Der Synodale Weg III – Über die Lebensform der Priester

In diesem Video spreche ich über die Lebensform der Priester – also auch über meine eigene.
Ich erkläre, warum der Zölibat unter Verdacht ist, warum ich ihn dennoch für eine geistlich fruchtbare und sinnvolle Lebensform halte. Ich spreche darüber, warum es heute so herausfordernd ist, den Zölibat zu leben – und möchte zugleich zeigen, wie ein zölibatäres Leben dennoch gelingend möglich ist.
Für mich jedenfalls bedeutet das Priestertum – auch in dieser herausfordernden Lebensform – eine Quelle tiefer Freude und Dankbarkeit. Viel mehr wäre zu sagen, aber für einen Anstoß mag es genügen…. Und hier das Manuskript zum Video – weiter unten auch zum Nachlesen.

00:00​​ – Einführung
00:27​​ – Fünf Verdachtsmomente gegen den Zölibat
03:36​​ – Die absichtslose Liebe Gottes mit Blick auf Sexualität
10:45​​ – Die Lebensform Jesu
15:29​​ – Die Problemlage
22:13​​ – Das Plädoyer – für den Zölibat
28:20​​ – Die heilige Stunde und das Leben als Geschenk
36:19​ – Die Liebe zur Kirche

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Die priesterliche Lebensform

Das Gesprächsforum II des Synodalen Weges befasst sich mit der Lebensform der Priester, im Kern geht es um den Zölibat. Diese Lebensform, meine Lebensform steht unter mehrfachem Verdacht. Fünf Verdachtsmomente möchte ich nennen.

  1. Diese Lebensform sei womöglich einer von mehreren systemischen Faktoren, die sexuelle Gewalt oder anderweitigen Machtmissbrauch begünstigen.
  2. Sie sei der sichtbarste Ausdruck einer verqueren und überholten Sexualmoral.
  3. Der Zölibat als Lebensform ziehe daher insbesondere unreife Persönlichkeiten an, die damit insgeheim hoffen, sich der eigenen sexuellen Entwicklung nicht mehr stellen zumüssen.
  4. Der Zölibat sei womöglich auch ein Faktor für das Männerbündische in der Kirche,das hauptverantwortlich dafür sei, dass das System Kirche sich selbst schützt und nicht zuerst die Betroffenen von sexueller Gewalt und Missbrauch. Männerbündisch bedeutet kurz gesagt: Einige wenige Zölibatäre regeln die Dinge unter sich.
  5. Sie sei mitursächlich für die Überhöhung und Selbstüberhöhung der Priester – und damit für alle möglichen Formen von Klerikalismus.

Ich möchte dazu zunächst folgendes sagen: Alle Verdachtsmomente bergen in sich einen Kern von Wahrheit. Und vermutlich fast überall dort, wo es Missbrauch gegeben hat oder gibt und wo das System sich selbst geschützt hat, kommen die genannten Faktoren teilweise oder ganz zum Ausdruck.

Was aber beim Fokus auf diese Fragen häufig aus dem Blick kommt: Der unübersehbare geistliche Reichtum, die geistliche Fruchtbarkeit, die aus dem Leben von so vielen Männern und Frauen geflossen ist und fließt, die sich freiwillig – um Christi willen – für ein eheloses Leben in unserer Kirche entschieden haben.

Was also wären die Konsequenzen aus solchen Erkenntnissen? Den Zölibat abschaffen, damit das Schlimme nicht mehr vorkommt? Und damit womöglich das Kind mit dem Bad ausschütten? Oder die Erkenntnisse nutzen, um sich einer ehrlichen und tiefen Selbstbesinnung zu stellen, die neu fragt, wie es möglich ist, die freiwillige Ehelosigkeit, die Lebensform Jesu, unter heutigen Bedingungen in Kirche und Welt authentisch zu leben.

Einen kleinen Beitrag für diesen zweiten Weg möchte ich mit diesem Video leisten. Und ich versuche wieder den inneren Kern unserer Lebensform zu berühren mit dem Blick auf die absichtslose Liebe. Ich werde dabei auch gewissermaßen von innen sprechen als ein Mensch, der in dieser Lebensform selbst nach dem Gelingen von Leben sucht.

