Der Tanz des erfüllten Lebens. Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Hochfest Allerheiligen am 1. November 2016.
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
haben Sie sich das nicht schon oft gewünscht? Einfach nur sein können und sein dürfen, wer Sie im tiefsten Inneren sind?! Aber nicht isoliert, nicht nur mein bloßes Ich, sondern eingelassen in die Welt, die Sie gern haben. Und dazu würde gehören: Mit Menschen sein, bei denen einfach gut sein ist. Und Dinge tun, die zutiefst sinnvoll sind und schön und wesentlich. Ganz lebendig sein, frei sein. Und zugleich hingegeben sein, Hingabe leben.
Der Tanz des erfüllten Lebens
Mir kommt im Nachdenken über solche Dinge immer neu das Bild vom Tanz, vom anmutigen Tanz zweier Menschen: Hingabe an die Musik, die Bewegung, vereint mit dem Tanzpartner, ganz aktiv und zugleich ganz eingelassen in den Rhythmus, mitgenommen in der Bewegung. Zwischen Tanzen und Getanzt-Werden ist kein Unterschied mehr. Aber mitten darin bin ich tief ich selbst.
Das wäre doch etwas: So da sein können, ganz lebendig, ganz eingetaucht, ganz bei der Sache, beim Anderen, gelassen, anmutig, frei. Und doch in einem tiefen Sinn gehorsam, weil Sie hörend sind, spürend, die Musik, den eigenen Leib, den Partner. Und wenn Sie das nachvollziehen können, wovon ich spreche, dann kennen Sie vermutlich auch aus Ihrem eigenen Leben immer wieder Momente, in denen Sie manchmal hinspüren dürfen in die eigene Tiefe. Wo Sie so etwas erleben dürfen wie erfüllte Gegenwart. Ganz im Hier und Jetzt-sein, der Wirklichkeit des Lebens gehörend.
Wir haben eine Ahnung vom Heil-sein
Warum, liebe Schwestern und Brüder, so eine Einleitung am Hochfest Allerheiligen? Weil ich glaube, dass wir alle eine Ahnung in uns haben, die uns an unser Ganz-sein-können, unser Heil-sein-können und damit auch an uns unser Heilig-sein-können erinnert. Wir denken dann zum Beispiel an das unschuldige Spiel der Kinder, ganz im Hier und Jetzt.
Oder wir denken an das, was unsere religiöse Tradition Paradies nennt. Und das meint nicht so sehr bloße Wunscherfüllung für alle meine Begierden. Es meint vielmehr Fülle des Lebens, Fülle meines Menschseins, meiner Daseinsmöglichkeiten, volle Verwirklichung von dem, was tief in mir steckt, eben Ganz-sein-können.
Großes Vertrauen oder nur das kleine Glück dieser Welt?
Was wäre dazu nötig, liebe Schwestern und Brüder? Nun, jeder der auch nur ein wenig von Psychologie versteht, weiß, dass es hier um ein Vertrauen geht, um so etwas wie Ur-Vertrauen. Wenn alles gut wäre, wenn ich mich um nichts mehr kümmern müsste, wenn ich weder an gestern noch an morgen denken und mich darum sorgen müsste, dann könnte ich endlich mal einfach nur da sein und mich ganz auf die Gegenwart einlassen. Und was hindert mich eigentlich daran?
Na, im Grunde, dass ich doch nicht vertraue, und eben, dass ich mich doch sorge. Dass ich besorgt bin um meine Sicherheit, um mein Renommee, um möglichst viel Anerkennung, um Lustgewinn und Machtgewinn, um Geld und darum, dass ich die anderen an mich binden kann, damit sie mich nicht mehr alleine lassen. Nein, ich kann mich nicht überlassen, die Welt ist zu bedrohlich. Es gibt in ihr die Lüge und den Neid, den Hass und die Missgunst, die Dummheit und die Gewalt, den Betrug und die Gier. Da muss ich doch zuerst schauen, wo ich bleibe? Sonst wird mir das bisschen Glück, das ich habe, auch noch genommen. Vertrauensvolle Hingabe? Das wäre mir zu viel, zu riskant. Lieber nur ein bisschen Ablenkung mit Fernsehen und Computer, mit Handy und Kartoffelchips.
