Glauben heißt, ein Beziehungsleben haben mit Gott. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zu seinem Besuch im Dekanat Pocking im Mai 2015.
Liebe Glaubensgeschwister aus dem Dekanat Pocking,
im vergangenen Herbst zum Christkönigsfest habe ich meinen ersten Hirtenbrief für unser Bistum Passau verfasst. Einer meiner Mitarbeiter hat mit diesem Text anschließend einen Einkehrtag für die Mitglieder eines Pfarrgemeinderates gestaltet. Es ging im Text unter anderem um die persönliche Beziehung eines gläubigen Menschen zu Christus und darum, wie zentral diese Beziehung für unser Leben als Christen ist.
Der Mitarbeiter erlebte nun dieses: Einer der Teilnehmer am Einkehrtag sagte sinngemäß: „Also, meine Mutter ist jetzt über 80 Jahre alt. Sie ist eine treue Kirchgängerin und Beterin, aber wenn ich sie fragen würde: ‚Hast du eine persönliche Christusbeziehung?’ würde sie mich fragen: ‚Ja, spinnst jetzt komplett?’“
Beziehungsleben?!
Diese Erfahrung meines Mitarbeiters bestätigt manche Vermutung und Erfahrung aus vielen Jahren in der Seelsorge: Glaube wird bei vielen von uns gerade nicht als Beziehungsleben mit Gott, mit Christus gelebt, sondern eher als ein Set von eingeübten religiösen Verhaltensweisen und Vorgaben, die man in der Regel übernommen und gelernt hat.
Der Glaube wird im Glaubensbekenntnis bekannt, aber ob man nun wirklich einen Inhalt damit verbindet, den man tatsächlich mit dem Herzen bekennt, ist noch einmal eine ganz andere Frage. Ein anschauliches Beispiel für das, was ich meine, ist das Vater Unser. Das Gebet, das Jesus uns gelehrt hat.
Jesus hat von seinem Papa gesprochen
In der Liturgie sagen wir manchmal als Einleitung zu diesem Gebet: „Darum wagen wir zu beten…..“. Wir wagen es zu sprechen, wir sprechen es nicht nur. Wir haben Ehrfurcht im Aussprechen. Warum? Weil die alte christliche Erfahrung tatsächlich eine unerhörte ist: Jesus hat wie nie ein Mensch zuvor vom allmächtigen, majestätischen, unfassbar heiligen und herrlichen Schöpfer des Himmels und der Erde als von seinem Vater, nein mehr noch: von seinem Papa gesprochen.
Er hatte und hat eine lebendige, intensive, tiefe Nähe, eine Innigkeit, Intimität mit dem Vater gelebt, dass die Jünger nur noch gestaunt haben, tief bewegt waren und manchmal waren sie sogar fassungslos vor Entsetzen. Sich diesem Gott nähern mit einem solchen Wort: Abba, Vater, Papa, das hat Jesus getan und sein ganzes Wesen hat offenbar selbst diese Herkunft, diese Würde, diese Freiheit seiner Kindschaft ausgemacht.
Inniges Beziehungsleben: „Ich und der Vater sind eins“
Sie haben gespürt, mit wem er in denkbar innigster Beziehung gelebt hat: „Ich und der Vater sind eins“, hat er gesagt. Und wenn sie ihn gebeten haben: „Herr, lehre uns beten!“ Dann sicher deshalb, damit auch ihr Beten nicht einfach nur ein Sagen von gelernten Wörtern bleibt, sondern ein echtes, beziehungsreiches Hineinfinden in die Nähe zum Vater.
Und wenn Sie mich nun fragen würden: Was war denn das eigentliche Ziel von Jesu Kommen, von seinem Leiden, von seiner Auferstehung, dann ist die Antwort: Damit wir mit dem Vater versöhnt werden, damit er uns hineinführen kann in diese Beziehung zum Vater, in sein Reich. Ins Reich der Liebe und des Friedens. Jesus will, dass wir ihn kennen und lieben, damit wir durch ihn den Vater kennen und lieben. Und zwar persönlich, jeder von uns. Und gemeinschaftlich, wir miteinander als sein Leib.
Habe ich bislang falsch geglaubt?
Vielleicht sagt jetzt der eine oder andere von Ihnen: „Da komme ich nicht mit. Dann habe ich bis jetzt falsch geglaubt oder gar nicht geglaubt.“ Nein, liebe Schwestern und Brüder, das will ich nicht sagen. Ich will Sie nicht entmutigen. Ich will vielmehr Sehnsucht wecken.
