Braucht Gott unser Beten und Fasten? Nein! Aber er will es brauchen. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Beginn der Fastenzeit 2017.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
an dieser Stelle aus der Bergpredigt, die wir gehört haben, zählt Jesus die Klassiker der geistlichen Übungen auf: Beten, Fasten und Almosen geben. Sie werden uns damit für die nächsten vierzig Tage zur Übung als Vorbereitung auf Ostern empfohlen.
Gott braucht unser Beten nicht
Ich möchte mit Ihnen über den einen oder anderen Aspekt nachdenken und mit der Frage beginnen: Wird eigentlich Gott durch unser Gebet beeinflusst? Unser erster Impuls ist wahrscheinlich: Nein. Gott ist der große Souverän, er braucht unser Gebet nicht, aber wir brauchen es, damit wir mit ihm in innerer Verbindung bleiben.
Eine solche Antwort ist nicht verkehrt: Gott braucht uns zunächst einmal nicht. Er hat die Welt und uns nicht geschaffen, weil er uns braucht, sondern zunächst schlicht aus Liebe, aus Freude daran, dass es Dinge gibt und Tiere und Menschen und Engel, die sich auch an ihm freuen. Er braucht uns nicht.
Aber Gott will uns brauchen!
Zweitens aber darf uns eine solche Antwort auch nicht dazu verleiten zu sagen: Gott will uns auch nicht brauchen. Denn das Gegenteil ist der Fall. Die Bibel, unser Glaube und viele Ereignisse der Weltgeschichte zeigen uns: Gott hat die Welt so geschaffen, dass er auch Freunde zu sich hinzieht und erzieht, die mit ihm zusammen den Gang der Geschichte beeinflussen.
Gott will, dass wir Mitwirkende werden an seinem Heil. Gott will uns brauchen. Und er will uns schenken, was er uns als Bitten ins Herz legt. Aber er will tatsächlich, dass wir bitten. Er will die Welt und die Kirche zusammen mit uns, seinen Freunden gestalten. Reich Gottes kommt zuerst durch ihn, aber zweitens durch unsere Mitwirkung mit seinem Wirken und durch unser Beten und Bitten, durch unser Lieben und Verschenken.
Es gibt die „Einflussreichen“ bei Gott
Und die Kirche hat außerdem immer geglaubt, dass es Menschen gibt, die von Gott offenbar mehr erbitten können, die einflussreicher bei Ihm sind als andere. Wir sprechen zum Beispiel davon, dass die Heiligen unsere großen Fürsprecher sind, die Muttergottes zum Beispiel oder Bruder Konrad oder unsere Namenspatrone. Wir spüren, dass diese Menschen nahe bei Gott leben und Nähe ist hier nicht einfach nur räumlich gemeint, sondern Nähe sagt etwas über die Qualität ihrer Gottesbeziehung aus.
Sie kennen Gott, sie haben Zugang zu seinem Herzen, ihre Bitte, ihre Fürbitte hat Gewicht bei Gott. Ja, liebe Schwestern und Brüder, und das sagt die Schrift auch zu uns, wenn wir in seinem Namen bitten, wird er uns hören! Das heißt wohl: Wenn wir mit ihm verbunden sind, wenn er wirklich in uns wohnen darf, wenn wir erfüllt sind von dem Wunsch, seinen Willen zu tun, dann wird uns der Segen zuteil, dann wird uns geschenkt, was wir ersehnen und erbitten.
Wozu Beten und Fasten?
Und warum lädt uns Jesus dann auch noch ein zu fasten? Was bedeutet Fasten in diesem Zusammenhang? Zunächst spüren wir wohl manches davon schon von selbst: Wir ahnen in einer reichen Gesellschaft wie der unseren alle, dass Zuviel von Essen, zu viel von Vergnügen, zu viel von materiellem Besitz oft abträglich ist für unsere innere Gesundheit, unser inneres Gleichgewicht.
Wir sind oft voll gestopft mit äußerem Reichtum und Genuss und nicht selten umso leerer an innerer Erfüllung. Wir wissen sehr leicht und sehr schnell, dass unser Leib Nahrung braucht – wir spüren es ganz unmittelbar. Aber wir vergessen dafür allzu schnell, dass auch unsere Seele Nahrung braucht, wirkliche Nahrung und nicht noch mehr Ablenkung, noch mehr äußere Anerkennung, oder Macht oder Vergnügen.
