In Marktl am Inn (Bistum Passau) fand am gestrigen Sonntag (29.1.2023) ein Requiem für den verstorbenen Papst em. Benedikt XVI., der dort am Karsamstag, den 16. April 1927, als Joseph Ratzinger in geboren wurde. Es war ein schöner, würdiger Gottesdienst für den berühmtesten Sohn des Marktes. Viele Gläubige aus dem Pfarrverband Marktl/Stammham und weit darüber hinaus haben teilgenommen, der Kirchenchor Marktls hat unter der Leitung von Veronika Pittner ein Reqiuem gesungen, das der frühere Marktler Pfarrer Josef Kaiser komponiert hatte. Altbürgermeister Gschwendtner hat in einem sehr persönlichen Grußwort die Geschichte zwischen Papst em. Benedikt und seinem Geburtsort aufleben lassen. Die Gremien beider Pfarreien haben schließlich unter Leitung der PGR-Vorsitzenden Sandra Maier zu einem Stehempfang eingeladen. Die Predigt des Requiems kann hier nachgelesen werden:
Predigt zum Requiem für Papst em. Benedikt XVI. in seinem Geburtsort Marktl am Inn
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
die biblischen Lesungen, die uns die Kirche an diesem 4. Sonntag im Jahreskreis vorlegt, fügen sich auch sehr gut in den Anlass dieses Gottesdienstes, in dem wir hier in Marktl dem berühmtesten Sohn Ihres Ortes ein ehrendes Gedenken geben und ihn mit unserem Gebet begleiten wollen.
Ein einfacher, demütiger Mann
Als Joseph Ratzinger am 19. April des Jahres 2005 vom Kollegium der Kardinäle zum Papst gewählt wurde, trat er auf den Balkon des Petersdomes und stellte sich der Weltöffentlichkeit als „einfacher, demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn“ vor. Dieser Mann, wurde ja tatsächlich in relativ einfachen Verhältnissen hier in Marktl als Sohn eines Dorfpolizisten geboren. Und sein Weg aus den kleinen Verhältnissen zum Kaplan in München, zum Theologieprofessor an verschiedenen Fakultäten, zum Erzbischof in München und Freising, zum Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre hinein in das Petrusamt, ins höchste Amt der weltumspannenden Katholischen Kirche – dieser Weg war natürlich alles andere als leicht und auch nicht unumstritten. Wie sollte es in diesem Amt und in dieser Zeit der Kirche auch anders sein können. Aber sehr viele Menschen haben bestätigt: Trotz seiner geistigen Größe und Brillanz ist Joseph Ratzinger immer ein einfacher, freundlicher und zugänglicher Mann geblieben. Und vor allem anderen ein tiefgläubiger Mann.
Der Tag des Zornes des Herrn
Die erste Lesung aus dem Buch Zefanja handelt vom Tag des Zornes des Herrn, vom drohenden Gottesgericht über Israel und Jerusalem – wegen der Untreue des Volkes. Es ist korrupt geworden, hat Gott vergessen, hat sich auf Fehlverhalten aller Art eingelassen und den Kult vernachlässigt. Die Autoren der Bibel waren sich bewusst: Sünde zieht sich den Zorn Gottes zu! Aber wie kann man das verstehen, wenn Gott doch durch und durch ein liebender Gott ist? Nun, denken Sie einfach an Situationen der Erziehung in der Familie. Wenn Kinder gegen den Willen der Eltern richtig viel Blödsinn machen, der sie selbst gefährdet; im Straßenverkehr beispielsweise oder im Weglaufen von Zuhause oder in anderen gefährlichen Situationen. Sind Eltern dann nicht manchmal zurecht richtig zornig, richtig wütend? Und zwar, liebe Schwestern und Brüder, aus Liebe! Aus Angst um das Leben ihres Kindes!
Der Mensch, der sich selbst schadet
Gott liebt und sucht den Menschen leidenschaftlich – den Menschen, der immer wieder davonläuft und eigene Wege geht, die nicht zu seinem Besten sind, sondern selbstbezogen und egozentrisch mit allen seltsamen Eigenschaften, die folgen, wenn sich der Mensch aus seiner tiefsten und wichtigsten Beziehung herauslöst. Es folgen Ellbogen gegen andere, Neid, Ängste, Süchte. Es folgen Triebe, die sich verselbständigen, Verantwortungslosigkeit und Lieblosigkeit. All das und mehr erleben wir täglich in unserer Welt und wenn wir ehrlich sind, oft genug auch im eigenen Herzen. Und Israel hat all das auch erlebt, mitsamt den oftmals folgenden Katastrophen und Zerstörungen. Die biblischen Autoren haben solche Katastrophen dann immer wieder als Folgen der Sünde und des Ungehorsams des Gottesvolkes gedeutet. Und es stimmt ja, die innere Entfernung von Gott ebenso wie die böse Tat und das korrumpierte Herz schaden am Ende dem Menschen selbst – und oft genug in katastrophaler Weise.
