Der Weg in die Fremde verändert mein Leben. Die Predigt von Bischof Stefan Oster am Hochfest Erscheinung des Herrn am 6. Januar 2017 im Dom zu Passau.
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
in den letzten Jahren gibt es immer mehr junge Menschen, die meist nach dem Schulabschluss ein soziales Jahr oder ein so genanntes Volontariat im Ausland machen. Auch meine Ordensgemeinschaft, die Salesianer Don Boscos, bieten solche Möglichkeiten in den vielen Projekten, die der Orden weltweit unterhält.
Der Weg in die Fremde verändert mein Leben
Und die erstaunliche Erfahrung ist oftmals diese: Wenn es den jungen Leuten gelingt, sich wirklich auf Land und Leute und auf die jeweilige Arbeit offen einzulassen, dann kommen sie meistens erstaunlich verändert zurück, reifer, erfahrener, mit einem klareren Blick auf die Welt und auf sich selbst. Häufig durfte ich erleben, dass so ein Jahr mehr an innerer Veränderung bewirkt als viele Jahre davor und danach. Warum ist das so?
In der vertrauten Welt: Weniger mit mir selbst konfrontiert
Nun, jeder von uns ist einigermaßen vertraut mit der Welt in der er hier lebt. Er gibt sich sprechend und handelnd in diese Welt hinein. Und die vertraute Welt und die anderen Menschen antworten. Man bekommt in der Regel Reaktionen zurück, die man erwartet, die man kennt und erlernt hat.
In der vertrauten Umgebung sind Sie deshalb auch mit sich selbst vertraut. Die anderen Menschen, die Umwelt reagiert auf Ihr Handeln in einer erwartbaren Weise, die Sie oft schon kennen oder vorausahnen. Das heißt, Sie werden in einer vertrauten Welt meist sehr viel weniger mit sich selbst konfrontiert. Sie lernen dann oft auch weniger über sich selbst.
Der Weg in die Fremde bringt auch in mir Neues, manchmal Fremdes hervor
Aber in einer fremden Welt, mit fremden Menschen, fremden Sitten und Gebräuchen, fremder Sprache, da kommen auf Ihr Dasein und Sprechen und Handeln andere Reaktionen zurück, solche, die Sie nicht erwarten. Solche, die Sie nicht antizipieren können. Das bedeutet, Sie lernen in einer fremden Welt auch sich selbst und Ihre Reaktionen und Ihr Vermögen, damit umzugehen, noch einmal ganz neu kennen.
Und damit lernen Sie oft neu und tiefer etwas über sich selbst. Sie sind freilich auch verletzbarer, schutzloser, weniger kontrolliert. Das heißt, das Hinausgehen in die Fremde ist auch ein Risiko: Wer weiß, was Ihnen da alles widerfährt, was Sie nicht absehen können? Aber wenn Sie trotzdem einigermaßen offen bleiben, werden Sie sich selbst ganz neu entdecken, neue Seiten an sich, neue Eigenschaften, auch neue Verletzbarkeiten, neue Höhen und Tiefen.
Reifen auf dem Weg in die Fremde
Freilich, es gibt auch die Risikominimierer. Menschen, die zum Beispiel auf Reisen gehen, und trotzdem nur dorthin gehen, wo sie das Vertraute treffen können, also in gewisser Weise verlässlich auch nur sich selbst. Sie gehen dann auch im Ausland zum Beispiel nur dorthin, wo sie ein Wiener Schnitzel und ein Bayerisches Weißbier bekommen, oder wo es auch ein McDonalds gibt, oder sie umgeben sich wieder nur mit Landsleuten und ähnliches. Solche Menschen werden dann auch beim Wg in die Fremde kaum wachsen und reifen. Sie bleiben innerlich irgendwie stehen.
Es gibt ein Wort des berühmten Philosophen Hegel, das das Phänomen erklären kann. Hegel sagt: Fortgang ist Rückgang in den eigenen Grund. Was bedeutet das? Es bedeutet: Die Begegnung mit der Fremde oder dem Fremden zeigt auch, dass es tiefer in mir Seiten gibt, Potentiale, die mir auch noch fremd sind, die ich aber entdecken kann, weil sie zu mir gehören, an denen ich wachsen kann.
Kann ich durch die Begegnung mit dem Anderen ganz neu werden?
Und wenn das richtig ist, ist die Frage, die sich mir stellt: Kann es eine Begegnung mit dem Fremden geben, ein Hinausgehen, das mir so tief geht, so nahe geht, dass ich wirklich neu werde? So, dass Reifung und Veränderung nicht nur die eine oder andere neue Eigenschaft hervorbringt, sondern so, dass ich spüre, der Grund meines Seins hat sich verändert, der Sinn meines Daseins ist neu geworden. Ich bin vielleicht äußerlich derselbe, aber nun gehe ich innerlich einen anderen Weg, mein Leben hat einen anderen, tieferen Sinn bekommen. Ich bin wie neu geboren?
Weg in die Fremde: Die Erfahrung der Sterndeuter
Liebe Schwestern, liebe Brüder, als Antwort auf diese Frage kann man nun die Geschichte der drei Sterndeuter lesen, die uns heute die Liturgie schenkt. Da sind gelehrte, weise Männer, die offensichtlich in der Lage sind, die Zeichen der Natur zu lesen, die Sterne zu lesen. Und sie sind auf der Suche nach dem Sinn, dem Sinn des Ganzen. Sie sehen ein neues, gewaltiges Naturphänomen am Himmel und sie kennen womöglich die heiligen Bücher des jüdischen Volkes, in denen ein neuer König verheißen wird, auf dem Thron Davids.
