Auf Veränderung antworten? Von neuem Schatzsucher werden! Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum 50-jährigen Jubiläum der Einführung der Pfarrgemeinderäte und anderer Räte im Bistum Passau.
Liebe Rätinnen und Räte, ehemalige und aktuelle, liebe Schwestern und Brüder im Glauben alle miteinander,
was für eine wunderbare Idee für dieses Fest: Sie alle einzuladen, die Sie sich in unserer Kirche aktiv einbringen, engagieren, mitgestalten. Viele von Ihnen schon jahrzehntelang. Einige von Ihnen erst seit kurzer Zeit – und dennoch mit der Bereitschaft mitzuwirken für den Herrn, für seine Kirche – in einer Zeit, in der wir uns alles andere als leicht tun mit der Frage, wie das denn geht, heute und morgen den Glauben authentisch zu verkünden und Menschen für Christus zu gewinnen.
Schatzsucher vor 50 Jahren und heute
Was hat sich nicht alles getan, aber eben auch verändert in den vergangenen 50 Jahren, seit dem II. Vatikanischen Konzil in Rom? Damals war viel Aufbruch zu spüren, viel guter Geist, viel Begeisterung auch für den Glauben. Auch die gesellschaftliche Zeit damals war von einem Geist des Umbruchs geprägt. Die berühmten 68er und folgenden Jahre haben unser Land verändert, haben die westliche Welt verändert. Wie würde sich Kirche einbringen in so eine neue Zeit und wie würde sie sich hineinnehmen lassen in so eine neue Zeit?
Mit diesen Fragen sind wir heute noch intensiv beschäftigt. Und daraus entsteht auch die immer spannende Frage: Was gehört zum Unveränderlichen in der Kirche, im Glauben – was kann sich nicht einfach dem Geist der Zeit unterwerfen? Aber zugleich: Wo ist wirklich Veränderung nötig und möglich, ein Gehen mit und in der Zeit?
Alle Getauften gehören zum priesterlichen Volk Gottes
Im Grunde sind Sie alle, die Sie hier sind, schon so ein Zeichen von Veränderung. Wir haben in der Kirche neu entdeckt, dass nicht nur die Berufschristen die Berufenen sind, sondern alle, alle sind getauft, die meisten gefirmt, alle gehören zum auserwählten Geschlecht, zur königlichen Priesterschaft, von der in der ersten Lesung die Rede war.
Und der Dienst des geweihten Klerus ist es, Menschen gerade in dieser Erfahrung zu ermutigen, zu befähigen und zu bestätigen: Ihr seid Teil des großen Auftrags des Herrn an die Kirche. An Euch ist es, dort, wo Ihr lebt und arbeitet, auch Zeugnis für das Evangelium zu geben, ihr seid dieses priesterliche Volk, das zu Jesus gehört, dem einzigen Hohenpriester.
Große Fragen beschäftigen uns
Freilich: Wenn wir ehrlich sind, ist dieses Verhältnis zwischen dem Klerus und den so genannten Laien bis heute auch ein immer wieder diskutiertes, nicht selten kontrovers diskutiertes. Und nicht selten geht es dabei auch um Machtfragen, oder darum, ob wirklich die Lehre der Kirche so stimmt, wie sie verkündet wird. Und das gilt ganz besonders für die folgenden Fragen, die uns oft in der Tiefe unserer Existenz betreffen:
Wie können menschliche Beziehungen gelingend gelebt werden? Welche Beziehungen sind von Gott gewollt und von der Kirche bejaht? Und welche nicht? Und welche Rolle soll oder darf dabei unsere Sexualität spielen? Hier will oder kann sich der moderne Mensch oft nicht mehr einfach einer Lehre unterwerfen. Aber wenn wir ehrlich sind, ist es eine Lehre, die ich als Bischof grundsätzlich für richtig halte, von der wir aber sagen müssen, dass sie kaum noch angemessen vermittelt wird.
