Caritas – mehr als Sozialarbeit. Predigt von Bischof Stefan Oster vor Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Caritas Passau am 8. Dezember 2016.
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Caritas,
heute ist ein besonderer Tag. Kirchlich gesprochen ist der Tag des neuen Anfangs. Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung des Johannes, sagt Gott: Siehe, ich mache alles neu. Und das bezieht sich darauf, dass Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde schenken wird, ein neues Jerusalem – also ein Bild dafür, dass er selbst unter den Menschen wohnt, ein Bild dafür, dass die Menschen ganz bei Ihm zuhause sind. „Siehe, ich mache alles neu“.
Caritas: Der neue, heile Anfang
Die Kirche glaubt nun, dass dieses Neue im Grunde schon mit Maria, mit der Mutter Jesu ihren Anfang genommen hat. Wir feiern heute das Fest „Unbefleckte Empfängnis“. Das klingt irgendwie nach Sex, oder es könnte in den Ohren mancher danach klingen, dass Kirche wohl mal Sex wieder nicht mag, denn „unbefleckt“ klingt irgendwie altbacken und leiblos. Aber alles das ist eigentlich nicht gemeint.
Was ist gemeint? Gemeint ist, dass die Welt, so wie wir sie kennen und erleben, einerseits gut ist und schön und wunderbar erschaffen. Aber zugleich erleben wir auch eine Welt, die das Böse in sich enthält, die Lüge, den Krieg, das Leid, den Tod. Die Welt ist in einem ganz tiefen Sinn verwundet. Sie ist nicht mehr so, wie Gott sie sich gedacht hatte. Sie ist – mit einem alten Ausdruck gesagt – befleckt, mit Makeln behaftet, sie ist eine gebrochene Welt.
Maria, die Unbefleckte
Und nun sagt unser Glaube, lässt Gott in der Mutter Jesu eine Frau geboren werden, die er bewahrt von alledem, was in der Welt negativ ist. Sie trägt den Makel, die Gebrochenheit nicht an sich. Sie ist ursprünglich heil und insofern un-befleckt, immaculata. Und zwar deshalb, damit Gott selbst in ihr zur Welt kommen kann. Maria ist der neue, der heile Anfang, den Gott sich schafft und voraussetzt, damit er in ihr Wohnung nehmen und durch sie in die Welt kommen kann, wie wir im Evangelium gehört haben.
Maria ist gewissermaßen unter den Vielen, die sich nach ihr zu Christus bekennen werden, die Erste. Sie ist der heile Anfang und Ursprung der Kirche. Und so gesehen auch die Mutter der ganzen Familie Jesu. Wir glauben ja, dass wir alle in der Taufe seine Brüder und Schwestern geworden sind. Wir sind Familienmitglieder Jesu, wir gehören zu Ihm und damit in gewisser Hinsicht eben auch zu diesem neuen Anfang, wir gehören zur Mutter.
Der Anfang des Werkes Don Boscos
Und nun möchte ich mit Ihnen teilen, warum dieser Tag für mich auch noch besonders bedeutsam ist. Die meisten von Ihnen wissen, dass ich ein Salesianer Don Boscos bin. Ein Ordensmann, zugehörig zu einer Gemeinschaft, die im 19. Jahrhundert von Don Bosco gegründet wurde, einem Priester und Erzieher, einer der großen Sozialheiligen des 19. Jahrhunderts. Und genau heute, vor 175 Jahren, hat der eben geweihte junge Priester Don Bosco eine Messe gefeiert in einer kleinen Kirche in Turin.
Und da stand zuvor in der Sakristei ein Junge herum, der ein wenig verwahrlost ausgesehen hat, es war Winter und kalt, vermutlich wollte er sich nur aufwärmen. In dieser Stadt, die so sehr von der industriellen Revolution erfasst war, dass viele Jugendliche in die Stadt strömten auf der Suche nach Arbeit, nach Lohn, nach Essbarem, nach Heimat. Zur gleichen Zeit war nämlich Hungersnot im Umland und die neuen Industriebetriebe brauchten Arbeiter, aber sie brauchten sie auch, um sie auszubeuten. Hire and Fire war an der Tagesordnung. Arbeit bis zur Erschöpfung, dann Entlassung und Einstellung des Nächstbesten.
Caritas: „Er ist mein Freund“
Und so trieben sich viele junge Leute auf den Straßen herum in Turin. Die Gefängnisse waren voll mit Kleinkriminellen, denn wo sollte denn Essen und Geld herkommen, wenn nicht genug Arbeit für alle da war. Und so ein Junge war das damals, Bartolomeo hieß er. Der Mesner wollte ihn davonjagen, aber Don Bosco hat gesagt, hol ihn zurück, er ist mein Freund.
Don Bosco hat den Jungen gefragt, und musste feststellen, dass er Waise war, dass er wenig konnte und wusste. Eine ziemlich frustrierende Episode war das zunächst, aber dann hat er schließlich den Punkt gefunden, an dem der Junge etwas konnte: Kannst Du pfeifen, hat er ihn gefragt und das konnte Bartolomeo. Er hat ihm etwas vorgepfiffen, dass es eine Freude war.