Ein Mann des heiligen Restes?
Deshalb sagt der Prophet Zefanja nun dem Gottesvolk des Alten Bundes: Sucht die Demut, sucht die Gerechtigkeit, sucht den Herrn selbst – dann bleibt ihr vielleicht verschont am Tag seines Zornes. Und er lässt Gott zu Israel sagen: Ich lasse in deiner Mitte ein demütiges und armes Volk übrig. Sie werden Zuflucht suchen beim Namen des Herrn als der Rest von Israel. Sie werden kein Unrecht mehr tun und nicht mehr lügen. Liebe Schwestern und Brüder hier in Marktl, ich durfte Joseph Ratzinger als einen demütigen Mann kennenlernen, als einen, der sein Leben lang Zuflucht gesucht hat beim Herrn, bei Jesus und der ein Mitarbeiter seiner Wahrheit sein wollte, wie er es in seinem Wahlspruch ausdrückt. Und manchmal, wenn ich die Zeiten und Entwicklungen in unserer Kirche und in der Gesellschaft so anschaue, frage ich mich, ob er nicht auch einer dieses in der Schrift oft genannten „heiligen Restes von Israel“ war, ein Rest dieses demütigen und armen Volkes, in dem aufrichtig die Wahrheit gesucht wird.
Er rühmt sich des Herrn
In der zweiten Lesung spricht Paulus davon, dass sich keiner rühmen kann vor Gott, weil Gott gerade das Niedrige und das Törichte erwählt hat – und nicht das, was in der Welt als groß und mächtig gilt. Joseph Ratzinger hat sich selbst – obwohl er so alt geworden ist – doch eher immer als von schwacher Natur und Gesundheit empfunden. Und tatsächlich waren es auch gesundheitliche Gründe, die ihn Amtsverzicht als Papst bewegt hatten. Er war zudem eher schüchtern und zurückhaltend, auch nicht allzu groß gewachsen. In dieser Hinsicht eher ein David als ein Goliath. Und wenn Paulus in der heutigen Lesung am Ende sagt: Wer sich rühmen will, der rühme sich des Herrn, so war eben das der Lebensinhalt von Papst Benedikt XVI- Gott rühmen, auf Jesus verweisen, der uns Gottes menschliches Angesicht gezeigt hat. Auf die unerschöpfliche Tiefe und Weite seiner Person, seines Kommens, seines Leidens und Auferstehens hinzeigen. Alles drehte sich für ihn um die Gestalt Jesu, um seine Bedeutung für den Glauben und die Kirche, um sein erlösendes Handeln für uns, um seine Verherrlichung des Vaters. Die Bücher „Jesus von Nazareth“, die er als Papst geschrieben hat, werden vielleicht das geistig nachhaltigste Erbe sein, das er uns hinterlassen hat. Darin macht er übrigens auch deutlich, dass Jesus das Phänomen der Folgen der Sünden der Menschen, also das Problem, das die Schrift wie in der ersten Lesung als den „Zorn Gottes“ beschreibt, dass dieser Jesus, all diese Folgen am Kreuz an sich selbst geschehen lässt. Und zwar damit wir das alles nicht mehr zur Gänze ausleiden müssen; damit wir nicht mehr vor lauter Angst vor Gott vor ihm davon laufen müssen, sondern gerade durch das Vertrauen auf Jesus neue Nähe zu Gott als unserem Vater finden und damit auch das, was wir das Heil nennen.
Die Seligkeit eines Lebens als Jünger Jesu
In diesem dreibändigen Werk über Jesus entfaltet Benedikt übrigens auch seine Gedanken über das heutige Evangelium, über die Seligpreisungen, den berühmten Anfang der Bergpredigt bei Matthäus. Und hier macht er besonders auf zwei Seiten dieses großen Textes aufmerksam. Auf der einen Seite werden wieder diejenigen selig gepriesen, die vor Gott arm sind, die ihn aufrichtig suchen, die von ihm her friedfertig und wahrhaftig sein wollen, ja die sogar Nachteile und Verfolgung für ihren Weg mit Gott bereit sind auf sich zu nehmen. Diese inneren Haltungen des Gehens mit Gott schauen aus der Sicht der Welt eher trübe aus, weltverneinend, spaßlos, womöglich sogar freudlos. Aber, liebe Schwestern und Brüder, das Wort Seligpreisung meint wörtlich genau das Gegenteil: Es meint wirklich, dass es möglich ist, im Gehen mit Gott in eine innere Freude, in eine innere Tiefe und Freiheit zu finden, die genau deshalb auch bereit ist, das fortwährende Streben nach Besitz, Macht, Ansehen und Genuss nicht länger an die erste Stelle zu stellen; es nicht zum Mittelpunkt des eigenen Lebens zu machen – gerade weil sich in alledem keine tiefe Erfüllung finden lässt, keine Tiefe, die dem Menschen den Sinn der eigenen Existenz aufschließt. Jünger und Jüngerinnen Jesu kennen ein anderes Geheimnis der Freude – und zwar oftmals sogar mitten in den Schwierigkeiten, in den Verlust- und Leiderfahrungen, die diese Welt auch mit sich bringt. Die zweite Seite der Deutung der Seligpreisungen führt Joseph Ratzinger in die Erkenntnis, dass die dort geschilderten Haltungen im Grunde ein Charakterbild von Jesus selbst zeichnen. Und sie haben ihn immer mehr aus der Einsicht leben lassen, dass wir selbst in diese Herzenshaltungen nur finden können, wenn wir Ihm, wenn wir Jesus vertrauen, ihn suchen und ihn lieben.
