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Die neue Wirklichkeit ist mehr als nur Botschaft

Die neue Wirklichkeit ist mehr als nur eine Botschaft. Wie kann eine neue Wirklichkeit im Glaubensleben für eine Pfarrei aussehen? Die Predigt von Bischof Stefan Oster anlässlich der Feier 300 Jahre Pfarrei St. Severin in Passau-Heining 2016.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
wie schön ist es, heute hier mit Ihnen zu feiern und zu erleben, welchen Reichtum es in dieser Pfarrei St. Severin in Heining gibt. Haupt- und Ehrenamtliche, Gruppen, Vereine, Verbände, Junge und Alte und so viele Kinder, die heute auch hier sind. Ich freue mich sehr. Und danke allen, die viel Mühe in die Vorbereitung gesteckt haben.

72 Jünger hat der Herr ausgesandt, wie wir im heutigen Evangelium gehört haben – und ich möchte mit Ihnen ein paar Aspekte dieses Sendungsauftrages einmal durchgehen, um zu sehen, was daraus zu verstehen wäre für unsere Kirche von heute. Auch hier in Passau-Heining. Zunächst vor der Aussendung dieser 72 sieht Jesus ganz offenbar, dass er eigentlich zu wenige hat, die er senden kann und will. Er fordert auf zu beten und zu bitten, den Herrn der Ernte mögen wir bitten, auf dass er Arbeiter sende in seine Ernte. Denn die Ernte ist groß.

Neue Wirklichkeit: Gebet um Priesterberufe

Liebe Schwestern, liebe Brüder, das ist das erste Anliegen, um das ich Sie wirklich von Herzen bitten möchte. Gestern hätten wir in unserem schönen Bistum Priesterweihe gehabt – aber wir hatten keine, weil es keinen Weihekandidaten gibt. Keinen einzigen eigenen Neupriester in einem Bistum, in dem nominell noch 80 Prozent der Menschen Katholiken sind.

Die Zeiten für einen jungen Menschen, den Priester- oder auch den Ordensberuf zu ergreifen, wenn der Herr ihn ruft, sind nicht leicht. Wir haben im Grunde kaum noch Biotope, wo so eine Entscheidung wachsen und reifen kann, wo Verständnis und gute Begleitung wären für Menschen, die so eine Frage im Herzen haben. Bittet also den Herrn der Ernte und bitte beten Sie mit, aufrichtig und von Herzen.

Aussendung in Wahrheit und Hingabe

Dann ein zweiter Punkt: Der Herr sendet die Seinen gewaltlos aus, wie Schafe mitten unter die Wölfe, sagt er. Er sendet sie als Menschen, die zuerst die Barmherzigkeit, die Liebe des Herrn bringen, aber auch seine Wahrheit. Und die Hinweise, ohne Geldbeutel zu gehen und ohne Vorrat etc., das bedeutet wohl: Verlasst euch ganz auf den Herrn, auf ihn, auf seine Gegenwart, seiner Wahrheit und seine Liebe.

Und beides geht glaubwürdig nur zusammen, liebe Schwestern und Brüder, Wahrheit im hier gemeinten Sinne ist die Wahrheit einer Person, die sich selbst verschenkt hat, bis zum Füßewaschen, bis zum niedersten Sklavendienst, ja bis zum Tod am Kreuz. Wahrheit ohne Liebe neigt zum bloßen Formalismus oder gar zur Grausamkeit.

Wahrheit, die Liebe ist

Und Barmherzigkeit ohne Wahrheit neigt zur Beliebigkeit. Wir Christen leben aber aus einer Wahrheit, die selbst Liebe ist. Ist es nicht erhellend, dass große Gestalten unseres Glaubens wie Mutter Teresa oder Maximilian Kolbe oder Johannes Paul II. wirklich große Liebende waren und zugleich Menschen, die wirklich ganz unverkürzt auch die Wahrheit unseres katholischen Glaubensbekenntnisses ohne jede Verwässerung vertreten konnten?

Weil sie aus eigener Erfahrung wussten: Wenn ich tief verwurzelt bin in Christus und seiner Wahrheit, dann habe ich so festen Stand, dass ich ganz weit hinaus gehen kann, in wirklicher Hingabe bis zum Äußersten.

Eine neue Wirklichkeit und nicht nur Botschaft

Und das ist der dritte Punkt, liebe Schwestern, liebe Brüder: Jesus sendet die Jünger, um den Menschen Frieden zu bringen und um sie zu heilen, um die Dämonen auszutreiben, wie es heißt. Hinter alledem steckt so etwas wie lebendige Erfahrung, Erfahrung des Vertrauens, des Glaubens, des existenziellen Berührtseins. Das heißt: Die Jünger Jesu waren und sind in ihrem Herzen, in dem, was sie trägt, anders als die anderen Menschen. Die Jünger wussten und wissen in der Tiefe wirklich zu wem sie gehören.

