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Du bist der Tempel

Du bist der Tempel: Die Predigt von Bischof Stefan Oster zum Palmsonntag 2019 im Passauer Stephansdom.

Du bist der Tempel

Zuerst haben wir das Evangelium zum Einzug Jesu nach Jerusalem gehört – und später werden wir die Passionsgeschichte, die Leidensgeschichte von Jesus hören, die mit dem letzten Abendmahl beginnt. Für mich ist auch interessant, was dazwischen passiert.

Der Evangelist Lukas erzählt, dass Jesus sich dazwischen noch ein paar Tage in Jerusalem aufgehalten hat. Und dabei fällt auf, dass das Erste was er tut, nachdem er in die Stadt eingezogen ist: Er geht in den Tempel. Er geht in den Tempel, um dort die Händler hinauszutreiben. Wenn Sie im Evangelium mal einen zornigen Jesus suchen, dann finden Sie ihn hier. Mit harschen Worten treibt er die Händler hinaus. Im Lukasevangelium lesen wir: „Ihr macht das Haus meines Vaters, das eigentlich ein Haus des Gebetes ist, zu einer Räuberhöhle.“

Der erste Weg führt in den Tempel

Liebe Schwestern und Brüder, Israel ist durch eine sehr wechselvolle Geschichte gegangen, die uns durch alle Erzählungen des Alten Testaments hindurch beschrieben ist, mit vielem Auf und Ab. Und immer, wenn Israel sich erneuert hat, begann die Erneuerung mit der Erneuerung des Tempels, des Kultes, mit der Erneuerung der aufrichtigen und ernsthaften Gottesverehrung.

Und jetzt sehen wir den Herrn, der in seine Stadt gekommen ist – und der erste Weg führt ihn in den Tempel. Um dort den Menschen zu sagen: Hier ist ein Haus des Gebetes, hier ist das Haus meines Vaters – und kein Haus, wo jeder seine egoistischen Interessen bedienen kann. Wo jeder sich bereichern kann, wo jeder sich selbst feiern kann. Sondern es geht um IHN.

Die Abwesenheit Gottes

Vielleicht haben Sie in den letzten Tagen wahrgenommen, dass sich unser emeritierter Papst Benedikt zur Krise der Kirche geäußert hat. Und wie so oft ist das, was in den Medien darüber berichtet wird, sehr oberflächlich und einseitig. Papst Benedikt hat geschrieben, dass die eigentliche Ursache für die Krise der Kirche – und ich bin völlig überzeugt, auch für die Krise der Gesellschaft – die Abwesenheit Gottes ist. Auch in der Kirche.

Liebe Schwestern und Brüder, man wird jetzt fragen: Aber Gott ist doch in seiner Kirche da und er bleibt da? Ja. Sein Name ist: „Ich bin da“. Aber Gott ist ein Gott der Liebe, des Vertrauens, ein Gott der Kommunikation. Das Maß seiner Anwesenheit unter uns bestimmt sich daher mit dem Maß unserer Antwort auf ihn. Spürt man unter uns, dass wir den kennen, den lieben und verehren, der gekommen ist, um in seinem Haus wieder neu zu wohnen und es aufzurichten? Um der zu sein, auf den wir uns ausrichten können – weg von unseren eigenen, vordergründigen Interessen.

Wer oder was ist die Kirche?

Wenn in der Schrift von Jerusalem, vom Zion oder vom Tempel die Rede ist, dann haben schon die frühen christlichen Autoren, die Kirchenväter, festgestellt, dass wir das immer auch auf unsere Kirche übertragen können. Und auf die Frage: Wer oder was ist eigentlich die Kirche? Natürlich ist die Kirche, der Tempel, die Stadt, zunächst mal ein äußerer Ort. Wir haben einen wunderschönen Tempel, ein großartiges Gotteshaus hier unter uns. Aber in einem tieferen, weiteren Sinn ist die Kirche die Gemeinschaft derer, die zu IHM gehören, die IHN kennen. Und in einem sehr persönlichen Sinn ist die Kirche das Herz von jedem einzelnen von uns. Die Seele, in der die Frage entsteht: Wie sehr darf Gott in uns und unter uns wohnen?

Anwesenheit Gottes konfrontiert uns mit der Frage: Ist er für uns nur ein Gedanke? Ein Abstraktum? Einer, der irgendwie im Himmel thront, aber mit meinem konkreten Leben nichts zu tun hat? Oder ist er der, auf den ich mich immer neu ausrichte? Dessen Wort ich liebe. Den ich selber liebe, weil ich ihn kenne. Nach dem ich mein Leben ausrichten und leben will. Hat er, der Herr, wirklich Einfluss auf ein Leben, so, dass er auch meinen Alltag bestimmt?

Es liegt an uns…

Liebe Schwestern und Brüder, das ist auch die Frage an mich persönlich, vielleicht auch an jeden von uns, wenn wir nun miteinander in diese heilige Woche gehen. Lass ich ihn hinein in mein Leben? Darf er wirklich werden in meinem eigenen Herzen? Wenn wir jetzt sozusagen nach Jerusalem, in unsere Kirche, hineinziehen und ihm zujubeln, jubele ich dann auch innerlich? Und sage: Du bist mein König, du bist der Kyrios, der Herr, den wir verehren und der unser Leben immer wieder neu ausrichtet.

Und ja, vermutlich wir alle leben immer wieder so, als ob es ihn doch nicht gäbe. Aber gerade diese wiederkehrende Zeit im Kirchenjahr sagt uns, wenn wir so leben, dass er in uns eher abwesend ist: Wir dürfen immer und immer und immer wieder zurückkehren! Uns von ihm beschenken, vergeben und erneuern lassen. Er ist der König der Wirklichkeit, der König unserer Seelen. Und an uns liegt es, ihn das auch sein zu lassen. So wollen wir miteinander Loblieder singen, wenn wir jetzt mit ihm nach Jerusalem einziehen. Und wenn wir danach auch seine Leidensgeschichte hören. Es ist für uns geschehen. Amen.