Leben wie der Sohn des Vaters
Liebe Schwestern und Brüder, die heiligen Männer und Frauen, die wir heute feiern, sind voller Vertrauen innerlich durchgedrungen. Sie haben mit ihrem Herzen erspürt, dass es eine Wirklichkeit gibt, die Leben ist und Liebe und die zutiefst verlässlich ist. Sie haben der Gegenwart einer Wirklichkeit vertraut, die unser Herr Jesus Christus uns neu gezeigt und eröffnet hat: das Reich des Vaters, die Heimkehr zum Vater. Jesus hat mit seiner ganzen Existenz radikal gelebt wie das Kind, wie der Sohn des Vaters, der er ist.
Wir haben vorhin im Evangelium den Anfang seiner wichtigsten Rede gehört, die Bergpredigt mit ihren Seligpreisungen. In dieser Bergpredigt sagt er uns: „Was sorgt ihr euch um morgen, was sorgt ihr euch um Kleidung und Nahrung. Wenn es euch zuerst um das Reich des Vaters geht, dann wird euch alles geschenkt, was ihr zum Leben braucht. Der Vater wird es geben!“ So, liebe Schwestern und Brüder, hat Jesus tatsächlich gelebt.
Und weil er mit einem solchen offenen, heilen, heiligen Herzen gelebt hat, konnte er auch diejenigen selig preisen, tief glücklich preisen, die leben wie er: „Selig, die arm sind vor Gott, ihnen gehört – jetzt schon – das Himmelreich.“ Die Armen vor Gott sind Menschen, die das Wichtigste in ihrem Leben vom Vater erwarten. Liebe, Vertrauen, Gelassenheit, Freude, die Fähigkeit zum Mitleiden und anderes mehr. Sie haben es nicht aus sich selbst. Es wird ihnen geschenkt und alles andere mit dazu – vom Vater.
Die Welt ohne Gott fühlt sich bedroht
In der zweiten Lesung haben wir gehört, dass der Schreiber des Johannes-Briefes zu uns sagt, dass wir die Kinder Gottes sind – und dass uns die Welt nicht erkennt, weil sie ihn nicht erkannt hat. Die Kinder Gottes sind aber eben genau die, die mit ihrer Herzenserkenntnis durchgebrochen sind zu dieser Wirklichkeit, einer Welt, die Tiefe hat und Sinn. Eine Welt dagegen, die Gott nicht erkennen will, die versteht auch die Kinder Gottes nicht. Mehr noch, eine Welt, die Gott nicht erkennen will, fühlt sich durch die Kinder Gottes bedrängt und bedroht.
Die Kinder Gottes machen nämlich nicht mit bei der Jagd nach mehr, nach mehr Genuss, mehr Geld, mehr Ansehen, mehr Macht. Die Kinder Gottes sind schon selig, schon im Herzen daheim. Sie brauchen das andere nicht. Liebe Schwestern und Brüder, Jesus selbst, der Sohn Gottes, ist nicht deshalb zum Tod verurteilt worden, weil er so nett war, sondern weil er für die Leistungsreligiösen der damaligen Zeit eine Bedrohung war, weil auch sie den Vater nicht kannten und nicht kennen wollten. Sie wollten Jesus deshalb loswerden, mit allen Mitteln. Sie wollten ihr eigenes System der religiösen Leistungsgerechtigkeit weiter aufrecht erhalten. Sie wollten selbst die religiösen Eliten bleiben.
Auf dem Weg zum Tanz des Lebens
Und wenn Sie vorhin bei der ersten Lesung aufgemerkt haben, da hat uns der Seher Johannes in seiner Offenbarung einen Blick in den Himmel werfen lassen. Dorthin, wo die Vielen bei Gott daheim sind, die auch treu geblieben sind, trotz allem. Menschen, die sich nicht damit abfinden wollten, dass die Welt von Egoismus dominiert werden soll und Gier.
Es sind die, heißt es im Text, die aus der großen Bedrängnis kommen. Es sind die, die ihre Gewänder gewaschen haben, im Blut des Lammes. Jesus hat sein Blut vergossen für die Wahrheit des Reiches Gottes, aus der er gelebt hat. Nicht einmal die Bedrohung mit dem brutalst möglichen Tod am Kreuz konnte ihn vom Vertrauen auf den Vater abbringen.
