Der Synodale Weg – und die absichtslose Liebe Gottes I

Uns beschäftigt in der Kirche in Deutschland der „Synodale Weg“ – ein Prozess, der fragt wie Kirche erneuert werden kann – vor allem auch angesichts des Skandals des sexuellen Missbrauchs; aber auch angesichts des Verlustes von Glaubwürdigkeit der Kirche und angesichts der vielfältigen Prozesse von Entkonfessionalisierung. Ich möchte in einigen Videos auf den Synodalen Weg eingehen – und die Dinge nicht so sehr von Detailforderungen her betrachten, sondern zuerst aus der Perspektive dessen, was ich für die Mitte des Evangeliums halte: Die absichtslose Liebe Gottes. Hier in einem ersten Video einige einführende Gedanken dazu. Und im Folgenden kann man den Text auch nachlesen.

Meine Lieben,

in Deutschland gibt es den Synodalen Weg, einen Prozess, den die die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der Katholiken in Deutschland gemeinsam begonnen haben, der ursprünglich auf zwei Jahre angesetzt war, aber durch die Corona- Pandemie nun in die Verlängerung geht.

Anlass war eine Studie über den sexuellen Missbrauch durch Kleriker in der Kirche in Deutschland – in den letzten Jahrzehnten. Es geht dabei um die Frage, welche Faktoren in der Kirche haben den Missbrauch begünstigen können. Gibt es so genannte systemische Faktoren? Wir wissen ja, dass Missbrauch an vielen Orten vorkommt, vor allem in Familien, Bekanntenkreisen, im Sport, in Internaten. Aber gibt es in der Kirche Besonderheiten, die dazu beitragen, dass Missbrauch leichter möglich oder dass er vertuscht wird.
Papst Franziskus hat der Kirche in Deutschland am Anfang dieses Wege einen Brief geschrieben, in dem er ermutigt, aber auch mahnt, dass wir im Einklang mit der ganzen Kirche handeln sollten und dass das eigentliche Hauptanliegen die Evangelisierung sein soll, also der Weg der Kirche, der die Menschen mit dem Evangelium bekannt macht und sie in die Begegnung mit Jesus Christus führt.

Man hat sich dann auf vier Themen geeinigt, die helfen sollten, solche systemischen Faktoren aufzuspüren und Veränderungsvorschläge zu machen – immer mit dem Ziel die Betroffenen von Missbrauch in den Mittelpunkt der Sorge zu stellen und um zukünftigen Missbrauch so gut wie möglich zu verhindern.

Die vier Themen sind die folgenden:

  1. Es geht um die Frage nach Macht und Gewaltenteilung in der Kirche.
  2. Es geht um die Priesterliche Existenz und die Lebensform der Priester
  3. Es geht um Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche
  4. Es geht um Sexualität und das Leben in gelingenden Beziehungen

Alle vier Themen hängen auch untereinander zusammen – ein Link durch alle Themen sind im Grunde immer wieder Fragen nach der Geschlechtlichkeit und dem Zueinander der Geschlechter in der Kirche.

Meine Frage ist nun: Ist das ein Zufall, dass unsere Themen so sehr in die Herzmitte der menschlichen Verfassung als geschlechtliches Wesen hineinreichen? Und ich glaube natürlich, dass es kein Zufall ist. Die Themen Geschlechtlichkeit und Geschlechterverhältnis rufen das zentrale Kernthema des ganzen Evangeliums auf, in dem es letztlich immer um Liebe geht. Um Liebe zu Gott, zu den anderen und zu mir selbst. Und wir sehen ganz am Anfang der Bibel, da werden die Bilder aufgerufen vom Paradies, vom Garten, vom heilen Gott-Mensch-Verhältnis und dann auch vom so genannten Sündenfall. Die Schrift erzählt, wie sich der Mensch dem Gebot Gottes widersetzt. Und wie er sich dadurch eine Störung in seinen Urbeziehungen zuzieht: Im Verhältnis zu Gott, er muss das Paradies verlassen. Im Verhältnis des Gegenübers der Geschlechter, auf einmal geht es um Begierde und Macht und Schmerzen bei der Geburt von Kindern – und im Verhältnis zu sich selbst – der Mensch schämt sich. Und auch sein Verhältnis zu Welt ist gebrochen, der Ackerboden muss jetzt unter Schweiß und Mühsal bearbeitet werden. Die Selbstverständlichkeit menschlichen Daseins in und mit der Natur ist fundamental gestört. Und wenn wir die Schrift weiterlesen, dann spüren wir diese Störung des Menschen auf jeder der folgenden Seiten: Es geht