Schatzsucher stehen vor einem Vermittlungsproblem
Wie sollte man sie dann auch verstehen, jenseits von bloßen Geboten oder moralischen Forderungen? Oder das Thema Lebensschutz: Wie sehr ist in einer liberaler werdenden Gesellschaft auch das Leben bedroht, vor allem an seinem Anfang und seinem Ende? Oder das grundsätzliche und scheinbar so überragend wichtige Thema der Freiheit: Wie versteht der moderne Mensch eigentlich Freiheit? Und wie versteht sie der Glaube der Kirche?
Nicht wenige Menschen neigen ja heute dazu, jede Norm als Einschränkung der persönlichen Freiheit zu empfinden. Oder das Thema Schuld und Sünde? Wer will heute schon einräumen, dass er schuldig ist oder gar sündig? Oder die Frage nach der Wahrheit: Wie kann die Kirche, die immer wieder gerade in ihren Verantwortungsträgern als unglaubwürdig erlebt wird oder auch nur als unglaubwürdig dargestellt wird, wie kann so eine Kirche behaupten, sie hätte die Wahrheit? Oder der Erfolg der Naturwissenschaften: Wie gehen die Erkenntnisse der Naturwissenschaften überhaupt mit der Lehre des Glaubens zusammen?
Unsere Antworten waren und sind nicht immer glücklich
Sie sehen, liebe Schwestern und Brüder, die Menschen, die Gesellschaft hat heute gravierende Fragen an den Glauben und die Kirche. Und ich fürchte, unsere Antworten waren in den letzten Jahrzehnten nicht immer nur glücklich, wenn wir sie überhaupt geben konnten oder wollten. Und so scheint mir hat sich auch in der Herausforderung für uns alle, aber auch für Sie alle als unsere Pfarrgemeinderäte einiges verändert.
Der Glaube war selbstverständlich vorausgesetzt
Eine massive Veränderung sehe ich vor allem darin, dass der Glaube von allen Beteiligten auch vor 50 Jahren noch zumeist grundsätzlich und selbstverständlich vorausgesetzt wurde. Die Anfragen, die ich oben aufgezählt habe, waren damals viel weniger oder vielleicht auch weniger massiv.
Man hatte nicht den Eindruck, solche Fragen könnten das Glaubensfundament der katholischen Gläubigen grundsätzlich erschüttern. Und schon gar nicht derjenigen, die sich engagiert haben. Man war einigermaßen fest darin, auch durch die oft noch so gut funktionierende Gemeinschaftserfahrung, zusammen mit den Anderen.
Das Glaubensfundament ist massiver in Frage gestellt
Ich glaube nun, die große Herausforderung für heute ist eben die, dass das Glaubensfundament auch in der Kirche deutlich massiver in Frage gestellt oder erschüttert ist. Ich will nicht sagen, dass der Glaube früher automatisch bei allen tiefer war, aber eben einfach selbstverständlicher. Man hat es auch im Grundsätzlichen und als Gemeinschaft vielfach so akzeptiert. Und man hat dann damals manche Moralfragen als vielleicht wichtig betrachtet, aber nicht als so zentral, dass sie an den Grundfesten des Glaubens rühren könnten.
Und heute? Heute erlebe ich: So viele Christinnen und Christen lassen sich bewegen von den Anfragen unserer Gesellschaft oder vor allem der jungen Menschen – und oft auch ganz zurecht. Aber sie finden oft keine plausiblen Antworten aus dem Glauben und seiner Lehre auf ihre Fragen und ganz viele trauen uns auch gar nicht mehr zu, dass wir sie überhaupt hätten. Und so schwindet schon lange bei vielen das Vertrauen, dass aus dem Glauben und Leben der Kirche wirklich die wichtigsten, die tiefsten Antworten kommen könnten, die es gibt. Antworten, die wirklich in eine Sinnerfahrung führen können und auch wirklich in die Freude und den Frieden.
Schatzsucher: Käme jemand zu einer Vortragsreihe über Eucharistie?
Beispiel. Wenn ein Pfarrer oder eine Hauptamtliche bei uns heute sagen würde: Meine Lieben, wir haben das Brot des Lebens in der Eucharistie, da schenkt sich uns Gott selbst. Und jetzt laden wir mal ein zu einer Reihe von fünf Abenden über dieses Geheimnis. Weil da drin so viel liegt für uns alle. Wer käme dann? Ganz ehrlich, wenn der Einladende nicht jemand wäre, der vielleicht schon die Menschen richtig berührt hätte, dann käme vermutlich so gut wie niemand.