Sie leben aus dem Frieden, den die innere Verbindung mit ihm schenkt. Und sie sind vom Herrn beauftragt, ja sogar bevollmächtigt, heilsam und heilend zu wirken. Das heißt: Das, was sie bringen und sagen: Das Reich Gottes ist nahe; der wirkliche Friede, die Heilung an der Seele und nicht selten auch am Leib, das alles ist ja nicht nur eine Botschaft, die man sagt und gut findet. Es ist viel mehr als nur eine Botschaft, es ist die Eröffnung einer neuen Wirklichkeit, es ist die Einladung, eine Wirklichkeit zu berühren und in sie hinein zu treten, die tiefer und größer ist; die anders ist als das, was die Menschen bisher kannten oder wollten oder hatten.

Neue Wirklichkeit: Unsere Verkündigung

Und ich sag das bewusst ein wenig provokativ, weil wir in unserer Verkündigung dazu neigen, das Evangelium zu einer Botschaft in Sätzen zu machen, die am Ende bloße Verhaltensmaßregeln sind, bloße Ethik. Aber liebe Schwestern und Brüder, um zu wissen, wie ich einigermaßen ethisch anständig leben soll, dazu brauche ich die Kirche nicht, dazu brauche ich Jesus nicht. Das kann ich in jedem Lebensratgeber oder in jedem Philosophie-Buch nachlesen. Nein, die Frohe Botschaft ist unendlich viel mehr als nur eine Botschaft.

Wirklicher Glaube, wirkliches Christsein, führt in den Frieden und in die Heilung unserer Seele, in das Austreiben der Dämonen, die uns fesseln und versklaven. Es führt in die Überwindung von schlechten Angewohnheiten, es führt in die Befreiung von Ängsten und Süchten. Das Vertrauen, dass Jesus mit uns geht, führt buchstäblich in ein neues Leben, liebe Schwestern und Brüder. Es führt in die Tiefenerfahrung: Ich bin daheim. Ich bin mitten in dieser Welt schon daheim, bei ihm. Egal, was passieren wird, an Gutem und Schlechtem. Und genau da liegt der Friede, genau das ist heilend und heilsam.

Neue Herausforderungen für den Glauben

Aber, liebe Schwestern und Brüder, vierter Punkt: In einer Welt von heute, in einer Kirchengestalt von heute und vor allem von morgen, da genügt es nicht mehr, dass der Pfarrer seine Schäfchen zusammen hält und ihnen sagt, was sie glauben sollen. Ich weiß nicht, ob es schon jemals so war oder jemals genügt hat. Aber deutlich war, dass früher ein gewisser Milieu-Katholizismus dazu geführt hat, dass die allermeisten irgendwie dabei waren, ob sie jetzt tief oder weniger tief gläubig waren, ob sie nun erklären konnten, was sie glauben oder nicht. Hauptsache der Pfarrer hat gewusst, wo es lang geht.

Und die Gläubigen haben sich engagiert, haben das Pfarrfest organisiert und manchmal auch den Krankenbesuchsdienst. Und ich will das keinesfalls schlecht reden, Schwestern und Brüder, weil diese Art von Kirchesein ja auch mit einer Erfahrung von Gemeinschaft verbunden war und oft noch ist.

Es bröckelt überall…

Man hält zusammen, wenn es um die eigene Kirche und Pfarrei geht, wie auch Ihr hier in St. Severin. Der Glaube ist mit Erfahrung von Zugehörigkeit verbunden und damit, dass man auch bei den religiösen Dingen dabei war und ist. Aber Sie wissen alle, Schwestern und Brüder, dass das bröckelt, und dass es an vielen Orten noch weit deutlicher bröckelt, als hier bei Ihnen.

Und es ist deshalb Zeit, sich neu zu vergewissern, dass unsere Kirche vor großen Herausforderungen und Veränderungen steht, vermutlich größer als irgendwas in den letzten 300 Jahren Ihres Bestehens dieser Pfarrei. Um was geht es morgen? Meine Erfahrung: Es wird nicht mehr genügen, dass diejenigen, die noch da sind, sich nicht um Inhalte kümmern und auch nicht um eigene Glaubensvertiefung. Die übliche Aufteilung vielerorts: Der Pfarrer kümmert sich um Inhalte und das Gebet und den Gottesdienst und wir kümmern uns ums Pfarrfest, das wird nicht mehr so gehen.

