Bild: Wolfgang Krinninger

„Ausschau und Lichtblick“ – Gebetstag

Am Sonntag, den 17. November, luden der unabhängige Betroffenenbeirat im Bistum Passau und die Abteilung Prävention im Bistum zum Gebetstag für Betroffene und mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs ein. Die Andacht fand in Spectrum Kirche in Passau statt. Der Gebetstag  will bewusst Zeichen setzen: für die Anerkennung des Leids und für die Solidarität mit den Betroffenen.

Der Betroffenenbeirat überschrieb die Pon­ti­fi­ka­lan­dacht mit dem Titel ​„Aus­schau und Licht­blick“, nach einer Skulp­tur des Künst­lers Andre­as Kuhn­lein (sie­he Bild). Sie zeigt eine schwangere Frau, eine Frau in guter Hoffnung, wie Siegfried Lang, der Sprecher des Betroffenenbeirats, in seiner Einführung erklärte. „Wird sich das Kind ohne Probleme entwickeln? Wird das Kind beruflich, familiär und gesellschaftlich erfolgreich sein? Wird es sein Lebensglück finden?“

Für Kinder bzw. mittlerweile Erwachsene, die körperlichen, sexuellen oder auch spirituellen Missbrauch erdulden mussten, könnten diese fundamentalen Lebensfragen nicht mit einem uneingeschränkten Ja beantwortet werden, machte Lang deutlich. Eindringlich richtete Lang sein Wort an die Verantwortlichen der Kirche: „Nicht die Ausübung pastoraler Macht soll euer Handeln bestimmen. Vergesst nicht eure pastorale Verantwortung!“

In den Fürbitten brachten Frauen und Männer der Aufarbeitungskommission, des Betroffenenbeirats und der Prävention Trauer, Leid und die Hoffnung zum Ausdruck, dass man gemeinsam einen Weg findet, um die Vergangenheit aufzuarbeiten, um schließlich Frieden zu finden.

Musikalisch höchst eindrucksvoll gestaltet wurde die Andacht von Domkapellmeister Andreas Unterguggenberger gemeinsam mit einem Frauenstimmenensemble.


Die Predigt „Ausschau und Lichtblick“ von Bischof Stefan Oster hier zum Nachlesen:

Liebe Geschwister im Glauben, verehrte Damen und Herren,

es ist für mich ein bedeutsamer Schritt, wenn aus unserem unabhängigen Betroffenenbeirat, die Anregung kommt, eine Andacht unter dem Thema „Ausschau und Lichtblick“ zu gestalten.  Und wenn diese Andacht vor allem auch durch Betroffenenbeirats mitgestaltet wird. Siegfried Lang, der Sprecher des Beirats, war auch wieder der Vermittler zu dem Künstler Andreas Kuhnlein hin, der uns erneut eine eindrucksvolle Skulptur zur Verfügung gestellt hat. Es ist eine Skulptur, die diesen Titel trägt „Ausblick und Lichtblick“.

Die schon eingangs beschriebene Figur einer Schwangeren, hält Ausschau, wagt einen Ausblick nach vorne und trägt in sich – so könnte man deuten – den Lichtblick, der dem Ausblick schon Richtung gibt. Wenn Eltern ein Kind erwarten, schauen sie gewöhnlich voll Hoffnung in die Zukunft. Und das Kind, das sie erwarten, gibt diesem Blick nach vorne schon Inhalt und Richtung. Es ist die Perspektive auf eine Veränderung im eigenen Leben, die zutiefst sinngebend sein kann; die ein Elternpaar in neuer Weise zusammenführen kann; die aber auch die gemeinsame Hinwendung und Verantwortung mit sich bringt – und ganz oft eben auch mit Freude erfüllt, auf das, was da kommt.

Das Anliegen, das Siegfried Lang beschrieben hat, ist deshalb bemerkenswert, weil er möchte, dass unsere Kirche in ihrem Prozess der Aufarbeitung einen weiteren Schritt nach vorne macht, einen Schritt ins Positive, einen Schritt, der das positiv würdigt, was alles schon geschehen ist, an Veränderung von Haltung, an Aufarbeitung, an Sorge um Betroffene, an Prävention und anderem mehr. Gleichzeitig wissen wir natürlich auch, dass wir mit dem Thema selbst, mit dem Geschehen und den Folgen von Missbrauch für Betroffene und mit der Sorge um „safe spaces“ in unserer Kirche nie zu einem Ende kommen. Wir müssen dran bleiben – um der Menschen willen. Aber – so Siegfried Lang – wir dürfen auch das würdigen, was schon geschehen ist – und dürfen daher nun auch hoffnungsvoll nach vorne blicken.

Ich nehme das gerne auf, will aber dennoch zuerst noch einmal auf die dunkle Seite unserer Kirche blicken. Denn es sind ja Verbrechen geschehen und Menschen der Kirche haben anderen Menschen, oftmals sehr jungen Menschen, ein Leid zugefügt, an dem diese oft ein Leben lang zu tragen haben. Und ich habe es oft gesagt: Die Tiefenerkenntnis über das quantitative und qualitative Ausmaß des Leides, das oft so folgenreich ist für betroffene Menschen, ist zugleich auch eine Atombombe ins Herz der Kirche. Denn die Kirche lebt vom Vertrauen glaubender Menschen. Und dieses Vertrauen hat riesigen Schaden erlitten.