Wir sind alle auf dem Weg in dieses Reich und jeder von Ihnen hat bereits Beziehung zu Gott, zu Christus, sonst wären Sie nicht hier. Und wenn Sie sich einmal fragen: „Wer wäre ich eigentlich, wenn ich gar keinen Glauben hätte? Wo würde ich stehen ohne meine Taufe, meine Zugehörigkeit zur Kirche?“ Dann merken Sie schnell, dass auch Sie schon Erfahrungen gemacht haben, dass Ihr Glaubensleben vermutlich einen wichtigen Einfluss auf Ihr bisheriges Leben hatte, auf Ihr Denken, Sprechen und Verhalten. Der Glaube hat schon etwas bewegt.
Neue Dimensionen von Beziehungsleben entdecken
Aber tatsächlich ist es dann noch einmal eine andere Dimension, wenn wir von dem, was schon da ist, tatsächlich in die Erfahrung finden dürfen: Jesus lebt! Und er meint mich persönlich! In Jesus berührt mich unfassbare Wahrhaftigkeit, Freiheit, Schönheit. Er ist das Reich Gottes in Person, er ist die Tür da hinein. Er ist Weg, Wahrheit, Leben, er ist Licht der Welt. Und all dies, liebe Schwestern und Brüder, all dies braucht nicht nur Gedanke im Kopf bleiben, sondern kann und soll zutiefst Erfahrung unseres Herzens werden, Erfahrung, die Leben verändert.
Vielleicht können Sie mit diesem Hintergrund nun das Gleichnis neu verstehen, das Jesus uns heute über das Himmelreich gegeben hat. Es ist wie mit einem Mann, der einen Schatz im Acker findet. Er gräbt den Schatz wieder ein, verkauft alles, was er hat und kauft den Acker. Voll Freude, wie es heißt.
Der Schatz im Acker
Was hat er da gefunden? Unsere Antwort heißt: Er ist dem Herrn begegnet. Er hat erfahren, dass Jesus größer, reicher, tiefer ist als alles, was auf dem Acker seines Lebens, auf dem Acker seines Herzens sonst noch wächst. Tiefer unten liegt und lebt er selbst und wartet darauf, dass wir mit ihm in Berührung kommen, dass wir lernen, die Beziehung mit Ihm zu pflegen, dass wir einüben, mit Ihm ein Herz und eine Seele zu werden.
„Du sollst den Herrn deinen Gott lieben, mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzer Kraft.“ Das ist das wichtigste Gebot, sagt uns Jesus selbst. Es geht um Beziehung, liebe Schwestern und Brüder, um meine persönliche und unsere gemeinschaftliche Beziehung zu Gott. Wenn Menschen von außen zu uns hier in die Kirche kommen und erleben, wie wir unseren Gott feiern, wie wir aus ihm leben: Würden die spüren, dass wir ihn persönlich kennen. Oder würden sie sagen: Hier kommen halt Menschen für ein religiöses Ritual zusammen und dann gehen sie wieder nach Hause?
Der Acker ist reich bestellt
Bei meinem Besuch durch das Dekanat habe ich so viel Gutes gesehen und erlebt: Viele gläubige, engagierte Menschen, in Haupt- und Ehrenamt; viele Begabungen und Charismen, treue Verkündigung des Evangeliums, Einrichtungen, in denen Menschen am Rand im Mittelpunkt stehen. Dankbar staune ich immer wieder, was für ein schönes Bistum wir doch haben. Es ist viel da, der Acker ist reich bestellt. Vieles wächst auf ihm.
Und doch erleben wir allenthalben auch Rückgang an Zahlen, Rückgang an Berufungen, Anstieg im Alter, Abbruch in der Glaubensweitergabe. Wir spüren, Schwestern und Brüder, so wie bisher geht es mit dem Leben der Kirche nicht mehr lange weiter. Anderswo spürt man es schon länger und noch viel deutlicher als bei uns.
Jesus will Beziehungsleben
Meine Frage ist: Was will uns der Herr damit sagen? Und meine Antwort ist: Ich bin sicher, er will von uns wieder neu gefunden werden, er will, dass wir ihn als Schatz unseres Lebens, als Sinn unseres Lebens im Acker unseres Lebens neu entdecken. Er will Beziehung werden, Liebe.