1. Die absichtslose Liebe Gottes

In den ersten beiden Videos habe ich die Frage gestellt, was der Grund für Schöpfung und Erlösung sei – und die einfache Antwort war immer: Es ist die absichtslose Liebe Gottes. Gott braucht die Welt und uns Menschen nicht. Er ist ohne sie und uns aus sich selbst heraus absolut glücklich. Das heißt, Gott hat die Welt aus reiner, überfließender Liebe erschaffen. Und Christus muss die gefallene Welt auch nicht durch sein Leid am Kreuz erlösen. Auch er braucht uns nicht, auch er tut es aus reiner, absichtsloser Liebe zu uns Menschen. Und auch die Kirche, so sie von Christus gegründet ist, so sie sein Leib ist, in den wir durch die Taufe hineingeliebt sind, gibt es ebenfalls nur aus absichtsloser Liebe – um unseres Heiles willen.

Was ist dieses Heil? Wir glauben, es geht darum, sich von Gottes absichtsloser Liebe berühren zu lassen, sie im Glauben anzunehmen, sich dabei jede Gottesferne in Haltung, Wort und Tat vergeben zu lassen und zurückzukehren in das Versöhntsein mit Gott, unserem Vater. Wir glauben, dass wir durch diese Versöhnung teilnehmen am Leben Gottes, an der Gemeinschaft von Vater, Sohn und Geist. Und wir glauben, dass wir selbst dadurch in eine neue Existenzweise finden, in eine neue Freiheit, in ein Leben, in dem wir selbst lernen können und lernen sollen, absichtslos zu lieben.

Nun weiß jeder, dass das sehr idealistisch klingt. Denn natürlich sind wir alle einfach bedürftige Menschen aus Fleisch und Blut. Und unsere Formen zu lieben sind zunächst einmal eher nicht nur absichtslos, sondern oft geradezu absichtsvoll. Wir lieben so oft auch um selbst wieder geliebt zu werden. Wir brauchen die anderen und manchmal klammern wir sie auch an uns, um Bestätigung, Anerkennung und Liebesbeweise zu bekommen. Und gerade unsere Sexualität ist bei aller Hinordnung auf Liebe und Lebensweitergabe immer auch ein Ausdruck von Brauchen und Gebrauchen. Ich brauche die Nähe, die Berührung, die Zärtlichkeit. Ich brauche die Triebbefriedigung, ich brauche den körperlichen Schutz, die Geborgenheit beim anderen; die Bindung, die durch die sexuelle Begegnung entsteht und sich vertieft. Ich brauche die Lust und die Leidenschaft. Und ich will mich auch zusammen mit dem anderen Menschen voller Leben und Lebendigkeit fühlen, will mich aber auch von ihm begehrt fühlen. All das ist da und ist auch legitim und grundsätzlich gut.

Und zugleich wissen wir auch: Es ist möglich, dass ich in der Sexualität den Blick auf den anderen verliere – und mich nur an ihm abreagiere. Eigentlich ist Sexualität tiefe Liebessprache und soll es sein, aber gerade in ihr ist es möglich, den anderen nur zu benutzen, nur zu reduzieren auf Reizauslösung – und ihn nicht mehr als Person mit all ihren Schönheiten und Verwundbarkeiten zu erkennen. Jeder ernsthaft Fragende weiß, dass auch Sexualität Reifung braucht und Wachstum – weshalb keine Form der Sexualität einfach heil und unproblematisch ist – einfach weil wir als ganze Menschen auch nicht nur heil und unproblematisch sind. Und Reifung bedeutet letztlich immer: Weniger Ego und je mehr Einbeziehung auch der Sexualität ins Leben des ganzen Menschen zu einer größeren Fähigkeit, absichtslos zu lieben. Es bedeutet, auch als sexuelles Wesen Achtsamkeit zu üben, Hingabe zu leben und nicht zuerst auf Triebbefriedigung aus zu sein. Und solche Hingabe schließt ein, dass ich offen bin auf das, worauf sexuelle Vereinigung auch hinzielt, nämlich auf neues Leben. Reife in diesem Sinn lernen bedeutet also automatisch auch reif sein für die gemeinsame Sorge um entstehendes, neues Leben.

