Welche Vernunft? Die Predigt von Bischof Stefan Oster zur Wiedereröffnung und Altarweihe der Universitätskirche St. Nikola in Passau 2016.
Liebe Studierende und Lehrende, liebe Fest- und Ehrengäste, liebe Schwestern und Brüder im Glauben.
Wir geben heute diese wunderschöne alte Kirche St. Nikola der Universität als Gottesdienstraum zurück. Und für mich stellt sich damit sogleich die Frage, wie denn das passt, wie denn das zusammengehört. Kirche und Universität, Glaube und Wissen, Glaube und das Streben nach Erkenntnis?
Glaube und Wissen: Welche Vernunft?
Diejenigen, die ein wenig die Geschichte kennen, die wissen, dass die Idee der europäischen Universität im Grunde vor allem aus den Kloster- und Kathedralschulen erwachsen ist. Die ersten Gelehrten im Sinne der Universitas waren Geistliche und sie wollten Geistliche heranbilden, die umfassend ausgebildet waren. Die Gebildeten des Mittelalters waren in den meisten Fällen Menschen der Kirche, des Glaubens.
Zunächst wurden sie in den freien Künsten, den artes liberales ausgebildet. Das waren vor allem Rhetorik, Grammatik und Logik; Philosophie und Arithmetik, Musik und Astronomie. Die Artes waren eine Art Grundstudium, ein Studium Generale über wichtige Kenntnisse der Welt. Und dann kamen die höheren Fakultäten, drei an der Zahl. Es waren die Jurisprudenz, die Medizin und schließlich damals noch als die Königin der Wissenschaften, die Theologie. Warum diese drei? Nun ich glaube, die Menschen wollten suchen, fragen und verstehen, was in einem umfassenden Sinn wahr ist. Was gerecht ist und was heil macht oder Heil schenkt.
Der Glaube als Flussbett für welche Vernunft?
Und sie haben die Erfahrung gemacht, dass es der Glaube ist, der alledem eine Art Fundament ist. Der Glaube ist – wenn er gelingend gelebt wird und wenn er einem Leben Form gibt – wie eine Art Flußbett, in dem die Gedanken, Gefühle, Ideen der Menschen dahinfließen. Ein Flußbett, das alledem Richtung geben kann, Ausrichtung und ein Ziel.
Die großen Gestalten unseres Glaubens haben immer gewusst, dass es dabei um so etwas wie Wahrheit, Gerechtigkeit und Heil in einem umfassenden Sinn geht. Wissen, das haben die Alten immer gewusst, Wissen braucht Verankerung in Haltung, in Überzeugungen. Die bloße Kenntnis von Informationen, ohne dass diese Kenntnis gründet in bewährten und gewonnenen Überzeugungen, neigt zur Beliebigkeit, zur Austauschbarkeit. Die Flut an Wissen und Informationen durch unsere Technologie macht uns alle noch nicht gebildeter im recht verstandenen Sinn.
Was den Menschen zum Menschen macht, kann ihn auch zum Teufel machen
Ist es nicht eigenartig, dass die biblische Erzählung vom Sündenfall mit dem Essen vom Baum der Erkenntnis beginnt? Was wird hier in den intensiven Bildern dieser Geschichte über den Menschen erzählt? Meines Erachtens wird zum Beispiel erzählt, dass das was den Menschen wirklich zum Menschen macht, seine wahrheitsfähige Vernunft, das kann ihn auch zum potentiellen Teufel machen.
Es gibt die rein funktionelle Rationalität. Eine Rationalität, die keine Verankerung mehr hat in werthaften und wertvollen Überzeugungen, in einem guten Gewissen, in der Personmitte, die die biblische Überlieferung das Herz nennt, ein heiles Herz. Und eine von dieser inneren Mitte abgelöste Rationalität, das bloße Wissen, die bloße Technik, aber herzlos, kann vom Menschen auch benutzt werden zum Bösen. Zum Beispiel zur völlig planvollen und in diesem Sinn eben auch rationalen Vernichtung von Mensch, Natur und Kultur. Und wer würde bestreiten, dass es das nicht massenhaft in unserer Welt gäbe und gegeben hat?
Welche Vernunft? Der feste Grund für unsere Überzeugungen
Wissen braucht Verankerung in werthaften, wertvollen Überzeugungen, die dem Wissen Richtung geben und in ein sinnvolles Ganzes fügen. Und wenn wir heute in dieser wiederhergestellten Universitätskirche den Altar einweihen, dann ist eben dieser Altar ein aus Stein gehauenes Symbol.
Er steht für die christliche Überzeugung, dass wir hier einen festen Grund bekommen für unsere Überzeugungen. Wir glauben, dass es wirklich Wahrheit und Liebe in der Welt gibt, die nicht zuerst aus unserem eigenen Kopf und Herz entspringt, sondern die vor uns da war. Und die in Christus wieder ganz hell aufgeleuchtet ist in dieser Welt.