Hat er auch Fehler gemacht? Natürlich!
Hat Joseph Ratzinger schließlich auch Fehler gemacht? Auch als Papst? Ist er Fehlurteilen aufgesessen, hat er falsche Entscheidungen getroffen? Falsches gesagt? Selbstverständlich, liebe Schwestern und Brüder. Auch Joseph Ratzinger war ein fehlbarer Mensch und ein Sünder, wie wir alle. Das hat er selbst mehrmals gesagt. Und das gilt für jeden von uns – und bei ihm zum Beispiel auch für die Frage: Wie hätte er mit der Erkenntnis des Missbrauchs als verantwortlicher Bischof von München und Freising besser umgehen können? Oder eher: Wie hätte er dieses Böse besser erkennen und das Leid der Betroffenen besser und früher verstehen können, damals in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren? Ich halte ihm aber auch zugute, dass er in verantwortlicher Position in Rom als Kardinal als einer der ersten die ganze Tragweite und Dramatik des Themas erkannt und überaus entschlossen angegangen ist. Freilich auch damals noch immer dem jeweiligen Stand der Erkenntnis und den jeweiligen Möglichkeiten entsprechend. Aber allein in dieser Zeit und unter seiner Verantwortung sind Hunderte von Klerikern aus der ganzen Welt aus ihrem Dienst entlassen worden – was es vorher in diesem Ausmaß nie gegeben hatte. Und er hat als erster Papst überhaupt die Betroffenen eingeladen und sich an ihre Seite gestellt.
Ein Freund des Bräutigams
Ich habe Papst Benedikt/Joseph Ratzinger als einen Freund des Bräutigams erlebt, so wie sich Johannes der Täufer im Evangelium selbst bezeichnet. Ein Freund des Bräutigams, der auch am Ende seines Lebens im Frieden geblieben ist – und trotz tiefer Selbsterkenntnis auch in der persönlichen Begegnung viel Zuversicht ausgestrahlt hat. Ich möchte ihm das letzte Wort in dieser Ansprache lassen, das von dieser Zuversicht erzählt. Papst Benedikt hat die folgenden Zeilen in dem Brief an die Öffentlichkeit geschrieben, in der er im vergangenen Jahr noch einmal seine Sicht der Dinge im Nachgang zum Münchner Gutachten dargelegt hat. Er schreibt:
Letzte Worte
„Ich werde ja nun bald vor dem endgültigen Richter meines Lebens stehen. Auch wenn ich beim Rückblick auf mein langes Leben viel Grund zum Erschrecken und zur Angst habe, so bin ich doch frohen Mutes, weil ich fest darauf vertraue, daß der Herr nicht nur der gerechte Richter ist, sondern zugleich der Freund und Bruder, der mein Ungenügen schon selbst durchlitten hat und so als Richter zugleich auch mein Anwalt (Paraklet) ist. Im Blick auf die Stunde des Gerichts wird mir so die Gnade des Christseins deutlich. Es schenkt mir die Bekanntschaft, ja, die Freundschaft mit dem Richter meines Lebens und läßt mich so zuversichtlich durch das dunkle Tor des Todes hindurchgehen. Mir kommt dabei immer wieder in den Sinn, was Johannes in seiner Apokalypse am Anfang erzählt: Er sieht den Menschensohn in seiner ganzen Größe und fällt vor ihm zusammen, wie wenn er tot wäre. Aber da legt er seine Hand auf ihn und sagt: Fürchte dich nicht, ich bin es!…“
Lieber Papst Benedikt, wir beten für Dich hier an Deinem Geburtsort Marktl – und wir wünschen Dir sehr, dass sich die Seligpreisungen der Bergpredigt für Dich nun im vollen Sinn erfüllen mögen. Amen.