Wenn wir nun diese Gedanken ins Licht der Erlösung durch Jesus stellen, spüren wir als Gläubige, dass das Vertrauen in Jesu Gegenwart uns in unserem Leben befähigen kann, in diesem Sinn ein neuer, ein reiferer und liebesfähigerer Mensch zu werden, das heißt letztlich ein Mensch zu werden, der den anderen Menschen mehr lieben lernt, aber weniger einfach für sich braucht, weniger für sich haben und besitzen will. Und wenn das stimmt braucht jeder Mensch, ausnahmslos, auch die Einübung von Verzicht auf genitale Sexualität – weil sie immer verbunden ist mit der Frage: Bin ich bereit für diese Art der Ganzhingabe und Vereinigung? Bin ich bereit für die Konsequenzen, die aus solcher leib-seelischer Ganzhingabe entstehen? Zudem: Es gibt unzählige Menschen, die keinen Partner haben oder finden; oder solche, deren Partner unfähig geworden ist zur sexuellen Begegnung. Das heißt: Es gibt auch kein Recht auf ausgelebte Sexualität; und zwar schlicht deshalb, weil es immer einen Partner braucht, der dazu freiwillig ja sagt. Das heißt letztlich: Die Einübung zu einem Leben, in dem auch Enthaltsamkeit wichtig ist, gehört grundlegend zur Fähigkeit, auch in sexueller Partnerschaft erfüllt zu leben. Und die Erfahrung unzähliger Christinnen und Christen durch die Jahrtausende war immer die: Ein Leben mit Christus, dem absichtslos Liebenden, befähigt uns selbst immer mehr absichtslos Liebende zu werden.

2. Die Lebensform Jesu

Jesus war der absichtslos Liebende in radikaler, in tiefstmöglicher Form. Freilich war er auch ganz Mensch und daher als solcher auch bedürftig. Nach menschlicher Nähe, nach Gemeinschaft und Freundschaft, nach Nahrung, nach Orten zum Schlafen und Ausruhen und mehr. Aber weil er der absichtslos Liebende für die Vielen, letztlich für alle war, hat er sich nicht an eine einzelne Partnerin exklusiv gebunden, um mit ihr eine Familie zu gründen. Das wäre zumindest für mich nicht vorstellbar. Denn es geht bei ihm noch um so viel mehr als um eine natürliche Familie und um biologische Fruchtbarkeit: Es ging ihm ja vor allem darum, dass alle Menschen durch seine Liebe neu in die Gemeinschaft mit Gott, dem Vater, finden, dass sie auf diese Art neu werden, neu geboren werden oder wie Kinder werden, oder neue Schöpfung wie es das neue Testament sagt. Und dieses Neuwerden ereignet sich nicht so sehr biologisch, es geschieht im Herz der Menschen. Es ist ein neues Sehen, ein neues Wahrnehmen der Gegenwart Gottes in der eigenen Tiefe, in jedem Menschen, in der ganzen Schöpfung. Es ist ein Leben aus der Taufe, aus Gottes Geist. Es hilft auch in Krankheit nicht zu verzweifeln und die Angst vor dem Tod zu verlieren – weil der Mensch schon in der Berührung mit der absichtslosen Liebe lebt, aus der alles geschaffen ist. Und eine solche Fruchtbarkeit, dieses Neu-geboren-werden, ereignet sich aus der Berührung mit der absichtslosen Liebe vor allem durch die Zeugen Jesu, durch Männer und Frauen der Kirche und des Glaubens. Und in allen Sakramenten geht es letztlich darum – sich Beschenken- lassen von Gottes barmherziger Liebe, damit sie einen Kanal findet in die Herzen der Menschen und durch diese Herzen in die Welt hinein.