Das Tor zum Himmel ist offen – und die Heiligen bitten zum Tanz des Lebens
Und seine Auferstehung hat uns gezeigt: Es ist wirklich wahr, das Tor zum Himmel ist offen. Und alle Heiligen bezeugen dies. Alle Männer und Frauen, oft solche, die niemand erkannt hat, die aus dem tiefen Vertrauen gelebt haben, dass allein diese sichtbare Welt und vor allem die Bedrohung mit Leid und Tod nicht das letzte Wort haben. Sie haben vielmehr bezeugt, dass diese Welt getragen ist von einem barmherzigen Vater, der uns heimholen will in seine Nähe. Dort endlich, dort bei Ihm können wir heil sein und ganz, ganz da.
Bei ihm, im Vertrauen auf Ihn, dort hat der große Tanz des Lebens, der Liebe, der Freude schon begonnen. Und wir alle sind eingeladen, mitzutanzen, uns von Jesus die Tür öffnen zu lassen, in die Fähigkeit, vertrauensvoll da zu sein – und zu lieben und zu hoffen. Und zwar selbst dann noch, wenn die ganze Welt gegen uns wäre. Die Heiligen, alle Heiligen, Schwestern und Brüder, beten für uns und wollen als unser Fürsprecher mithelfen, dass wir immer mehr hineinfinden, in diesen großen Tanz des Lebens. Sagen wir Ja zum Herrn, lassen auch wir unsere Gewänder weiß waschen in seinem Blut – dann werden wir ganz, heil, dann werden wir heilig. Und dann verweisen mit unserer ganzen Existenz auf Ihn, den Heiligen, unseren Bruder und unseren Herrn. Amen.
Kommentare
Sehr geehrter Herr Bischof Oster,
Mit Freude habe ich Ihre äußerst erstrebenswerte Predigt verinnerlicht!
Beseelt von diesem Vertrauen von „Heil-sein“ können, „ganz-sein“ können, „heilig-sein“ können, ist es zugleich mein innigst gehegter Wunsch, dass das Vertrauen in der immerwährenden Gegenwart dieser gnadenvollen Wirklichkeit bei allen getauften Christen und Christinnen ebenfalls Anklang findet.
Ja, Welch ein großes Freudenfest erwartet uns, wenn wir das Tor zum Himmel offen sehen-, und die ganze heilige Himmelschar uns zum prachtvollen Reigentanz des ewigen Lebens, der Liebe und der Freude einladen wird.
Ja, stehend in weißen Gewänder vor unserem göttlichen König und befreit aus der Macht der Sünde und vom Gesetz, aufgrund unserer Neugeburt im heiligen Geist, dürfen wir uns dann auch als neue Menschen verstehen, die sich erfreuen am Erfülltsein von „Gnade und Heiligkeit“, von „Liebe und Gemeinschaft“, von „Barmherzigkeit und Reinheit“, von „Demut und Liebe“, von „Fügsamkeit und Gehorsam“, von „Licht und Heiligkeit“.
Müsste solche Begebenheit nicht auch in uns ein Verlangen nach Heiligkeit hervorrufen, wozu wir alle berufen sind?
Oder wenn beispielsweise ein junger Erwachsener, aufgrund eines tief greifenden Schicksalsschlag, freimütig bezeugen kann, dass er sein Platz nun in der Kirche, im Tempel Gottes, im allerheiligsten Herzen Jesu gefunden hat?
Ja, welch eine große Gnade ist ihm hiermit zuteil geworden!
Jesus darf nun auf seinen inneren Thron sitzen, wei er sein alleiniger Heiland und Erlöser sein Herz geschenkt hat.
In Anknüpfung an dieser Begebenheit, hege ich schon länger den Wunsch, mal ein Gemeinschaftstreffen mit allen Schwestern und Brüder zu vereinbaren, die ebenfalls eine intensive Erfahrung gemacht-, beziehungsweise eine radikale Bekehrung erlebt haben und die nun selbst bereits in der göttlichen Heimat angekommen sind!
Welche schöne Voraussicht wäre es meiner Meinung nach, im Kreis unserer göttlichen Familie und der ganzen heiligen Himmelschar gemeinsam ein Lobpreistag des Dankes mit der Feier der heiligen Eucharistie auszurufen, die für uns die Lebensquelle und der Lebensatem bedeutet!
Ja, wo wir uns mal so richtig Austauschen können und wo wir in gegenseitiger Verbundenheit die Hände reichen werden um so in den freudigen Tanz des erfüllten ewigen Lebens zu tanzen, wobei wir dann feierlich die folgenden Strophen aus dem „Hohelied der Liebe“ (2,4) besingen werden:
„In das Weinhaus hat er mich geführt,
sein Zeichen über mir heißt Liebe“
Amen!