Die Salesianer Don Boscos
Don Bosco hat ihm angeboten, ihm etwas beizubringen, und dass er seine Freunde mitbringen kann. Er hat zum Abschluss ein Ave Maria gebetet und später wird er sagen: Das war der Anfang meines ganzen Werkes zum Wohl junger Menschen. Dieses Gebet zur Mutter Gottes und die Begegnung mit Bartolomeo. Von da ging alles aus.
Heute sind die Salesianer Don Boscos in über 130 Ländern der Welt tätig zum Wohl und Heil junger Menschen. Er hat gewissermaßen den Anfang seines eigenen Werkes am Fest des neuen Anfangs begonnen. Er hat sein Werk bewusst hineingestellt in die Kirche, in Maria, in den neuen Anfang.
Mit unserer Caritas an den Rändern der Gesellschaft
Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Caritas: Warum erzähle ich diese Geschichte heute bei Ihnen? Nun, weil Don Bosco im tiefen und auch im sozialen Sinn ein Liebender war. Und das Wort Caritas bedeutet eben Liebe. Und zwar eine ursprüngliche Liebe, die von Gott kommt – und aus dem heilen Anfang entspringt. Caritas ist unentgeltliche Liebe, Caritas ist mehr als professionelle und gute Sozialarbeit, die Sie alle leisten oder zu der Sie beitragen.
Ich bin immer wieder erstaunt und froh darüber, wie gut in unseren Einrichtungen gearbeitet wird. Und ich sage öffentlich auch sehr oft, dass wir mit unseren Caritas Einrichtungen wirklich an die Ränder gehen, dass wir wirklich bei Menschen sind, die uns brauchen, die unsere Dienste brauchen. Dafür bin ich von Herzen dankbar. Und ich bin Ihnen allen dafür dankbar, dass Sie der Kirche von Passau dieses Gesicht geben, ein Gesicht der Caritas.
Unterscheiden wir uns von anderen Wohlfahrtseinrichtungen?
Aber Sie alle wissen auch, dass wir seit langem eine Profildebatte führen, die wichtig ist und die eine fortwährende Aufgabe für uns bleibt. Sie kreist letztlich um die Frage: Erkennt man an unseren Einrichtungen, an der Arbeit in unseren Einrichtungen, dass es da auch um mehr geht als um professionelle soziale Arbeit. Diese Arbeit ist gut und wichtig, es ist das, was wir bringen müssen, wozu uns auch der Gesetzgeber verpflichtet. Und wir machen es überall sehr gut, sehr hilfreich für die Menschen.
Aber die weitere Frage ist dann: Unterscheiden wir uns von anderen Wohlfahrtseinrichtungen, weil wir Kirche sind? Weil wir verbunden sind mit dem heilen Anfang, mit dem Ursprung, in dem Gott wohnt? Wie lebendig ist bei uns der Glaube, dass Jesus wirklich in diese Welt gekommen ist und dass er in seiner Kirche da ist, dass er in unseren eigenen Herzen da ist – und damit auch in dem vielfältigen Dienst, den Sie alle tun? Das ist es, worauf es in der Tiefe ankommt. Werden die Menschen, die zu uns kommen, immer wieder auch berührt von dem, was Caritas heißt. Liebe, die sich umsonst verschenkt, weil sie von Jesus kommt?
Jesus geht mit uns – er liebt durch uns und stärkt uns auch selbst immer neu
Das ist der Grund, liebe Schwestern, liebe Brüder, der Grund dafür, dass wir heute hier sind und gemeinsam auf Weihnachten zugehen und gemeinsam diesen Gottesdienst am 8. Dezember feiern. Wir vergewissern uns wieder dieses Ursprunges, wir stellen uns gemeinsam hinein in den neuen Anfang, wir wollen gemeinsam im Vertrauen wachsen, dass Jesus mit uns geht, dass wir in der Kraft seines Geistes gehen – und dass er unsere Arbeit segnen möge.
Ich danke jedenfalls von ganzem Herzen für jeden Dienst, der den Menschen zugutekommt, sei es direkt, sei es indirekt. Danke dafür, dass Sie Menschen der Kirche sind, die immer wieder neu versuchen, sich auch für ihr eigenes Leben zu erschließen, was eigentlich das Flammenkreuz, das schöne Logo der Caritas, bedeutet.
Ich bin übrigens überzeugt, dass ein immer neues Hineinfinden in dieses persönliche Vertrauen an Christus auch uns selbst immer wieder neu befähigt, Krisen zu bewältigen. Es befähigt mich, auch nach Enttäuschung oder Verletzung wieder neu auf Menschen zu zu gehen. Es befähigt, offen zu bleiben für die Klienten unserer Einrichtungen. Und es befähigt dazu, mehr als professionell zu sein, es befähigt zur Liebe und zur Freude, die ich nicht aus mir selbst habe. Das wünsche ich Ihnen sehr und erbitte Gottes Segen dazu für Sie alle. Amen.