Hier liegt der eigentliche Ursprung für zölibatäres Leben, hier liegt seine Zeugungskraft. In der Lebensform Jesu und in seiner Hingabe. Nicht umsonst ist die Nähe der Zölibatären zu Vaterschaft und Mutterschaft auch oft respektvoll in Anreden ausgedrückt. In vielen Sprachen der Welt heißen unsere Priester Vater, Pater, Father, Padre. Der Papst ist ein Vater, der Abt kommt von Abbas und bedeutet Vater – und ähnliches gilt übrigens auch für geistliche Mütter, denken Sie an Klosterschwestern, die z.B. mit Mutter Oberin angeredet werden oder an Mutter Theresa von Kalkutta. So viele sind echte geistliche Mütter. Es geht also um eine geistliche Zeugungskraft, die auf Geburt und Wachstum neuen Lebens zielt, die auf Christwerdung hinzielt.

Und es geht damit zugleich um eine Lebensform, in der ich berufen bin, so innerlich mit Christus verbunden zu leben, dass ich vertraue, dass sich mir daraus der eigentliche Sinn meines Daseins erfüllt, auch meine Fruchtbarkeit. Der Verzicht auf genitale Sexualität mit einer Partnerin ist nicht Verzicht um des Verzichtes willen, sondern bedeutet so hineingerufen werden in die Gemeinschaft mit Jesus, dass ich seine Lebensform übernehme und mitwirken möchte an der Neugeburt und am Wachstum von neuen Menschen, von Menschen des Glaubens an Jesus.

3. Die Problemlage

Hier, meine Lieben, sind wir an der Quelle unserer Frage, aber zugleich an der Quelle unseres Problems. Denn keiner von uns Zölibatären ist von Haus aus ein engelhaftes Wesen, der seine Triebe, seine körperlichen, seelischen und sozialen Bedürfnisse als normaler Mensch, einfach so hinter sich lassen könnte. Und auch nicht so, dass er schon von Anfang an in fortwährender, tiefer geistlicher Gemeinschaft mit Jesus leben könnte, so dass er all das andere immer weniger braucht. Auch in ein zölibatäres Leben wächst man hinein. Und es braucht gute Rahmenbedingungen, dass es wachsen kann. Gelingendes zölibatäres Leben von Priestern braucht Einbindung in stützende soziale Beziehungen, am besten in gute Freundschaften, vor allem auch solche, in denen auch geistlicher Austausch möglich ist. Es braucht auch die Anerkennung, Zuwendung und Dankbarkeit von Gemeindemitgliedern, es braucht Einübung in ein persönliches diszipliniertes Leben, bei Essen, Trinken, Medienkonsum, Bewegung. Es braucht Pflege von Schöngeistigem etwa mit Literatur, mit Musik, auch mit Theologie.

Und ein normaler Priester wie du und ich wird auch immer wieder versucht sein, die bleibende Sehnsucht nach körperlich-seelischer Vereinigung mit einem anderen Menschen durch etwas anderes zu kompensieren. Zum Beispiel durch Essen und Trinken, durch übermäßigen Mediengenuß, auch die Versuchung der Pornographie ist allgegenwärtig. Exzessive Hobbies wären zu nennen, etwa der Wunsch dauernd zu verreisen oder der Wunsch viel zu besitzen, ein großes Auto, teure Kunstwerke, viele Bücher oder ähnliches mehr. Mit am stärksten ist häufig wohl auch der Wunsch nach übermäßiger Anerkennung in uns. Wir haben keine eigene Familie, die uns liebt und anerkennt. Und etwas in mir sehnt sich auch deshalb danach, es von woanders zu bekommen. Nicht selten führt gerade das dann wiederum zum klerikalen Neid, wenn ein anderer mehr Anerkennung bekommt als ich. Und all dieses meine Lieben führt eigentlich in eine negative Dynamik, denn im Grunde geht es bei all solchen Kompensationen immer zuerst um mich, und damit eine Art Vergrößerung meines Egos. Aber das größere Ego ist per definitionem nicht zur absichtslosen Liebe fähig – denn es muss eigentlich eher sterben als größer werden. Es muss sterben und in Christus auferstehen, wie Paulus sagt, damit ich von innen her ein neuer Mensch werde.