Aber, liebe Schwestern und Brüder, wenn sie jetzt fragen: Seit wann gibt es denn in der Kirche überhaupt Verbrechen, Verrat, Vertrauensbruch? Dann ist die womöglich erschreckende Antwort: Von Anfang an. Von Anfang an haben Menschen Christus verraten, verleugnet, umgebracht – und von Anfang an auch seine Nachfolgerinnen und Nachfolger. Und Täter waren auch Menschen aus dem Volk Gottes selbst, aus dem Volk der Juden und der Christen. Und Jesus warnt ausdrücklich im Evangelium mit großer Drohgebärde jene, die vor allem diejenigen verführen, die er die Kleinen nennt. Es ist eine bittere aber realistische Erfahrung: Die Kirche ist die Kirche der Sünderinnen und Sünder. Und wenn wir genauer hinschauen, dann merken wir sogar: Die Kirche gibt es im Grunde nur deshalb, damit aus Sündern heilere und heiligere Menschen werden. Wären wir es schon, bräuchten wir keine Kirche und Jesus hätte auch nicht sterben müssen zur Vergebung der Sünden.

Aber jetzt ist die Frage, liebe Schwestern und Brüder, wie geht denn das, wie kommen wir zu dem Lichtblick und Ausblick, von dem uns die Figur der Schwangeren erzählt. Zunächst ist glaube ich wichtig, einen inneren Blick darauf zu gewinnen, dass unsere Kirche viel größer und vor allem viel tiefer ist als ihre momentane Erscheinungsform in Passau, oder in Deutschland oder generell im Jahr 2024. Denn im Innersten ist und bleibt unsere Kirche – trotz aller Sünderinnen und Sünder – der Ort, jenes Geheimnis, in dem wir Jesus begegnen können.

Im Sakrament, im Gebet, im Wort der Schrift, auch in Menschen, die Jesus und seinen Geist in sich tragen. Und damit, liebe Schwestern und Brüder, sind wir wieder beim Bild der Schwangeren und der Schwangerschaft. Jesus sagt, dass wir selbst eigentlich neu geboren werden müssten, um das Reich Gottes von innen her zu verstehen. Und er sagt auch, dass es oft sehr klein angeht, in uns – wie ein Senfkorn, das uns ins Herz gepflanzt wird. Aber dieses Kleine geht einher mit einer Erfahrung von innerer Helle, von Freude, von Frieden und Sinn. Und es ist da.

Aber mit alledem, was uns oft so beschäftigt, was uns ablenkt; oder auch mit unseren Verletzungen und Wunden, die uns geschlagen wurden; oder mit dem Misstrauen, das wir in uns tragen, oder mit unseren Egoismen und schlechten Eigenschaften – mit alledem und vielem mehr verdecken wir es; dann leuchtet es nicht oder nur schwach. Aber im Grunde will dieses Leuchten, dieser Same in uns wachsen, größer werden, ausstrahlen. Er will unser ganzes Leben erneuern, will unseren Blick auf die Welt und die anderen Menschen erneuern, will uns selbst erneuern. „Wenn Ihr nicht von neuem geboren werdet, könnt Ihr das Reich Gottes nicht schauen.“ (Joh 3,3) Wenn Ihr also dem Lichtblick in Euch nicht genug Raum und Wachstum schenkt, werdet Ihr nicht in den hoffnungsvollen Ausblick finden.

Das ist die Hoffnung, liebe Schwestern und Brüder, und zugleich die Tragik: Mitten in dem Ort, den Menschen mit Kirche identifizieren, ist unfassliches Leid zugefügt worden, sind Menschen verraten und missbraucht worden. Und zugleich, tiefer, umgreifender – aber immer noch in der Kirche, liegt auch der Beginn des Heils, des Heiler-werden-könnens, des Lernens neu zu vertrauen, des Ausblicks. Warum? Weil derjenige, der die Kirche gegründet hat und in ihr einwohnt, nicht weggeht. Weil derjenige, auf den wir getauft sind, in uns nicht weggeht. Er bleibt, Er ist der Treue. Er ist die Hoffnung auf das Leben, auf das neue, das größere Leben. Er ist die Hoffnung der Welt und ausnahmslos die Hoffnung für jeden Menschen.

Liebe Schwestern und Brüder, dass das so ist, liegt nicht an uns – nicht an mir als Bischof, an Priestern und Hauptamtlichen oder Ehrenamtlichen. Es liegt an IHM, der es so eingerichtet hat. An uns liegt es, IHN sichtbar werden zu lassen, in uns – und in den anderen. Oder wenn Er nicht gesehen wird, dann wenigstens die Hoffnung zu schenken und zu wecken, dass Er wirklich a ist. Wir können es tun, durch unser Zeugnis, durch unsere Demut, unsere Fürsorge füreinander. Schwestern und Brüder, wir gehen auf das Ende des Kirchenjahres zu – und das neue Kirchenjahr beginnt mit dem Advent – mit einer Schwangerschaft.

Und gerade die schwangere Gestalt der Mutter des Herrn sagt auch uns: Ja, die Kirche ist verbeult, sie hat Vertrauen verspielt, sie ist eine Institution, in der es auch Verbrechen und das Böse gibt. Aber sie ist tiefer und zuerst, der Ankunftsort und Wohnort Gottes in der Welt. Die Kirche ist in ihren vielen Glieder im Grunde immer neu schwanger, weil sie auch durch uns, den als Liebe zur Welt bringen will, der Erlösung bringt, der der Lichtblick ist und den Ausblick auf das größere Leben schenkt.

Ich danke von Herzen allen, die in diesem Sinn buchstäbliche Sinn-Stifter für andere sind, besonders für die Leidenden.

Amen.

Die Predigt als Audio zum Nachhören:

Hören Sie auch die Predigt aus dem vergangenen Jahr: Ohnmacht und das eingedreht-sein