Bild: Niederbayern TV

Die Sehnsucht nach dem offenen Himmel

Die Weihnachtspredigt in der Christmette im Passauer Dom – hier zum Nachsehen und -hören, weiter unten zum Nachlesen:

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Liebe Geschwister im Glauben, liebe weihnachtliche Festgemeinde,

sicherlich haben die meisten von Ihnen schon einmal die folgende Erfahrung gemacht: Sie steigen auf einen Berg oder auf einen Aussichtspunkt, kommen oben an und sehen auf einmal eine großartige, sonnige Weite und herrliche Landschaft um sie herum. Und Ihr Inneres geht auf. Sie freuen sich an dieser Schönheit. Und können sich kaum satt sehen daran. Oder Sie gehen in einer sternenklaren Nacht vor die Tür, setzen sich hin, lehnen sich zurück und schauen nur nach oben in die Schönheit des Himmels. Und wieder spüren Sie Ähnliches: innere Berührung von solcher Schönheit. Und ganz häufig machen dann solche Erfahrungen auch noch sehnsüchtig. Und man kann kaum sagen, nach was. Wie könnte das, was wir da grade sehen, noch schöner sein – so vollkommen scheint es uns manchmal. Und was wäre das dann, was da in unseren Herzen sehnsüchtig macht, was uns zieht, was auch eine Art von Schmerz hinterlässt, einen Schmerz, der da ist, weil etwas unerfüllt ist – trotz dem, was da so großartig, beinahe vollkommen erscheint. Ist es das, was Friedrich Nietzsche in der berühmten Zeile gedichtet hat: „Alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!“? Rührt der Schmerz der Sehnsucht daher, dass er um die Vergänglichkeit des Augenblicks der Schönheit weiß? Will also solche Schönheitserfahrung einfach fortdauern – und dann wäre die Sehnsucht vielleicht nicht mehr da? Ich bezweifle das. Und womöglich meint Nietzsche auch nicht den zeitlichen Aspekt von Ewigkeit als Dauer. Sondern ich meine, es ist eher das, dass wir in solchen Momenten der Erfahrung von Schönheit ahnen, dass das, was wir da so wunderbar schauen dürfen, doch noch nicht das Eigentliche ist? Es ist so schön. Es hat auch Beglückendes – und doch sind wir manchmal nicht gestillt davon, sondern oft noch sehnsüchtiger. Die Schönheit des Anblicks zieht uns gewissermaßen über den bloßen Anblick hinaus. Sehnsüchtig – aber nach was, nach wem?

Die mächtige Dunkelheit

Unsere erste Lesung in der heutigen Nacht, liebe Schwester und Brüder, beginnt mit der berühmten Zeile: „Das Volk, das im Dunkeln lebt, sieht ein helles Licht.“ Es ist eine Weihnachtszeile – und diese Zeile gilt im Grunde nicht nur Galiläa oder für die vielen Heiden, die vielen Nichtjuden, die damals in der Gegend um den See Genezareth im Norden Israels lebten. Als Christen glauben wir heute: diese Zeile galt und gilt im Grunde der ganzen Menschheit. Die ganze Menschheit lebte und lebt im Dunkeln. Die ganze Menschheit, jeder einzelne Mensch hat nämlich in seinem Herzen eine ungestillte Sehnsucht, die ihn eigentlich über sich selbst hinaus zieht. Oder um im Bild zu bleiben: Eine Dunkelheit, die von Licht erfüllt werden will. Aber unser grundsätzliches Problem als Menschen ist dies: Wir meinen, dass wir diese Sehnsucht letztlich mit den Dingen dieser Welt stillen können. Denn viele Dinge oder Tätigkeiten oder Beziehungen scheinen hell, gut und schön. Und wir bringen viel Mühe dafür auf, sie an uns heran und in uns hineinzuziehen – damit es in uns heller wird und freudvoller und friedvoller. Und dann haben wir alles mögliche für uns in Besitz genommen oder gewonnen oder erreicht – und unser tiefes Inneres bleibt doch oftmals dunkel. So als wäre unsere Dunkelheit in der Lage, all diese Dinge zu verschlucken.

Liebe oder Tod?

Und dann spüren sehr viele Menschen bei all diesen Versuchen, der Spur unserer Sehnsucht zu folgen, dass es mit diesem Wort Liebe doch so viel mehr auf sich hat, als wir auf den ersten Eindruck hin meinen. Wir meinen nämlich ganz schnell, wir könnten lieben, wir wüssten schon, was das sei, die Liebe. Irgendwas oder Irgendwen liebt ja jeder. Und wir lernen dann vielleicht auch noch, dass  unsere tiefe innere Sehnsucht nicht mal im Ansatz berührt oder gar gestillt wird, wenn nicht Liebe mit im Spiel ist. Und trotz eines solchen Lernens gibt es oft dennoch die andere Erfahrung: Je ernsthafter unser Bemühen wird, zu lieben, desto weniger scheint es manchmal zu gelingen. Wir wollen uns in der Liebe selbst geben – und bleiben trotzdem und oft noch mehr bei uns selbst. Wir sehnen uns danach, das Leuchten des anderen Menschen auch in uns selbst leuchten zu lassen – und oft genug bleibt es dort immer noch dunkel. Kommen wir aus uns selbst über uns hinaus? Können wir die Dunkelheit in uns überwinden, indem wir unsere inneren Lichter alle selbst anzünden? Oder bleibt die Dunkelheit am Ende doch mächtiger und verschlingt alles? Und wird nicht besonders am Ende der Tod in seiner düsteren Schwärze ohnehin alles verschlucken.

