiben zu wollen.

In diesem Fall kommt das Feuer der Liebe Gottes gleichsam wie von außen auf so einen Menschen zu und eben nur von außen, so dass es fürchterlich weh tut, so dass es die einfach die Hölle ist. So ein Zustand wird mit dem Bild des Höllenfeuers beschrieben. Das Bild des Fegefeuers erzählt dagegen schon vom Himmel. Es erzählt davon, dass eine Seele geläutert wird, um immer mehr befähigt zu werden, das Licht Gottes auszuhalten und wirklich von ganzem Herzen bei ihm zu sein. Das so genannte Fegefeuer, die Läuterung, gehört also nicht zur Hölle, sondern schon zum Himmel.

Fürsprecher im Himmel

Und das heißt, wir beten am Allerseelentag vor allem für unsere Verstorbenen, damit sie auf diesem Weg in die Nähe Gottes begleitet werden und vorankommen. Nun kann es freilich sein, dass unter denen, für die wir beten, auch solche dabei sind, die schon längst ganz bei Gott sind, die also heilig sind. Und diese, das glaubt die Kirche ebenfalls von Anfang an, die wiederum können aus ihrer Nähe zu Gott uns helfen, uns Fürsprecher sein, für uns beten und uns helfen, immer mehr in die Nähe Gottes zu kommen und immer mehr ganz, heilig zu werden.

Und sollten Sie nun nicht wissen, ob der verstorbene Opa oder die Oma oder der Angehörige oder die Freundin jemand war für den wir beten müssen oder ob er schon für uns betet, dann machen Sie sich nicht allzu viel Sorgen. Derjenige, an den jedes Gebet gerichtet ist, wird es Gebete in jedem Fall so hören, dass es dem Heil insgesamt dient, dem Heil unserer Verstorbenen und unserem eigenen Heil. Amen.

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