buchstäblich mit Mord und Totschlag weiter: Kain erschlägt den Abel. Die Unheilsgeschichte nimmt ihren Lauf, Gott sieht, dass beim Menschen das „Trachten seines Herzens immer nur böse war“, wie es im Buch Genesis heißt.

Was also heilt den Menschen? Oder heruntergebrochen auf unsere Situation: Was heilt Bedingungen, unter denen Missbrauch geschieht? Oder was bringt Menschen in die Situation einer heileren, erneuerten Beziehungsfähigkeit? Oder was gibt ihnen ein neues, ein heileres Herz?

Und an dieser Stelle möchte ich das Thema aufrufen, mit dessen Hilfe ich die auch die folgenden Videos und die einzelnen Themen besprechen möchte: Ich möchte es nennen: Das Evangelium von der absichtslosen Liebe.

Warum ist das so zentral? Nun fragen Sie sich einfach, warum hat Gott überhaupt die Welt erschaffen? Weil er sie braucht? Weil er ohne sie ärmer wäre? Weniger glücklich? Unser Glaube sagt uns: Gott ist in sich absolut glücklich, er braucht keine Schöpfung um noch glücklicher zu sein. Aber er will sein Glück, sein Liebe, seinen schöpferischen Reichtum mitteilen, auf dass die Schöpfung seien Güte und Liebe vielfältig widerspiegelt – und dass seine Geschöpfe daraus leben. Die Liebe will dass die Geschöpfe sind und gut sind – und das Glück der Geschöpfe, vor allem der Menschen ist, wenn sie aus dieser Liebe leben. Und diese Liebe Gottes ist nicht nur einmal gegeben und dann wieder weg – sondern sie hält uns jeden Augenblick im Dasein. Du lebst aus ihr, du atmest aus ihr, du wächst aus ihr, alle anderen Geschöpf sind dir zugesellt, aus Liebe. Immer. Er erhält Dich im Sein. Der Grund, warum Du da bist, ist seine Liebe. Und sie ist nicht egoistisch, absichtslos meint: Es geht Gott wirklich um uns – und nicht doch nochmal hintergründig um sich selbst.

So, das klingt sehr idealistisch – es ist aber die Wahrheit unseres Glaubens. Und die andere Wahrheit ist, dass unsere Fähigkeit, diese Liebe wahrzunehmen und anzunehmen, verdunkelt ist. Die andere Wahrheit ist, dass sich durch diese Verdunkelung unserer Herzen in dieser Welt auch die Lüge sich breit gemacht hat, die Angst, die schlechte Begierde, die den anderen nur benutzt, das Leid, der Schmerz, der Tod. Und all das hat dazu geführt, dass wir alle an Herzensverengung leiden – und dass wir unsere Wahrnehmungsfähigkeit für die absichtslose Liebe.

Und wenn Ihr nun fragt, aus welchem Motiv die Erlösung geschah, das Leben Jesu unter uns, sein Kreuzestod, seine Auferstehung, die Sendung seines Geistes, dann ist die Antwort wieder diese: aus absichtsloser Liebe. Braucht Jesus, braucht der Vater unsere Erlösung? Nein, aber er will sie, weil er uns liebt. Und wozu erlöst er uns? Damit wir Gemeinschaft haben mit ihm, damit wir zurückkehren zu ihm, damit wir aus ihm leben. Und aus ihm leben lernen, bedeutet, ein neues Herz bekommen, es bedeutet zu lernen, absichtslos zu lieben. Es bedeutet lernen, den Herrn unseren Gott über alles zu lieben und den Nächsten wie uns selbst. Alles zielt auf Liebe in der Wahrheit der Absichtslosigkeit. Glaubwürdig im tiefsten Sinn ist absichtslose Liebe.