Jesus ist die Antwort an alle Schatzsucher
Liebe Schwestern und Brüder, hier liegt eine der tiefsten Herausforderungen für uns alle, die wir die Kirche lieben und auch morgen und übermorgen noch lebendige Kirche sein wollen – und kein Abbruchunternehmen, das nur darauf wartet, bis der letzte das Licht ausmacht. Ich bin völlig überzeugt davon, dass wir neu lernen müssen, Jesus selbst und seine Gegenwart unter uns neu zu entdecken. Er, in Person, ist die beglückende Antwort auf die tiefsten und drängendsten Fragen jedes Menschen.
An den Rand gedrängt
Aber wenn wir ehrlich sind: Er ist doch nicht selten in unserer Kirche an den Rand gedrängt. Wer von uns redet wirklich von Ihm, weil er ihn kennt und liebt? Wer gibt Zeugnis, dass Jesus in seinem Leben schon Verwandlung bewirkt hat oder Bekehrung oder gar Wunder? Und wer kennt die Erfahrung, bei Ihm angekommen zu sein? Mit dem Bewusstsein, dass kein anderer als er die Welt und mich selbst retten könnte?
Wer kann die Erfahrung nachvollziehen, von der im Evangelium die Rede ist: Hier ist der Schatz im Acker, und wer davon berührt ist, für den gibt es im Grunde nichts Wichtigeres mehr, weil er ahnt, dass dadurch sein ganzes Leben ins rechte Lot kommt? Und wer von uns wäre derjenige oder diejenige, die den anderen beim Graben im Acker helfen könnten, weil sie wissen, wie das Graben geht, weil sie eine Ahnung haben, wo im Acker der Seele anzusetzen wäre, damit der Schatz ans Licht kommt?
Kirche wächst, wo es zuerst um Gott geht – der uns dann zu den Menschen schickt
Wir müssen uns wieder um Jesus kümmern! Viele von Ihnen wissen, dass ich mich ganz besonders umschaue, um zu entdecken, wo Kirche heute wächst. Und dass ich mich frage, warum es wächst – in unserer Kirche, in anderen Ländern, in anderen Gemeinschaften und in anderen Konfessionen. Überall gibt es kleinere oder größere Anzeichen von Wachstum.
Aber ich habe noch nirgendwo Wachstum gesehen, wo Gläubige vor allem zuerst mal die Regeln gelockert haben, damit nicht mehr alles so streng zugeht. Aber ich habe gesehen, dass überall dort etwas wächst, wo Jesus wirklich die Mitte ist, wo er wirklich ernst genommen wird, angebetet wird, wo Gemeinschaft wirklich um ihn herum entsteht, wo man ihn kennt und liebt.
Gesellschaft gestalten
Und wo sich dann Menschen aufmachen, um sich um die zu kümmern, um die er sich auch gekümmert hat – die Armen, die Ausgestoßenen, die Leidenden und Marginalisierten. Und sich von dieser Erfahrung her darum kümmern, Gesellschaft mitzugestalten und die Schöpfung zu bewahren. Die Aufgabe für morgen ist aus meiner Sicht: Wir müssen uns neu seiner wirklichen Gegenwart inne werden, der Freude, die aus dem Glauben kommt – und auch bereit sein, das Kreuz zu tragen, das uns entgegenkommt, wenn uns die Gesellschaft belächelt, verspottet oder gar verneint.
Und wir müssen einander darin stärken, einander aus seiner Kraft lieben und vergeben. Und vorangehen, um die Kirche von Passau zu erneuern – und die Welt in der wir leben. Zu seiner Ehre und für die Menschen.
Schatzsucher auf dem Acker sein
Liebe Rätinnen und Räte, ich bin der Meinung, wir leben in ungeheuer spannenden Zeiten, wir leben in Zeiten, in denen neu und ernsthaft unser Zeugnis gefordert ist; in denen wir auskunftsfähig sein werden, wenn wir nach dem Grund unserer Hoffnung gefragt werden. Ein Pfarrgemeinderat der Zukunft, der nicht immer wieder neu zusammen mit dem Pfarrer und den Hauptamtlichen fragt.