Und sie halten es für möglich, dass sie in ihm einen finden, der der Welt Frieden schenkt und Heil und sie bringen den Stern mit dieser Verheißung in Verbindung. Sie ziehen los, gehen nach Jerusalem und gehen zunächst dort in eine immer noch vertraute Vorstellung hinein. Wenn ein König geboren wird, dann geht man zuerst in den Königspalast, dort wo es Macht gibt und Pracht. Sie gehen also zu Herodes, aber sie spüren mit ihrem offenen Herzen: Das kann es wohl nicht sein. Sie erfahren freilich von den Schriftgelehrten des Herodes den Namen Betlehem und sehen plötzlich den Stern wieder.
Auf der Suche nach dem Stern
Sie folgen dem äußeren Stern, der aber tief mit dem Leuchten und Brennen ihrer inneren Sehnsucht korrespondiert. Und tatsächlich: der Stern führt sie nach Betlehem zu Maria, zu Josef und ihrem Kind. Und wenn sie vorher im Königspalast einen korrupten, machtgierigen und mörderischen König getroffen haben, so entdecken sie jetzt in diesem armen Stall, in dieser erbärmlichen Umgebung ein Königtum, das sie nie erwartet hatten. Mitten in der Armut dieser Menschen leuchtet ihnen ein ungeahnter, unfasslicher Reichtum auf: Sie spüren königliche Seelen, menschliche Klarheit und Schönheit, Demut und Liebe, wie sie es nie zuvor gekannt haben.
Und sie spüren, dass das Kind der Stern ist, den sie gesucht haben. Der Sinn für ihr Leben, die Richtung für ihr Leben, die Tiefe geht ihnen auf in einem Baby, vor dem sie anbetend niederfallen. In diesem königlichen Kind erfüllt sich jetzt schon die uralte Verheißung der Schriften, dass alle Völker in Israel werden einen König finden können. Einen, der für die ganze Menschheitsfamilie Sinn bringt, einen Stern, der die Richtung nach Hause weist, einen Frieden, der nicht von Menschen gemacht ist.
Sie zogen auf einem anderen Weg zurück
Und am Ende der heutigen Erzählung heißt es schließlich: Sie zogen auf einem anderen Weg heim in ihr Land. Sie gehen nicht zurück zu Herodes, sie suchen nicht mehr Macht und Reichtum. Sie gehen einen anderen Weg und sie sind auch anders geworden.
Liebe Schwestern, liebe Brüder, hier in dieser Erzählung kommen wir alle vor. Die allermeisten von uns entstammen nicht dem jüdischen Volk, wie die Sterndeuter auch nicht. Auch wir kommen von überall her, wir sind ursprünglich Heiden. Wir sind bildlich gesprochen alle zur Krippe hingezogen. Und wir sind von dort als Getaufte wieder weg gezogen.
Es ist die Geschichte von uns allen
Jetzt geht es um die Frage: Wenn wir jedes Jahr Weihnachten feiern, geht uns dann noch etwas auf von dem Geheimnis unserer Taufe auf den Namen des Kindes? Gehen wir von der Krippe als neue, als weihnachtliche Menschen wieder weg, einen anderen Weg als wir gekommen sind? Geht uns noch manchmal auf, dass das Kind in der Krippe eigentlich ein Kind ist, das uns aus dem Vertrauten ziemlich radikal weg führt? Ahnen wir, dass das Kind uns aus der Behaglichkeit dieses Festes in eine Fremde führt, die auch ganz anders ist als das, was wir durchschnittlich vom Leben erwarten?
Denn das Kind steht nicht für die beständige Suche nach Anerkennung, nach Lusterfüllung, nach Sicherheit, nach Macht und materiellem Wohlstand. Das Kind sagt uns vielmehr: In alledem, was Dir hier in Deinem Wohlstandsland so vertraut ist, was Du so selbstverständlich genießt, in alledem liegt nicht Dein Heil. Das Kind wird uns später in seinem Leben eine Bergpredigt halten, in der zuallererst die glücklich gepriesen werden, die arm sind vor Gott, die die lieben und Mitleid haben, die friedfertig und reinen Herzens sind, sogar die, die um des Kindes willen verfolgt werden.
Jesus ist der ganz Nahe – und doch auch der ganz Andere
Erkennen wir also noch, Schwestern und Brüder, dass der Weg zu Jesus auch ein Weg in die Fremde ist? So sehr, dass dieser Weg, diese Begegnung uns dann auch tatsächlich tiefer in den eigenen Grund zurück führen kann, so sehr, dass wir spüren können: Wenn wir bei Ihm wirklich ankommen, wenn wir uns vom Geheimnis von Weihnachten wirklich berühren lassen, wenn wir das Geheimnis unserer Taufe auf den Namen Jesu wirklich anfangen zu leben, dann kehren wir auf einem anderen Weg nach Hause zurück. Denn dann wird er selbst für uns der Weg, der Weg, die Wahrheit und das Leben – und er wird selbst der, der uns heimführt zum Vater.
Liebe Schwestern und Brüder, Jesus ist der Stern – und je weiter wir zu Ihm in den Stall hinausgehen, in diese fremde, armselige und doch so reiche Gegenwart, desto tiefer finden wir in den eigenen Grund zurück. Dorthin, wo der tiefste Sinn unseres Lebens aufleuchtet. Und so bitten wir den Herrn: Möge die Gnade, die von diesem weihnachtlichen Geheimnis ausgeht, immer wieder unser Herz öffnen und uns über das bloß Vertraute hinausführen. Mögen wir berührt werden davon, dass hier ein verborgener Stern am Grund unserer Seele aufleuchtet, in dem nichts weniger enthalten ist als der Sinn der Welt und der Sinn meines und Deines Lebens. Amen.