Meine Lieben, das Evangelium ist Rettungstat der absichtslosen Liebe. Und Evangelium und Evangelisierung ereignen sich deshalb immer dort, wo durch den Dienst der Kirche ein Mensch berührt wird von der absichtslosen Liebe Jesu – der er begegnet, im liebenden Wort und in der liebenden Tat.

Von hier möchte ich dann noch einmal zurück kommen auf den Synodalen Weg: Der Weg ist ein Prozess, der das erklärte Ziel hat, Kirche zu erneuern. Und mit diesem Ziel bin ich ganz einverstanden. Ecclesia semper reformanda, die Kirche hat immer Erneuerung nötig. Und wenn ich in die Kirchengeschichte schaue, dann sieht man immer wieder Bewegungen der Erneuerung. Und ich meine auch zu sehen, dass tatsächliche Erneuerung, effektive Erneuerung der Kirche immer aus der Bewegung erwächst, die ich die absichtslose Liebe genannt habe. Wenn Menschen sich haben ganz hinein nehmen lassen in die Liebe des Gekreuzigten, wenn sie sich haben verwandeln lassen und daraus gelebt haben, das hat Kirche erneuert – und dann durch deren Wirken wie von selbst immer auch Strukturen. Denken Sie an große Bewegungen: Im 13 Jahrhundert durch Franziskus und Dominikus und ihre Ordensgemeinschaften, im 16. Jahrhundert durch Ignatius und die Jesuiten, im selben Jahrhundert durch die geistliche Kraft der Karmeliten, Theresia von Avila und Johannes vom Kreuz, im 19. Jahrhundert durch viele Antworten der Kirche auf soziale Not, mein Ordensvater Don Bosco war einer von ihnen, der auf Not der jungen Menschen reagiert hat. Im 20 Jahrhundert war das II. Vatikan. Konzil ein großer Erneuerungsschub für die Kirche, angestoßen durch den Heiligen Papst Johannes XXIII und vollendet durch den Heiligen Papst Paul VI. Heilige Frauen und Männer haben das Volk Gottes immer wieder in die Tiefe geführt, hin zum glühenden Kern, aus dem allein Kirche sich wirklich erneuert. Aus dem Leben der absichtslosen Liebe. Leben wir Menschen schon immer darin – obwohl uns diese Liebe ins Herz gegossen ist, wie Paulus sagt?

Leben wir immer aus der absichtslosen Liebe? Nein, keiner von uns. Wir alle sind auch bedürftig, wir alle haben bleibende Not, Bedürfnisse, Begierden, wir alle sind und bleiben zudem auch Sünder, schauen oft zuerst auf uns selbst. Alle. Aber wenn unser innerster Antrieb, der unser Leben ordnet, wenn unsere Weise Menschen zu begegnen, nicht auch durchstimmt ist, von der absichtslosen Liebe Jesu, dann bleiben wir eigentlich dem Reich der Welt unterworfen, dem die Gottesliebe abhanden gekommen ist. Bekehrung heißt deshalb immer: neue Hinwendung zu Ihm, sich berühren lassen von seiner Liebe – und so aufbrechen in ein Handeln, das die Welt und die Kirche verändern kann.

Von hier werde ich in den nächsten Tagen oder Wochen in weiteren Videos auch die vier Themen-Felder des Synodalen Weges durchsprechen. Weil ich überzeugt bin, dass äußere strukturelle Veränderungen nur Kosmetik bleiben, wenn sie sich nicht aus dieser Quelle speisen.

 


Zum Synodalen Weg

Bischof Stefan hat sich bereits in der Vergangenheit mehrmals zum Synodalen Weg geäußert. Eine Stellungnahme zu den einzelnen Bereichen finden Sie hier.