Und zu all diesen Versuchungen kommt hinzu, dass sich die kirchliche und gesellschaftliche Situation von heute dramatisch verändert hat, im Vergleich mit wenigen Jahrzehnten zuvor. Wenn ich an meine Jugend in den siebziger und achtziger Jahren denke, dann hatte damals ein Pfarrer sehr häufig noch einen Kaplan und eine Haushälterin, also Gemeinschaft im eigenen Haushalt. Er hatte normalerweise genug dankbare Anerkennung durch die Gemeinde, die auch seine Lebensform geschätzt und mitgetragen hat. Er hatte noch eine überschaubare Seelsorgeeinheit, meist eine einzelne Pfarrei. Auch die personelle Ausstattung der Pfarreien mit pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern war noch besser. Und all das gibt es kaum. mehr. Die Pfarrer leben meist allein, nicht wenige leiden an Einsamkeit. Sie haben zudem deutlich größere Seelsorgeeinheiten. Viele Gläubige in der Gemeinde finden inzwischen alle möglichen Lebensformen „normal“, nur die vom Pfarrer finden sie komisch oder verdächtig. Und inzwischen gibt es auch noch den ganz normalen Internet-Wahnsinn mit all seinen Herausforderungen dazu; und eine völlig andere Kommunikationskultur als damals. Die Fragen der Menschen zu schwierigen und heiklen Themen werden drängender, und wir sind wenig darin ausgebildet worden, darauf eingehen zu können. Und schließlich steht gerade heute der Priesterberuf mehr denn je in der Zerrissenheit zwischen der Loyalität zum Papst, zum Bischof, zu den Mitbrüdern und den Kolleginnen und Kollegen in der Seelsorge und den Erwartungen und Ansprüchen des gläubigen Volkes oder der Gesellschaft mitten in einer Kirche, die zu zerreißen droht. Wissen wir noch gemeinsam, was wir glauben, wem wir glauben? Was das Heil in Christus bedeutet? Ich bezweifle es und frage mit alledem: Wer soll da den Priesterberuf noch attraktiv finden? Und wer würde sich nicht überfordert fühlen?

Und wenn dieser Hintergrund nun einmal aufgerissen ist, fragen nicht wenige jetzt: Wäre da die Aufhebung der Zölibatspflicht nicht der effektivste Weg um für zahlreiche der genannten Probleme zügig Abhilfe zu schaffen? Und hätten wir damit nicht auch gleich die oben genannten Verdachtsmomente aus der MHG-Studie beseitigt!?

4. Das Plädoyer

Ich möchte dennoch – trotz allem – dafür plädieren, dass wir uns als katholische Priester heute für den Zölibat entscheiden. Und miteinander suchen, wie gelingendes Leben in dieser Lebensform möglich ist. Einfach deshalb, weil ich an ihre tiefe geistliche Fruchtbarkeit glaube, wenn sie gelingend gelebt wird. Gerade heute, in einer Zeit, in der ausgelebte Sexualität und sexuelle Vielfalt gefeiert werden und die romantische Liebe zwischen Menschen oft zum allerhöchsten Gut erklärt wird – gerade in einer solchen Zeit wird gelingendes und überzeugtes zölibatäres Leben besonders zeichenhaft. Es ist provokativ im Wortsinn: das heißt, es kann Fragen hervorrufen, es kann in einer Tiefe berühren, wo man sonst womöglich nicht berührt wird. Es lässt zum Beispiel fragen: Kann es sein, dass dieser Mensch freiwillig auf das vermeintlich höchste Glück verzichtet? Um Gottes willen? Kann es also sein, dass Gott so real in seinem Leben da ist, dass er es erfüllen kann, dass er es mit mehr Sinn und Tiefe beschenken kann, als wir es aus einem durchschnittlichen Leben in dieser Gesellschaft erkennen könnten? Und kann es sein, dass ein Zölibatärer wirklich frei ist, dass er sich nicht nur einem Zwangssystem Kirche unterwirft, sondern freudig und freiwillig in der Nachfolge dessen steht, von dem er sagt, dass er wirklich lebt?!