Jesus will, dass wir ihn persönlich und gemeinschaftlich kennen und lieben. Er will uns Formen des Gebets entdecken lassen, in denen wir erfahren dürfen: Er ist da. Und er will nicht nur irgendeine Beziehung werden, er will die wichtigste Beziehung unseres Lebens werden. Nicht, damit er zu anderem in Konkurrenz treten würde, was uns auch wichtig ist, sondern damit wir zu den anderen Menschen und Dingen ins rechte Verhältnis kommen, damit wir andere besser lieben können und uns selbst besser annehmen und lieben können.
Alles das folgt aus einer gesunden Herzensbeziehung zu Christus. Er will uns ins Reich seines Vaters nehmen, uns mit ihm versöhnen. Bleibt in mir, dann bringt ihr reiche Frucht, sagt er uns im Johannes-Evangelium.
Beziehungsleben und Beziehungsraum
Schauen Sie, Schwestern und Brüder, wenn mancher von Ihnen an seine Frau, ihren Mann denkt. Dann wissen Sie: Irgendwann haben Sie sich gefunden, irgendwann ist da eine richtig tiefe Beziehung entstanden zwischen ihnen beiden – und nun sind bei vielen Kinder da und Häuser und ein Garten und ein Familienauto, neuer Lebensraum und vieles, vieles mehr. Das heißt für uns: Wenn einmal Beziehung entsteht, dann wächst was, dann entsteht Beziehungsraum. Dann kommt Fruchtbarkeit.
Was glauben Sie, warum diese schönen Kirchen hier stehen in unserem Bistum? Weil Menschen sie aus Liebe zu Jesus erbaut haben! Wenn wir wirklich mit Ihm in Beziehung sind, dann wächst auch bei uns wieder was! Es wird Neues wachsen, wenn wir in Formen des gemeinschaftlichen und persönlichen Gebetes finden, das der Raum wird, in dem wir ihm begegnen und kennen lernen. Es wird wachsen, wenn wir lernen, ihn nicht nur deshalb zu lieben, weil wir uns dauernd von ihm etwas wünschen würden, sondern einfach weil er Gott ist, weil er großartig ist, weil er er selbst ist.
Wir sind Kinder Gottes
Schwestern und Brüder, wir alle dürfen uns seine Kinder nennen – und er hat uns gesagt, dass er immer da ist, immer, egal was passiert. Wir können von ihm her nicht aus dieser Liebe herausfallen, nur von uns her kann sie müde und matt werden, so dass wir am Ende gar nicht mehr wissen, wen und warum wir lieben sollten.
In der Offenbarung des Johannes gibt es am Anfang ein Schreiben, das von Jesus an die Gemeinde in von Ephesus. Er schreibt, dass die Gemeinde wirklich viel getan hat, dass sie viel ausgehalten hat, dass sie auch die Bösen nicht ertragen kann. Aber dann sagt Jesus plötzlich: „Ich werfe dir aber vor, dass du deine erste Liebe verlassen hast!“ Und er fügt hinzu: „Bedenke, aus welcher Höhe du gefallen bist.“
Jesus ist unsere erste Liebe
Liebe Schwestern und Brüder, Jesus ist unsere erste Liebe. Wissen wir das, haben wir es je gespürt? Dass er aller Liebe, aller Anbetung wert ist, dass er unfassbare Würde besitzt und dass er wirklich in unserem Herzen anklopft und sich nach Antwort sehnt? Ich bitte Sie, mich nicht falsch zu verstehen, es geht nicht darum, dass die Haupt- und Ehrenamtlichen, die so viel tun, nun noch mehr tun. Es geht nicht darum, dass Ihre Arbeit nicht genügt. Sie ist wunderbar.
Aber es geht darum, dass wir im Innersten unserer Seele immer wieder den tiefsten und letztlich einzig gültigen Grund entdecken, warum wir das alles tun. Und der Grund heißt: Jesus. Er ist die Mitte, er ist der Weg und das Ziel. Er ist derjenige, der unsere Kirche durch die Zeit führt und ihr Erneuerung schenkt – wenn wir uns von ihm ergreifen lassen. Dieses Ergriffen werden, diese erneuerte Freude am Glauben, von der auch unser Papst Franziskus so oft spricht, die wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen. Amen.