Er ist der Friede für die neue Wirklichkeit

Liebe Schwestern und Brüder, wenn Sie an die ersten Jünger denken, diese 72, die ganz am Anfang hinaus gegangen sind, was hatten die den Leuten anzubieten – wenn es noch nicht die geformte Kirchengemeinde war, in der man sich halt erst im Gottesdienst und dann im Wirtshaus getroffen hat. Was war der innerste Antrieb ihrer Sendung? Der glühende Kern ihrer Verkündigung? Eine bloße Botschaft in Worten, eine bloße Ethik in Verhaltensmaßregeln?

Nein, liebe Schwestern und Brüder: die Botschaft hat in die Erfahrung geführt: Ich helfe Dir in eine Beziehung zu finden mit Christus, die dich mit Gott versöhnt. Aber warum brauche ich das? Weil der normale Mensch nicht mit Gott versöhnt ist, jedenfalls nicht mit dem Gott, der von Jesus der Vater genannt wird! Die Jünger waren noch überzeugt davon, dass jeder, der in diese Versöhnung nicht hinein findet, verloren geht?

In die Beziehung mit Jesus helfen

Und sie sind hinaus gegangen und konnten sagen: Ich helfe Dir in eine Beziehung zu finden, die dir in deinem Herzen eine neue Tiefe schenkt und Schönheit und Sinn und wirkliches Leben, ewiges Leben. Sie konnten sagen: Ich helfe dir, dem Auferstandenen zu begegnen, der uns als seine Kirche formt und eint – und der uns mehr gibt als die Welt je zu geben vermag. Wenn Du davon berührt bist, und dieser Spur vertraust, dann bist Du im Leben. Dann geht das neue Leben, das Reich Gottes jetzt schon an.

Und dann kannst Du anders leben, anders mit den Menschen umgehen als Du es vorher konntest. Das ist die Erfahrung der ersten Jünger. Und liebe Schwestern und Brüder, ich bin sicher, wir werden als Kirche nach und nach nicht mehr sein, wenn in uns nicht neu die Sehnsucht erwacht, die wirklich den Glauben sucht, die wirklich in der Beziehung zu Christus wachsen will. Die wirklich die Erfahrungen machen will: Er ist der Friede, er ist das Leben, das wir weiter tragen sollen. Und vielleicht verstehen Sie nun, wenn ich sage: Das ist unendlich viel mehr als nur eine Botschaft in Wörtern.

Neue Wirklichkeit, neues Leben: Missionarisch Kirche sein

Liebe Schwestern, liebe Brüder, Sie haben das große Privileg hier bei uns in Niederbayern in einer funktionierenden Pfarrei zu leben, mit einem Priester, mit hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit vielen, vielen Ehrenamtlichen, die mithelfen. Und ich danke von ganzem Herzen allen, die mitwirken, die auch heute zum Gelingen dieses schönen Festtages ihren Beitrag leisten. Wie schön ist doch die Kirche von Passau, wie lebendig.

Und zugleich möchte ich Sie einladen: Lassen Sie sich berühren, suchen Sie neu, wirklich Jesus zu begegnen: In seinem Wort, in der Heiligen Schrift. Geben Sie ihm Gelegenheit, Sie im aufrichtigen und ernsthaften Gebet zu berühren. Vielleicht braucht es dazu auch neue Formen von Gebet, von Schönheit, von Zugängen, die Ihnen auch entgegen kommen.

Aber es ist wichtig. Formen Sie Gruppen, Gemeinschaften, bilden Sie Räume, in denen Glauben gelebt, erfahren, mitgeteilt werden kann. Helfen wir einander, sprachfähig zu werden im Glauben. Lassen wir es wachsen – und wenn es gewachsen ist, dann nehmen wir auch unseren Auftrag wahr, wie Ihr Kirchenpatron der Hl. Severin, missionarisch Kirche zu sein.

Alle haben Anteil am priesterlichen, königlichen, prophetischen Amt Christi

Missionarisch im guten Sinn: So, dass wir auch anderen Menschen helfen, in die Beziehung zu Christus zu finden, in die Begegnung, die wirklich Frieden bringt und heilend und heilsam ist. Liebe Schwestern und Brüder, als Getaufte haben Sie alle Anteil am prophetischen, am priesterlichen und königlichen Dienst unseres Herrn Jesus Christus.

Sie alle sind berufen dazu, priesterlich, königlich und prophetisch zu sein und wie die 72 hinaus zu gehen und den Menschen in Ihrer Umgebung, besonders auch zu denen am Rand, zu sagen: Das Reich Gottes ist nahe, der Herr ist nahe und er bringt wirklich Leben, neues, ewiges Leben. Das, liebe Schwestern und Brüder, wird Kirche von morgen sein. Kirche im Aufbruch, wie Papst Franziskus es immer wieder sagt und Kirche der Barmherzigkeit. Danke an alle noch einmal für Ihren Dienst und Gottes Segen für alles, was kommt. Amen.