Jetzt mögen manche sagen: Du redest von Freiwilligkeit, ich rede aber vom Zwangszölibat. Möge man es doch für Priester freistellen. Darauf würde ich antworten: Die Erfahrungen aus der Geschichte vor allem in den Ostkirchen zeigt, wo immer ein freiwilliger Zölibat möglich ist, wird er eher nicht gesucht. Vielmehr gibt es dort sogar innerhalb des Klerus Tendenzen, solche Priester, die nicht verheiratet sind, als seltsame Sonderlinge zu betrachten. Das führt dann in der Regel dazu, dass der Zölibat als Zeugnis aus der normalen Priesterschaft verschwindet – und sich auf die Klöster einschränkt. In den Ostkirchen hat man den Priesterzölibat beim Bischofsamt dennoch behalten – weshalb der Bischof dort fast immer ein Mönch aus einem Kloster wird. Das heißt: Bei einer Freistellung des Zölibats würde aller Voraussicht nach die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen aus der Fläche verschwinden und sich auf die Klöster beschränken. So legen es zumindest historische Erfahrungen nahe.

Zudem: Wenn Christus der Bräutigam seiner Kirche ist und die Eucharistie „das Hochzeitsmahl des Lammes“, also der immer neue Vollzug der innersten Vereinigung Gottes mit der Menschheit, des Bräutigams mit seiner Braut, der Kirche – dann bekommt die Ehelosigkeit des Priesters in der Nachfolge und Nachahmung Jesu noch einmal eine besonders ausdrucksstarke Komponente. Der Priester repräsentiert Christus in der Eucharistie und ist mit ihm und durch ihn hingeordnet auf die Kirche als Braut und ihre Kinder (vgl. Offb 12,17) – die Gemeinschaft der Glaubenden.

Wer also Christus im Dienst des Priesters nachfolgen möchte, ist in der Lateinischen Kirche zugleich in die ehelose Lebensform gerufen. Wer das nicht freiwillig leben will oder kann, hat in unserer Kirche dennoch viele andere Möglichkeiten, priesterlich zu leben – also ein Mensch zu sein, der für Gott und vor Gott lebt – und deshalb für die Menschen und mit ihnen – auch als Hauptamtlicher in der Kirche.

Und wenn ich oben einiges angemerkt habe über die nötige Lebenskultur der Priester in Beziehungen, im Pflegen kultureller und theologischer Interessen und anderem, so ist alles das zwar stützend, aber letztlich doch nicht entscheidend. Entscheidend wird letztlich ein Leben aus dem Umsonst der absichtslosen Liebe. Und das bedeutet im Wesentlichen zweierlei: Einmal Gebet und zweitens Hingabe im Schenken und Sich-verschenken.

Der evangelische Theologie Gerhard Ebeling hat schon in den siebziger Jahren für die evangelische Kirche von einem „Gebetskollaps“ gesprochen, einem Zusammenbruch einer tragenden Kultur des Gebets. Ich meine, dass auch unsere gesellschaftliche und kirchliche Kultur in diesen Zeiten eher nicht dazu beiträgt, Gebet zu fördern. Ich meine eher festzustellen, dass es für uns alle, Haupt- und Ehrenamtliche wie für gläubige Gemeindemitglieder schwerer geworden ist, ein tiefes, authentisches Gebetsleben zu führen. Dafür dringt von woanders her seit Jahrzehnten wachsend mediale Informations- und Bilderflut in Herz und Verstand bei uns ein. Und wir haben dem im Grunde spirituell kaum etwas entgegengesetzt.