Fasten konfrontiert uns mit uns selbst
All das nährt die Seele nicht wirklich. Und die geistlichen Lehrer legen uns nun nahe: Fasten konfrontiert uns zunächst mit uns selbst, mit unseren Schwächen und Bedürfnissen, wir bekommen sie klarer vor Augen, wir werden womöglich unruhig und gereizt, wir spüren, was da an inneren Regungen in uns sind, die wir sonst gar nicht so kennen.
Aber wir können sie dann Gott auch besser hinhalten, dass Er sie verwandeln soll. Zugleich macht uns Fasten auch offener und sensibler für Gottes Gegenwart. Fasten gibt Ihm Raum in uns. Wir gewinnen ein weiteres Herz für ihn und damit auch für die anderen. Wir verzichten auf Nahrung und nähren uns mit Gebet, dem Wort Gottes oder wir verschenken von unserem Besitz an Menschen, die es brauchen. Fasten, Beten und Almosen geben, gehören zusammen.
Gott in uns Raum schenken
Liebe Schwestern und Brüder, die Übung von Verzicht führt uns oft auch unsere bekannten oder unsere heimlichen Abhängigkeiten vor Augen und macht uns dann hoffentlich freier davon. Weil wir uns tiefer ins Gottvertrauen hineinführen lassen. Wichtig ist freilich bei alledem: Es geht nicht zuerst um unsere Fastenleistung, nicht darum, was wir alles großartig für Gott aushalten.
Es geht auch nicht zuerst um unser Gewicht und körperliche Gesundheit – auch wenn das oft schöne Nebeneffekte sind. Es geht darum, unserer Sehnsucht nach Gott neuen Raum zu geben, Ihm in uns Raum zu geben. Damit er wirken und uns von innen her nähren und erneuern kann.
Beten und Fasten als geistliche Waffe?
Es geht schließlich auch darum, unseren Gebetsanliegen Nachdruck zu verleihen: Wenn wir zum Beispiel für einen Menschen beten oder für ein bestimmtes Anliegen: Wie ernst ist es uns wirklich? Beten wir mit ein paar netten Gedanken oder ist es uns bisweilen so ernst, dass wir Gott wirklich anflehen? Und das Fasten hat die geistliche Tradition immer auch als eine wichtige Unterstützung unserer Fürbitte erkannt: Wir wollen Gott durch uns wirken lassen und wir wollen ihm auch zeigen, was uns ernst und wichtig ist.
Es gibt geistliche Lehrer, die Fasten eine geistliche Waffe nennen, um Glaubenshindernisse zu überwinden, um geistige und geistliche Blockaden zu lösen und anderes mehr. In der Schrift steht an einer Stelle, dass Jesus einen Dämon austreibt, den die Jünger nicht austreiben konnten. Und auf die Frage, warum sie das nicht konnten, gibt er zur Antwort: „Diese Art kann nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden“ (Mk 9,5). Unser Gebet unterstützt durch Fasten kann befreiend wirken im Blick auf das, was uns bindet, was uns oder andere unfrei sein lässt oder hindert wirklich zu glauben.
Beten und Fasten beeinflusst die Heilsgeschichte
Oder als in der frühen Kirche nach Ostern viele Jünger in Antiochia zusammen waren und gemeinsam gebetet und gefastet haben, hat der Heilige Geist sie getrieben Paulus und Barnabas auf Missionsreise auszusenden.
Sie fasten und beten erneut, legen ihnen die Hände auf und senden sie: Und es beginnt vor allem durch Paulus die wichtigste Missionstätigkeit der Alten Kirche. Fasten – vereint mit Gebet – kann also den Lauf der Heilsgeschichte verändern! Und alles dient dem Einen, dass Gott mehr erkannt und geliebt wird und dass daraus der Segen für die Welt und die Menschen fließt.
Fasten und Ostern
Liebe Schwestern und Brüder, Verzicht können wir alle auf viele Weisen üben, im Verzicht auf Medien, auf Mobilität, im Sparen von Energie und anderem mehr. All das ist sinnvoll und wichtig. Aber Fasten in unserer Tradition meint: Verzicht auf Nahrung – weil wir Gott in uns mehr Raum geben wollen, weil wir uns nach Ihm sehnen, weil wir glauben, dass letztlich nur Er uns wirklich nährt.
Wir gehen auf Ostern zu – und wir sehnen uns nach der Erfahrung: Jesus lebt; in uns und unter uns. Mögen die vor uns liegenden 40 Tage uns im Glauben stärken, dass Er unser Leben lenkt und dass Er uns liebt – was immer uns auch widerfahren mag. Amen.