Wie kommen wir zur Quelle, wie helfen wir einander, die Inhalte neu zu verstehen, wie helfen wir einander, IHM, dem Herrn selbst zu begegnen, der wird auf Zukunft hin wenig Kraft haben und noch weniger Freude. Einfach dahinwerkeln oder wird nicht mehr gehen. Aber miteinander Schatzsucher sein, auf dem Acker meiner Pfarrei, meines Pfarrverbandes, meines Dekanates, miteinander Schatzsucher sein nach dem Schatz, der an Wert alles übertrifft, das ist eine verheißungsvolle Aufgabe. Und der ehrlich Suchende wird entdecken dürfen – schon in der Suche selbst, ist unsere Sehnsucht nach Ihm von seiner Gegenwart begleitet.
Bleiben wir Schatzsucher
Liebe Rätinnen und Räte, die Sie bei uns engagiert sind oder waren: Bleiben wir Schatzsucher oder werden wir es neu, auch in Gemeinschaft. Wir kennen ja eigentlich diesen Schatz schon – als Getaufte. Wir kennen diese Quelle des Lebens und sind zugleich berufen, sie einander immer wieder neu zu erschließen, zu eröffnen, auszugraben, so dass viele davon trinken können. Und wir können heute längst nicht mehr voraussetzen, dass ohnehin alle schon irgendwie trinken.
Nein, die inhaltliche und die geistliche Arbeit wird im Pfarrgemeinderat der Zukunft eine echte Mitte sein. Ich kenne jetzt schon bei uns Pfarrgemeinderäte, die vor ihren Sitzungen mit einer längeren Zeit der eucharistischen Anbetung beginnen. Oder mit einem ausführlichen Schriftgespräch. Oder mit dem gegenseitigen Zeugnis davon, was sie mit Christus und ihrem Glauben an ihn in der letzten Zeit erlebt haben. Und ich spüre, dass sich allenthalben im Bistum etwas verändert, dass die Sehnsucht bei vielen wächst nach mehr von der Tiefe, mehr von der Quelle, von Ihm selbst.
Der Dank und der Segen
Liebe Schwestern, liebe Brüder, von ganzem Herzen danke ich Ihnen für alles, was Sie in der Kirche von Passau getan haben und tun. Den ehemaligen Rätinnen und Räten für alles Mitwirken, für jede Mühe. Ich bitte Sie bleiben Sie der Kirche von Passau weiter gewogen, vor allem auch im Gebet für die Erneuerung des Glaubens und von Berufungen für die Kirche. Allen, die schon länger und immer noch dabei sind oder neu dabei sind in unseren Gremien, all denen danke ich für die Bereitschaft, weiter mitzuwirken, auch in herausfordernden Zeiten und auch in unserem Dienst an den Benachteiligten.
Auf der Spur der Schatzsucher
Ich wünsche Ihnen sehr, dass sie diese Spur aufnehmen oder vertiefen können, von der ich gesprochen habe. Oder dass Sie denen folgen, die längst schon auf der Spur sind, wenn Sie es nicht selbst sind. Ich wünsche Ihnen sehr, dass Sie dabei wirklich etwas von der Freude des Evangeliums erleben dürfen, von der unser Papst Franzsiksu so gerne spricht: Von der Freude, die das Herz und das ganze Leben derer erfüllt, die Jesus begegnen.
Jesus begegnen, in die Freundschaft mit Ihm hineinzufinden. Das war immer das Erste und Wichtigste im Christenleben – und wird es auch bleiben. Hier liegt alle Fruchtbarkeit. Daher: Ein fruchtbares, freudiges Leben im Dienst der Kirche von Passau wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen – und danke dem Herrn dafür, dass es Sie gibt und dass Er Sie in unsere Kirche geführt hat. Möge Maria, die Hilfe der Christen und Mutter der Kirche Sie alle segnen. Amen.