5. Die heilige Stunde und das Leben als Geschenk

Papst Franziskus spricht nun davon, dass zur Schlüsselqualifikation von Priestern gehört, beim Herrn ausruhen zu können. Das schlichte Dasein in seiner Gegenwart ist eine Einübung des Umsonst, der Absichtslosigkeit. Kaum etwas erscheint in dieser Welt nutzloser als die Anbetung und dabei ist sie genau der Weg in den Frieden, ins Daheim. Es ist das Gehen zu dem und Bleiben bei dem, der wie ein Nutzloser verworfen wurde. Es ist das absichtslose Ruhen an der Quelle der absichtslosen Liebe. Ich bin überzeugt, liebe Geschwister im Glauben, dass die Gnade in unser Leben vor allem auf diesem Weg eintritt, weil sie selbst dem Weg der absichtslosen Schöpfung und Erlösung folgt. Die Salbung unseres Lebens, die Fruchtbarkeit absichtsloser Liebe kommt aus dem Bleiben bei Ihm.

Aber schöne Worte um diesen Weg nützen nichts, wenn sie nicht konkret werden. Daher lege ich jedem Priester nahe, unabhängig von der Feier der Hl. Messe, eine Stunde am Stück bei Christus zu sein. Die heilige Stunde meines Tages, die holy hour. Sie darf auch gefüllt sein mit Stundengebet, mit Rosenkranz, mit Schriftbetrachtung oder anderem. Aber ich glaube, sie sollte in jedem Fall auch gefüllt sein mit einer substanziellen Zeit des schichten, einfachen Daseins bei IHM: in Anbetung, im Schweigen. Die Stille, sagt Mutter Theresa, wirkt Gebet, inneres Gebet. Gebet wirkt Glauben, Glauben führt ins Lieben, Lieben führt ins Dienen und Dienen führt in den Frieden.

Sie hat Recht, daher ist auch die zweite Säule so wesentlich: Verschenke Deine Zeit, verschenke Dein Geld, verschenke Dich. Und tu es auch dort, wo Du keinen Applaus bekommst, wo es niemand sieht, wo niemand Anerkennung zurückgibt. Schenke einfach. Schenke immer wieder. Gott ist absichtslose, sich verschenkende Liebe – und die Gnade, der Segen und die Salbung kommen auf dem Weg der absichtslosen Liebe. Sie bringen den Frieden, wie Mutter Theresa sagt, sie ermöglichen das Bleiben in der Berufung, in der Freude, in der Tiefe der Liebe.

All das klingt ideal, ist aber sehr praktisch und sehr realistisch. Und ja, es will auch erkämpft werden – auch durch Niederlagen hindurch. Auch durch die eigene Trägheit, die eigene Müdigkeit, die eigene Egozentrik hindurch. Aber wir brauchen nötiger als alles andere das Einüben in einen Lebensstil, der deutlich macht, dass es uns in unserem Leben nicht zuerst um uns geht. Und je tiefer wir da hineinfinden, desto eher dürfen wir auch spüren, dass es Ihm, um den uns es zuerst geht, der unsere Mitte ist, dass es Ihm dann wirklich auch um uns geht.

Als Salesianer Don Boscos kenne ich den folgenden Einwand gegen das Gebet nur zu gut: Aber wenn es uns doch um den Nächsten geht, bei uns vor allem um den jungen Menschen – und wenn wir wirklich viel Zeit mit ihnen verbringen, ist das nicht auch Gebet? Ist Nächstenliebe nicht auch Gebet? Ja, ist es auch. Aber wir wissen, dass es auch Selbstbetrug sein kann; wir wissen, dass wir versucht sind, die Menschen für uns gern zu haben, damit sie uns Bestätigung geben – und wir reden uns ein, es sei zugleich Gottes Liebe.

Aber Jesus hat ausdrücklich die Liebe für sich selbst eingefordert. Er hat seinen Jüngern nicht zuerst gesagt: Liebt einander, dann liebt Ihr darin irgendwie auch mich. Er hat vielmehr gesagt: Liebt mich vor allem anderen, mit allen Kräften – und dann lernt als zweites den anderen zu lieben wie euch selbst. Das ist die rechte Reihenfolge. Denn wer seinen Bruder, seinen Freund oder gar Vater und Mutter mehr liebt als Ihn, ist Seiner nicht wert, sagt er uns im Evangelium. Daher: Nein, nicht jede gute Tat für andere ersetzt das Gebet. Vielmehr befähigt uns das betende Dasein für Ihn und vor Ihm zu jener guten Tat, die wirklich den anderen meint und nicht doch wieder nur heimlich mich selbst.