Der Geist der Weisheit
Im Evangelium haben wir gehört, wie Johannes der Täufer, der Vorläufer Jesu sagen wird: Da kommt einer nach mir, der wird euch mit Feuer und dem Heiligen Geist taufen. Jesus gibt den Geist und der ist in unserem Bekenntnis der Ursprung von Liebe, von Wahrhaftigkeit in uns. Wir haben in der ersten Lesung gehört, dass der Geist Gottes auch der Geist der Weisheit ist, der Einsicht, des Rates und der Gottesfurcht.
Und das Opfer, das wir hier nachher auf diesem Altar feiern, ist das Opfer der sich verschenkenden Liebe, die den Geist für uns und in uns freisetzt. Auf dass unser aller Streben nach Wissen, nach Erkenntnis weniger vom Streben nach Macht, nach Geld, nach Anerkennung geleitet ist, sondern viel mehr im Dienst steht. Im Dienst an der Wahrheit, am Anderen, an der Gesellschaft, an der Community of Sciences und am Gemeinwohl für alle.
Nikolaus und die sich verschenkende Liebe
Liebe Studierende, liebe Lehrende, Sie haben vielleicht mitbekommen, dass wir in diesen Tagen mit ein wenig Augenzwinkern, eine weihnachtsmannfreie Zone proklamiert haben. Wir wollen den Nikolaus, den Patron dieser Kirche, lieber als den Weihnachtsmann. Denn der Nikolaus steht weniger für die Kommerzialisierung des Advents und mehr für die freigebige Liebe Gottes.
Denn wir sehen ja an Weihnachten jedes Jahr neu die Gefahr, dass das, was wir da feiern, worauf wir zugehen, letztlich verdeckt wird genau von seinem Gegenteil? Wir glauben nämlich, dass an Weihnachten die absolut unentgeltliche Wahrheit und Liebe in Christus in der Welt erscheint. Eine Wahrheit und Liebe, die jeden berühren und retten will. Aber wir gehen auf dieses Fest zu, indem wir kaufen und verkaufen und das Fest unter den Druck des Kommerzes kommen lassen – zulasten dessen, was in der Tiefe einfach geschenkt da ist.
Welche Vernunft? Die demütige Vernunft
Meine Lieben, ist es mit Wissen und Erkenntnis nicht ähnlich, wie mit Weihnachten? Gerät nicht unsere erkennende Vernunft bisweilen zurecht in den Verdacht, auch eine Hure zu sein, wie Martin Luther es ausdrückte. Eine erkennende Vernunft nämlich, die sich alle ihre eigenen Vorteile so rechtfertigen kann, dass es nach außen doch nicht so egoistisch aussieht?
Eine Vernunft, die nicht zuerst Wahrheit sucht und im Dienst an ihr steht, sondern die sich verkauft. Oder die beherrschen und verfügen, manipulieren und zuallererst die eigenen Interessen bedienen will? Brauchen wir deshalb nicht mitten in einer Universität einen Ort wie diese Kirche, diesen Altar, wo wir uns vertrauensvoll einem Gott nähern dürfen, der uns hilft, unser Wissen tiefer zu verankern. Der uns hilft, unsere Vernunft demütiger zu machen. Und der uns hilft, in uns ein Flussbett aus Überzeugungen entstehen zu lassen, das uns allen Richtung gibt und Tiefe?
Werte, die uns voraus liegen
Liebe Studierende, liebe Lehrende, liebe Schwestern und Brüder im Glauben, ich bin tief überzeugt, dass die europäische Universität nicht denkbar ist ohne ihren Ursprung aus dem christlichen Geist. So ähnlich ist es auch mit unserer Gesellschaft und dem Projekt Europa.
Unter den Müttern und Vätern des Grundgesetzes, wie auch des Projektes Europa, waren aus meiner Sicht nicht zufällig eine bedeutende Anzahl überzeugter Christen, die wussten, dass eine freie Gesellschaft getragen wird von Werten, die ihr voraus liegen – und die dennoch immer wieder neu vergewissert und errungen werden müssen.
Ein Herz für die Universität?
Ich freue mich daher sehr, dass wir mit der Wiedereröffnung der Nikolakirche und mit der Weihe dieses Altares mitten in der Universität wieder einen Ort haben, wo Besinnung möglich ist. Wo wir in die Tiefe gehen können. Und wo wir einem Gott begegnen können, der uns den Geist schenken und uns mit Feuer taufen will. So wie es nötig ist, dass in jedem einzelnen Menschen sein Wissen und seine Rationalität eine Verankerung in einem guten Herzen, mit echten wertvollen Überzeugungen finden.
So halte ich es für ebenso nötig, dass ein lebendiger Organismus wie unsere Universität einen Ort hat wie diesen. Wo wir uns zweckfrei der Wirklichkeit Gottes nähern können, einem Gott, der in unserem Glauben, die Wahrheit, die Liebe und die Schönheit schlechthin ist.
Lieber Herr Kirchenrektor und Studentenpfarrer Andreas Erndl, liebe Studierende, liebe Lehrende, liebe Geschwister der anderen Konfessionen. Ich wünsche Ihnen allen, die Sie hier immer wieder das Leben feiern mit all seinen Facetten. Möge dieser im neuen Glanz erstrahlende Kirchenbau auch für viele von Ihnen zum Herzen dieser Universität werden, zu einem Ort, von dem der Segen ausgeht für unsere gesamte Universität und darüber hinaus. Amen.