Die Finsternis hat das Licht nicht ergriffen

Und dann kommt Weihnachten – und im Evangelium des morgigen Tages werden wir den Satz hören: „Und das Licht leuchtet in der Finsternis – und die Finsternis hat es nicht ergriffen“. Gegen dieses Licht, so lese ich das, kann die Finsternis in uns nicht an. Dieses Licht kann sie nicht verschlucken, dieses Licht kann sie nicht absterben lassen. Gegen dieses Licht hat nicht einmal die letzte Dunkelheit des Todes eine Chance. Dieses Licht ist das neue, das ewige Leben selbst.

Die Hirten und der offene Himmel

Liebe Geschwister im Glauben, von hier möchte ich mit Ihnen das Bild im Evangelium von den Hirten auf dem Feld in Erinnerung rufen. Diese einfachen Menschen, die draußen leben, mit den Tieren, die in dieser Nacht vielleicht auch sehnsüchtig in die Schönheit des Himmels schauen. Für diese Hirten gibt es auf einmal das Geschenk einer Erfahrung, die über diesen sichtbaren Sternenhimmel hinausreicht, die dahinter schauen lässt. Die himmlische Welt öffnet sich und singt das Lob Gottes und den Frieden für alle, die zu ihm gehören. Liebe Schwestern und Brüder, hier gibt der Himmel selbst eine Antwort auf unsere ungestillte Sehnsucht nach diesem „Mehr als nur diese Welt“.  Der Himmel kommt uns entgegen – und lässt uns gläubig verstehen, dass ein „Mehr als diese Welt“ tatsächlich gibt. Und dieses, was die Hirten von oben erleben, findet seine eigentliche Entsprechung nun hier unten. Sie finden das Kind mit Maria und Josef. Es liegt da in ärmlichsten Verhältnissen. Mitten in der Dunkelheit der Welt, liegt in diesem kleinen Wesen der Ursprung aller Welt. Hier liegt dein und mein Anfang, hier liegt die Antwort auf deine Frage: Woher bin ich und wozu bin ich? Hier liegt leibhaftig die Erfahrung verborgen: Ich bin dem begegnet, der meine Sehnsucht stillt. Von hier bekomme ich die Antwort auf die Frage: Wer oder was ist der Grund meiner so oft unerfüllten Sehnsucht?  Er! Er hat Dich gezogen. Und jetzt kannst Du ihn lieben, weil er sich so klein gemacht – und Er lehrt Dich, zu wachsen und wirklich zu lieben.

Jetzt weiß die Sehnsucht ihr Woher und Wohin

Aber, liebe Schwestern und Brüder, vergeht die Sehnsucht eigentlich bei einem Menschen, der so an der Krippe angekommen ist? Nein, sie vergeht nicht, aber sie wird verwandelt. Sie weiß nun, von wem sie kommt, sie weiß, wohin sie zieht und sie sehnt sich nach der endgültigen Fülle, die in diesem Anfang schon verheißen ist. Sie ist deshalb auch im Frieden, sie kann demütig bleiben. Sie muss nicht mehr woanders suchen. Sie muss nicht mehr in der Suche nach Anerkennung, Macht, Reichtum und Vergnügen durch die Welt laufen. Sie ist schon geheimnisvoll daheim und geht dieser Heimat zugleich sehnsuchtsvoll entgegen.

Ein Friedensgeheimnis

Liebe Schwestern und Brüder, deshalb ist das Weihnachtsgeheimnis auch ein Geheimnis des Friedens. Und ich möchte Sie schließlich einladen: Lassen Sie sich vom Frieden dieser Nacht berühren und tragen sie ihn nach Hause. Dieser Friede kann uns die Angst nehmen voreinander, die Angst etwa vor der gegensätzlichen Meinung der anderen über Impfung oder Nichtimpfung, die Angst vor Corona, vor der Klimakrise, vor den gesellschaftlichen Konflikten, sogar vor dem Tod. Sie, die Sie heute Weihnachten feiern, Sie gehören zum Retter, der immer neu Ihr eigenes Herz erobern, mit Licht erfüllen und erneuern will. Und er will, dass wir dieses friedvolle, demütige Leuchten des Kindes auch zu denen tragen, die zu uns gehören. Und auch zu denen, die uns vielleicht nicht gut sind. Denn Konflikte in uns und unter uns entstehen so oft, wenn Menschen etwas nicht haben oder etwas haben wollen, was andere schon haben. Oder wenn sich Menschen bedroht fühlen oder Angst haben, dass ihnen etwas genommen wird. Aber wie sollten wir, wenn wir innerlich mit Jesus verbunden sind, in ihm nicht alles haben? Und wie sollten wir Angst davor haben, dass er uns genommen wird? Deshalb ist er wirklich der Friedensfürst und der, der jede Dunkelheit erhellt und jede Sehnsucht ankommen lässt. Von Herzen wünsche ich Ihnen friedvolle, gesegnete Weihnachten.