Das Umgekehrte gilt übrigens auch: Es gibt ein Beten, das heimliche Selbstsucht ist: Ich und mein lieber Jesus – und die anderen sind mir egal. Meine Lieben: Wenn mein Beten mich nicht auf Dauer fähiger macht, absichtslos zu lieben. Und wenn es mich nicht geduldiger macht und fähiger zum Beispiel auch die Nervensägen auszuhalten und zu mögen – wenn so etwas nicht wächst wie eben Geduld, Güte, Friede, Freude, Selbstbeherrschung und anderes – dann ist auch mit meinem Beten irgendwas faul. Es gibt spirituellen Egoismus unter dem Schein von Gottesliebe ebenso wie es Missbrauch unter dem Schein von Nächstenliebe gibt. Die wahre Befreiung davon kommt letztlich nur von Ihm, von der Quelle der absichtslosen Liebe. Sie kommt eben deshalb auch aus den Sakramenten, vor allem aus Eucharistie und Beichte. Sie kommt auch aus dem betenden Lesen seines Wortes. Aber am Ende läuft alles auf diese zwei Dinge hinaus: Sich verschenken für Ihn und sich verschenken für die anderen.

Ich bin überzeugt, dass zufriedenes Priestersein, zufriedenes zölibatäres Leben nicht anders zu leben ist als aus diesen Quellen. Und ich bin überzeugt, dass wir um beides heute mehr denn je ringen müssen, weil beides in dieser säkularen Luft und Welt oft so schwer zu erringen ist. Und ich möchte vor allem unsere Priester einladen, mit mir, mit uns Bischöfen aber auch mit den Gläubigen gemeinsam darüber nachzudenken, wie gerade wir Priester heute in dieser herausfordernden Zeit leben können, miteinander, in echter Geschwisterlichkeit. Mancher sehnt sich auch nach mehr Gemeinschaft als Lebensform, manch anderem ist schon ein wenig Gemeinschaft zu viel. Aber wir brauchen in jedem Fall gemeinsame Suche, Wegbegleitung und gegenseitige Stärkung. Wir brauchen erneuerte Glaubenstiefe und die Fähigkeit, beim Herrn auszuruhen.

6. Die Liebe zur Kirche

Schließlich möchte ich einen letzten Punkt dazu legen, nämlich die Liebe zur Kirche. Für mich ist diese Liebe nahezu identisch mit der Liebe zu Maria, weil sie Kirche im Ursprung, weil sie Wohnort Gottes in Person ist. Kirche ist mir gewissermaßen mütterliche Heimat, und damit so viel mehr als nur Hierarchie, Struktur und Verwaltung und Institution und Werke und Pfarreien und Lehre. All das ist sie auch, aber in der Tiefe ist Kirche der personale Ort unter uns Menschen, wo Gott wohnt. Daher bin ich auch in ihr Zuhause. Und bei all denen, die sich ihr in dieser Weise auch verbunden fühlen. Ich meine die Liebe zur Kirche auch in jener Perspektive eines Zuhause, in dem ich auch die Erfahrung mache, dass es um mehr geht als nur um mich, in dem ich vielmehr auch Korrektur erfahre, in dem ich immer neu lernen darf, aber in dem ich vor allem anderen dem Herrn begegnen kann. Das ist für mich Kirche. In ihr hoffe ich, sind auch unsere Priester zuhause, zusammen mit allen anderen, mit denen wir heute den Willen des Herrn suchen und erfüllen wollen, um einmal endgültig nach Hause zu finden. Ich bin jedenfalls überaus dankbar für jeden Priester, der sich aufrichtig um ein wahrhaftiges eheloses Leben müht – um auch darin Zeugnis dafür zu geben, dass Gott uns alle absichtslos, aber über die Maßen liebt.

 


Zum Synodalen Weg

Bischof Stefan hat sich bereits in der Vergangenheit mehrmals zum Synodalen Weg geäußert. Eine Stellungnahme zu den einzelnen Bereichen finden Sie hier.